
Ich war in Berlin zu einer Gartenparty eingeladen, um das Leben zu feiern, nachdem es ein paar Jahre lang ziemlich anstrengend gewesen war. Die K-Krankheit auch hier. Jetzt sieht es aber wieder gut aus, Grund genug für ein Gartenfest im Sommer mit all den Menschen, die einen schon seit Langem begleiten.

Das Taute Heim war dieses Mal bereits ausgebucht, so dass ich mich im Literaturhotel in Friedenau einmietete, das schon seit Jahren auf meiner eigentlich nicht vorhandenen “Bucket-List” steht. Das Hotel wurde von der Autorin Christa Moog in dieser Form gegründet. Ich habe es vor ein paar Jahren entdeckt, als mir ihr Buch „Aus tausend grünen Spiegeln” wieder in die Hände fiel, das ich vor vielen Jahren, noch in einem vergangenen Jahrhundert, sehr gern gelesen hatte. Ich habe recherchiert, ob sie in der Zwischenzeit noch etwas anderes geschrieben hat, fand aber immer nur dieses eine Buch und den kleinen Erzählungsband „Die Fans von Union”, der auf seine Weise eindrücklich ist, aber nichts mit dem ersten Roman zu tun hat. Sie hat jedoch ein Literaturhotel gegründet, in dem es Lesungen und Literaturveranstaltungen in schönem Rahmen gibt, etwa im Uwe-Johnson-Saal oder im Garten. Und jetzt endlich habe ich es dorthin geschafft und bin sofort vom Charme des Hauses gefangen. Es gibt Biedermeiermöbel, Teppiche, Lüster und Spiegel, jede Menge Bücher und Fotos von Autoren. Der Empfang ist sehr freundlich, allerdings nicht mehr von Frau Moog, die sich vor einem Jahr auf Rügen zurückgezogen und die Leitung des Hotels in die Hände eines jungen Teams gelegt hat.





Mir gefiel die Atmosphäre, und auch das altmodische, aber sehr saubere Badezimmer (es erinnerte mich an unseres in Frankreich) und die tatsächlich sehr dünn gewaschenen Handtücher störten mich nicht. Es gibt weder Aufzug noch Klimaanlage, keinen Fernseher, keine Minibar und dergleichen Schnickschnack, den man in modernen Hotels finden kann. Dafür liegt es traumhaft in einem ruhigen Wohnviertel und hat einen schönen großen Garten, in dem man abends ausruhen und morgens frühstücken kann – sofern einen die Wespenhorden nicht stören. Ich gab es irgendwann auf und zog mich stattdessen in den Salon an einen der hübsch mit Goldrandservice gedeckten Biedermeiertische zurück. Das Buffet war vielfältig und sehr fein. Mir wurde auf Wunsch Hafermilch besorgt und anderen Gästen wurde Tee mit exakter Angabe zur Wassertemperatur und Brühzeit serviert. Ich las dort übrigens in Mascha Kalekos Briefen an ihren Mann. Sie reiste in den fünfziger Jahren aus den USA nach Hamburg und Berlin zurück und ihre Erlebnisse mit Hotels und anderen Vermieter:innen im Nachkriegsdeutschland passen gut zu der Berliner Hotelatmosphäre. (Das Literaturhotel hätte gut das Vorbild für das Hotel in meinem zweiten Krimi sein können, das ich mir damals weitestgehend ausgedacht habe
)




In „Aus tausend grünen Spiegeln“ folgt man einer jungen Frau, die Anfang der Achtzigerjahre die DDR verlässt, um in Paris einen Mann zu heiraten, der sie tragischerweise gar nicht heiraten will. Sie entdeckt das westliche Europa und begibt sich auf die Spuren der von ihr verehrten Schriftstellerin Katherine Mansfield. Sie besucht alle Orte, an denen Mansfield in ihrem kurzen Leben war. Ihr Weg führt sie bis nach Neuseeland – und mich auch, denn ich fand die Beschreibung Neuseelands so anziehend, dass ich mich, als es mich einmal „ganz weit weg“ zog, für Neuseeland entschied. Die Entdeckungen der westlichen Welt, gemischt mit Erinnerungen an das zurückgelassene Leben in der DDR, werden in Briefen an eine zurückgelassene Freundin geschrieben. Der persönliche Stil hat mich sehr berührt, und ich habe das Buch, bei all den Tausenden, die man im Laufe des Lebens liest, nie vergessen. Interessanterweise ist es auch eines der wenigen Bücher, die ich beim letzten Umzug nicht verloren habe. Ich habe das vergilbte Bändchen mit nach Berlin gebracht und hätte es mir gern signieren lassen. Das war ja nun nicht mehr möglich, aber ich ließ immerhin meine Geschichte und meine Grüße an Frau Moog dort.


