Cannes – Klatsch und Tratsch

Ich bin ein bisschen raus aus dem Filmfestival – ich habe dieses Jahr wirklich keine Karten von irgendjemanden geschenkt bekommen und hatte den Termin, um mich beim Rathaus für die “Einwohner-Karten-Verlosung” einzuschreiben, verpasst. Tant pis. Hier waren zwischenzeitlich Scarlett Johansson und Lily-Rose Depp, Johnnys Töchterchen, nur für den Fall, dass Sie es nicht wissen sollten, auf dem roten Teppich. Scarlet trug ein merkwürdiges Kleid in Rosa, aber sie kann ja alles tragen, nicht wahr, und Lily-Rose irgendein schwarzes Kleidchen von Vintage-Chanel. Sie kam übrigens sehr cool mit Zigarette in der Hand aus dem Hotel (der französische Einfluss vermutlich), an der sie noch einmal lässig zog und sie dann locker wegschnippste als sie in die Limousine einstieg, die sie zum Palais des Festivals fuhr – Zigarette wegschnippsen ist eine Ordnungswidrigkeit und kostet in Cannes in der Regel 180 Euro Strafe. Zumindest wenn sie über einen engagierten Policier stolpern, dem es egal ist, wer Sie sind. “Sie wissen wohl nicht, wer ich bin!” herrschte Thierry Frémaux, der Direktor des Filmfestivals, einen Polizisten an, der ihn wegen Fahrradfahrens auf dem Trottoir verwarnte, als er, im schwarzen Anzug und doch sehr ökologisch, zur abendlichen Feier im Carlton mit dem Rad vorfuhr. Das sei völlig unerheblich, wer er sei, gab der Policier zurück. Da rastete Frémaux ein bisschen aus, beschimpfte den Flic, und drohte an, das werde Konsequenzen haben! Der Polizist und Herr Frémaux wurden von einigen Herren des Hotel-Sicherheitsservice’ getrennt, bevor sie aufeinander losgehen konnten. Man schien dem Polizisten immer wieder leise zu sagen, wen er da verwarnt habe, Mister Festival persönlich, aber es beeindruckte ihn wenig. “Et alors?” fragte er er mehrmals. “Na und?” Fahrradfahren auf dem Trottoir ist verboten, basta. Der Polizist wurde natürlich (zumindest offiziell) von seinem Vorgesetzten in Schutz genommen, er habe völlig korrekt gehandelt. Thierry Frémaux hat sich zwischenzeitlich entschuldigt, aber nicht genug, findet man in Polizeikreisen. Etwas mehr Kniefall hätte es schon bedurft. Lily-Rose hingegen wurde nur kurz auf Twitter gelyncht. Was ist das denn für ein Benehmen? Vulgär, respektlos sei sie und habe nichts vom Charme ihrer Mutter. Nun gut. Tom Hanks wurde auch mit wütendem Gesicht und erhobener Faust abgelichtet – er war kurzzeitig von dem Geschrei der Fans und der Fotografen überfordert und hörte die Anweisungen, wo er sich in der sekündlich durchgetakteten Zeremonie hinbegeben solle, nicht. Es IST laut, mich würde das auch wahnsinnig machen, wenn tausende Menschen dringlich meinen Namen riefen, als seien sie alle lang verschollene Freunde. Aber alles gut, eine Minute später lächelte er schon wieder professionnel auf den rot ausgelegten Stufen.

Heute Abend findet im Hotel-Eden-Roc auf dem Cap d’Antibes, THE place to be, wenn man wirklich reich und berühmt ist, eine Benefiz-Gala zur Unterstützung der AIDS-Forschung statt. Gehostet, wie das neudeutsch heißt, wird das Ganze von Queen Latifah, die musste ich erst googeln, und die Life acts-KünstlerInnen kenne ich auch alle nicht mehr. Aber immerhin weiß ich noch wer Leonardo di Caprio ist, der eben noch im Gotha Club am Palm Beach tanzte, aber heute Abend auch bei der Gala anwesend sein wird. Sie könnten übrigens ein Porträt von Leo, angefertigt von Damien Hirst, zu Gunsten der AIDS-Forschung ersteigern. Oder lieber einen Aston Martin? Falls Sie noch schnell auf die Warteliste der Gäste kommen wollen, bitteschön, hier entlang. Der billigste Platz und eine Erwähnung Ihres Namens auf der offiziellen Gästeliste ist für 25.000€ zu haben.

