Heimat

Ich sag’s gleich vorneweg, ich bin jahresendzeitlich melancholisch gestimmt, so ein bisschen angerührt und heulig ist es mir, vielleicht auch, weil es hier jetzt richtig kalt geworden ist, heute morgen gab’s ein Graupelgewitter, es sah kurz aus wie Schnee auf Cannes Straßen, wurde dann zu rutschigem Schneematsch, grau war’s den ganzen Tag auch. So was sind wir hier ja nicht gewohnt — und dann sehe ich gerade mal wieder die Serie Heimat

und versuche Deutschland und seine Geschichte und den deutschen Blick auf die Geschichte zu vermitteln. Glück hat, wer in einen fremden Land einen Gesprächspartner hat, den es wirklich (bis zu einem gewissen Grad) interessiert. Meist interessiert sich in einem (fremden) Land nämlich niemand für eine andere Geschichte als die eigene. Ist ja auch schon schwierig genug, seine eigene Landesgeschichte zu kennen, gibt schon genug Könige, Eroberer, Kriege usw. Was meinem französischen Mitbetrachter bei Heimat leider entgeht, da er den Film nur mittels der Untertitel versteht, sind die verschiedenen Dialekte. Und damit das, was sich insbesondere durch den Zweiten Weltkrieg (nicht nur in Deutschland) verändert hat. Wie durchgewirbelt dieses Land wurde. Es wird an den Dialekten so eindrücklich deutlich, wie „das Fremde“ in die Heimat kommt. Erst ist es nur ein junges Mädchen, das zwar noch den gleichen Dialekt spricht, aber doch von auswärts kommt, auch wenn es nur ein paar Dörfer weiter sind. Fremd ist und bleibt sie doch. Kommt nie wirklich rein in dieses Dorf, denn wer weiß, was dieses fremde Mensch eigentlich wirklich im Sinn hat… Später, während und nach dem Krieg kommen andere Fremde hinzu, die es aus unterschiedlichsten Gründen dorthin verschlagen hat. Man hört andere Dialekte im kleinen Hunsrückdorf. Aber auch wenn die Menschen dort  bleiben, leben, arbeiten, feiern und vielleicht lieben, bleiben sie doch fremd, gehören nie ganz dazu.

Ich lese seit einiger Zeit zwei Blogs von Frau Freitag und Frl. Krise, beide Lehrerinnen, die amüsant und herzenswarm aus ihrem Schulalltag an Hauptschulen mit hohem Migrationshintergrund-Schüleranteil berichten. Erst las ich die Blogs über das undisziplinierte türkisch-deutsche Schulleben vergnügt; ich grinste und schmunzelte vor mich hin, dann bekam ich zunehmend steile Sorgenfalten und dachte kritisch: WIE soll das mit Deutschland weitergehen, wenn diese ungezogenen Kinder die Zukunft sind? Dann aber sah ich einen Film, der dankenswerterweise von einem Leser gepostet wurde, der mich sehr anrührte, weil er die Zerrissenheit der türkisch-deutschen Familien auch noch in der dritten Generation zeigt: Almanya.

Der ganze Film hat mich berührt, weil ich mich in meiner Situation als Ausländerin in Frankreich plötzlich und erstmals den „Ausländern“, den Türken in Deutschland oder den Deutschen mit Migrationshintergrund annäherte. Erstmals konnte ich verstehen… und ich habe plötzlich viel Liebe für diese kulturell durcheinandergewirbelten Kids.
Mir tat weh, dass der kleine Cenk (im Film) in der Grundschule von seiner (durchaus netten) Lehrerin gefragt wird, wo er denn her stamme. Deutschland sagt er. Nein, sagt die Lehrerin. Falsche Antwort. „Wie heißt das schöne Land, aus dem dein Vater kommt?“ Eigentlich müsste er noch mal Deutschland sagen, denn sein Vater ist auch schon in Deutschland geboren. Aber er weiß schon, dass er Türkei sagen muss, Anatolien genauer gesagt, das sich dann nicht mal auf der Europakarte in der Klasse finden lässt. Armer Cenk. Was ist er denn jetzt? Hat zwar einen türkischen Namen, kann aber nicht mal türkisch sprechen. Gar nix ist er, sagen seine Spielkameraden kategorisch. Und beides kann man wohl nicht sein, denn man kann Fußball nur in einer Mannschaft spielen. Und so fragt er wütend seine Familie: Was sind wir denn jetzt? Türken oder Deutsche?
Cenks Großeltern haben ganz frisch deutsche Pässe, der Großvater aber sagt: „Ist nur Papier, wir sind doch Türken!“, und er hat zum Entsetzen der ganzen Familie ein Haus gekauft „in Türkei, in Heimat“.

