Letzten Freitag bin ich in aller Frühe runter gefahren, ich brachte den jungen Mann zum Zug und wollte ein Paket abholen. Das Paket war aber nicht in der Postfiliale, die auf dem Zettel angegeben war. Man konnte es aufgrund der Trackingnummer zwar in einem Verteilerzentrum orten, aber mehr erfahre ich nicht. “Ils font n’importe quoi les facteurs!” schimpft die Postdame und füllt freundlicherweise für mich einen Reklamations – bzw Nachforschungsauftrag aus. Ich erfahre, dass die “Mist machenden” Paket- und Briefboten (im Sommer gerne Aushilfskräfte) und die stationären Postfilialen zwei unterschiedliche Unternehmen sind und nicht miteinander kommunizieren. Man kann also nicht im Brief- oder Paketverteilerzentrum anrufen und mal bei einem Kollegen nachfragen. Ist nämlich kein Kollege, und es gibt kein Telefon. Alles nur noch per Mail. Na danke schön. Ich bin noch nicht zuhause, da erhalte ich die automatische Nachricht, dass nur der Absender des Pakets einen Nachforschungsauftrag stellen kann, und ich möchte mich bitte an ihn wenden. Dies ist eine automatisch erstellte Nachricht, bitte antworten Sie nicht auf diese Mail.
Wir hatten das schon einmal, das verlorene Paket mit einem Smartphone ist nie wieder aufgetaucht, und ich sehe schwarz für dieses Paket, in dem sich ein ungerahmtes Bild meiner israelischen Lieblingskünstlerin befindet. Ja, man kann vielleicht finanziell entschädigt werden, aber ein einzigartiges Kunstwerk ist im Gegensatz zu einem Telefon nicht mit Geld aufzuwiegen. Es wird ein doppelter Verlust sein, für die Künstlerin und für mich.
Dann besuche ich, einer Eingebung folgend, “meine” Postfiliale, eigentlich eine klassische Bar-Tabac, in der man Zigaretten und Glückslose kaufen, einen Kaffee, ein Bier oder ein Glas Wein trinken kann. Die Kundschaft, die dort den ganzen Tag rumhängt, gefällt mir nicht so sehr, aber das Pächterehepaar ist sehr nett. Als die Postfiliale im Viertel geschlossen wurde, haben sie dort eine “Poststelle” eingerichtet, und auch wenn sie dort nicht alle Postdienstleistungen anbieten, ist die kleine Postecke in der Bar-Tabac eine hundertprozentige Verbesserung für das Viertel, viel bessere Öffnungszeiten, alles geht schneller und die Freundlichkeit der Dame ist jedes Mal eine Freude, auch wenn es nicht schwer war, die Freundlichkeit des ehemaligen Postangestellten, so unwillig und schlecht gelaunt wie er war, zu überbieten. Die Dame hat auch kein Paket für mich, ist aber hilfsbereit und schickt mich zur Hauptfiliale in der Innenstadt, “dahin verirren sich manchmal Pakete”.
So weit bin ich letzten Samstag gekommen, habe den Text mühsam in mein Handy getippt, denn ich hatte den Laptop nicht mit nach Cannes genommen, weil ich dachte, dass ich am Samstag natürlich gleich wieder in die Berge fahren würde. Nix wars. Eine Woche später bin ich immer noch im unerträglich heißen Cannes, das von einer neuen Canicule heimgesucht wird, der wohl größten Hitzewelle dieses Sommers, ich weiß, bei Ihnen ist es auch heiß. Aber hier ist es so heiß, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Ich erinnere mich an meine Reise nach Burkina Faso, wo ich auch nur erschöpft herumsaß und der Schweiß in kleinen Bächen an mir herunterlief. Man duschte oder wusch sich (im Dorf bekamen wir zu dritt einen Eimer Wasser), fühlte sich für eine Sekunde erfrischt und weniger klebrig, und schon war der nasse, feuchte Körper wieder im selben Zustand. So ist es jetzt auch hier. Im finnischen Blog las ich neulich (in einem Reise-Blogeintrag vom letzten Jahr), dass Frau Mäusedoktor gerne in der 38 Grad Hitze Griechenlands “gebadet” habe, so geht es einem wahrscheinlich, wenn man das ganze Jahr in Finnland lebt und sich nach Wärme und Sonne sehnt (ich erinnere mich an meinen ersten Sommer in den Bergen Südfrankreichs, da konnte ich von Hitze und Sonne auch nicht genug bekommen), ich bade ja in gewisser Weise auch in der Hitze, nur in der Form, dass das Wasser in kleinen Bächen am Körper herunterläuft. Siehe oben. Das alles noch dazu in Erwartung des 15. August, dem Feiertag, an dem nun wirklich alle im Süden und am Strand sind, und kurz vor der Eröffnung der dröhnenden Electro-Plages-Tage (und -Nächte), besser geht es kaum. Erschöpft und lustlos tippe ich noch ein paar Stichworte ein, dann lasse ich es.
