Die Wahl 1. Durchgang

Um zehn Uhr morgens, als ich wählen ging, hatten schon 30 Personen gewählt! Wir haben derzeit 88 Personen, die hier zur Wahl eingeschrieben sind, darunter auch die ehemaligen Aubergisten und andere, die im Prinzip mit dem Dorf nichts mehr zu tun haben. Von diesen 88 haben 75 gewählt, das ist eine Wahlbeteiligung von 85%, noch nie dagewesen, oder schon lange nicht mehr.

Ich habe wieder an der Stimmauszählung teilgenommen, es waren zwar mehr Wahlzettel aus den Umschlägen zu nehmen und mehr Stimmen zu zählen, aber es standen viel weniger KandidatInnen zur Wahl, so dass es wieder in einer halben Stunde erledigt war.

Ja, das Rassemblement National, RN, hat die meisten Stimmen bekommen, 24 nämlich, hat damit aber nicht die absolute Mehrheit, sondern wie beim letzten Mal ein Drittel der abgegebenen Stimmen. LR, die Republikaner, die konservative Partei, die hier familiär bedingt eine Hochburg hat, bekamen immerhin 19 Stimmen, und Horizons, die Macron-nahe Partei ebenso 19 Stimmen. Die Kandidatin von La France Insoumise bzw. dem Neuen Front Populaire hat weniger Stimmen bekommen als letzes Mal Raphael Glucksmann, neun nur, und die Grünen bekamen ganze zwei Stimmen. Und es gab zwei “Blanc”-WählerInnen, die einen weißen Zettel in den Umschlag gesteckt haben, weil sie damit ausdrücken wollen, dass sie mit keinem der Kandidaten zufrieden sind.

Hier wurden Sätze wie “Glucksmann hat sich selbst versenkt, weil er sich mit Mélenchon zusammengetan hat” gesagt, und dass Mélenchon sich mit “nur ein toter Flic ist ein guter Flic …” amüsiert hat, hat dem Ansehen des Nouveau Front Populaire noch einmal geschadet. Hier ist ein konservatives Terrain. Hier macht man keine Witze über tote Polizisten.

Hier wird es aber auch ruhig ausgehen, selbst, wenn die extrem rechte Partei auch national gut abschneiden wird. In Paris hingegen verbarrikadieren die Geschäfte in der Innenstadt bereits die Schaufenster, weil sie für dieses Szenario (die Rechtsextremen bekommen die Mehrheit) Angst vor Ausschreitungen der Linken haben.

Um 20 Uhr werden wir bei Freunden die nationalen Hochrechnung im Fernsehen ansehen. So viel für eben. Ich melde mich wieder. Beinahe ein Liveblog :D

Es bleibt schwierig

In den Politiksendungen, die wir heute Abend kurz gesehen haben, geht es hoch her, alle rufen durcheinander, sprechen gleichzeitig, fallen sich ins Wort und lassen auch die Moderatoren der Sendung kaum zu Wort kommen. “Taisez vous” herrschte Yannick Jadot, ein grüner Politiker einen Politiker von extrem Rechts an, der, von diesem Ton überrascht, vorübergehend zumindest, tatsächlich still wurde. Sie haben es bestimmt irgendwo gelesen oder gehört, in der Tat hat der RN von Marine Le Pen mit 34,2% mehr Stimmen als der Nouveau Front Populaire, der immerhin 29,1% bekommen hat, und die Partei von Macron ist nur die dritte Kraft mit 21,5%. Die Republikaner LR haben nur 10% Stimmen bekommen.

Der Rassemblement National kann also im zweiten Wahlgang nächsten Sonntag tatsächlich die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erreichen und damit den Premierminister stellen. Im zweiten Wahlgang stehen sich die zwei Parteien gegenüber, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben. Häufig zieht sich die drittstärkste Partei zurück, und ruft dazu auf, auf jeden Fall den Gegner des RN zu wählen, selbst, wenn es nicht die Partei ist, die man freiwillig wählen würde. So wählten viele Linke jahrelang im zweiten Wahlgang rechts oder wie in der jüngsten Geschichte Macron, nur um Le Pen zu verhindern.