Ich bin ja seit ein paar Jahren auch Ausländerin. In Frankreich. Das ist nicht vergleichbar und doch auch vergleichbar. Denn manchmal bin ich hier auch die Türkin. Oder meinetwegen die Polin. Das ist komisch, weil man als typischer Deutscher durchaus ein ordentliches Leitkultur-Selbstbewusstsein hat. Man kommt nach Frankreich, das man liebt, aber dennoch ganz überheblich denkt, „oh dieses charmante aber schlampige Land, das würde ich hier aber mal ganz anders machen…“ oder man schüttelt ein bisschen den Kopf und denkt von oben herab „ach, diese Franzosen! Unpünktlich, undiszipliniert, streikfreudig – aber gut essen können sie, das muss man ihnen lassen. Wenn sie jetzt noch ein bisschen besser arbeiten würden, könnte aus diesem Land noch was werden…“.

Die Franzosen sehen sich aber ihrerseits ebenfalls in der überlegenen Leitkultur-Rolle. Niemand ist stolzer als der Franzose. Er ist der beste Liebhaber, er macht den besten Wein, den besten Champagner, den besten Käse, das beste Essen sowieso, Frankreich ist das schönste Land der Welt, hat die elegantesten und schönsten Frauen, die besten Chansonniers, die älteste Kultur, die schönste Sprache und und und… Und die Franzosen reagieren sehr empfindlich auf besserwissende Kritik insbesondere die der Deutschen.

In der Riviera-Zeitung, einem deutschen Blatt für Deutsche an der Côte d’Azur, gab es neulich mal eine lange und verbissene Debatte, ausgelöst von hier lebenden Deutschen, die sich daran stören, dass hier immer noch und immer wieder Grünabfälle verbrannt werden, wo es doch eindeutig verboten sei und gesundheitsschädlich etc. Sie fühlen sich von dem aufsteigenden beißenden Rauch auf ihrer Terrasse gestört und sie finden, an das Verbot müssten die Franzosen sich doch nun halten. Gesetz ist Gesetz. Wenn nicht, wird hier geklagt. Es folgt ein Aufschrei der Franzosen! Eine Französin antwortete empört, sie habe lange in Deutschland gelebt und dort habe ihr auch Manches nicht gefallen, aber deshalb hätte sie dennoch nie einen Kindergartenplatz eingeklagt, obwohl ihr die unzulängliche Kinderbetreuungs-Situation in Deutschland das Arbeiten erschwert habe. Das gehört sich einfach nicht. Man lebt in einem fremden Land und passt sich an und hält den Mund. Und insbesondere die Deutschen… von denen hat man sich im letzten Weltkrieg genug sagen lassen müssen, nie wieder habe ein Deutscher Frankreich was zu verordnen. Unverschämtheit!

Ich weiß nicht, wie es ausgegangen ist, aber der Ton in der Riviera-Zeitung ist insgesamt doch so ein bisschen Leitkultur-überheblich, finde ich. Eher deutsch als französisch. Wir nehmen aus Frankreich nur das Schöne mit, nicht wahr?! Da wird von einem Weihnachtsmarkt geschwärmt, der fast so schön sei wie ein richtiger deutscher Weihnachtsmarkt. Und mir klingeln die Ohren … Ja, ich wollte auch einen „richtigen deutschen“ Weihnachtsmarkt in Châteauneuf machen. Warum will man etwas einführen, was es hier nicht gibt? Wenn es hier im Süden keinen Weihnachtsmarkt gibt, oder eben nur grell blinkende Fressbuden, warum muss ich dann mit deutscher Leitkulturverbissenheit einen deutschen Weihnachtsmarkt für Südfrankreich kreieren? Ich schäme mich ein bisschen.

