Cannes – Kino am Strand

Cinéma de la plage heißt die Open-Air-Filmveranstaltung während des Festivals und sie findet, wie der Name sagt, am Strand statt. Sie ist kostenfrei, aber in der Regel werden dort keine neuen Filme gezeigt – vielleicht der Grund, weshalb ich in all den Jahren noch nicht dort war. Das Wetter spielt natürlich auch eine Rolle – die Mai-Abende sind nicht immer mild und freundlich.

Soll man wirklich abends den ganzen Weg dorthin laufen, sich eine Stunde vor Öffnung des Strandes schon für einen Liegestuhl anstellen, wenn man einen ergattert, dann noch etwa eine Stunde warten, bis es los geht, nur um dann einen Film zu sehen, den man schon kennt, und gegen Mitternacht wieder zu Fuß nach Hause laufen, weil natürlich kein Bus mehr fährt? Das muss man wollen! Über die Nahverkehrssituation während des Festivals könnte ich einen eigenen Blogartikel schreiben : ich sage nur katastrophal! Der letzte Zug nach Nizza fährt in Cannes um 22.03 Uhr ab! Da hat der Film bei Cinéma de la plage noch nicht mal angefangen! Nach 21 Uhr fährt kein Bus mehr zu mir nach Hause, ein Nachtbus, der in meine Richtung fährt, fährt um halb elf und nochmal um um Viertel nach eins. Basta. Selbst fahren und irgendwo parken? Haha. Taxi? Versuchen Sie es nichtmal!

Dieses Jahr aber wurde ein neuer Film gezeigt im Strandkino, den wollte ich sehen und machte mich auf den Weg (und außerdem dachte ich, bei dem Wetter gehe niemand hin, ich müsse also nicht Schlange stehen, war aber eine Fehleinschätzung) zur Vorpremiere in Anwesenheit der Regisseurin und der SchauspielerInnen; wir fühlen uns im Liegestuhl am Meer fast wie im großen Saal, wenn nicht sogar besser: “Flo” – ein Biopic der französischen Seglerin Florence Arthaud, die in Frankreich und vermutlich weltweit in Seglerkreisen eine Legende ist, weil sie als erste und einzige Frau die Segeltour Route du Rhum gewonnen hat. Florence Arthaud, die 2015 bei einem Hubschrauberunglück (!) ums Leben gekommen ist und deren Asche vielleicht auf dem handtuchgroßen Friedhof auf einer der vorgelagerten Inseln vor Cannes beigesetzt wurde – ein Vorhaben, das damals eine Polemik bei den Einwohnern von Cannes ausgelöst hat, weil sie, bei aller Liebe, keine Einwohnerin von Cannes ist, und wo kommen wir denn hin, wenn der Vater, nur weil er einen guten Draht zum Bürgermeister hat, so etwas durchsetzen kann … ob Florence da letztendlich ruht oder nicht, lasse ich mal dahingestellt. Ende April 2015 gaben ihr die Segler draußen im Meer, “au large de Cannes”, immerhin ein berührendes Adieu.

Thierry Frémaux, Mister Festival, stellt mit schon deutlich überlasteter Stimme den Film und die Filmcrew vor – wir hören und sehen eher vage im Dunkeln, dass Florence’ Trimaran, mit dem sie die Route de Rum gewonnen hat, draußen vor Anker liegt. Nach dem Film versuche ich ihn zu fotografieren, aber es liegen viele Boote vor Cannes und ich kann den Trimaran in der Nacht nicht erkennen.

Florence Arthaud, dargestellt von der jungen Schauspielerin Stéphane Caillard, die ihr verblüffend ähnlich sieht, beschloss als junge Frau nach einem schweren Autounfall, ihr Medizinstudium an den Nagel zu hängen und stattdessen zur See zu fahren. Florence Arthaud war eine der ersten Seglerinnen überhaupt – da in der Macho-Welt der Siebziger Jahre Frauen (und Katzen) an Bord angeblich noch Unglück brachten und sie daher keiner der großen Segler bei einer Tour mitnehmen wollte, segelte sie eben kurzentschlossen alleine. Sie war Abenteuerin und Seglerin, sie segelte, lebte, liebte und feierte intensiv, und dass der Film mit einem Lied von Janis Joplin endet, ist absolut passend. Der Soundtrack, beginnend mit “Driver Seat” von Sniff’n the Tears, ist toll!

Wir sehen den Film eingemummelt in Fleecedecken, ich bin mit meiner Daunenjacke angezogen wie im Winter und ich bin damit nicht alleine, denn es ist kalt und feucht nachts am Strand, vor allem, weil es in den letzten Tagen kaum aufhörte zu regnen. Zwischendurch fing es auch wieder an, glücklicherweise nur leicht, aber irgendwann spanne ich doch meinen Schirm auf, halte ihn eng über dem Kopf, damit er die hinter mir Sitzenden nicht stört, und biege ihn ein bisschen, um die Liegestuhlnachbarn von rechts und links nicht in die Augen zu stechen.

Der Film gefiel mir, das Leben von Florence Arthaud interessierte mich, aber trotzdem berührte er mich nicht besonders. Auch die dramatischen Szenen auf See, so erlebt sie vermutlich eine Fehlgeburt während sie die Route du Rhum segelte, sah ich, die ich doch von Filmen in der Regel schnell ziemlich angegriffen bin, erstaunlich ungerührt.

Ihre Familie, ein Bruder und die Tochter, haben versucht, den Film zu verhindern – sie mochten nicht sehen und mochten vor allem nicht, dass alle nun sehen können, dass Florence so viel feierte, und (vielleicht nicht nur) am Ende einen Hang zum Alkohol hatte. Florence Arthaud starb aber nicht auf See, obwohl sie 2011 beinahe ertrunken wäre, sondern bei einem Hubschrauberunglück in Argentinien, und mit ihr zehn andere TeilnehmerInnen der Fernsehserie Koh Lanta, eine Art sportliches Dschungel-Camp.

Achtung – bevor Sie die kleine Szene sehen können, müssen Sie die Bedingungen akzeptieren und dann haben sie bestimmt nochmal 25 Sekunden Werbung, die Sie zum Anklicken auffordert – machen Sie natürlich nicht, warten Sie einfach, irgendwann gehts los.

Der Film bekam kurzen freundlichen Applaus, “stehende Ovationen” hieß es in einem Zeitungartikel – nun gut, die Menschen, die in den ersten Reihen und rund um die Schauspieler und Filmemacher saßen, erhoben sich wirklich und klatschten energisch.

Ich lief durch die vibrierende Nacht zurück und weiß jetzt auch, warum sie die Weihnachtsdeko an den Palmen nicht mehr entfernen, es sieht einfach auch im Mai sehr festlich aus!

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2 Responses to Cannes – Kino am Strand

  1. Marion sagt:

    An die Nachricht über den Flugzeugabsturz kann ich mich schwach erinnern, ohne damals mehr über diese Frau gewusst zu haben. Als ich früher am Meer gelebt habe, haben mich die Aktionen am Strand auch nie sonderlich interessiert. Schon komisch. Die Weihnachtsbeleuchtung ist dann doch etwas irritierend.

    • dreher sagt:

      Es gab innerhalb weniger Tage einen Flugzeugabsturz in den Alpen und den Hubscharubercrash in Argentinien. Zwei mit französischen Sportlern vollbesetzte Hubschrauber sind sich ins Gehege gekommen und abgestürzt. Eine junge Schwimmerin aus Nizza war auch unter den Opfern.