Malpasset

Vielleicht haben Sie es schon gesehen, Hilke Maunder hat auf ihrem Blog einen Text meines Mannes Thierry Cazon, Ihnen eher als “Monsieur” bekannt, veröffentlicht. In der Serie “Mein Frankreich” gibt Hilke auf ihrem Blog anderen Menschen Raum zu erzählen: in der Regel erzählen sie, wie sie Frankreich entdeckten oder welches Ereignis ihre Liebe zu Frankreich begründet hat. Thierry ist Franzose, er musste Frankreich nicht entdecken, aber er erzählt von einem Ereignis, das sein Leben geprägt hat: Der Staudammbruch von Malpasset.

Das Thema kommt Ihnen bekannt vor? Kein Wunder, ich habe die Geschichte des Staudammbruchs, basierend auf den Nachforschungen von Thierry, für meinem letzten Kriminalroman “Verhängnisvolle Lügen an der Côte d’Azur” verwendet.

Wenn Thierry sich nicht seit fast zehn Jahren so an diesem Thema festgebissen hätte, wäre dieser Roman nicht entstanden. Ihn hat die Arte Dokumentation vom 22. Januar 2013, die sich eigentlich um die schwierige deutsch-französische Annäherung drehte, und in der, quasi in einem Nebensatz, gesagt wurde, dass der Staudammbruch von Malpasset, den er als Vierzehnjähriger miterlebt hat, und der in Frankreich bis heute als tragisches Unglück gilt, in Wahrheit ein terroristisches Attentat gewesen sei, aufgerüttelt und schockiert.

Seit dieser Zeit wollte ich die Überreste des Staudamms, heute eine Gedenkort unter freiem Himmel, besuchen. Einmal konnten wir nicht bis an den Ort vordringen, da die Zufahrtsstraße vom wieder frei fließenden Flüsschen Reyran nach ein paar Regentagen geflutet war, dann war Covid und das Herumfahren war nicht erlaubt, aber Anfang letzten Jahres, als klar war, ich werden den Krimi darüber schreiben, ließen wir uns auch von der erneut gefluteten Zufahrtsstraße nicht mehr abhalten und zischten mit unserem Mini-Auto, das somit eine unfreiwillige Unterbodenwäsche bekam, mutig durch die Furt, um den Gedenkort Malpasset zu erkunden.

Beginn des Rundwegs

Es ist interessant, zu erwähnen, dass es, solange ich an meinem Kriminalroman arbeitete, stets dieselben kleinen Videos und Zeitungs- und andere Artikel im Internet gab, alles in allem nicht mehr als eine Handvoll deutscher und ein paar mehr französischer Quellen.

Nachdem Thierry seinen Text an ein paar Menschen in seinem Umfeld gesandt hatte, explodierten quasi über Nacht die Beiträge im Internet und “ertränkten” somit die Domain(s) die Thierry kreiert hatte. Gerade habe ich erneut probehalber “Malpasset” bei Google eingegeben, das mir heute erstaunliche 280.000 Einträge findet! 280.000, stellen Sie sich das mal vor! Darunter, und stets an prominenter Stelle ein Beitrag von France Météo, dem französischen Wetterdienst, der eine Seite “pluiesextremes” (extremer Regen) geschaffen hat, die einen Experten zitiert, der Malpasset als Beispiel für einen Staudammbruch aufgrund starken Regens aufführt. Alle anderen der angeblich alten, aber im Prinzip neuen zweihundertachtzigtausend Beiträge, Sie denken sich das, verteidigen (in zum Teil für den Laien unverständlichen technischen Veröffentlichungen) ebenso die These des Unglücks. Natürlich liest (überfliegt) man nur die ersten zehn oder zwanzig Texte oder sieht ein paar Videos, dann gibt man es auf. Malpasset war ein Unglück. Sagen doch alle.

Wenn Sie uns helfen wollen Thierrys Domains wieder aus den Fluten der anderen Artikel zu fischen und sichtbar zu machen, dann klicken Sie gerne hier (Text deutsch) oder hier (Text englisch) oder hier (Text französisch).

Gerade habe ich in Massen bei Unna unter anderem aus ebendiesem Krimi (“Verhängnisvolle Lügen …”) gelesen; das Thema des Staudammbruchs berührte die Menschen dort vielleicht mehr als an anderen Orten, denn Unna hat vor fast 80 Jahren seinen eigenen Staudammbruch erlebt. Die nahe liegende Möhnetalsperre wurde, ebenso wie die Edertalsperre, in der Nacht vom 16. zum 17. Mai 1943 von der britischen Luftwaffe während der “Operation Chastise” (meint “Züchtigung”) bombardiert, und riesige Flutwellen zerstörten die umliegenden Orte. Brücken, Viadukte, Häuser wurden von der Wucht des Wassers davongespült, mehr als tausend Menschen ertranken. Darunter, und das ist besonders tragisch, über 700 französische und ukrainische Zwangsarbeiterinnen, die in der dort ansässigen Rüstungsindustrie arbeiten mussten, und die in einem Lager unterhalb der Möhnetalsperre, eingesperrt waren. Fast keine von ihnen hat überlebt.

