Corona Tagebuch – J-2

Die Überschrift wird sich auch verändern. Seit ein paar Tagen wird in der Zeitung schon rückwärts gezählt, heute ist J-2, meint le Jour, DER Tag (der Corona-Befreiung) minus Zwei. Noch zweimal schlafen also. Heute ist der 54. Tag der Ausgangssperre. Ab Montag wird wieder so vieles möglich sein, rausgehen so lange man will und ohne Ausgangsschein!, man darf sich in einem Umkreis von 100 km bewegen, hundert anstatt einem! Mon Dieu, die Welt steht einem offen! Sogar nachts! Die nächtliche Ausgangsperre fällt dann auch weg. Die Parks werden wieder geöffnet, ich werde wieder durch La Croix des Gardes laufen und man wird sogar wieder auf die Iles des Lérins fahren können. In Nizza wird die Promenade des Anglais wieder freigegeben. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Strände und das Meer wieder zugänglich werden. Und: man wird sogar wieder Boule spielen können! Mit Masken und Sicherheitsabstand, aber hallo, welche Freiheit, endlich! Sogar die Einkaufszentren machen wieder auf. Mein Güte. So ganz klar ist nicht, wo überall man Maske tragen soll, der Bürgermeister von Nizza will sie überall verpflichtend machen, ansonsten gelten sie in den öffentlichen Verkehrsmitteln und an öffentlichen Plätzen. Besser man hat eine dabei und trägt sie im Zweifelsfall.

Damit es aber nicht in einer wilden Ausgangsschlacht endet, hat sich der Wettergott schnell etwas einfallen lassen: es ist heute schon ganz trüb (gewesen) und regnet bereits; am Montag wird es gleichmal den ganzen Tag regnen. Der Rest der kommenden Woche ist es je nach konsultiertem Wetterdienst komplett verregnet oder es regnet nur jeden zweiten Tag. Das wird das neue, freie Rausgehen sicher etwas bremsen. Vielleicht ganz gut so.

Die offiziellen Ehrungen für die Toten und das Gedenken an das Kriegsende sind gestern sehr minimalistisch ausgefallen. Nicht mal die Héros de la Résistance bekamen ihr übliches Blumengesteck. Und im privaten Bereich habe ich auch nur ein einziges Fähnchen an einem Fenster gesehen.

Die Zeit, in der diese Katze (im Bild nicht meine) so gemütlich über die Straße laufen konnte, ist dann auch wieder vorbei. Und nochmal, all die Haifische, Delphine und anderen Tiere, die sich “ihren Lebensraum wieder genommen haben”, und die angeblich durch die südfranzösischen Häfen und im seichten Wasser direkt am Strand in Villefranche geschwommen sind, schwammen nicht hier. Die Delphine tummelten sich in der Türkei und der Hai schwamm in Süditalien. Nur die Ameisen erobern sich ihren Lebensraum und ziehen, wie jedes Jahr im Frühjahr, durch unsere Küche. Vermutlich wurde das Haus vor 150 Jahren in einem Ameisenbiotop gebaut. Egal, Ameisen sind im wahrsten Sinn ein vorübergehendes Problem.

Die schlechte Nachricht des Tages: Monsieurs Sohn hat seinen Job verloren. 50% der Angestellten einer Informatik-Zulieferfirma für Airbus wurden entlassen. Er auch. Die halbwegs gute: Monsieurs Ex-Gattin und ihr Lebensgefährte, die sich seit Wochen die Seele aus dem Leib husten, hatten nicht COVID19 sondern la coqueluche. Keuchusten.