Nur am Samstag und am Sonntag, an denen ja kein Paket geliefert werden sollte, bin ich ganz früh morgens schwimmen gegangen: das Meer war sauber, klar, ohne Wellen und fast ohne Quallen, dafür schwammen große Fische um meine Füßen herum, nur warm war es, die 30 Grad Wassertemperatur, die gerade durchs Internet geistern sind vielleicht nicht so weit entfernt; so früh morgens ist man zwar in der Hochsaison auch nicht mehr alleine, es wurden schon Stühle, Handtücher und Sonnenschirme in der ersten Reihe installiert, weiter hinten liegen ein paar jüngere Leute, die wohl die Nacht dort verbracht haben, schlafend herum, aber alle unterhalten sich noch leise und man sagt sich sogar hin und wieder lächelnd “Guten Tag” wenn man im Wasser aneinander vorbeischwimmt. ,
An den anderen Tagen versagte ich mir das Schwimmen und erwartete brav zuhause den bzw. die (in der Regel frühe) Paketbotin, und dann noch den normalen Briefträger gegen 13 Uhr, denn da glaubte ich noch, was der freundliche Postbeamte der Hauptpostfiliale mir gesagt hatte, nämlich dass die Reklamation vom Freitag bewirke, dass das Paket am Montag oder Dienstag geliefert würde.
Den Rest des Wochenendes verbrachte ich wie ein lichtscheuer Vampir in der Wohnung und zog beim kleinsten Sonnenstrahl eilig die Fensterläden zu. Raus wollte ich auf keinen Fall, auch wenn ich grundsätzlich gerne braun werde, aber ich kann die Sonne im Juli und August einfach nicht mehr ertragen.
Ich beschäftige mich damit, den nachmittags zwar heißen, aber immerhin schattigen Hof zu säubern, der seit dem letzten Sahara-Regen braun und sandig ist. Wenig bekleidet und barfüßig mit viel Wasser schrubben und putzen ist gar nicht so unangenehm. Am Sonntag putze ich dann in aller Frühe die Fenster. Alle Arbeiten mit Wasser gehen. Nachmittags nehme ich mich nochmal dem Hof an und kümmere mich um die Pflanzen, die bislang überlebt haben. Dazwischen dusche ich (an manchen Tagen konnte ich es nicht mehr zählen, wie oft ich mich unter die lauwarme Dusche gestellt habe, lauwarm, weil auch das kalte Wasser warm geworden ist) döse oder ich sehe vom Ventilator umweht erfrischende Olympia-Beiträge (Synchronschwimmen, Beach Volleyball). Ich kriege so dann doch noch eine ganze Menge von Olympia mit, freue mich über die gute Stimmung, die schönen Bilder, fiebere mit der französischen Frauen-Basketballmannschaft, die beinahe Gold geholt hätte, und bin auch ein bisschen gerührt, zumindest vom Anfang der Abschlussveranstaltung. Ich bin ein großer Fan von Zaho de Sagazan.
Ich schaffe es dann nicht bis zum Schluss, 31 Grad indoor noch um 23 Uhr, machen den Kopf dumpf und den Körper müde, und ich muss daher alles anderntags in den Medien nachlesen. Da erfahre ich dann auch, dass Mireille Mathieu, der alternde Spatz aus Avignon, gerade im Süden Ferien macht, und natürlich enttäuscht war, dass man Celine Dion und nicht sie für die “Hymne an die Liebe” auf dem Eiffelturm gewählt hatte, sie hat das Lied noch in ihrem Repertoire und schmetterte es der Interviewerin ungefragt vor.