In Friedenau suchte ich dann auch das Haus auf, in dem meine Eltern 1960 gewohnt hatten. Sie waren nach ihrer Hochzeit nach Berlin gezogen. Mein Vater hatte bei Ullstein Arbeit gefunden und sie wohnten „möbliert” in der Fehlerstraße in der Wohnung einer alleinstehenden Dame, die viel auf Reisen war. Meine Mutter hat sie in liebevoller Erinnerung als „Tante Lottchen”. Doch dann wurde die Mauer gebaut, man wusste nicht, wie die Situation enden würde, meine Mutter war außerdem mit mir schwanger und sie fühlten sich nicht mehr wohl in Berlin, und vor allem so weit weg von ihrer Familie, sodass sie sich wieder Richtung „Heimat” aufmachten.


Schräg gegenüber des Hauses in der Fehlerstraße liegt übrigens der Friedenauer Friedhof an der Stubenrauchstraße, und dort ist unter anderem Marlene Dietrich beerdigt, die zwar in Paris verstorben ist, aber in Berlin beerdigt werden wollte. Da sie aus Schöneberg stammt und ihre Mutter bereits auf diesem Friedhof liegt, fand man ihr ein Grab in unmittelbarere Nähe zu ihrer Mutter.


Ihr Grabnachbar ist jetzt außerdem Helmut Newton,

Diese Informationen verdanke ich sämtlich der umfassenden Seite über Friedenau dieser beiden Herren, die an anderer Stelle bedauern, dass man den Friedenauer Friedhof nur wegen Dietrich und Newton besuche, so dass ich mich pflichtschuldigst aufmache und immerhin das Grabfeld für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft besuche,
Das Gräbergesetz der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet die Bundesländer, die auf ihrem Gebiet liegenden Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu pflegen und zu erhalten. Darunter fallen Kriegstote des II. Weltkrieges, die in Ausübung oder Folge eines militärischen oder militärähnlichen Dienstes ums Leben gekommen sind oder innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Kriegsgefangenschaft gestorben sind,Kriegstote des II. Weltkrieges, die als Zivilisten durch Kriegseinwirkungen ihr Leben verloren haben.Opfer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen. Opfer rechtsstaatswidriger Maßnahmen des kommunistischen Regimes. Vertriebene.
aus: Friedenau aktuell


Außerdem besuche ich das Grab von Dietrichs Mutter Josefine von Losch, und das der mir bislang unbekannten Drehbuchschreiberin Dinah Nelken und des Lyrikers Paul Zech (eigenartiger Typ, der mir nicht richtig sympathisch wird).



Nicht nur der Friedhof war eine grüne Oase, ganz Berlin ist derzeit sehr grün. Ich liebte die Alleen mitten in der Stadt, die breiten Fußwege aus Pflastersteinen und besonders die schönen Balkone.






Wegen meiner müden Knie (ich gab bei der Suche immer „möglichst kurze Gehzeit” an) und auch dank des Polizeieinsatzes, der die S-Bahn lahmlegte, fuhr ich dieses Mal erstmals vermehrt Bus. Es ist schon ein Vergnügen, ein gut funktionierendes, eng getaktetes Nahverkehrssystem einer Großstadt nutzen zu können. Auch wenn die Wege von A nach B für mich in der Zwischenzeit Kleinstadt-Provinzpflanze immer erstaunlich weit sind, unter einer Dreiviertelstunde Fahrzeit kommt man nirgends hin, und auch die Wege zur U-Bahn sind mitunter lang.




Am Tag nach dem rauschenden Gartenfest mit cooler Musik, Tanz, guten Gesprächen und einem überbordenden Buffet, gab es noch Reste von allem in chilliger Atmosphäre. Und alles war schon aufgeräumt.

Später dann flog ich wieder zurück, tschüss Berlin! Tschüss liebste Freundin! Tschüss Hotel!