Aber auch, wenn ich mich vom deutschen Leitkultur-Ton der Riviera-Zeitung und andernorts distanziere und denke, dass ich jetzt doch prima integriert bin, so integriert, dass ich mich von deutschen Freundinnen schon kritisieren lassen muss, weil ich so anders geworden bin, „ich kenn dich nicht wieder, Christjann“ muss ich mir sagen lassen: weil ich eine so traditionelle Beziehung lebe, weil ich mich den gesellschaftlichen Normen anpasse, obwohl sie so viel rückständiger sind als in Deutschland. Weil ich nicht für meine deutschen Werte oder Freiheiten kämpfe, wo ich doch Deutsche bin! „Wo ist dein Stolz, Christjann?“ Ha! Sage ich nur, den Stolz und das Deutsche kann ich mir hier übers Bett nageln… hier bleibe ich Ausländerin!

Letzten Donnerstag streikten mal wieder die Lehrer und manch ein anderer öffentlicher Dienst streikte aus Solidarität spontan mit. Die Franzosen witzelten darüber und ich sagte trocken „vermutlich haben sie gestreikt, weil sie einen freien Tag brauchten, da sie noch nicht alle Weihnachtsgeschenke zusammen hatten“. Unter Deutschen in Deutschland zu einem deutschen Streik wäre das vielleicht witzig gewesen, aber hier wurde es mal wieder nur stumm am Tisch. Zynisch sei ich, war dann das einzige, was dazu noch gesagt wurde. Als Ausländerin hat man die Franzosen nicht zu kritisieren. Nur, ich sehe mich gar nicht mehr täglich 24 Stunden lang als Ausländerin. Ich lebe doch hier, ich bin integriert, oder nicht? Ich bin doch auch betroffen von den Streiks, da werde ich doch mal was dazu sagen dürfen. Oh nein!

Tja, da stehe ich hier, stolze Deutsche und zweitklassige Ausländerin, mit meiner deutschen Leitkultur, die keiner will. Bei so Sätzen wie „Bei uns…“ oder „In Deutschland…“ verdrehen hier alle nur die Augen und klappen die Ohren zu. Will keiner wissen, wie und was bei „uns“ ist, und wenn es dreimal besser ist. Dann schon gar nicht. Wollen wir in Deutschland wissen, wie irgendwas in Polen oder in der Türkei ist? Sehen Sie. Bringe ich eine Spezialität aus Deutschland mit, komme ich mir in Frankreich vor, wie die polnische Hilfe in Deutschland, die uns stolz zu Weihnachten ihre Lieblingswurst aus der Heimat mitbringt, von uns Deutschen freundlich-verächtlich betrachtet, aber natürlich nicht gegessen. Die Franzosen sehen meinen Baumkuchen, den Schwetzinger Spargel oder die schwäbischen Maultaschen genauso freundlich-verächtlich an. Und entsorgen vermutlich alles hinter meinem Rücken, kaum dass ich weg bin.

Wenn ich den Film Almanya sehe, weiß ich, dass es keine „Lösung“ gibt. Lebt man dauerhaft in einem anderen Land, vereint man vermutlich irgendwann beide Kulturen in sich. Das ist bereichernd und trennend. Aber wo ist man dann zuhause? Wo ist Heimat? Und was bin ich denn jetzt? Ich glaube, noch bin ich Deutsche, mit aber schon von Frankreich aufgeweichten Rändern, innerlich oft zerrissen und gerade voller Heimweh nach Heimat.

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22 Responses to Heimat

  1. rosalinde sagt:

    Hallo Frau Dreher, der Weihnachtsmarkt in Chateauneuf war doch bestimmt super schön. Sind nicht gerade die Rulebreaker Persönlichkeiten, die mit eigenen Ideen die Welt nachhaltig oft verbessert haben. Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnachtszeit,
    danke für den ehrlichen Bericht Heimat. Heimweh nach Heimat, das ist toll gesagt.
    Alles Liebe

  2. Kallisto sagt:

    Danke für den Artikel. Ich selbst lebe nun auch schon seit 8 Jahren im Ausland. Allerdings nicht in Frankreich. Wo ich lebe, wird relativ entspannt mit solchen Dingen umgegangen. Ich glaube auch, daß meine Wahlheimat weltoffener ist (war lange Auswanderungsland, ehemalige Kolonie, entsprechend geringes Selbstbewußtsein).

