Nach der Wahl …

ist vor der Wahl. Es war nur le premier tour, wie man hier sagt, der erste von zwei Wahldurchgängen zur Präsidentschaftswahl, so wie es aussieht, werden wir im zweiten Wahldurchgang erneut, wie vor fünf Jahren, zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen zu entscheiden haben (in der Zwischenzeit ist es sicher). Drittstärkste Kraft ist der extrem linke, genauso Europa- dafür aber nicht gerade Putin-feindliche Jean-Luc Mélenchon geworden, der seinen WählerInnen heute zwar sichtlich amüsiert “keine Stimme für Marine Le Pen” zurief, aber unterschwellig und auf sehr deutliche Art anderes NICHT sagt, was er aber denkt. Er sagte nicht “keine Stimme für Macron”, er sagt nicht “geht nicht wählen”, aber die hard-core Mélenchon-WählerInnen werden genau das tun. Sie wählen bestimmt nicht Marine Le Pen, aber auch nicht Macron.

Wahlempfehlung?

Wir hatten ja gestern in diesem ersten Wahldurchgang die Wahl zwischen 12 Kandidaten: ein paar sich (für mich) nur in Nuancen unterscheidende Linksextreme (Jean-Luc Mélenchon, Nathalie Arthaud, Philippe Poutou, Fabien Roussel), und ein paar extrem rechte Kandidaten (Marine Le Pen (Putin-nah und vermutlich wieder von russischen Banken finanziert), Eric Zemmour, Nicolas Dupont-Aignan (Impfgegner und allen möglichen Verschwörungstheorien nah) und die “klassischen” Links-Rechts-Parteien, dieses Mal vertreten durch Valérie Pécresse (rechts) und Anne Hidalgo, die derzeitige Bürgermeisterin von Paris (links-écolo), die beide mit weniger als 5% abgewählt wurden. Die Grünen, vertreten durch Yannick Jadot, haben auch weniger als 5% bekommen. Frankreich ist nicht sehr écolo. Das zeigt sich vor allem im sonnenreichen Süden, in dem man keine Genehmigung bekommt, Sonnenkollektoren auf das südlich ausgerichtete Dach seines Hauses zu installieren, weil die sehr konservativen BürgermeisterInnen sämtlich finden, dass diese Kollektoren das Aussehen der charmanten typischen Dörfchen und Städte verschandeln. Insofern gibt es auch keine Techniker, die einmal installierte Sonnenkollektoren, bei Bedarf reparieren können. Die Firma, die unsere Sonnenkollektoren installiert hat, hat schon vor Jahren Pleite gemacht, weil es einfach keinen Markt dafür gibt. Seitdem kümmern sich selbsternannte Techniker darum, das ist hart an der Grenze des Heimwerkens und genauso hart an der Grenze des Betrugs. Am Freitag hatten wir einen seriösen Techniker da, der achselzuckend sagt, “ich kanns nicht reparieren, und ich rate Ihnen, schmeißen Sie alles weg, wenn Sonnenkollektoren einmal angefangen haben, nicht zu funktionieren, haben Sie immer nur weiter Probleme; entweder installieren Sie alles neu (vorausgesetzt Sie bekommen dafür eine Genehmigung und finden einen Installateur) oder Sie investieren (mit mir) in einen klassischen Heißwasserboiler, der mit Strom funktioniert.”

Bio ist übrigens in Frankreich auch keine Alternative. Neulich sprach man im Fernsehen von der “Bio-Falle”, in der viele Landwirte und Erzeuger gefangen sind: Sie haben alles auf Bio umgestellt, werden ihr Biogemüse, Biofleisch und Biomehl aber nicht los, weil es nicht genügend Abnehmer dafür gibt.

Das aber nur am Rande. Wir haben weiterhin unter den zwölf Kandidaten den ewigen Außenseiter, ein zur Politik berufener Schäfer aus den Pyrénäen, Jean Lassalle, der sich mit südlichem Akzent und seiner direkten Art für die Landwirte stark macht, aber selbst die Landwirte, die man neulich auf dem Salon d’Agriculture in Paris dazu befragt hat, sehen ihn eher als (Landwirtschafts-)Minister und weniger als Präsidenten; er bekam etwas mehr als 3% der Stimmen (und damit immerhin mehr als Anne Hidalgo!) Und, last but not least, Emmanuel Macron, der gerne als Präsident wiedergewählt werden will, und dem vorgeworfen wurde, dass er keine richtige Kampagne gemacht habe, er wird sich jetzt aber umso mehr in den Wahlkampf werfen, heißt es.

Alle Kandidaten, die sich zukünftig nicht mehr im zweiten Wahldurchgang finden, geben nun Wahlempfehlungen (oder nicht) für ihre WählerInnen aus – mal direkter, siehe Mélenchon, mal weniger: Valérie Pécresse etwa sagt “ich wähle Macron”, das ist ein Statement, aber sie fordert niemanden explizit auf, es ihr gleichzutun. Lassalle geht noch weiter: Seine WählerInnen könnten selbst entscheiden, was sie tun wollen, er gebe keine Empfehlung. Zemmour und Dupont-Aignan hingegen sagen klar, dass sie Le Pen wählen und fordern ihre WählerInnen auf, sich dieser Entscheidung anzuschließen, insofern hat Marine Le Pen ein gutes Polster an “Zusatzstimmen”, und sie ist daher heute très sereine, “sehr heiter” gestimmt.