Dieser ganze ausschweifende Luxus an der Côte d’Azur treibt die CGT, die große Gewerkschaft Frankreichs, verständlicherweise in den Wahnsinn. Wenn all diese Reichen ordentlich Steuern zahlen und mal ein bisschen was von Ihrem Reichtum abgebeben würden, dann bräuchten wir uns hier nicht mit dieser Rentenreform herumärgern. Die CGT hatte in Cannes Demonstrationen angekündigt, die aber für die Zeit des Festivals und, zumindest in unmittelbarere Nähe des Festivals-Geschehens, untersagt worden waren. Es gab dann doch eine kleine Demo, pressewirksam vor dem Carlton mit roten CGT-Regenschirmen. Da das aber offensichtlich nicht genügte, um von sich reden zu machen, demonstrierte man gestern noch einmal vor dem Bahnhof und hat dann zusätzlich kurzerhand sämtlichen Hotels und Restaurants an der Croisette, einschließlich der Strandrestaurants und dem Palais des Festivals ab Mittags für mehrere Stunden das Gas abgestellt, um, ich übersetze das Zitat “die starken Symbole des Kapitalismus, der Finanzwelt und ihres enthemmten Ultraluxus mit Gas oder Strom zu ernüchtern”. Andere Ziele an der Côte d’Azur, allen voran St. Tropez, sollen in diesem Sommer auch noch “ernüchtert” werden.

Die Restaurateure in Cannes, im besten Mittagsservice, schäumten verständlicherweise vor Wut. Dass man mit der Politik von Macron nicht einverstanden sein kann, ist eine Sache, ihnen ihre Möglichkeit zu nehmen, an einem Festivaltag zu arbeiten, eine andere. Sie haben es nach den Jahren mit COVID schwer genug, wieder auf die Beine zu kommen. Der Bürgermeister von Cannes, David Lisnard, ließ hören, dass er die Aktion der CGT verurteile – umso mehr, als die CGT bei der Stadt für ihre Mitglieder Freikarten erbeten habe, um bei dem verschrieenen kapitalistischen Ultraluxus-Trallala als Gäste dabei sein zu können.

So viel für heute aus der Festivalstadt … à bientôt!

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10 Responses to Cannes – Klatsch und Tratsch

  1. Marion sagt:

    Hahaha, Du klingst auch sehr ernüchtert 😂. Was für ein widersprüchlicher Wahnsinn.

  2. Christiane H. sagt:

    irgendwie ” très français”, le flic und die Demo der CGT und dabei schaden sie den eigenen Landsleuten, das Zitat erinnert mich an meine Studienzeit in Strasburg und Nancy

  3. Peters sagt:

    Herrlich! Toll geschrieben! Ich habe mich mit meiner Tochter und Freundin ( als Regenprogramm) an den roten Teppich gestellt und ich muss sagen, dass es richtig lustig war.

    Jeder , der über den roten Teppich läuft, geht nicht zwangsläufig in das Kino , sondern verlässt direkt das Event über den Seiteneingang, wo auch Paparazzi warten. Von dort geht es dann zu Fuß ins Hotel. Dieser 3 Minutenauftritt dient dann nur der Imagepflege! Irgendwie auch ein bisschen traurig!

    Liebe Grüße nach Cannes

    • dreher sagt:

      Ah, sehr interessant! Das ist mir noch nicht aufgefallen – vermutlich, weil ich, wenn ich schon die Stufen hochlaufe, dann auch im Saal verschwinde …
      Liebe Grüße!

  4. Karin Penteker sagt:

    Köstlich! Ich lege mich hier gerade ab, ROFL in Neudeutsch, glaube ich, ich bin da nicht so stilsicher.
    Lily-Rose muss ich mir wirklich noch im Kino anschauen, bisher ist sie für mich nur ein Nepo-Baby, also “Tochter von”, vielleicht kann sie ja tatsächlich was. Bisher, wie gesagt, traue ich ihr das nicht zu. Schon irgendwie komisch, dass heutzutage jede Tochter/jeder Sohn von X auch zu Ruhm kommt. Früher hatten die KünstlerInnen doch auch Kinder und dennoch standen nur ganz wenige davon selbst im Rampenlicht. Das muss der Hype der sozialen Medien sein, oder? Seufz…
    Liebe Grüsse aus dem sonnigen Genf ins wie ich sehe auch wieder sonnige Cannes!

    • dreher sagt:

      Lily-Rose ist in dem Film “Idol” zu sehen, der in den Kritiken ziemlich schlecht weggekommen ist. Softporno, nicht politisch korrekt. Zitat: Am Ende des Films wissen wir wenigstens den Unterschied zwischen einer Ejakulation ins Gesicht und einem Bukkake (musste ich auch erst googeln). Und sie haben sich noch bemüht, nicht allzu negativ zu sein, weil Johnny und Vanessa die Eltern sind …
      Liebe Grüße! Ja, Sonne!

  5. Karin Penteker sagt:

    Ooooooh, okay, man lernt nie aus! Ich glaub’ den Film spar ich mir …

  6. Maria sagt:

    Hier ist Wim Wenders jeden Tag im Fernsehprogramm…sieht immer besser aus im Alter der Gute…und sein Film aus Japan soll auch richtig gut sein…vielleicht bekommt er wieder eine Palme.