    Aber mit Kritik halte ich mich streng zurück. Das besorgen die einheimischen schon selbst.
    Und mein Baumkuchen kam gut an :o) Sowas gibt es hier nämlich nicht.

  3. ichbins sagt:

    Dieser Artikel hat mich sehr nachdenklich gemacht. Meine Mutter wurde als 23jährige aus ihrer Heimat Pommern vertrieben. Sie hat dann hier im Rheinland geheiratet, eine Familie gegründet und ein Haus gebaut. Aus ihren Erzählungen konnte man entnehmen, dass das Leben in Pommern viel entehreungsreicher war als hier. Trotzdem ist sie hier Zeit ihres Lebens nie richtig angekommen, die rheinische Mentalität blieb ihr fremd und unverständlich und wenn sie von ” zu Hause ” sprach, war immer Pommern gemeint. Vergleiche zwischen hier und dort fielen immer zu Gunsten Pommerns aus. Ihre Kinder und Enkelkinder haben Partner aus dem Rheinland gefunden und fühlen sich hier voll integriert – kulturelle Unterschieder gibt es aber noch in der 3. Generation – wir mussten den Dialekt der anderen Familien wie eine Fremdsprache lernen und einiges Verhalten – die Leichtlebigkeit des Rheinländers – ist uns nach wie vor nicht gegeben , da schlägt das preussisch protestantische dann wieder durch.
    Für mich und meine Kinder ist das Rheinland die Heimat – aber einige Wurzeln stecken auch in Pommern.
    Passt in diese Jahreszeit, sich das mal wieder bewusst zu machen.
    Frohe Weihnachten

  4. Olaf Möller (Hamburg) sagt:

    Hallo liebe/ r “Christjann” –

    es gibt wohl tatsächlich keine wirkliche “Lösung” all dessen, was uns so herrlich unterschiedliche Menschen betrifft – wie sollte die auch aussehen ? Jeder Mensch hat das Recht, so zu sein, wie er/ sie ist, solange das eigene Leben oder die eigene Lebensweise nicht andere unzulässigerweise einschränkt, bedroht, belästigt oder dergleichen. Und umgekehrt.
    Ich hocke hier in Hamburg, nahe dem “Kiez” (Reeperbahn und drumherum), habe Nachbarn aus Ghana (die herrliche Musik haben), aus der Türkei (viel Witz), aus Finnland (“cool” im besten Sinne des englischen Wortes – finnischer Tango !) und erlebe, wie reichhaltig diese Welt ist. Und ich hoffe sehr, daß ich auch dazu beitragen kann.
    Für Nebenkostenabrechnungen und Bußgeldbescheide etc., die kein Mensch versteht, bin ich dann (gerne) zuständig… Meist hilft es dann doch nichts.
    ;-)

    Alles Gute nach Frankreich aus Hambourg !

    Olaf

  5. Eva sagt:

    Liebe Christiane,
    Danke für den schönen Beitrag.
    Das ist ein Thema, das mich auch immer mal wieder beschäftigt. Wir reisen gerne und viel und bringen jedesmal aus Frankreich oder sonst einem Urlaubsort einen halben Supermarkt mit nach Hause (nach D), nur weil´s viel schöner ist, ein französisches/belgisches/englisches/italienisches Salzfässchen, Olivenöl, Salami/Brotaufstrich… in die Hand zu nehmen.
    Aber sobald man im Ausland lebt, freut man sich umgekehrt über alles Heimische, das man dann in der Ferne irgendwo findet (Bäcker, Joghurt…). Das ist einerseits seltsam, liegt es daran, das man immer das haben möchte, was man grad nicht haben kann und es daher an Wert steigt? Andrerseits ist es auch schön, immer etwas von Wehmut nach Heimat oder Fernweh getrieben zu sein. Wahrscheinlich kommt das, wenn man sich irgendwo heimisch fühlt. Ich weiß es nicht.
    Mein Mann wurde in Budapest geboren und ist mit 7 Jahren von dort mit den Eltern und dem großen Bruder nach Deutschland geflüchtet (ohne Deutsch zu können, relativ arm als Flüchtling und auch nicht mit dem Bedürfnis nach “Freiheit”wie die Eltern, da er als Kind den Staatsapparat nicht bedrückend empfand). Er hat sich in manchen Szenen im Film Almanya wiedergesehen und ich habe bestimmt auch einiges besser verstanden, was mich bei meinen Schwiegereltern manchmal mit Unverständnis zurücklässt. Vielleicht hilft es mir, gelassener damit umzugehen, daß wir verschieden sind und unterschiedliche Bedürfnisse verspüren und verschiedene Sachen schön finden.
    Herzliche Grüße,
    Eva
    PS: Bitte schreib weiter so, manchmal leicht, manchmal lustig, manchmal nachdenklich, manchmal mißmutig oder grätig-so sind wir doch alle ab und zu!

