Cannes

Neues Leben an der Cote d’Azur. Cannes. Jeder, dem ich erzähle, dass ich jetzt in Cannes lebe, bricht in Entzückensschreie aus. Als würde es bedeuten, dass ich ab sofort reich und berühmt bin. Und allabendlich auf der Terrasse des Carlton sehr elegant Champagner trinke oder mich auf einer Yacht in den Sonnenuntergang schippern lasse. Und als wäre man automatisch glücklich, nur weil die Sonne scheint und der Himmel blau ist. Und weil man das Meer und Palmen vor der Haustür hat. Alles Unsinn. Cannes ist künstlich, oberflächlich, protzig und überaltert. Ich fühle mich oft plump und schwerfällig wie ein Kartoffelsack neben all dem zur Schau getragenen niedlichen paillettenbesetzten Schick. Mein Französisch ist ja auch eher ein vulgär nuscheliges Landstraßenfranzösisch und fein plaudern kann ich nicht so richtig gut, so dass ich mich in Gesellschaft schüchtern und ziemlich stumm in die Ecken drücke. Und ehrlich gesagt geht mir der ständige Sonnenschein manchmal auch gehörig auf den Wecker. Besonders störend fand ich ihn im November, dem grauen Monat mit den vielen tristen Feiertagen, wo ich mich sonst gern mit Buch und Tee aufs Sofa kuschele und den einen oder anderen Tag vertrödele. Bei 15 Grad, blauem Himmel und Sonnenschein fühle ich mich geradezu verpflichtet, aktiv zu sein und wenigstens am Meer entlang zu laufen. Weihnachtsplätzchen und Christstollen backen sich auch schlecht in so einer Zeit. Ich wartete, bis es wenigstens mal regnete, um beim Backen halbwegs in Adventsstimmung zu sein. Ich weiß, was Sie jetzt denken, „Die weiß auch nicht was sie will. Schnee und Kälte in den Bergen wollte sie nicht mehr, und jetzt jammert sie über Frühlingstemperaturen am Meer. Hat sie sonst noch alle beisammen? Was für ein Luxusproblem!“ Jaja, weiß ich alles. Aber immer Sonnenschein ist so, als gäbe es immer nur gute Laune. Wie grauenhaft. Manchmal ist es doch auch einfach bäh im Leben. Warum auch immer, man hat doch manchmal auch schlechte Laune oder eine kleine Herbstdepression.

Nun ja. Ich mag Cannes nicht so richtig, aber ich bin dennoch froh hier, aber das liegt nicht an der Stadt oder am Meer oder am Wetter, sondern an meinem neuen Leben. Ich schreibe, ich übersetze, und ich lebe mit einem netten Mann zusammen. Den Katzen geht’s auch gut, weil sie nur über die Hofmauer springen müssen, um in einem Stadtpark zu sein. Es ist nicht gerade die Weite der Berge, aber es gibt ausreichend Mäuse, Vögelchen und Eidechsen und die alte Omi nebenan stellt auch immer ein Schüsselchen raus, so lässt es sich auch als gebürtige Landkatze anständig hier leben.

Cannes also. Ich habe mir vorgenommen, Cannes für mich zu entdecken. Das vordergründige aber auch das andere Cannes. Es ist leicht, sich über Cannes zu mokieren. Zu schrill, zu angeberisch kommt es daher gestöckelt. Gibt es ein Cannes jenseits von Chanel, Dior, Valentino und Bulgari? Jenseits vom Carlton, Martinez, Croisette, Palmbeach und Filmpalast? Und will das jemand wissen? On verra. Sehen wir mal.

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12 Responses to Cannes

  1. Marion sagt:

    Oh ja, Christiane, ich und sicher viele andere Deiner Fans möchten es gerne wissen! Wie schön, dass Du wieder bloggst und uns wieder teilhaben lassen möchtest an Deinem Leben. Ich kann so vieles von dem, was Du schreibst, nachempfinden. Habe ja auch einige Jahre im Ausland – lange auch im Süden am Meer – verbracht, wie ich Dir schon mal schrieb. Ja, es kann ein zweischneidiges Schwert sein mit der Sonne…:-) Aber ich sehe, dass Du Dir die gute Laune, trotz der Durchhänger, die jeder mal hat, vom Gute-Laune-Zwang nicht vermiesen lässt…:-) Tröste Dich, das mit der schönen deutschen Gemütlichkeit fand ich schon deshalb im Winter kaum praktikabel, da meine Wohnung weder eine Heizung, dafür aber einen kalten Steinboden hatte und sehr zugig war – eine Südwohnung eben. Na ja, und da sich in Spananien die Leute eh nie gegenseitig nach Hause einladen – Häuslichkeit mag man einfach nicht, wenn man doch draussen in großen Gruppen rumlaufen und viel Lärm machen kann…:-) – habe ich mich angepasst und mich zum Lesen raus ins Café (möglichst in ein ruhiges) gesetzt, bei winterlichen Sonnenstrahlen und einem leckeren “Menü” zum Spottpreis. Und das dann auch genossen…
    Die Reaktionen auf meine Auslandsaufenthalte waren allerdings häufig weniger euphorisch. Hatte den Eindruck, dass da manchmal Neid im Spiel war ob dieses radikal anderen Lebens? Schließlich träumen viele davon und nur wenige wagen es… Aber Du hast es gewagt und “ziehst es durch”. Bewundernswert. Alles Gute weiterhin für Dich!