Sehr schöner und informativer Text, sehr anregende und ästhetische Fotos. Eigentlich immer, aber eben auch heute. Vielen Dank. Seit vielen Jahren lese ich hier und freue mich jedesmal.
Beste Grüße von Beate aus dem Nordschwarzwald
Vielen Dank! Ich freue mich auch, wenn Sie hier gern schon lange und immer wieder lesen!
Liebe Grüße!
Ach Gottchen, wieder ein sooo besonderes Hotel ❣ Und wie sich ein Kreis schließt (oder mehrere): mit der Schriftstellerin, mit deinen Eltern in Berlin (und der Branche deines Vaters). Friedenau ist ja echt eine Entdeckung (kannte ich noch gar nicht den Stadtteil). Und wie schön, dass es einen Anlass zum Feiern mit netten Menschen gab. Ist es manchmal schwierig für dich, das Hin und Her mit Frankreich und Deutschland? Hast du manchmal Sehnsucht nach Deutschland? Mich hat das Hin und Her oft verunsichert, aber ich hatte mich auch nicht endgültig für ein Land entschieden. Ja, das Grün fand ich auch immer besonders (schon vom Flieger aus, aber ich kam aus einer extrem trockenen Gegend). Ist das Bücherregal deins oder vom Hotel (vom Inhalt her passt es so gut)? Gute Nacht, du von der Muse geküsste Muse 🥰.
Ich freue mich als Berlin-Bewohnerin über diesen positiven Bericht. Hier kann einem manchmal alles zu viel werden (besonders, wenn man deutlich mehr “im Gewühl” wohnt). Ich habe jetzt Lust auf einen Kurzurlaub in Friedenau pder zumindest mal einen ausgührlichen Stadtspaziergang.
Friedenau war für mich ebenfalls eine echte Entdeckung! Die Gegend um das Hotel herum ist wirklich wunderschön! An der S-Bahn-Haltestelle gibt es außerdem einen netten Biergarten.
In der Fehlerstraße habe ich in dem Bistro „Lehmbruck” (benannt nach dem Künstler Lehmbruck, der in der Fehlerstraße 1 gewohnt hat) einen sehr leckeren Bagel gegessen – und das fast ohne Wespen. Es liegt an der Straße und ist trotzdem ruhig.
Ich bin ja derzeit sehr oft in Deutschland und ja, es gibt da jetzt eine gewisse Sehnsucht (sogar nach pünktlichem Nahverkehr) – wobei ich an der Reaktion meiner Mitmenschen auch merke, dass ich französischer geworden bin, oder sagen wir aus deutscher Sicht “unzuverlässiger” und “unpünktlicher” – vielleicht würde ich in Deutschland mehr anecken als ich glaube.
Ich fühle mich heute in deutscher Gesellschaft körperlich viel wohler, die Frauen meines Alters haben einen ähnlichen Körperbau, ich bin dort ganz normal und ich finde ohne Probleme eine Hose. Das ist in Frankreich nachwievor schwieriger, auch wenn ich insgesamt Frieden mit meinem Körper gemacht habe.
Das Bücherregal mit dem Neuseelandbuch stammt aus dem Hotel
Hallo, wirklich ein sehr feinfühlig er Bericht mit tollen Fotos, ich lese ihn jetzt schon zum dritten Mal und entdecke immer wieder etwas Neues. Das Hotel ist toll, es muß schön sein so ein eigenes Hotel zu haben. Danke für den Tipp und liebe Grüße
Vielen Dank!
Ja, das ist bestimmt schön, ein eigenes Hotel zu haben, aber auch viel Arbeit und nicht alle Gäste sind dort so glücklich gewesen wie ich, wenn man mal Kritiken auf den einschlägigen Buchungsportalen liest … und das Hotel könnte hier und da schon eine Auffrischung benötigen (Handtücher), aber ich konnte den besonderen Charme schätzen und für mich war es perfekt!
Liebe Grüße!
Vielen Dank für diese (Berlin)Empfehlungen!
Das Buch von Christa Moog scheint es nur beim großen A.. zu geben. Zumindest habe ich es mir da jetzt gebraucht gekauft.
Das Hotel wird für den nächsten Berlinbesuch vorgemerkt. Es scheint eine wunderschöne Oase zu sein.
Wie schön! Ich hoffe Buch und Hotel gefallen Ihnen genauso gut wie mir!
Wie schön und entspannend und informativ diese BerlinReiseZusammenschau zu lesen!
Danke! ♥
Wie schön, dass Sie es gern gelesen haben 😊 Danke, ich freue mich!
Habe mich sehr über die schönen Fotos gefreut. Das Nahverkehrssystem ist derzeit von den Zeittakten immer wieder ausgedünnt, aber die bürgerlichen Viertel scheint das nicht so sehr zu treffen …
Abgesehen von zwei S-Bahn-Sperrungen, Schienenersatzverkehr bzw Suchen von Alternativrouten ist mir nichts negativ aufgefallen – kann am bürgerlichen Viertel liegen oder daran, dass ich nur so ein dünnes und unregelmäßiges Nahverkehrssystem aus Frankreich kenne 🤷