Das Buchhändlerehepaar hatte für mich einen Ausflug dorthin organisiert, da sich aber aufgrund des verspäteten Fluges alles verzögerte, sah ich die wieder aufgebaute und intakte Möhnetalsperre nur beeindruckend groß und düster und, aufgrund neuer Energiesparmaßnahmen, beinahe unbeleuchtet in der Nacht. Wir liefen durch Wind und Wetter über den Damm. Aber den riesigen Stausee, der in der Gegend als “kleines Meer” bezeichnet wird, und an dessen Ufer wir entlangfuhren, konnte ich nur erahnen.

Zum Abschied schenkte man mir ein Buch (alle Anwesenden haben es mir signiert!): “Nachtauge” (von Titus Müller), der die tragische Geschichte der Bombardierung der Möhnetalsperre in einen fesselnden Roman gepackt hat. “Nachtauge”, das denken Sie sich, ist derzeit meine Bettlektüre. Es ist sehr spannend, zwei Handlungsstränge werden nebeneinander erzählt und stoßen schließlich aufeinander, – einmal der, um die kaltblütige deutsche Spionin “Nachtauge”, die mit allen Mitteln versucht, etwas über die ultra-geheimgehaltene “Operation Chastise” (die Bombardierung der Möhnetalsperre) in Erfahrung zu bringen, sowie der, um die ukrainische Zwangsarbeiterin Nadjeschka, die mit anderen russischen und ukrainischen jungen Frauen in der Munitionsfabrik in Neheim Schwerarbeit leistet. Gerade bin ich lesend an der Stelle angelangt, wo die Möhnetalsperre bombardiert wurde und die Flutwelle das unterhalb liegende Städtchen Neheim erreicht. Dass ich selbst gerade vor Ort war, macht mir die Lektüre noch eindringlicher.

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10 Responses to Malpasset

  1. roswitha sagt:

    Danke für diesen Roman, der Menschen ein fast vergessenes Ereignis ins Gedächnis ruft, wir haben ihn mit Spannung gelesen(wie alle anderen). Und dieser Bericht als Hintergrund erschüttert mich sehr, weil es eine Art von Meinungshochheit ist, die so durchgesetzt werden soll um unangenehme Fragen zu unterbinden. Es fehlt das ruhige Nachforschen, wie Ihr es getan habt.
    Alles Gute, herzlich Roswitha

    • dreher sagt:

      Vielen Dank Roswitha!
      Ich war bei Ihnen (mit Interesse) lesen, stolperte über Herrn Ackerbau und kam zu Friederike vom Landlebenblog, wo ich erneut einen Text von Herrn Ackerbau über Berlin las.
      Klein ist die Welt!
      Danke fürs Lesen und Schreiben!

  2. R.Wadel sagt:

    Vielen Dank für den Link zum Text Ihres Mannes.
    “Man blickt in einen Abgrund”, habe ich an anderer Stelle geschrieben. Und man sieht an seinem Grund einen alten Bekannten: den BND.
    Zu letzterem gab es am letzten Wochenende einen interessanten Artikel in der SZ:
    https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/bnd-nazi-taeter-organisation-gehlen-e974271/
    Gruß!

  3. Ursula Weber sagt:

    Vielen Dank für den interessanten Bericht und die vielen eindrucksvollen Fotos.
    Sehr beeindruckt hat mich die aufwendige, mühevolle Recherche deines Mannes (vielen Dank für den Link) zu dem Staudammbruch von Malpasset. Die fast 10-jährigen Nachforschungen von Thierry Cazon sind höchst interessant‼️
    Alles Gute für Euch und herzliche Grüße U. 🍀💙💛

  4. Croco sagt:

    Das fand ich in Deinem Roman schon erschütternd: ein schreckliches Ereignis wird umgedeutet aus politischen Gründen. Dass das genau recherchiert war, war mir da schon klar, aber nicht, wie genau. Danke sehr für die beeindruckenden Fotos und die Recherche Deines Mannes.
    Mich erinnert all das ein wenig an das Oktoberfestattentat. Das war mit Sicherheit auch ganz anders als es dargestellt wurde. Staatsräson, die blöde Nuss.

  5. David Schulte-Vogel sagt:

    Danke, mit großem Interesse gelesen!