Jetzt, wo alles ohne Attentat über die Bühne gegangen ist, kann ich mich auch freuen. Ich gebe zu, ich hatte eine Heidenangst, schon als bei den endlosen olympischen Fackelübergaben immer ein Tross von zwar sportlich aussehenden und gekleideten (verkleideten) Sondereinsatzpolizisten mitrannte, die man an ihren ernsten, unbewegten Gesichtern (während alle anderen lachten und strahlten) und dem Knopf im Ohr erkennen konnte; und als dann kurz vor der Eröffnung in ganz Frankreich Anschläge auf den Bahnverkehr verübt wurden, mon Dieu, da musste ich an die Olympischen Spiele 1972 in München denken, an die Spiele, die fröhlich und heiter sein sollten, offen für alle, mit einer leichten Architektur und einem freundlichen Design. Wir waren damals dort (ich als Grundschülerin). Und dann kam das Attentat. Wie konnte man damals eigentlich “einfach” weitermachen? Hier ein (zwei Jahre alter) Beitrag vom Deutschlandfunk, falls Sie das noch einmal nachlesen möchten.
Ich hatte sehr große Angst vor Anschlägen und Chaos, ich hatte auch Angst, dass nichts klappen würde, der Nahverkehr zusammenbricht und dass alles miserabel organisiert wäre und ich mich schämen würde – Frankreich eben. Und dann hat doch alles geklappt, alle waren begeistert und sogar die Franzosen, eben noch schlecht gelaunte Meckerer, die Macron ausbuhten, jetzt jubelten und feierten sie, waren stolz auf die Athleten und Athletinnen und ihre schöne Stadt und was dort alles vor und in sagenhafter Kulisse stattfinden konnte. Es klappt ja dann doch alles irgendwie. Niemand muss sich schämen. Frankreich eben.
“Wann kommt denn jetzt dein Paket?”, fragt mich montagsnachmittags unwirsch Monsieur am Telefon der Freundin, die ich als persönliche Nachrichtenüberbringerin zu ihm schicke. Wir haben in den Bergen kein Telefon, wenn ich mit dem Handy nicht zugegen bin, ist der Mann nicht erreichbar. “Was weiß denn ich!” gebe ich ebenso unwirsch zurück, “ich habe mir das nicht ausgedacht, falls du das glaubst!” Die Hitze macht mich schnell aggressiv.
Ich mache den ganzen Tag Fotos für “12 von 12”, an dem ich dann nicht teilnehme, weil ich außerstande bin, das alles auf dem Smartphone zu regeln. Vielleicht liefere ich die Fotos nach.
Am Dienstagabend kommt auch noch der Gatte aus den Bergen, Handwerker haben sich überraschend für einen Tag vor dem 15. August in Cannes angemeldet, wo gibts denn sowas. Besser, man ist selbst da. Er kommt mit wenig Gepäck, aber immerhin bringt er den Topf Basilikum und meinen Laptop mit, hurra! Gestern wurde tatsächlich ein Gerüst aufgestellt und der Bürgersteig vor dem Haus aufgerissen. Heute ist entgegen der vollmundigen Ankündigung natürlich niemand gekommen, wir haben Feiertag, klar. Außerdem gab es heute in aller Frühe ein Gewitter. Blitz und Donner satt, viel Wind und ordentlich Regen. Da kommen die Handwerker normalerweise auch nicht. Ich reiße überall die Fenster auf und versuche die Wohnung zu lüften, ich japse wie ein Fisch auf dem Trockenen nach frischer, kühler Luft, mein Mann schließt sofort alle Fenster hinter mir, für das großzügige deutsche Lüften, abqualifiziert als krank machender Durchzug, hat man in Frankreich einfach kein Verständnis. Immerhin schaffe ich es, unsere Wohnung auf 29 Grad herunterzukühlen, zwei Stunden später ist es draußen schon wieder so heiß wie vor dem Gewitter.
Das Paket ist übrigens nicht gekommen. Ich war nochmal auf der Post und deute an, dass es vielleicht damit zu tun haben könnte, dass das Paket aus Israel käme, und man uns einfach ein bisschen ärgern wolle. Es sei nicht unmöglich, seufzt der nette Postbeamte. Ich schlucke. Das will man ja doch nicht wirklich hören. Seine Mutter lebe in Tel Aviv, aber er würde derzeit nichts nach Israel senden, vertraut er mir an. Ich habe die Künstlerfreundin unterstützen wollen, sage ich. Ja, er versteht das. Aber es ist kompliziert. Er breitet hilflos die Arme aus.
Zuhause schreibe ich jetzt den Service Client an, anscheinend die übergeordnete Instanz, die mit den stationären Postfilialen UND den Paketboten kommunizieren kann. Mal sehen, was passiert.