  6. irene sagt:

    Liebe Christiane,
    ein interessantes Thema, das Du hier ansprichst und mich auch immer wieder sehr beschäftigt. Ich glaube, dass man wenn man lange im Ausland lebt einfach 2 Identitäten aufbaut- man ist nicht mehr Deutsche, aber auch nicht Französin, Italienerin etc. und wird es auch nie sein etc…
    Ich habe für mich entdeckt, dass ich mich mit beiden Welten verbunden fühlen möchte und versuche nun einen Balanceakt, in beiden Ländern einen Fuss zu haben und das Beste aus beiden Ländern zu verbinden. Die Frage nach Heimat ist eine große und wird von psychologischer Seite ja gerne damit beantwortet, dass man seine Heimat in sich finden muss. Das stimmt schon, doch ist eine äußere, als das Umfeld, Stadt und Land wo man lebt auch wichtig. Und ein Traum, dass man auch dort sagen kann zuhause, angekommen, beheimatet. Im übrigen ist es weitaus angenehmer, sich im Ausland fremd zu fühlen, als sich in der „eigenen Heimat“, also im Geburtsland, total fremd vorzukommen.
    Zu Ausländern in D oder A: In Österreich gibt es die wunderbare Menschenrechtsaktivistin Ute Bock und da verfolgte ich neulich eine Diskussion: Sie meinte, dass die junge Generation, die Kinder, einmal keine Probleme mehr haben werden, da sie täglich beobachtet, wie sich egal welcher Nationen die Kinder untereinander lieben, küssen und streiten. Bei uns Erwachsenen kommt es immer noch sehr darauf an, woher jemand kommt und wir unterteilen leider gerne Ausländer in Serie A, B und C. Ein Franzose oder Italiener wird in D oder A in der Regel häufiger auf Interesse stoßen, als Osteuropäer oder Türken.. Wir regen uns auf, wenn Türken schlecht Deutsch sprechen, es ist aber egal, dass Amerikaner oder Franzosen etc. hier nur in ihrer jeweiligen Landessprache kommunizieren…
    Liebe Grüße und schöne Feiertage,
    Irene

  7. dreher sagt:

    liebe rosalinde, liebe(r) ichbins, liebe(r) Kallisto, liebe Eva, lieber Olaf und liebe Irene,

    danke fuer eure langen und zum teil sehr persoenlichen Kommentare — ich hatte auch noch andere Gespräche dazu, Norddeutsche fühlen in sich zum Beispiel in Süddeutschland auch schon heftig fremd, und hier in Suedfrankreich kenne ich eine Normannin, die ihre Normandie so vermisst… und wenn man dann nach zig Jahren wieder dahin zurück kommt, ist es oft auch nicht mehr so wie man es in Erinnerung hatte. So sagte Paul Simon aus Schabbach (Heimat), als er nach zwanzig Jahren wieder in sein Dorf zurückkommt “isch verschdäh dat Deutschland hier nimmer” – für mich ist meine gefühlte Heimat gerade mein Kindheitsort in Südhessen. Aber könnte ich da heute auch wieder zu Hause sein?
    Ich bin sicher, müsste ich morgen Frankreich verlassen, würde mir dieses Land, die Menschen, die Sprache, das Essen usw. wahnsinnig fehlen. Und ich würde französisches Salz kaufen und Wein und Käse und französisch kochen, um Frankreich in mir lebendig zu halten.
    Gleichzeitig habe ich mich noch nie bewusst so deutsch gefühlt wie hier in Frankreich, und ich hab mich nie vorher nach Deutschland gesehnt, was ja auch was Gutes hat, nicht? :)

    liebe Grüsse in alle Welt
    Christiane

    @ ichbins: hat deine Mutter ihre Heimat Pommern je wieder gesehen?

