Les Iles des Lérins heißen zwei kleine Inselchen, die von Cannes mit einer kleinen Fähre in einer Viertelstunde übers Meer erreicht werden können, oder mit einem eigenen kleinen Boot, falls Sie so was haben. Wenn man dem ganzen schicken Hype der Küste mal kurzfristig entfliehen möchte, sind die Inseln kleine wohltuende Ruhepunkte. Auf den Inseln bin ich mit Cannes versöhnt und bin glücklich hier sein zu dürfen. Das heißt nun nicht, dass die Inseln noch unentdeckt wären – je nach Jahreszeit gibt es hier auch viele oder sehr viele Spaziergänger oder Sonnenanbeter. Die Fähren fahren stündlich und sind immer voll besetzt. Auch für die privaten Bootsbesitzer ist das ein netter kleiner Ausflug, man ankert in Ruhe auf der Südseite zwischen den Inselchen und döst im leichten Wellengeschaukel, sonnt sich oder löst sein Kreuzworträtsel. Im Sommer liegen so viele Boote zwischen den Inseln, dass man quasi übers Wasser gehen könnte – man hüpfte locker von Boot zu Boot und könnte so zu Fuß auf die jeweils andere Insel wechseln. Diese Boote in Reih und Glied finde ich persönlich noch komischer als sich in Reih in Glied auf einem Strandliegestuhl zu sonnen. So viel zur individuellen Freizeitgestaltung. Aber alleine sind sie hier nirgends, das müssen Sie einfach wissen. Trotzdem sind die Inseln nett. Im Hochsommer vielleicht nicht so, da sind mir persönlich hier überall zu viele Menschen, aber vielleicht stört Sie das weniger, es sind ja Gottseidank nicht alle so komische Einsiedlerkrebse wie ich.
Ich mag ja diese Reiseberichte, wo jemand ein paar Tage auf einer Ausflugsinsel Urlaub macht und den Moment genießt, wenn die letzte Fähre mit den letzten lärmenden Tagestouristen abgefahren ist, und er oder sie quasi allein mit den Einheimischen ist. Diese plötzliche Ruhe bei untergehender Sonne, und der Moment, wenn alle “uff” sagen, und “jetzt trinken wir aber mal einen unter uns”. Leider, vielleicht auch Gottseidank, gibt es auf den Inseln keine Hotellerie, aber so ein klitzekleines bisschen ist es jetzt so, außerhalb der Saison, wenn die größte Menschenmenge des Tages schon wieder weg ist, und Sie in der untergehenden Sonne am winzigen Hafen auf die allerletzte Fähre zurück warten. Wie gesagt, Übernachtungsmöglichkeit gibt es keine, auch wenn direkt am Hafen der größeren Insel, St. Marguerite, ein paar Häuschen stehen, das sogenannte Village. Hier gibt es während der Saison zwei Restaurants und diverse Kioske, aber die paar Häuschen drumherum gehören der Stadt Cannes und werden seit Generationen quasi in Erbpacht an ausgewählte Menschen vergeben. Im alten Fort (beide Inseln waren mal strategisch wichtige Militärstützpunkte, davon zeugen noch das Fort, kleine Soldatenfriedhöfe und noch einige andere steinerne Zeugen) gibt es zwar in den ehemaligen Soldatenunterkünften kleine Schlafsäle, die sind aber den Schulklassen von Cannes für ihre “Landschulaufenthalte” vorbehalten.
Die kleinere Insel St. Honorat ist ein wenig untouristischer, letztes Jahr war die Nachfolge für das existierende aber zur Zeit geschlossene Restaurant noch unklar, so dass Sie Ihr Picknick auch während der Saison besser selbst mitbringen. Im Zentrum der Insel liegt ein Zisterzienserkloster, die Abbaye de Lerins, in dem Sie nach schriftlicher Voranmeldung im schlichten Gästetrakt wohnen können – es ist aber Ruhe suchenden Menschen vorbehalten und der Aufenthalt sollte im Schweigen stattfinden und dem Gebet gewidmet sein. Trotz des Schweigegebots, trotz aller Einfachheit der Klosterzellen und den spartanischen Gemeinschaftsduschen und WCs, trotz der Verpflichtung der Gäste, einfache Tätigkeiten wie Tische decken, Geschirr spülen oder das Refektorium ausfegen zu übernehmen, reißt der Besucherstrom im Kloster auf der kleinen Insel fast nie ab.
