Als ich das erste Mal in Rom war und staunend und zögerlich am Straßenrand stand und vergeblich darauf wartete, dass sich eine Lücke in dem unablässig strömenden Autoverkehr auftat, um auf die andere Straßenseite zu kommen, nahm mich damals kurzerhand eine Italienerin an die Hand und in ihre Lebensschule und erklärte mir ganz praktisch, wie man in Rom über eine belebte Straße geht. Man geht nämlich einfach los…
Und schaut weg. Also man guckt irgendwohin, aber keinesfalls in Richtung ankommender Autos, denn, wenn Sie hingucken, denkt der Autofahrer, „die sieht mich“ und hält drauf. Urgh. Aber wenn Sie in die entgegengesetzte Richtung schauen, denkt der Autofahrer, merde, oder in Italien denkt er vielleicht che cazzo, „sie sieht mich nicht“, und passt daher auf sie auf. Easy, oder? Und hoppeln Sie nicht ängstlich wie ein gehetzter Hase, nicht nötig, Sie können selbst noch ein leichtes Hinken hinzufügen, glauben Sie es mir, Sie kommen immer unbeschadet rüber. Wird nicht mal gehupt. Falls Sie das zu Hause schon mal üben wollen, Seien Sie bitte vorsichtig, ich bin nicht so sicher, ob das in Stuttgart oder Düsseldorf auch klappt.
In Frankreich hingegen, das denken Sie sich schon, ist das natürliesch auch überhaupt kein Problem. In Frankreich, diesem Land, das seine schönen Frauen geradezu Göttinnen gleich verehrt, gibt es noch eine Steigerung dieser Straßenüberquerung. Junge, hübsche Frauen nehmen nicht mal ansatzweise irgendeine Regel der Straßenverkehrsordnung, die es auch in Frankreich zumindest als Basisverständigung gibt, in ihren öffentlichen Verhaltenskodex auf. „Rot?“ Et alors? Was geht mich das an? Sie gucken gar nirgends hin, wenn sie über die Straße gehen, während sie mit der Freundin quatschen, telefonieren und rauchen, SMSen versenden oder sonst was machen. Sie gehen mit einer solchen Unverfrorenheit einfach weiter, nicht das geringste Zögern, nicht einen Lidschlag lang wird wenigstens die Umgebung sondiert, nichts dergleichen, da kann es für sie noch so Rot sein, sie gehen weiter, denn diese Regeln sind für Göttinnen einfach außer Kraft gesetzt. Das wird auch erst dann zum Problem, wenn ich als nicht ganz dem göttlichen Gebot gehorchende deutschstämmige Autofahrerin nicht so richtig auf die Junggöttinnen aufpasse, weil ich gerade bergab beschleunige, um hingegen eben noch schnell meine Grünschaltung der Ampel mitzunehmen, und nun mit beiden Füßen wild auf die Bremse treten muss. Es schlingert, ich komme zum Stehen. Wir verpassen uns so um Haaresbreite. Uff. Mein Herz klopft bis zum Hals. Beide Mädels senden mir ein großäugiges erstauntes hinreißendes Lächeln, „ohlàlà, uuuupsi, na so was aber auch, nicht schlimmm, oder?“ Ich verdrehe die Augen, denn ich habe ziemlich viel Reifengummi gelassen und dank der Mädels eine weitere Ampelschaltung an dieser verdammten Kreuzung auszuharren, aber was soll ich Erdenwurm zu diesen unschuldigen göttlichen Geschöpfen sagen, immerhin haben sie mich nicht beschimpft. Ich bin sicher, jeder männliche Franzose wäre natürliesch dahingeschmolzen. Ah, les filles, nein gar niescht schlimm, denn er hatte ja dieses süße Lächeln und den Anblick dieser zum Anbeissen knackigen Mädchen, da verzeiht er alles, und er ruft ihnen aus dem offenen Fenster noch seine Telefonnummer nach oder sonst was Nettes. Der Franzose ist ja so eloquent in dieser Disziplin. Jung und schön müssen Sie sein, sagte ich das schon? Ich bin sicher, auch der charmanteste Franzose wird Ihnen vulgäre Unflätigkeiten nachzischen, wenn Sie mittelalt, übergewichtig und unattraktiv sind. Wenn Sie diese traurige Lebensphase überschritten haben und später mit einem Gehwägelchen ohne zu gucken über die Straße zuckeln, dann hält wieder jederman resigniert seufzend an, und sagt Ihnen aus Respekt vor Ihrem Alter nichts Gemeines mehr. Jeder Franzose hat eine Mutter, n’est-ce pas?
Das wissen Sie jetzt. Andere Unfälle können Sie vermeiden, indem Sie grundsätzlich nicht an Zebrastreifen anhalten. Andernfalls fährt Ihnen nämlich der nachfolgende Wagen rein. Hier hält man nicht an Zebrastreifen an. Kein Wunder, wenn sowieso alle anarchistisch über die Straße gehen, braucht man nicht noch extra Zebrastreifen einzurichten. So werden diese dann auch von den Franzosen ignoriert. Aber das wussten Sie vielleicht auch schon.
Sollten Sie in den nächsten Tagen nach Cannes kommen, seien Sie gewiss, dass Cannes sich mit Ostertouristen gefüllt hat, aber auch das Filmfestival wirft seine Schatten voraus. Von eben auf jetzt geht auf der sogenannten voie rapide, der Schnellstraße, gar nichts mehr, sei sie auch noch so vielspurig. Um vom Quartier X zum Quartier Y zu kommen, meiden Sie besser die großen Achsen und schlängeln Sie sich hügelab und hügelan, rechts, links und nochmals links durch enge Gässchen und Einbahnsträßchen der Wohngebiete oberhalb der Schnellstraße. Das ist für nicht Eingeweihte nicht zu finden, ich geb’s zu. Aber Sie lernen so nette Gebiete kennen, die Sie nie gefunden hätten, wenn Sie sich nicht verfahren hätten. Manchmal müssen Sie den Seitenspiegel einklappen, sonst ist es zu eng, wenn Ihnen noch jemand entgegen kommt. Beim Parken übrigens auch. Gucken Sie einfach wie es die anderen machen. Aber Einklappen ist immer gut. Dumm ist natürlich, wenn Sie nicht in Ferien sind, sondern eigentlich noch ein bisschen arbeiten müssen und für jede Richtung nun fast eine Dreiviertelstunde brauchen, und einen Parkplatz finden Sie auch nicht mehr auf Anhieb. Machen Sie sich lächerlich und gehen Sie zu Fuß, vermutlich die gesündeste Variante, aber zu Fuß geht hier außer den ganz Armen und den Touristen niemand. Oder kaufen Sie sich einen Scooter. Vergessen Sie das Radfahren. Frankreich liebt die Radfahrer der Tour de France, aber ansonsten riskieren Sie, das man Sie fluchend über den Haufen fährt. Außerdem ist Cannes alles andere als flach. Scooter also. Aber dann machen Sie besser noch mal Ihren Führerschein, bekreuzigen sich vor jeder Fahrt, küssen den heiligen Christophorus, der behütend um Ihren Hals hängt und geben sich in die Hände … äh … in den mediterranen Straßenverkehr. Vielleicht geht alles gut. Es ist ja Ostern. Da sollen Wunder geschehen.
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