Dem Himmel so nah

GewitterGerade kommt ein Sommergewitter über dem Weiler herunter, mit mächtigen Donnern, ohne Blitz bislang, aber das weiß man ja vorher nicht. Ich hatte vorsichtshalber alles ausgestöpselt, mit den Gewittern in den Bergen ist nicht zu spaßen und das heilige Internet muss beschützt werden. Ich habe es erst seit zwei Tagen. Nach sieben Tagen Medien-Détox, Menschen-Détox und Lärm-Détox war ich dann doch beglückt, wieder an die Welt angeschlossen zu sein.

Wenn Sie mich schon länger lesen, wissen Sie, dass ich Cannes im Sommer nicht ausstehen kann: zu laut, zu voll, zu heiß. Mir war sowieso schon eine Weile alles zu viel und ich bin daher, beinahe spontan, in die Berge geflohen. Ganz spontan geht nicht, man muss schon an ein paar Sachen denken für alle Fälle: Gas in großen Flaschen für den Herd und warmes Wasser, Essen für mindestens eine Woche, und den ganzen Papierkram und das Laptop zum Arbeiten, um nur das Wichtigste zu nennen. Seit letztem Sonntag bin ich im Sommerhaus und ich bin ganz allein. Ohne Familie, aber auch ohne Mann und ohne Katze. Das ist Premiere. Es ist wundervoll. Ich sinke hier fast täglich auf die Knie aus Dankbarkeit, dass ich hier sein darf in dieser Natur und in diese Stille. Dem Himmel so nah.

Cime de Pal

Rosen und HimmelNach einer Woche Stille und einem Minimum an Sozialkontakten (drei um genau zu sein, ein dicker, einäugiger Schäfer, ein schweigsamer Nachbar und die Besitzerin der Gîte, die einzige Person, die hier ganzjährig lebt), kann ich jetzt auch wieder nach außen gehen. Ich hatte ja nicht nur kein Internet, ich habe auch keinen Fernseher, mir fehlt ein (in Cannes vergessener) Adapter um den Vinyl-Plattenspieler an den reparierten (und hochtransportierten) Verstärker anzuschließen, so dass ich auch nicht Leonard Cohen hören kann oder Paolo Conte, meine Lieblingsklassiker hier oben, und im alten 50er Jahre Radio kommt nur ein einziger kratziger Sender rein, auf dem es bislang nur Fußball gab. Das ist ja das letzte, was ich in der Bergeinsamkeit hören will. Medien-Détox. Keine Außengeräusche. Vogelzwitschern, Fliegensurren und Bienensummen, morgens und abends ziehen etwa 2000 Schafe vorbei, bimmel, bimmel, mäh mäh. Sonst Stille. Das ist so großartig. Und so wohltuend!

Idylle

Lilien vor der Tür

Außerdem kann man so wunderbar konzentriert arbeiten. Heute habe ich aber eine Schreib-Pause gemacht und morgens ein paar Fotos und nachmittags die (von dem schweigsamen Nachbarn freundlicherweise) gemähte Wiese neben dem Haus zusammengerecht. Hier wächst und wuchert es ja fast bis ins Haus, wenn man nicht aufpasst.

Gräser

RechenAber welche Schmach! Nach einer Stunde schon hatte ich Blasen an den Händen, man ist ja nichts mehr gewöhnt. Also habe ich stattdessen die alles überwuchernden und verschlingenden Kletten herausgerissen, damit die Johannisbeeren sich schön entwickeln können; noch sind sie grün, aber es sieht aus, als wollte das eine Jahrhunderternte geben!

JohannisbeerenDanach habe ich noch ein paar Blumen gepflückt.

FeldblumenDank dem re-aktivierten Internet, habe tatsächlich schon ein bisschen Radio gehört, habe in FB herumgeklickt und Mails gelesen und beantwortet. Die Welt kommt langsam wieder näher – aber ich lasse sie vorerst nur in kleinen Portionen zu. Mehr geht manchmal nicht.

Nach dem Gewitter gab es übrigens einen Regenbogen!

RegenbogenAch so ja, und ich habe dann tatsächlich doch mitgekriegt, dass am Donnerstag das Halbfinale Deutschland-Frankreich ansteht. Werde ich das alte Radio doch anwerfen müssen.

Radio

Und mit Blick auf das Datum könnte das eigentlich auch ein Beitrag für WMDEDGT sein.

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18 Responses to Dem Himmel so nah

  1. Astrid sagt:

    Wie wundervoll! Spätestens beim zweiten Foto war es um mich geschehen. Und siehst Du, Du kannst doch Sehnsuchtsartikel schreiben, zumindest solche, die bei anderen Sehnsüchte auslösen … ;-) Hab’s ganz arg gut dort oben, meine Liebe! Astrid

    • dreher sagt:

      Merci Astrid! Das ist da, wo ihr dann nicht mehr hingefahren seid … Viel Sommer für dich, egal, wo du bist!