    • ichbins sagt:

      ichins ist weiblich
      nein – lange gab es ja keine Möglichkeit und als die dann später bestand, hat sie einen Besuch abgelehnt. Sie hätte die Veränderungen in ihrer Heimat wohl auch nicht ertragen, das Elternhaus von Polen – ebenfalls Heimatvertriebenen – das darf man ja nicht vergessen – bewohnt zu sehen. Die Zeit verklärt manches, da wäre die Realität wohl nicht zu verkraften gewesen.

    • Olaf Möller (Hamburg) sagt:

      Liebe Christjann/ liebe dreher,

      wir “kennen” uns vom Blog des Frl. Krise…
      Haben Sie vielen Dank für Ihre schönen Worte: Diese Welt ist einfach herrlich reichhaltig und alle Menschen gehören dazu, die etwas Produktives tun oder es wenigstens versuchen – jeweils im Rahmen des ihnen Möglichen.
      In den siebziger/achtziger Jahren habe ich hier in Hamburg in einer Wohngemeinschaft gelebt, die ein kleines Häuschen (uralt, ca. 200 Jahre, aus großen Feldsteinen erbaut) für damals 300 Franc in einem abgelegenen Dorf in den Pyrenäen gemietet hatte (in der Nähe von Perpignan, etwa 50 km landeinwärts – ohne Telefon [!], wer zu Besuch dorthin wollte, mußte vorher ein Telegramm schicken mit Bitte um Rückruf und Verabredung).
      Wann immer irgendetwas schief hing, sind wir, ich und/oder die anderen dorthin gefahren, um sich für einige Zeit auszuklinken.
      Ein so wundervoller “Fluchtpunkt” – so unendlich wohltuend. Damals ohne internet, ohne Spaß-Kultur, dafür mit Kamin und Holz, einer Winzerkooperative (ein Liter besten Rotweins für 2.50 DM), im Winter scheißkalt – im Sommer kaum zu ertragen (Hängematte).
      Eine der besten Erfahrungen meines 55-jährigen Lebens. Tatsächlich.
      Ihnen wünsche ich von Herzen angenehme entspannte Weihnachtstage und alles Gute.

      Herzlichst

      Olaf

      • dreher sagt:

        lieber Olaf,
        ja, klar, weiss ich doch, dass wir uns von Frl. Krise “kennen”, ich stelle mich mal vor, ich heisse Christiane und bin ein Mädchen, Christjann ist die Art, wie die Franzosen meinen Namen aussprechen, und Dreher ist mein Nachname. :)
        Oh jah, das will ich glauben, dass das Häuschen in den Pyrenäen eine gute Erfahrung war! Mein Jahr auf dem kleinen Hof und die Jahre danach in dem winzigen Dorf (siehe mein Blog French Connection rechts in der linkliste oder mein Buch) waren, öh, erdend und lebensrettend. Dochdoch.
        Frohe Weihnachten gehabt zu haben!
        Es winkt aus Cannes
        die Christjann

        • Olaf Möller (Hamburg) sagt:

          Liebe Christiane (“Christijohng [Christjann] Dröjehäär”) –

          das ist wohl (hoffentlich) so richtig ? Habe auch leichte Affinitäten zum Finnischen. Wegen “ää”.
          Ich habe Ihre Antwort erst jetzt gelesen, pardon, zugleich haben Sie vielen Dank dafür.
          Ihnen wünsche ich alles gute für das Neue Jahr 2012.
          Wir werden uns sicherlich/ hoffentlich wieder lesen.
          Hier noch etwas von Paul Simon – wohl ein anderer, als der, den Sie kennen:

          http://www.youtube.com/watch?v=46bkXgxb66E

          Alles Gute aus dem nieseligen Hamburg vom 03. Januar 2012 zu Ihnen nach Cannes (“kann”)
          von
          Olaf Möller