Selbst wenn Macron im zweiten Wahldurchgang gewählt wird, wovon ich immer noch ausgehe, hat er trotzdem über 50% WählerInnen (die von Mélenchon, Zemmour und Le Pen) gegen sich, die sich nicht im Parlament vertreten sehen, denn hier gibt es nur “the winner takes it all”, ein Verhältniswahlrecht, wie wir es aus Deutschland kennen, gibt es nicht, was dann wieder Bewegungen wie die Gilets-Jaunes auf die Straße rufen wird, die einzige Möglichkeit des Volkes seine Unzufriedenheit mit der Wahl und mit den Entscheidungen auszudrücken, und es Macron schwer machen wird, zu regieren und mögliche Reformen (Rente mit 65! will hier keiner) durchzusetzen. Schwierige Zeiten.

Qual der Wahl

Wir waren gestern im Bergdorf zur Wahl. Für mich ist es meine erste Präsidentschaftswahl, bei der ich wählen darf. Bei der Stimmenauszählung waren wir aber schon nicht mehr anwesend, ich erhalte die erschütternden Ergebnisse via Whatsapp (16 x Zemmour, 6 x Le Pen, immerhin auch 17 x Macron) auf dem windungeschützten Parkplatz, auf dem wir zunächst auf den Abschleppwagen, dann auf einen Taxifahrer warten, der uns in das noch gut eine Stunde entfernt liegende Zuhause fährt.

Auf der kurvigen Strecke im oberen Vartal, umgeben von hohen und schroffen Schluchten, eine Strecke, auf der das Mobiltelefon stets “nur Notrufe” anzeigt, leuchtet plötzlich ein Alarmlicht auf dem Armaturenbrett unseres altersschwachen Corsa auf und augenblicklich verstehen wir, dass das Geräusch, das uns seit einiger Zeit begleitet, nicht der schlecht befestigte Ventilator ist, der “mal wieder” rattert, sondern etwas anderes. Monsieur ist in der Regel ziemlich cool: befremdliche Geräusche werden lange nicht ernst genommen, und bei aufleuchtenden Pannen-Lämpchen, ist er überzeugt, dass nur das Birnchen des gelb leuchtenden Signals einen Wackelkontakt hat. Das rote Licht gestern aber stimmte ihn erstaunlicherweise sofort nervös. Gerade fuhren wir durch ein winziges Bergdorf, in dem es, das wissen wir, einen Autoschrauber gibt, wir entdecken sogar das Hinweisschild, rufen vergeblich an, fahren trotzdem bis zur Werkstatt, wo offensichtlich auch das Wohnhaus ist, aber klar, es ist Sonntagabend, außerdem werden in ein paar Minuten die Stimmen im Wahllokal ausgezählt, niemand ist da. Monsieur fuhr also vorsichtig wieder zurück auf die kurvige Bergstraße und glücklicherweise geht es bergab. Dann hört das Geräusch schlagartig auf, aber die Erleichterung darüber dauert nur etwa eine Sekunde, dann leuchten alle Alarmlämpchen gleichzeitig auf. Houston, wir haben ein Problem. Monsieur, der aus einer Autoverrückten und Rallyefahrenden Familie stammt, lenkt uns nun schwungvoll aber souverän durch die unteren Serpentinen, solange es bergab geht, rollen wir auch ohne wirklich reagierendes Auto weiter; er hofft, es bis zu einer Tankstelle weiter unten im Tal zu schaffen, aber letzten Endes wird es dann doch dieser große zugige Parkplatz mitten im Nichts. Das Auto raucht und es riecht brenzlig, als wir die Motorhaube öffnen. Nun gut. Wir sind versichert. Und das Mobiltelefon findet ein Netz. Wir warten nur etwa eine Stunde auf den Abschleppdienst (eine junge Frau!) und dann erneut eine gute Stunde auf ein Taxi, das uns nach Hause bringen wird. Zwischenzeitlich wird es dunkel und kalt. Damit das erwartete Taxi uns sieht, winke ich immer mal hoffnungsvoll ins Dunkel, kaum, dass ich Scheinwerfer auf der schwach befahrenen Straße sehe. Das ist fatal, man hält mich mit meiner roten Daunenjacke und der pinkfarbenen Baskenmütze für eine Professionelle, die auf diesem abgelegenen Parkplatz auf Kundschaft wartet. Nach dem ersten Missverständnis lasse ich das Herumwinken und warte brav, bis das Taxi uns von alleine entdeckt. Das Taxi kommt von weit und brauchte noch länger als angekündigt, weil der Fahrer Wahlhelfer war und bei der Stimmenauszählung seines Dorfes mitwirkte. Es gab Unklarheiten, erklärte er, es musste zweimal ausgezählt werden. Aber er ist jetzt ganz zufrieden, nicht nur, weil er an diesem späten Abend noch 400 Euro verdient (und etwa fünf Stunden dafür fährt), sondern weil letzten Endes Marine Le Pen haushoch gewonnen hat. Ich missverstehe ihn zunächst, man ist ja doch gefangen in seiner eigenen Filterblase. “Wirklich?”, frage ich schockiert nach. “In Annot?” Dann müssen wir uns eine lange Rede anhören, Stil, man habe diese Politikerclique satt, und mit Marine wird endlich alles anders und besser für das gemeine Volk blabla. Ich kenne Annot als alternatives Dorf, habe dort zu einer Zeit Käse auf dem Markt verkauft, an einem fantasievollen mehrtägigen Fest mit tollen Künstlern teilgenommen, bei dem wir auf einem tollen Platz Theater gespielt haben, und zu dieser Zeit galt Annot als das “bessere” Dorf im nahen Nachbardepartement, viele alternativ angehauchte Menschen, die ich kenne, sind dorthin gezogen. Aber das ist vorbei, erfahre ich. Jetzt weht dort ein anderer Wind und man wählt stramm Marine Le Pen. Nun, ich sage nicht mehr viel, Monsieur rettet sich in ein neutrales Thema: Autos und Technik. Um 23 Uhr sind wir endlich zuhause und sehen nun auch die ersten Wahlergebnisse im Fernsehen.

