Ein Jahr Krieg

Stand with Ukraine

Sie sehen mich merkwürdig stumm. Ich möchte so viel sagen und habe keine Worte. Ein Jahr schon dauert Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Mich bedrückt er mehr und mehr. Das letzte Jahr war getragen von der Hilfe für die kleine ukrainische Familie – ich hätte nicht gedacht, dass diese Hilfe auch uns, oder sagen wir mir, so guttun würde. Dass ich aktiv etwas gegen diesen Krieg getan habe, hat mein Herz erleichtert, der Krieg und all die schrecklichen Nachrichten und grausamen Bilder, die ich im Fernsehen gesehen habe, haben mich nicht deprimiert. Ich tue etwas. Wir tun etwas.

Seit September ist die kleine Familie zurück in der West-Ukraine. Es ist dort “relativ” ruhig, aber was heißt das schon. Überall ist Militär unterwegs, schrieb mir Tetiana, und die Alarmsirenen gehen häufig los. Stromausfall ist an der Tagesordnung und sie machen daher “romantische Candlelight-Dinners”. Internet funktioniert nur stundenweise oder auch gar nicht. Immerhin aber funktioniert die kollektive Heizung in dem Haus, in dem sie leben und ihre Wohnung ist warm. Sie versuchen ein “normales” Leben zu führen, der große M. geht in die Schule, und Tetiana und ihr Mann haben ihr Theater wieder geöffnet, proben und geben Aufführungen; selbst wenn immer wieder Theaterproben und Schulunterricht in einem Schutzkeller stattfinden müssen. Ich bekam ein Foto, auf dem man den großen M. mit seiner Schulklasse in einem Schutzkeller sah: die Kinder lächelten alle tapfer und machten ein Victory-Zeichen mit ihren Fingern, aber mir kamen die Tränen.

Um Weihnachten herum bekamen wir ein riesiges Paket aus der Ukraine, darin ukrainische Spezialitäten, Kaffee, Pralinen, scharfer Senf (übrigens habe ich gestern wieder den ersten französischen Senf im Supermarkt gefunden, der auch nur etwa dreimal so teuer ist wie vorher!), ein vermutlich ebenso starker Alkohol und ein unbekannter Brotaufstrich; es handele sich um eine “ukrainische Droge”, hatte Tetiana dazu geschrieben. Letztlich war es Schweineschmalz vermischt mit einem säuerlichen Gemüse, ein neuer Geschmack, aber lecker und tatsächlich “süchtigmachend”, ich habe das Glas am Ende noch mit Brot ausgewischt. Vermutlich wäre es auf Schwarzbrot (so die Anleitung) noch besser gewesen, aber wir haben es mit frischem Baguette auch genossen.

“ukrainische Droge”

“Wir hätten ihr ein Stück von Frankreich gegeben, und sie wolle uns ein Stück von ihrer Ukraine zurückgeben” schrieb Tetiana.

Es gab noch allerhand anderes, darunter dieses Wollpüppchen in den ukrainischen Nationalfarben. Es hängt bei uns im Eingangsbereich und wird hier in seiner fragilité solange hängen, bis dass die russische Armee sich aus der Ukraine zurückzieht.

Stand with Ukraine!

Und noch ein ps: ich habe über Herrn Buddenbohm, dem ich für sein unermüdliches Herumlesen in Büchern, Zeitungen und auf Blogs und das Verlinken derselben danke, über ihn also habe ich diesen Text von Frau Herzbruch gefunden. Sie schreibt, was mir nur ungeordnet im Kopf herumschwirrte. Danke dafür.

Ich möchte ergänzen, dass wir gerade Geschichte wiederholen: 1938, beim sogenannten Münchner Abkommen, wurde entschieden, dass man Hitler, um einen größeren Krieg zu vermeiden, einen Teil der Tschechoslowakei (die Sudetengebiete) überlassen würde; wie wir wissen, hat diese “Appeasementpolitik” bei der die Tschechoslowakei “geopfert” wurde, den Krieg nicht verhindert. Wie geht man mit einem Aggressor um, der eine exzessive Konfliktbereitschaft an den Tag legt? Mit Putin kann man genauso wenig verhandeln, wie man es mit Hitler konnte. Ein Archivtext zum Münchner Abkommen aus dem Deutschlandfunk.

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3 Responses to Ein Jahr Krieg

  1. Marion sagt:

    Danke für das Update. Es interessiert hier sicher viele, wie es Tetiana und ihrer Familie ergangen ist. Gestern kamen natürlich zig Sondersendungen zum Thema im Radio und TV. Ich habe pausenlos kopfschüttelnd vor dem Fernseher gesessen. Jedes einzelne Schicksal ist so erschütternd. Wann endet dieser Albtraum endlich?

  2. Pingback: Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 25.2.2023 – Buddenbohm & Söhne

  3. Karin sagt:

    Kaum zu glauben, dass dieser Krieg nun schon so lange andauert! Vielen Dank für das Update über Tetiana und ihre Familie. Genauso unvorstellbar wie der Krieg ist auch die Vorstellung, dass man durchaus in einem Land im Krieg ein halbwegs “normales” Leben führen kann, man arbeitet, sieht Freunde, geht seinen täglichen Verrichtungen nach, wenn auch unterbrochen durch die Bombenalarme. Wir, die wir so glücklich und in Frieden im westlichenTeil Europas leben dürfen, können uns nicht vorstellen, wie das sein muss, ständig in Angst, zerrissen zwischen Krieg und Alltag.
    Mein Teenager-pazifistisches Herz würde bluten, wenn es wüsste, was ich jetzt über diesen Herrn Putin und davon wie man mit ihm umgehen sollte, nein muss, denke. Ein Abtreten von Gebieten ist sicher keine Option, du hast Recht. Dies würde ihn nur bestärken, bei nächster Gelegenheit gleich noch ein paar frühere Sowjetunion-Staaten anzugreifen und sie Russland einzuverleiben. Es ist eine bittere Pille, und es wäre so viel schöner, wenn Verhandlungen tatsächlich Früchte tragen könnten. Aber da habe ich tatsächlich keine Hoffnung.