  2. Astrid sagt:

    Ich hoffe ja sehr, dass wir es eines Tages doch noch bis ganz oben schaffen werden. Manfred ist auch dafür, alles stehen und liegen zu lassen und sofort loszufahren. ;-)

  3. Sunni sagt:

    Ach wie wundervoll. Und welch eine Erinnerung an Tage in der Haute Provence, an den Schäfer, der uns alles erklären konnte, jede Wetterregung deuten und nicht schreiben oder lesen.Ja, was braucht man für ein glückliches Leben? – Unsere lange ganz stillen Wanderungen bergan von Rougon ins Karge bis zum Porteil de Blieux….Genießen Sie es! Herzliche Grüße

    • dreher sagt:

      ja, darüber haben wir uns glaube ich schonmal ausgetauscht – er kann auch nicht allzu viel lesen und schreiben, dieser Schäfer hier, aber er weiß so viel! LG

  4. Eva sagt:

    Liebe Christiane,
    es freut mich, dass es Dir gutgeht, dort oben.
    Geht es Dir manchmal auch so, dass Du zuerst gar nicht gewohnt bist, auf Dich selbst zu hören (wann bin ich müde, wann will ich essen, wann mache ich dies oder jenes)? Im Alltag machen wir so viele Dinge von anderen abhängig und ich denke, das geht nicht nur Menschen mit Kindern so, dass andere oft den Takt vorgeben. Es fühlt sich anfangs richtig fremd an, dieses “was will ICH jetzt eigentlich gerade”.
    Es klingt so, als hättest Du zu Dir kommen können und dann ist ja auch der Kontakt zur Außenwelt wieder richtig!
    Herzliche Grüße von einer, der es grad doch ab und zu klamm um´s Herz wird (es sind noch 12 Tage, bis er geht),
    Eva

    • dreher sagt:

      Jahaaa … das ist natürlich auch so ein Integrations-Ding – dieses sich Anpassen und es so machen und dann machen, wie und wann man es im fremden Land macht, seit elf Jahren passe ich mich an, grmpf … ein paar Tage nur so wie ich will, ist sehr erholsam!
      Ich weiß gar nicht, was ich dir wünschen soll, ich bin ja eine große Verfechterin des Loslassens und der Freiheit … ich wünsche daher, dass es Euch beiden gelingen möge, dieses Abenteuer! Liebe Grüße!

      • Eva sagt:

        Danke!
        Ich bin eigentlich keine Glucke (kommt es so rüber??). Unsere Tochter habe ich leicht losgelassen, die ist ja “nur” bis München gegangen. Es hängt sicher auch an der tatsächlichen Entfernung (Peru ist doch etwas weiter weg), dass es halt gleich mal ein Jahr ist und dass es das letzte der zwei Kinder ist.
        Bisher habe ich auch immer, vielleicht etwas großspurig, gesagt, genau das ist richtig: Geht in die große weite Welt und erlebt was. Aber jetzt merke ich doch, dass dann etwas unwiederbringlich zu Ende ist, nämlich unsere gemeinsame Zeit als Familie. Das was kommt, nämlich die Zeit als Paar mit erwachsenen Kindern, ist ganz toll. Ich freue mich darauf.
        Es wird auch schön, nur unser Zeug wegzuräumen, keine Absprachen treffen zu müssen (Auto, wann gibt es Essen, wann kommt ihr heim, Schule, wer holt mich ab, wer fährt mit zum Gitarrenunterricht, etc.), viel weniger Wäsche zu haben, viel weniger Essen einkaufen zu müssen. Da kommt viel zusammen. Aber es schlich ganz hinterhältig die Wehmut mit rein und erwischte mich.
        Hm. Aber da muss ich durch und schaffe das auch!
        So ist das mit dem hin- und hergerissen sein als große Verfechterin von Wurzeln und Flügeln…..
        Eva

  5. Marion sagt:

    Majestätisch! Und genau wie Astrid sagt ein richtiger Sehnsuchtsartikel! Erhol’ Dich gut!

  6. Karin sagt:

    Ach ja, das kannte ich auch, vor Tochter-Zeiten, diese wahnsinnige Stille beim Wandern ganz alleine, dieses Summen und Zirpen. Wie gut konnte man da Gedanken Raum geben und über das Ergebnis dann so überrascht sein! Balsam für die Seele und das Herz. Leider wandert Tochter gar nicht gerne :(, wär ja eh’ nicht dasselbe zu zweit. Noch ein paar Jahre und sie plant ihre Wochenenden ohne mich, dann geht’s ab in die Stille, versprochen!

  7. Uschi sagt:

    Genieße es, liebe Christiane!
    Wunderschöne Bilder.
    Danke und herzliche Grüße.
    Gute Erholung wünscht Dir Uschi

  8. Micha sagt:

    Weitermachen, liebe Christiane, genau so weitermachen :)