Traumhaft oder? Das ist der Ausblick von der Terrasse der Villa E-1027 von Eileen Gray in Roquebrune. Es ist erst gerade drei Wochen her, dass ich dort war, es scheint mir aber nach allem, was in der Zwischenzeit geschehen ist, ewig weit weg zu sein und beinahe unangemessen als Thema, aber man muss ja auch ein bisschen den Kopf rausstrecken aus all dem Elend, n’est-ce pas?
In diesem Sommer hat die Association Cap Moderne in Roquebrune erstmals die Tore zur restaurierten Villa E-1027 von Eileen Gray geöffnet.
Eileen Gray ist zumeist nur bekannt als Möbeldesignerin, man kennt vielleicht ihren kleinen verstellbaren runden Beistelltisch, der oft nachgeahmt wurde. Sie hatte ihn ursprünglich für ihre avantgardistische Villa in Roquebrune entworfen, wie auch andere Möbel, die in ihrer Funktionalität und Schlichtheit noch heute beeindrucken. 1927 hatte Eileen Gray an der damals noch völlig unberührten Küste, unterhalb des mittelalterlichen Dorfes Roquebrune, ein Grundstück erworben und für sich und ihren Lebensgefährten den Architekten Jean Badovici eine avantgardistische und funktionelle Villa entworfen und erbauen lassen. Im eigentümlichen Namen der Villa E-1027 sind beider Initialen (als Ziffern verschlüsselt) ineinander verwoben, wie eine Umarmung Liebender.
Um die extreme Modernität des Hauses und der Möbel zu verstehen, die selbst heute noch verblüffen, muss man sich die bourgeoise Architektur der Zeit vorstellen. Betrachtet man beispielsweise die nur zehn Jahre früher, im Renaissance Stil erbaute Villa Ephrussi de Rothschild in Saint-Jean-Cap-Ferrat, mit ihren vielen Salons im Louis XVI Stil … Was für ein Kontrast! Die Villa E-1027 schockiert geradezu. Schnörkellos, funktionell. Die Villa ist klein, alles ist durchdacht, nichts dem Zufall oder einer späteren freien Gestaltung überlassen. Innen gab es nur das zum Leben Notwendige und alles hatte seinen festen Platz. An jedem Einbauschrank stand, was sich darin zu befinden habe. Es gab sogar eine Art Wegweiser, wie das Haus zu betreten sei, denn keinesfalls sollte man sich in den Räumen, die dem Personal vorbehalten waren, wie etwa der Küche, verlieren. Denn bei aller Modernität hielt man doch an dem bestehenden Sozialgefüge fest: Das Dienstmädchen hatte nur eine Kammer im unteren Bereich des Hauses, und nicht mal der Blick nach außen war ihm vergönnt, die Fensterscheiben waren opak.
Nur drei Jahre dauerte die Beziehung zwischen Eileen Gray und Jean Badovici in der villa blanche wie man das Haus in der Gegend nannte, da es komplett in Weiß gehalten war. Danach überließ sie ihm die Villa und baute für sich in der Nähe von Menton ein anderes, ähnlich modernes Haus. Badovici und Gray waren mit dem Architekten Le Corbusier befreundet und letzterer war häufig Gast in der Villa. Le Corbusier hatte, wie heute mancher junge Graffitti-Künstler, das Bedürfnis sich auf den leeren weißen Wänden der Villa zu verewigen und schuf während seiner Aufenthalte sieben großformatige, sehr farbige und überwiegend erotische abstrakte Wandgemälde. Dieser, in den Augen Eileen Grays gewaltsame Akt, sich das Haus in gewisser Weise anzueignen, führte zum Zerwürfnis mit Eileen Gray, auch wenn sie, eine adlige irische Lady, ihren Unmut darüber nur sehr dezent äußerte. Aber sie sah die puristische Villa, die sie mitsamt der Inneneinrichtung als Gesamtkunstwerk verstand, dadurch zerstört und kehrte nie wieder dorthin zurück.
Die Villa hatte danach eine bewegte Geschichte und jeder Besitzer versuchte sich die Villa auf seine Art anzueignen: die Einrichtung wurde verändert, Möbel wurden entfernt, und bei der Restauration wurden mehrere knallbunte Farbschichten freigelegt. Das ursprüngliche Weiß schien eine Gegenbewegung zur Farbigkeit provoziert zu haben. Der letzte Besitzer wurde dort unter ungeklärten Umständen ermordet und zuletzt wurde sie von Wohnsitzlosen illegal bewohnt. Der Zustand der Villa verschlechterte sich und das Haus verfiel zusehends.
Die Villa wurde schon vor vielen Jahren von der Gemeinde Roquebrune und dem französischen Staat erworben, aber nur mühsam kam eine Restaurierung in Gang. Erst mit dem 2014 gegründeten Verein Capmoderne, dem eine Restaurierung nicht nur der Villa, sondern ebenso der angrenzenden Gebäude, dem berühmten Cabanon Le Corbusiers, dem kleinen Restaurant L’Étoile de Mer und einer kleinen Reihenhauszeile, den Unités de Camping, übertragen wurde, begann eine umfassende Instandsetzungsarbeit des gesamten Ortes.