In meinem Wahlkreis werde ich vielleicht zwei oder auch drei Kandidaten zur Wahl haben, natürlich den des Rassemblement National und dann den oder die Kandidaten, die in meinem Wahlkreis (der von Carros und Grasse bis nach Valberg reicht, viel ländliches Hinterland) als zweitstärkste Kraft gewählt wurde. Wer das ist, ist derzeit noch offen. Es gibt von vielen Politikern, Edouard Philippe, Raphael Glucksmann, Mélenchon schon deutliche Wahlempfehlungen. Glucksmann sagt: auf jeden Fall Le Pen verhindern, dafür auch rechtskonservativ wählen, wenn es sein muss. Edouard Philippe sagt: “weder La France Insoumise von Mélenchon noch Le Pen”. Eric Ciotti, Sie erinnern sich, ein konservativer Politiker, der kurzfristig zum RN gewechselt ist, ruft nun alle konservativen Wähler auf, wie er RN zu wählen.

Sie hören mich tief atmen. Es bleibt schwierig.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

9 Responses to Die Wahl 1. Durchgang

  1. Boisseau Annette sagt:

    So schwierig finde ich die Entscheidung gar nicht. In meinem gar nicht so kleinen Weinbauerndorf hat die Kandidatin der Front National (RN), einer Partei die 1972 von ehemaligen Waffen-SS und Kollaborateuren gegründet wurde, auf Anhieb die absolute Mehrheit erlangt. Zum Glück ist das nicht im gesamten Wahlkreis der Fall, aber der Kandidat des Nouveau Front Populaire landet weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Immerhin dürfen wir nächsten Sonntag nochmal wählen… Vor über vierzig Jahren habe ich mir im Rahmen meines Studiums an der Uni Frankfurt “La France d’abord” von Jean-Marie Le Pen angetan. Eine klare Entscheidung für den Nächstplatzierten gegen die Front National scheint mir logisch. Liebe Grüße aus dem Hérault

  2. Pingback: Vom Liegen und Atmen - Buddenbohm & Söhne

  3. Reiner Wadel sagt:

    Danke für den Einblick. Ich finde es auch sehr schön, dass Sie als Wahlhelferin agieren. Vielleicht eine Anregung für alle Leserinnen hier?

    • dreher sagt:

      Danke! Nun, es ist in kleinen Gemeinden einfach notwendig – wir sind so wenige, und die Mitglieder des Gemeinderats sind abwechselnd schon den ganzen Tag präsent, die möchten auch mal raus aus dem Wahl-Büro. Bei uns geht es ja recht schnell – ich würde es allerdings auch machen, wenn es drei Stunden dauern würde. Ich weiß gar nicht, ob man sich in größeren Gemeinden (und in Deutschland) einfach so engagieren kann, oder ob nicht ausschließlich die Leute, die im öffentlichen Dienst tätig sind, dafür herangezogen werden?

      • Reiner Wadel sagt:

        In Darmstadt werden bei jeder Wahl Helfer gesucht. Es kann sich jede(r) melden, man kann aber auch als Stadtbürger ausgewählt werden und muss dann das Ehrenamt antreten! Städtische Mitarbeiter sind zwar ebenfalls dabei, aber eher notgedrungen und vor allem bei der Auszählung der Briefwahlstimmen.
        Ich denke, in anderen Städten wird es ähnlich sein, deshalb mein angedeuteter Aufruf.
        Zum Ablauf: Man arbeitet in zwei Schichten, eine vormittag von 8 Uhr bis 13 Uhr und eine zweite Schicht nachmittgas von 13 bis 18 Uhr. Allerdings müssen alle Helfer vor der Öffnung um 8 Uhr im Wahlbüro anwesend sein und zum Auszählen ab 18 Uhr.
        Je nach Wahl dauert die Auszählung 1-2 Stunden. Am schnellsten ging es bei der Europa-Wahl.
        In Darmstadt gibt es ein “Erfrischungsgeld” von 30€, einen netten Dankesbrief und dazu ein Päckchen Blumensamen als zusätzlichen Dank :-)

        • dreher sagt:

          Das ist doch nett! 🌸🌸🌸
          Danke für die Erläuterung, der ich entnehme, dass Sie sich ebenfalls engagieren! Bravo!
          Dafür muss man aber das Gefühl haben, dass es einen etwas angeht- ich habe das tatsächlich erst im Dorf gefühlt und verstanden, eben weil es hier auf jede:n einzelne:n ankommt!

  4. Irmi sagt:

    Vielen herzlichen Dank für die Beschreibung der politischen Situation und den persönlichen Einblick. Dieses ergänzt wunderbar die Berichterstattung durch meine Tageszeitung und durchs Fernsehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.