Sur le Pont d’Avignon…

In Avignon ist Theaterfestival. Drei Wochen lang schillert und vibriert die Stadt, ist laut und noch voller als sonst, eine ganze Stadt wird zur Bühne, zum Gesamtkunstwerk…

Kleine Grüppchen, mehr oder weniger verkleideter überwiegend junger Menschen ziehen durch die Stadt für ihre parade, mit der sie sich und ihr Stück vorstellen, singend, tanzend, Quatsch machend, ernsthaft redend mit allen eventuell interessierten Menschen, jedem drückt man einen Handzettel in die Hand, damit er sich später noch an einen erinnern möge, wenn er überlegt, was er sich denn jetzt „richtig“ ansehen möchte. Dabei ist oft das feeling entscheidend, gefällt einem der Handzettel, das Plakat, die Parade, oder der Charme dessen, der versucht einen „in den Saal zu quatschen“.

Natürlich ist auch der Ort und die Uhrzeit ausschlaggebend. Befindet man sich gerade in der Nähe des Theaters und hat Zeit, geht man vielleicht rein, um nicht bei dieser Bruthitze bis ans andere Ende von Avignon zu stolpern, um dort dann zu spät zu kommen. Dann kommt man nämlich nicht mehr rein. Alles ist hier eng getaktet, Theater ist fast rund um die Uhr von zehn Uhr morgens bis Mitternacht in unendlich vielen Theatersälen. Alles wird zum Saal in Avignon beim Festival. Es gibt teure und spektakuläre In-Veranstaltungen an edlen Orten, wie im Inneren des Papstpalastes, da muss man aber deutlich früher aufstehen, um noch einen Platz zu bekommen, um vielleicht Juliette Binoche oder Jeanne Moreau zu sehen. Und es gibt hunderte weniger teure Off-Veranstaltungen in großen, kleinen und ganz kleinen Sälen in Werkstätten, Turnhallen oder irgendwo in einer umgebauten Garage. Jede Theatergruppe hat etwa anderthalb Stunden Zeit für Bühnenauf- und -abbau und das Spektakel. Dann steht schon Füße scharrend und nervös das nächste Grüppchen vor der Tür für ihr Stück. Pünktlich sein heißt es da.

Für die Off-Stücke werden oft auch Einladungen vergeben, sehr großzügig sogar, denn besser man spielt vor Publikum, selbst, wenn es nicht gezahlt hat, als vor leerem Saal. Ist nämlich gar nicht so leicht, überhaupt Publikum zu bekommen. Soo viele Stücke gibt es: Musik, Tanz, Klassisches, Modernes, Dramatisches, Politisches, Poetisches, Klamauk, Marionetten, Kinderstücke und man steht davor und weiß vor lauter Auswahl nicht, wo anfangen. So viele Plakate und Handzettel und zusätzlich die ganzen Straßentheaterveranstaltungen lassen einem den Kopf schwirren. Immerhin sind die Theatersäle alle klimatisiert, das ist durchaus auch ein Anreiz irgendwo reinzugehen.

Das alles muss man natürlich wollen. Akzeptieren, dass einen Musik, Tanz, Megaphone und Menschen ununterbrochen beschallen und ansprechen und sich auch nicht scheuen, Sie beim Essen zu stören, um sich in Ihr Gedächtnis zu graben. Zwischen all die Paraden mischen sich zusätzlich kleine Demos gegen Atomkraft, gegen den Stierkampf und für irgendwelche Gewerkschaftsprojekte. Wenn man das weiss und akzeptiert, dann ist das ein tolles trubeliges Ambiente, denn alle reden mit allen, man tauscht sich mit wildfremden Menschen über Stücke aus, während man am Einlass ansteht, empfiehlt sie sich gegenseitig oder tauscht Einladungen. Das ist ein bisschen so wie der Kölner Karneval. Da muss man mitmachen oder man bleibt weg.

Ich war dieses Jahr als Touristin und Zuschauerin dabei und gleichzeitig kamen alle Erinnerungen von vor fünf Jahren wieder hoch, als wir mit einem kleinen Theatergrüppchen, dem L’illustre Troupeau das Stück Le syndrom du membre manquant in einem winzigen Café-Theater auf einem Hausboot in Avignon beim Off-festival gespielt haben. Eine Woche nur, mehr war zeitlich und finanziell nicht drin. Waren ja fast alles Mütter und/oder Bäuerinnen und ließen Kind, Kuh und Käse in der Obhut anderer. Und glauben Sie mal nicht, dass Sie da Geld verdienen. Das ist finanziell für 99% der Teilnehmer ganz klar ein Verlustgeschäft. Neben den Kosten für Plakate und Handzettel, Anfahrt, Unterkunft und Verpflegung haben Sie auch die Kosten für die Saalmiete zu tragen, je nach Größe und Lage haben Sie da ein paar Tausend Euro am Hacken. Natürlich wollen alle irgendwie entdeckt und berühmt werden. Vergessen Sie’s. Wir haben nichts erwartet, wir waren nur da, um zu spielen, so blieb es relativ leicht und spaßig (obwohl…), alles ist nur Spiel und so soll es ja auch sein. Und wir haben auch eine Parade gemacht. Als kleine zottelige Schafherde verkleidet mit grauenhaft warmem Synthetikfell zogen wir bähbähbäh durch die Innenstadt von Avignon und klamaukten und bequatschten die Passanten. Fünf Jahre Kölner Karneval waren auch da ein gutes Training, sage ich nur! Andere hatten deutlich mehr Schwierigkeiten sich so lächerlich zu machen.

Wir hatten immer Fremdzuschauer (abgesehen von Freunden und Familie, die uns auch aktiv mit ihrer Anwesenheit unterstützten), manchmal nur drei, manchmal fünf, einmal war der Saal sogar fast voll. Da war das Publikum aber so wenig spürbar, dass ich mich hinterm Vorhang fragte, ob überhaupt noch jemand da ist. Ich habe damals zufällig auch Benedikt Eichhorn von Pigor & Eichhorn kennen gelernt, die in Avignon 2006 begannen sich in Frankreich und dem französischsprachigen Raum zu etablieren, und die anfangs auch nicht viel mehr Zuschauer hatten als wir. Für professionelle Chansonniers und Kabarettisten, die in Berlin, und nicht nur da, lässig Säle füllen, war das erstmal ernüchternd.

Ach, ich könnte noch viel erzählen, von den Stücken, die wir dieses Jahr gesehen haben, davon, dass es so wenig Neues gibt, immer wieder Brecht, Ionesco und Warten auf Godot… und von unserem Stück, das wir selbst geschrieben hatten, darüber, dass wir danach alle zerstritten waren und wir, obwohl wir noch so viele Projekte hatten, nie wieder etwas zusammen gemacht haben. Ein bisschen wie die Gruppe The Commitments im gleichnamigen Film. Hätte toll werden können… wenn… ach ja… seufz

Für alles Weitere vielleicht hier (In) oder hier (Off).

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