    • dreher sagt:

      Oh! Ein Kommentar! Wie schoen! Dabei hab ichs noch nicht mal richtig rumerzaehlt, dass ich wieder einen blog habe… weil ich noch gar nicht so richtig zum Schreiben gekommen bin… Danke, Marion! A+ alors… :)
      erfreute Gruesse
      Christiane

      • Marion sagt:

        Oui, à+ et bonne nuit :-)
        Übrigens erinnere ich mich an einen Hügel, von dessen Höhen man einen netten Blick auf den (damals nächtlichen) Hafen von Cannes hat incl. Grillenzirpen und viel Ruhe (Vorsaison) und einen nicht minder netten Abstieg durch kleine Gässchen hinunter in die Stadt. In der Stadt gab es eine super quirlige Einkaufsstraße mit tollsten Delikatessenläden (Käse, Törtchen etc….). Dazu viele nette Restos. Schickimicki ist mehr an der Croisette und Umgebung, oder? Man kann sich ja seine Nischen suchen. Und wie hsm schreibt, wenn der Job Spass macht und das Privatleben stimmt, ist schon viel gewonnen…

  2. hsm sagt:

    Hallo Christiane – ich kann das alles sooo gut nachvollziehen. Schliesslich lebe auch ich in einer Stadt, von der manche Leute nur die glamouroese Seite sehen^^.

    Aber du machst eine Arbeit, die dir Spass macht und dir liegt, und bist in einer guten Beziehung aufgefangen. Das ist doch das Grundsaetzliche. Dann ist es doch eigentlich egal, wo man lebt, das wird dann zweitrangig, das federt doch siecher vieles ab.

    Es ist schoen, dass du wieder einen Blog fuehrst. Er verspricht, sehr interessant zu werden, und ich werde auf jeden Fall mitlesen!

    Gruesse, hsm

  3. Hallo Christiane and re-bonjour!
    Super, dass Du wieder schreibst, denn das tust Du einfach genial! Werde mir gleich mal diesen blog bookmarken, dann weiss ich immer, was los ist in und um Cannes herum.
    Liebe Grüsse vom Plateau de Valensole, DA lässt es sich super leben, aber die Städter meinen immer, hier sei nichts los (also das Gegenteil von Glamurös, und Arbeit gibt es hier auch keine). Wenn die wüssten! Aber wir erzählen nichts weiter, denn sonst kommen sie vielleicht noch ausserhalb der müsigen Tourisaison hierher. Und unser nächster Nachbar stellt einen super Ziegenkäse her. Geht halt nur auf dem Land ;-)

    Sei lieb gegrüsst und besuche mich mal!

    Claudia

    • dreher sagt:

      Hi Claudia,

      danke dir – und ohne es zu wissen hast du mir ein Stichwort gegeben… nachdem mein schwungvoll geplanter Auftakt-Artikel am ersten Januar einer leichten Fischvergiftung zum Opfer fiel… dann will ich mal in die Tasten hauen… à+

      Christiane

  4. Ina sagt:

    Hallöchen,
    hätte Cannes nicht besser beschreiben können, unglaublich, ich fühle mich dort genauso, aber hätte das nie so genial zu Papier bringen können. Naja bald bin ich ja weg, aber ich glaube das weißt du noch garnicht ;-) Näheres dann am Samstag in Nice. Freu mich dich wiederzusehen! Liebe Grüße, Ina

    • dreher sagt:

      Nee, wusste ich noch nicht, heul… :(
      auch wenn wir uns kaum gesehen haben, finde ich das traurig, dass du gehst… bis Samstag also!

  5. Barbara sagt:

    Allo Christjannnn, jetzt bin ich wirklich froh, dass ich deinen neuen Blog (ja ich mag ihn auch maskulin) entdeckt habe!!!
    Ich wohne in Madrid im schicksten Stadtviertel, meine Nachbarn sind Chanel, Armani, usw.-Läden…da komme ich mir sehr oft sehr plump und sehr landpomeranzig und schlampig und alternativ vor…und es heisst (leider) auch nicht, dass ich geldmässig gut bestückt bin, reichen Gatten habe oder oder….zufällig gibt es auch in dem Viertel ganz normale kleine Appartments..und so eines habe ich halt. Ich komme mir in den Strassen meines Viertels meist wie ein Zaungast vor…diese teuren Läden, diese zurecht gemachten Menschen, die Hausangestellten in entsprechender Kleidung, die für die Herrschaften den Einkauf erledigen oder den Hund oder Nachwuchs spazieren führen…also so richtig mag ich diese Viertel auch nicht, trotzdem liegt es für mich sehr praktisch und irgendwie fühle ich mich auch wohl. Aber halt doch nicht so richtig. Oder doch. Oder…ach ja.
    In diese Sinne ganz liebe Grüsse an die Côte d´Azur!!

    • dreher sagt:

      Holà Barbara, schön dich wieder zu lesen! *lach* so ist es “schrecklichschön” – manchmal schrecklich, manchmal schön… je nach Tagesform… :)

  6. Wolfram sagt:

    Cannes wäre auch nicht mein Traumort; da ist zu viel Glimmer und Glamour, zuviel Schein – und zu wenig Sein. Und dieser Teil der Küste ist ziemlich verschandelt.
    Aber so ein wenig im Hinterland…

    und sowieso, für die Liebe des Lebens, oder auch die zweite Liebe des Lebens oder die dritte – da ist der Wohnort zweitrangig.
    Viel Freude beim Entdecken, und danke fürs Mit-Teilen!