Heute Nachmittag waren wir im Kino, dass mir das nicht schon früher eingefallen ist, um mich für zwei Stunden abzukühlen, kann ich mir nur mit zu viel Hitze erklären. Da arbeitet das Gehirn einfach auf Sparflamme. Im stark klimatisierten Saal sahen wir ein Melodram, Le roman de Jim, nach einem Roman von Pierric Bailly – die Geschichte von Aymeric, einem sanften und melancholischen jungen Mann, der nach großem Liebeskummer (ich überspringe ein paar Details) eine ehemalige Arbeitskollegin wiedertrifft, die wiederum von einem Kollegen schwanger ist, der sich aber nicht von seiner Familie trennen will. Das alte Lied. Aymeric ist bei Jims Geburt dabei und wird sein Ersatzvater, sie leben zu dritt ein einfaches, idyllisches Leben im Jura, bis der leibliche Vater des Jungen nach sieben Jahren überraschend bei ihnen auftaucht. Überzeugender und berührender Film über Vaterschaft. Toller Soundtrack. Aymeric wird von Karim Leklou großartig gespielt.
Als wir aus dem Kino kamen, liefen wir der Prozession anlässlich Marias Himmelfahrt in die Arme, die wohl einmal quer durch die Innenstadt Cannes’ prozessionierte – auch wenn ich vor kurzem selbst singend an der Prozession für die Sainte Anne teilgenommen habe, kommt mir diese hier inmitten all der verständnislos starrenden Touristen sehr bizzar vor.
Und eben gab es noch ein bollerndes Feuerwerk, wie immer am 15. August. Ich habe nichts davon gesehen, nur die Donnerschläge gehört. Gleich haben wir ihn geschafft, diesen lauten und heißen Tag!
Seitdem ich im Süden gelebt habe (auch im “Jahrhundertsommer” 2003, Horror!), sitze ich grundsätzlich nicht mehr in der prallen Sonne, sondern wenn möglich im Schatten, auch in nördlicheren Gefilden. Habe auch übelste Erinnerungen, z.B. an entzündete Haut an den Oberschenkeln, so dass ich bei der Hitze Hosen tragen musste. Ätzend! Das mit dem Bild ist wirklich sehr ärgerlich! Hoffentlich taucht es noch auf! Danke auch für die Musik- und Filmtipps! Olympia hat Frankreich wirklich geschmeichelt, wie schön, das Land mal geeint und gut gelaunt zu sehen. Dass ALLE Franzosen nicht gerne lüften, halte ich aber nach wie vor für ein Gerücht 😉 . Und Monsieur war bestimmt so ungeduldig, weil er seinen “Dosenöffner” vermisst hat 🙄.
Ich hatte hier anfangs immer Bläschen an Händen und Füßen, und entzündete Hautstellen überall dort, wo Haut aneinanderreibt (Achseln, Kniekehlen etc.) ätzend!
Habe ich jetzt aber nicht mehr. Evolutionäre Anpassung in einer Generation?
Also Monsieur ist ein entschiedener Gegner des Lüftens, das kann ich dir sicher sagen! Dosenöffnermäßig aber er hat sich gut geschlagen, erstmal gabs Reste, dann hat er selbst gekocht (frische Bohnen und Steak) und dann war er in der Auberge zum Essen. Aber ist natürlich nicht vergleichbar mit meinen stets liebevoll gezauberten déjeuners.
Ich bin beeindruckt, das hört sich sogar besser an als Nudeln mit Tomatensauce 😉.
Haha! Die gab’s bei mir am dritten Tag, davor zwei Tage Vollkornbrot mit Schinken 🤪
Liebe Christiane,
ein kurzes Lebenszeichen von mir-ich lese immer mit!
Meine Schwester ist gerade in Nizza, bin gespannt, was sie erzählen wird. Das ist sicherlich vergleichbar mit Cannes.
Ich freue mich, dass es euch (abgesehen von der Hitze und dem Handwerkergedöns) gut geht und grüße herzlich,
Eva
Danke liebe Eva, fürs stete Mitlesen! Hitzemäßig mag es in der Großstadt nebenan genauso sein, ich finde aber, dass die langgezogene offene Baie des Anges mit der weiten und freien Promenade mehr Luft in die Stadt lässt. Aber in den engen Altstadtgassen ist es sicherlich genauso stickig. Wenn man ein klimatisiertes Hotelzimmer hat, ist es vielleicht nachts angenehmer.
Herzliche Grüße!
C.