Heute morgen finde ich in der Zeitung das Ergebnis für Cannes direkt neben dem von Châteauneuf d’Entraunes. Dass Macron beide Male vorne liegt, liegt nur daran, dass Zemmour überall ein paar der Stimmen von Marine Le Pen abgefischt hat. Zählt man beide zusammen, bekommen wir ein schönes düsteres Stimmungsbild.

kein Kommentar

Ach so, das Auto. Ich habe es sehr geliebt. Es war ursprünglich mal “mein” Auto, und hat mir und uns treu und zuverlässig gute Dienste geleistet, aber die Reparatur übersteigt nun bei Weitem seinen Wert. Der TÜV steht in einem Monat an, und auch wenn die contrôle téchnique in Frankreich weniger streng ist und wir es die letzten zwei Male immer noch gerade so mit ein paar kleineren Reparaturen durchgekriegt haben, dieses Mal wäre es sehr wahrscheinlich das Aus geworden. Der kleine Corsa wird also verschrottet. Adieu, petite Corsa!

Adieu!
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8 Responses to Nach der Wahl …

  1. Caroline Bahri sagt:

    Danke dir sehr für die Erklärungen zur Wahl. Wirklich erschreckendes Ergebnis hier rundum. Hoffentlich war das nur Ausdruck des Protests und man besinnt sich für die 2. Runde doch noch auf die Vernunft. 400 € für die Taxifahrt! Wahnsinnig teuer, die Taxis hier. Habe letztens für die Fahrt vom Airport Nizza bis Antibes (ca. 14 km) 90 € bezahlt. Leider war der letzte Bus schon weg. Ja, schade um den Clio, hab selbst schon drin gesessen.
    Am Wochenende bekomme ich Besuch aus Deutschland und habe mir als Mitbringsel deinen neuen Roman gewünscht.

  2. Croco sagt:

    So ein Autochen zu verabschieden tut schon weh.
    Ach, und die Rechten. Was sind das für Menschen, die ihre eigenen Gedanken abgeben wollen und jemanden suchen, der alles für sie erledigt. So als ob einfache Erklärungen richtig wären.
    Unser Dorf ist peinlicherweise eine Hochburg. Ich kann es auch erklären, werde dann aber unsachlich. Jedenfalls wohnen hier Menschen, die sich eine strenge Hand wünschen und ein straff patriarchalisches Weltbild haben. Es ist zum Mäusemelken!

    • dreher sagt:

      Jaa, seufz 😢 aber da ich schon zweimal fürchtete, es nicht durch den TÜV zu bekommen, habe ich mit der Trauerarbeit schon vor einiger Zeit begonnen.

      Ich weiß wirklich nicht, wer die 22 extrem Rechten im Dorf sein sollen 😔 aber gut, da oben ist es konservativ. Schlimmer ist, dass 50% der Franzosen/innen extrem rechts oder extrem links stehen und damit Putin nah und Europa fern 🙄😢

  3. Sunni sagt:

    Danke für die tolle, wenn auch traurige Wahlbeschreibung. Es ist wirklich schlimm, aber was will man tun…
    Adieu für das kleine, hübsche Auto. Es ist doch immer komischerweise, als nehme man von einem Freund Abschied. Meines bockte heute, nachdem ich es gestern so überaus gelobt hatte. 17 Jahre treue Leistung. Aber es scheint der Monat der bockigen Autos zu werden. Warten wir ab.
    Ihnen alles Gute! Herzlich, Sunni