Ich habe heute Nachmittag dank Ihrer Hinweise (danke dafür) eine Dokumentation zu den Kindern von Windermere angesehen, der richtige Film ist in Frankreich nicht abrufbar, aber die Doku fand ich auch schon eindrücklich. Ich bin immer nur erstaunt, wie wenige Menschen den letzten Überlebenden überhaupt zuhören wollen. Einmal wohnte ich einer Lesung von Ruth Klüger bei, man musste sich anmelden, weil es in einer jüdischen Gemeinde stattfand mit Sicherheitsschleuse undsoweiter, ich weiß ehrlich gesagt gerade nicht mehr, ob es in Wien oder in München war, aber ich meldete mich sehr kurzfristig an und fragte besorgt “gibt es noch Plätze?”. “Jaja”, beruhigte man mich. Wir waren dann höchstens zwanzig Personen in einem großen leeren Saal. Ich wollte es gar nicht glauben, dass diese Lesung und dieses Thema, das mich so beschäftigt und interessiert, letzten Endes so wenige Menschen einer Großstadt anzieht.

Gestern Abend sahen wir Jenseits von Afrika in der französischen Version. Eigenartig, diesen Film, dessen Dialoge ich, in Deutsch zumindest, teilweise mitsprechen kann, mit fremden Stimmen und fremden Sätzen anzusehen und zu hören. Ich hatte stellenweise das Gefühl, einen anderen Film zu sehen. Rosenlippenmädchen, leichtfüßige Jungs, Sie wissen schon, der Trinkspruch im englischen Club wurde zu à la robe de pourpre, à la folle jeunesse. Weiß jemand, was sie auf Englisch sagt? 


Auf der Suche danach bin ich gerade über das echte spannende Leben von Tania Blixen gestoßen und auf das dänische Museum, es gäbe auch eines in Nairobi. Ihr Buch hingegen habe ich zwar mal besessen, aber nie gelesen. Babettes Fest, auch eine Erzählung von Tania Blixen, kennen Sie sicher? Da gehts ums Essen … aber leider ist im deutschen Trailer davon nichts zu sehen, weshalb ich ihn hier nicht verlinke, aber damit kann ich spielerisch überleiten zum Podcast Agnes trifft … da geht es nämlich auch ums Essen: Peter Otten erinnert sich voller Liebe an den Gemüsegarten seiner Kindheit, das Ritual der Stangenbohnen und an Fritten … Ich habe das gestern gegen Mitternacht gehört und hatte danach wieder Hunger ;-) Und jetzt mache ich endlich Abendessen! Bonne soirée und bis morgen!

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8 Responses to Corona Tagebuch – J-2

  1. Croco sagt:

    „Ich hatte eine Farm in Afrika, am Fuße der Ngong- Berge.“

    Das geht doch nicht: Robert Redford spricht Deutsch, nicht Französisch.
    Was habe ich diesen Film geliebt. Von Tanja Blixen habe ich einiges gelesen, ist aber schon lange her.
    Jedenfalls trug ich damals nur noch dieses helle Leinen, falls Herr Redford mal vorbei kommt. Stilbildend, dieser Film.

  2. Marion sagt:

    Ich habe das Museum außerhalb von Kopenhagen mal besucht. Es ist tragisch, dass Tania Blixen in Afrika alles verloren hat und als alleinstehende Frau in ihr Elternhaus – so schön es dort auch ist – zurückkehren musste, wo sie sich nicht wohlfühlte und sich fortan bis zu ihrem Tod nach ihrem alten, abenteuerlichen Leben zurücksehnte. So ähnlich geht es mir ja auch!

  3. Marion sagt:

    P.S.: Gut, dass Ihr wieder mehr Bewegungsfreiheit bekommt! So oft wie in den letzten Wochen bin ich sonst nicht in der Natur und das hat unheimlich gut getan!

  4. Caroline Bahri sagt:

    Jaaaa, Boules spielen! Aber du wirst sehen: bei dem angekündigten Regenwetter werden alle die Einkaufszentren stürmen

  5. moni-fr sagt:

    Et voila:

    „rose-lipt maidens, lightfoot lads“

  6. Das ist MEIN FILM. Was habe ich geheult und sehnte mich auch, nur einmal, im Flugzeug mit Robert mitfliegen zu dürfen. Hach. Da es heute Dank dem Eisheiligen Mamertus schon regnet, werde ich mir den Film rauskramen und anschauen. Und schwelgen.