  8. ichbins sagt:

    .. hat auch eine Katze .. aber antworten wollte ich noch auf Ihre Frage – nein ich war nie Pommern, was aber in der Hauptsache darin liegt, dass man als Arbeitnehmer in Deutschland nur ! sechs Wochen Urlaub hat.Diese Zeit verbringen wir seit Jahrzehnten in unserer ” zweiten Heimat ” – im Roussilon.Immer bricht spätestens im Februar / März das Fernweh / Heimweh nach dort in uns aus und sind wir dann da,beneiden wir alle unsere dortigen Bekannten darum, dass sie schon pensioniert sind und so lange bleiben können wie sie wollen. Wir haben in diesem kleinen Ort ” unseren ” Metzger, Bäcker, Supermarkt, Frisör. Als wir jünger waren, haben wir davon geträumt, uns dort ein Haus zu kaufen und den Lebensabend zu verbringen. Mit zunehmendem Alter nimmt dieser Wunsch aber immer mehr ab .. mehrere Monate im Jahr dort – okay – aber für immer Deutschland aufgeben – nein. Hier ist unsere Heimat , Familie, Freunde .. Haus und Garten. Auf Dauer könnte ich wohl auch der Versuchung nicht widerstehen, ein wenig deutsche Gründlichkeit, Pünktlichkeit den Franzosen nahe zu bringen — was uns im Urlaub so sympathisch ist und uns vom savoir vivre schwärmen lässt – im Alltag würde ich mich damit schwer tun.
    Aus beiden Ländern das Beste .. das wär doch was
    In diesem Sinne alle guten Wünsche für 2012 – bonne annee

    • dreher sagt:

      dankeschön!
      6 Wochen sind doch ganz schön viel, verglichen mit Japan oder den USA… aber Danke für Ihre ehrliche Einschätzung zum Leben in la France — ich kenne einige pensionierte deutsche Paare, die hier zwar ganzjährig leben, aber nicht glücklich sind, genau deswegen!

  9. Ulrike sagt:

    Ja, das kann ich bestätigen, dass man sich als Norddeutsche in Süddeutschland fremd fühlt. Ich hab auch nicht den Eindruck, dass sich das nach über 10 Jahren noch ändert. Ich gebe zu, ich find’s schon ziemlich bitter, denn mein Eindruck ist, dass die Einheimischen Leute aus anderen Landstrichen einfach als nicht zugehörig betrachten (wollen/können) und da ist es egal, ob man aus der Türkei oder aus Norddeutschland oder sonstwoher kommt. Entweder man gehört von Geburt an dazu oder halt nicht. Blöd nur, dass man das als Zugereiste nicht selber beeinflussen kann.
    Dieses “woher kommst du?” wird immer und immer wieder thematisiert. Und ich spreche natürlich keinen Dialekt, was die Nichtzugehörigkeit immer wieder dokumentiert. Dazu kommt, dass hochdeutsch sprechende Menschen irgendwie als hochnäsig empfunden werden. Klar, man selbst ist ja des Hochdeutschen nicht unbedingt in Reinkultur mächtig… was aber eigentlich nichts macht.
    Naja, zum Glück gibt’s hier auch einige Dinge, die ich sehr schätze. :-)