Der Aufenthalt an diesem außergewöhnlichen Ort ist so beliebt, dass Sie sich schon monatelang im Voraus anmelden müssen und ihr (kostenpflichtiger) Besuch ist auf eine Woche pro Jahr limitiert, selbst wenn Sie noch so Ruhe bedürftig sein sollten. Es gibt sogar eine Warteliste für freiwillige Helfer, die die Pforte betreuen oder im Garten arbeiten, aber auch sie dürfen nur eine Woche dort verbringen. Letztes Jahr etwa um diese Zeit zog ich mich einige Tage dorthin zurück, äußere und innere Ruhe suchend. Raus aus dem engen Dorf und weg von allem und allen und von all den gutgemeinten Ratschlägen, was meine damals zukünftige Lebensgestaltung anging. Alle Menschen, die anfangen zu meditieren, erzählen ja in etwa das Gleiche, dass es nämlich unaufhörlich rattert im Kopf, dass die Gedanken nie zur Ruhe kommen können, oder nur so schwer. Innere Ruhe ist auch an so äußerlich ruhigen Orten nicht selbstverständlich, aber nach ein paar Telefon-, SMS-, Internetfreien und schweigsamen Tagen kann es geschehen, dass man seine innere Stimme vernimmt, oder vielleicht auch etwas anderes, ich konnte auf jeden Fall nach meinem Aufenthalt klare Entscheidungen treffen und war ganz ruhig und sicher damit, mich ins Freie fallen zu lassen.
Ich hatte neben der Suche nach Ruhe auch die Hoffnung, etwas Sonne und leichte Frühlingswärme zu finden – aber ich war ausgerechnet zu dem Zeitpunkt auf der Insel, wo es nach Jahrzehnten zum ersten Mal zwei Tage heftig schneite, was sogar die Mönche ganz ausgelassen kurz zum Plaudern brachte. Mandarinenbäume und Palmen unter Schnee haben ja auch was, aber es war nicht frühlingswarm, sondern unangenehm feuchtkalt und windig. Der einzige Vorteil war, dass bei diesem Wetter und dem unruhigen Meer keine Fähre fuhr, so dass ich mit einer Handvoll anderer Menschen und den Mönchen allein auf der Insel war. Auf meinem täglichen Inselrundgang (bei flottem Schritt ist man in einer Stunde rum) war ich dann wirklich ganz alleine, kein Mensch geht hier bei so einem Wetter raus.
Am letzten Wochenende war traumhaftes Frühlingswetter, und natürlich war ich auf der Ile St. Marguerite nicht alleine, aber die Spaziergänger mit und ohne Kinderwagen oder angeleinten Hunden verloren sich noch: St. Marguerite ist deutlich größer als St. Honorat und hat mehr begehbare Wege zu bieten, so konnte man sein Picknick noch alleine auf Klippen oder am Steinstrand sitzend verzehren.
Ah, das Kloster… Das Kloster, das du ja vor einiger Zeit schon mal an anderer Stelle erwaehnt hast. Jetzt kann ich mir wirklich was darunter vorstellen. Und es hoert sich traumhaft an: Totale Ruhe, meditieren. Ich glaube, das koennten viele von uns ab und zu mal gebrauchen. Gerne wuerde ich mir dort mal ein paar Tage buchen. Auch wenn ich fegen und Tische abraeumen muesste, das waere es mir wert. Kein Wunder, dass dieser Ort so beliebt ist. Ob die Menschen das, was sie dort “lernen”, aber dann auch dauerhaft ins wahre Leben mitnehmen? Ob man das ueberhaupt KANN, wenn dann doch wieder tagaus-tagein nur an einem gezerrt wird? Wie lange hat die Wirkung bei dir denn angehalten? Oder haelt sie sogar immer noch an?