Seit Jahren verbrachte der Niçois Thomas Rebutato mit seiner Familie die Wochenenden am Strand unterhalb der Villa E-1027. Damit sie nicht mehr jede Woche aufs Neue sämtliche Bade-, Picknick- und Angelutensilien dorthin transportieren mussten, suchte er ein Stück Land zu kaufen und erwarb 1949 in direkter Nachbarschaft der Villa ein Grundstück und baute dort alsbald eine Hütte, die die Siebensachen seiner Familie beherbergen sollte. Irgendwann beschloss Rebutato, an dieser Stelle eine Art Bistro mit Strandzugang zu eröffnen, etwas, was es bislang noch nicht gab, und er baute sein Hüttchen dafür aus: das L’Étoile de Mer war geboren.
Le Corbusier, der dem Ort noch immer treu war, erstand nun wiederum von Rebutato ein kleines Stück Land, um sich selbst ein Ferienhaus zu bauen, wo er mit seiner Frau Yvonne die Sommermonate verbringen wollte. “Ferienhaus” ist, wenn man Le Corbusier nicht kennt, vielleicht missverständlich, es ist nämlich nicht mehr als eine quadratische Blockhütte, un Cabanon, der nach den menschlichen Raumbedürfnissen des von Le Corbusiers’ Proportionsschema Modulor geplant und eingerichtet wurde: Auf 3,66m x 3,66m finden sich die zum Leben notwendigen Dinge. Nicht viel mehr als zwei schmale Liegen, ein Tisch und zwei Stühle, eine Toilette und ein Waschbecken passen dort hinein, alles andere verschwand in ein paar Einbauschränken. Die Hütte erinnert damit an einen Wohnwagen oder das Innere einer Jacht und wurde getreu nach Le Corbusiers’ Losung “Der Gedanke an Möbel sollte ausgerottet und durch den Wunsch nach dem allein nötigen Equipment ersetzt werden” gestaltet. Niemand verstand, dass Le Corbusier seine Sommermonate in dieser Schlichtheit verbringen mochte, und man spottete darüber, dass ausgerechnet ein Architekt so schlecht wohnte. Nicht einmal eine Küche war vorgesehen, selbst die hier im Süden so typische Außenküche gab es nicht, aber Le Corbusier hatte einen eigenen Zugang zum benachbarten Bistro L’Étoile de Mer und ließ sich von dort morgens sein Frühstück bringen, sein Mittag- und Abendessen nahm er hingegen dort ein.
Le Corbusier verband eine freundschaftliche Beziehung mit der Familie Rebutato. Er hatte die Fassade des Bistros mit einem Wandgemälde geschmückt und er plante für Thomas Rebutato, der seinen Gästen gern eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten wollte, die Cinq Unités des Camping, fünf schlichte aneinandergereihte Holzhütten, die von außen in ihrer Struktur und Farbigkeit an Gemälde von Mondriaan erinnern. Auch sie sind nicht viel mehr als ein schlichte Schlafunterkunft mit minimaler Einrichtung, quasi Vorläufer der heute üblichen Campinghäuschen.
Die Villa E-1027 und die angrenzenen Häuser sind noch immer nicht vollständig restauriert, (man versucht gerade sie für das Unesco Weltkulturerbe zu klassifizieren) auch das Bistro ist natürlich nicht mehr in Betrieb, (auch wenn man dort die Mitglieder der Unesco-Weltkulturerbe-Kommission bewirtet hatte) man konnte sie aber erstmals in diesem Sommer, nach Voranmeldung (lange Wartezeiten!) und ausschließlich mit einem (ausgezeichneten) Guide, besichtigen. Fotos von der Inneneinrichtung zu machen, ist nicht gestattet, ich verweise Sie aber auf die wirklich informative und gut gemachte Homepage der Association Capmoderne, leider sind alle Texte nur in Französisch, aber man kann sich auch nur mit den Fotos ein Bild machen. Es gibt sogar eine grandiose Visite virtuelle, mit der man durch das Haus und über das Grundstück gehen kann. Bonne visite!
Nachtrag: Eigentlich wollte ich nur meinen kleinen Architekturausflug dokumentieren; ich bin weder Architektin, noch habe ich mich ins Thema eingearbeitet, auch wenn ich zwei Bücher erstanden habe und darin geblättert und nachgelesen habe. Ich kaufte sie aber vorwiegend, um Fotos der Inneneinrichtung zu haben, denn man durfte im Inneren der Villa und der anderen Gebäude nicht fotografieren. Ich beschrieb den Konflikt zwischen Eileen Gray und Le Corbusier wie ich ihn bei der Führung erzählt bekommen habe und wie sie in den erstandenen Büchern wiedergegeben wurde. Dass ich damit ein empfindliches Thema mit großer Naivität angegangen bin, merkte ich an den Zuschriften, die ich erhielt. Um die (ungebeten hinzugefügten) Wandgemälde von Le Corbusier gibt es einen langen und erbitterten Streit, geradezu zwei Lehrmeinungen. Nachdem ich jetzt mehrere Artikel zum Thema gelesen haben, ist meine eigene Meinung dazu differenzierter. Ich verlinke Ihnen hier der Vollständigkeit halber einen französischen (eigentlich schweizerisch) und zwei deutsche Artikel, einen aus Schöner Wohnen, den anderen aus der Emma, damit Sie auch die andere Sichtweise erfahren. Vielleicht machen Sie sich Ihr eigenes Bild?