  10. Christiane sagt:

    Ich habe den Artikel aus der FAZ herausgesucht und gelesen – vielen Dank für die Anregung.
    Vor allem für uns Deutsche ist die Beschäftigung mit dem deutsch-französischen Verhältnis ja zumeist ein eher schmerzliches Erlebnis, gerade für frankophile Deutsche. Christjanns Beitrag um Weihnachten herum („Heimat“ und so) hat zu diesem Thema ganz eigene, spannende Akzente gesetzt.
    In den Achtzigerjahren gab es mal einen Autoaufkleber: „Jeder ist Ausländer, fast überall“ stand darauf. Eine extrem verkürzte Zusammenfassung der Problematik, aber doch sehr treffend. Wer im „Ausland“ lebt, kann davon ein Lied singen. Als Deutsche, Franzosen, Amerikaner oder Türken. Nicht jeder allerdings hat es dabei gleich leicht oder schwer.
    Es macht mich aus verschiedenen Gründen traurig und auch irgendwie verzweifelt, einen Artikel wie den oben genannten aus der FAZ zu lesen. Sicher ist die „Liebe“ zum Nachbarn zwischen Deutschen und Franzosen seit ich denken kann (bin Jahrgang 1959) stets recht einseitig gewesen. Viele junge Deutsche der Nachkriegsgeneration haben Frankreich und die Franzosen bewundert und geliebt. Das savoir vivre, die wunderschönen Landschaften, das angenehme Klima, die tollen Küsten, die Küche, die schöne geschmeidige Sprache … Beim Nachbarn Frankreich war einfach alles besser, und das fing schon an der Grenze an.
    Nicht zuletzt haben wir sie auch beneidet um ihre Unbefangenheit im Hinblick auf ihre eigene Geschichte. Darum, dass sie historisch im Recht sind und das auch so empfinden (dürfen). Wir haben begeistert ihre Sprache gelernt und ihr Land bereist und dabei immer gehofft, etwas von dieser Schönheit und Leichtigkeit in uns aufzunehmen und selbst leben zu können. Wir haben Menschen dort kennengelernt und Freundschaften geschlossen; wir haben dabei – wie sollte es auch anders sein – sehr unterschiedliche und nicht immer beglückende Erfahrungen gemacht. Aber wir haben gehofft, dass es eines Tages möglich sein würde, dass Franzosen und Deutsche sich auf Augenhöhe und freundschaftlich begegnen würden, dass das vor Jahrzehnten staatlich verordnete oder jedenfalls doch stark geförderte Interesse aneinander sich als echte Freundschaft zwischen benachbarten Völkern stabilisieren und irgendwann auch auf Gegenseitigkeit beruhen würde. Wir waren uns unserer Sache so sicher, dass wir uns über die händchenhaltenden alten Männer Mitterrand und Kohl und ihre halb komische, halb ergreifende Geste der inszenierten Völkerverständigung (Mitte der 80er-Jahre oder wann war das genau?) lustig gemacht haben. Wir glaubten uns schon längst viel weiter.
    Heute lese ich in jeder Zeitung, dass Deutsche und Franzosen einander im besten Fall gleichgültig geworden sind, öfter noch lese ich von Germanophobie auf der einen und von Franko-Skeptizismus (selbsterfundenes Wort) auf der anderen Seite. Wer oder was ist schuld daran, dass sich unsere Nachkriegssehnsüchte nicht erfüllt haben? Dass Deutsche immer weniger Französisch lernen und umgekehrt? Dass Franzosen Deutschland wieder als Großmacht erleben? Dass Deutschland für viele Franzosen ein „schwarzes Loch“ ist, terra incognita? Ist Angela Merkel schuld? Der Euro? Der internationale Finanzmarkt? Die Globalisierung? Die Tatsache, dass heutige Reisesehnsüchte eher in Fernost oder auf den Malediven gestillt werden und die europäischen Länder den exotischen „Kick“ nicht mehr bedienen können?
    Ich persönlich kann mir als späte Nachkriegsgeborene eine (staatsbürgerliche) Identität außerhalb Europas überhaupt nicht vorstellen. Aber was das genau beinhaltet, ist wohl bis heute nicht geklärt und wird auch nicht von allen geteilt.
    Umso schöner und bewundernswerter, aber auch beneidenswerter ist daher eine Entscheidung wie die, die du, Christjann, getroffen hast. Ich freue mich immer wieder über deine Erzählungen, Berichte und tollen Fotos aus dem Nachbarland! DANKE für diesen wunderbaren Austausch und viele liebe Grüße!
    Christiane

    • dreher sagt:

      Liebe Christiane,

      vielen Dank für diesen langen und mir aus der Seele sprechenden Beitrag – ich bin nicht sicher, ob ihn hier in unserer schnelllebigen Zeit noch jemand außer mir entdeckt – denn leider… wer liest noch die Artikel vom November letzten Jahres? Eins nur weiß ich nicht einzuordnen, den von dir erwähnten FAZ-Artikel?! WO??? In welchem Zusammenhang? Oder bezog sich dein Kommentar auf einen ganz anderen Beitrag?

      Sehr liebe Grüße von Christiane zu Christiane