Pingback: 25-07-24 20×0- (14,6) – iberty.de
Das Hotel spricht mich sehr an, habe ich vorgemerkt für den nächsten Berlinaufenthalt. Und danke für die wunderbaren Fotos.
Ihr Friedhofsbesuch weckt eine fast untergegangene Erinnerung: Mitte der 1960er Jahre war ich mit einem Freund, damals angehender Rundfunkjournalist, auf Berlin Besuch und wir besuchten Dinah Nelken, zu der er eine Duz-Beziehung hatte (mehr weiß ich leider nicht, und da er früh verstorben ist, kann ich ihn nicht mehr befragen) in ihrer Wohnung. Eine großzügige, mich sehr beeindruckende Wohnung (viele Bücher) in der obersten Etage eines Altbaus mit einem fast riesengroßen Balkon.
Ich wusste von meinem Freund nur, dass die mir fremde, freundliche Frau Drehbücher schreiben sollte.
Einige Wochen später kam sie nach Hamburg. Sie hatte nur abends Zeit für uns und da sie Hamburg nicht kannte, fuhren wir mit meinem kleinen Auto (damals meine Form der Freiheit) durch die ihr bis dato unbekannte, nächtliche Stadt. Sie war an allem höchst interessiert.
Sie merken, ich kann nichts Substanzielles zur Person beitragen, fühlte mich aber bei dem Auftauchen des Namens persönlich angesprochen, eine unerwartete Überraschung. In diesem Fall ein kurzes Eintauchen in die noch ahnungslose Jugendzeit. Die Fragen kommen leider oft erst später, oft zu spät.
Vielen Dank für Ihre Erinnerungen liebe Trulla! Schön, dass Sie Dinah Nelken kennengelernt und in Hamburg herumgefahren haben. Dass Sie keine Fragen gestellt haben, ist doch verständlich. Man fragt (ältere) Menschen ja auch nicht sofort nach ihrem Leben aus. Das hat vielleicht auch ihr Freund damals schon gemacht. Eine schöne Begegnung war es trotzdem.
Ich habe das Grab von Dinah Nelken aufgesucht, weil es auf dem Plan des Friedhofs in “Friedenau aktuell” aufgeführt war und weil mich der jüdische Name angesprochen hat. Was man über sie auf der Seite “Friedenau aktuell” lesen kann, ist so spannend! Was für eine interessante Frau! Ich habe jetzt Lust, dieses erste Buch von ihr durchzublättern und die Filme zu sehen, für die sie das Drehbuch schrieb, insbesondere den Zweiteiler für das DDR Fernsehen, der wohl autobiographisch inspiriert ist.
Mal sehen, wie weit ich damit komme!
Liebe Grüße nach Hamburg!
Ein schönes Hotel macht immer einen schönen Tag danach.
Das stelle ich mir nett vor: von Hotelchen zu Hotelchen reisen so für die Zeit, in der man noch gesund ist aber sonst keiner festen Arbeit nachgeht, Freunde besuchen, durch Park und Friedhof schlendern und dann weiter.
Kennst Du das Buch von Maria Riva „ Meine Mutter Marlene“? Ihre Tochter Maria zeigt ein Bild ihrer Mutter, das schon ein bisschen anders aussieht, als das was die Öffentlichkeit denkt.
Das ist eine schöne Idee
Ich glaube, ich habe das Buch schonmal gelesen, lange her, aber ich erinnere mich vage (habe gar keine besondere Meinung von M. Dietrich) – Brigitte Bardot hat sich auch nicht um ihren Sohn gekümmert und auch Dinah Nelken gab ihren Sohn direkt zu den Großeltern und nach deren Tod in ein Kinderheim. Nicht alle Frauen sind mütterlich, nur weil sie Mutter sind. Und wenn sie dann noch zusätzlich ein um sich selbst kreisender Weltstar sind …
Und es ist noch zu bedenken, dass die Frauen vor unserer Generation nicht erfolgversprechend verhüten konnten. Also kamen mit oder ohne Wunsch deren Kinder auf die Welt.
Ich hatte das Glück, mit meiner Mutter über alles sprechen zu können und sie erzählte mir, dass nicht nur sie, sondern einige Frauen ihres Umfeldes, die Hilfe von verständnisvollen Ärzten in Anspruch nehmen mussten, weil sonst die Not ihrer Generation, die schon den zweiten Krieg durchlitten, ins Unermessliche gewachsen wäre.
Wie dankbar konnte ich später sein, dank Pille selbst über meinem Körper zu bestimmen, die Anzahl meiner Kinder ebenso wie den Zeitpunkt der Sterilisation.
Ich will die Frauen nicht verurteilen, die ihre Kinder anderen überließen, auch wenn es mir für die betroffenen Kinder unendlich leid tut.
Ich stimme allem zu. Danke!