St. Tropez

Ein in jeder Hinsicht alter Freund von Monsieur bat uns, nach St. Tropez zu kommen. Um mal ein bisschen anzugeben sage ich Ihnen, dass er der Begründer der international bekannten Bademodenmarke Vilebrequin ist, was übrigens Kurbelwelle heißt, die eiserne Wendeltreppe im ersten Laden in St. Tropez erinnerte den autoverrückten ehemaligen Formel 1-Fotografen an eine solche. Nun, die Generation Brigitte Bardot, wie ich gerne etwas respektlos sage, ist nun fast neunzig, besser man sieht sich nochmal in, hmhm, sagen wir alter Frische. Wir verbrachten einen wundervollen Nachmittag in einem der angesagten Restaurants am Strand Pampelonne, die, nachdem man vor ein paar Jahren alle seit mehr als fünfzig Jahren existierendenden, aber zumeist illegal erbaut und zumindest improvisiert aussehenden “Restaurant-Hütten” abgerissen und nun nicht nur juristisch neu aufgestellt hat, nun keine Hütten mehr sind, sondern schickissime Restaurants, denen man die gesetzlich vorgeschriebene “Leichtbauweise” (wieder abbaubar) nicht ansieht, anders als in Cannes, wo die neuen Strandpavillons alle aus Containern zusammengebastelt wurden, nur äußerlich halbwegs kaschiert unter ein paar Holzlatten und etwas maritimer Deko. Die Restos am Strand Pampelonne, der, um korrekt zu sein nicht zu St. Tropez sondern zu Ramatuelle gehört, sind schick und teuer, und das ist auch so in der tiefsten Wintersaison, in der etwa neunzig Prozent der Hotels, Restaurants und Geschäfte in St. Tropez geschlossen sind. Ein Resto am Strand hatte immerhin geöffnet, man kann in diesen Tagen auch unreserviert einen Platz finden und muss dafür auch nicht unbedingt mit einem lokalen VIP auftauchen. Es war sonnig und windstill – das Mittelmeer und auch die meisten Tischnachbarn angenehm ruhig – und nein, ich habe es in diesem Ambiente nicht mal gewagt, mein Handy zum Instagram-Beweisfotomachen herauszuziehen.

Freitagsnachmittags dann fanden wir nicht nur einen freien sondern vor allem kostenfreien (bis April!) Parkplatz mitten im Zentrum. Die Schilder, die auf den samstäglichen Markt hinwiesen, schienen uns nicht verdächtig. Wir glaubten, den am äußersten Rand des Geschehens geparkten Wagen auf sicherem Terrain. Die Dame an der Rezeption des einzigen geöffneten Hotels nickte meine Frage, ob wir dort stehenbleiben könnten, ab. Alles gut. Aber vermutlich habe ich die Frage nicht richtig gestellt oder die Antwort missverstanden. Denn richtig müsste es lauten: Natürlich können Sie von Freitag auf Samstag am Place des Lices stehenbleiben, wenn Sie das Auto dann auf der fourrière, dem Abschleppparkplatz der Police Municipale, wiederfinden wollen. Nun gut.

Das ganze kostete einen kleinen Spaziergang (glücklicherweise liegt die fourrière in St. Tropez, anders als in Cannes, nicht weit entfernt und St. Tropez ist wirklich sehr klein, was einem im Sommer mit all den die Straßen verstopfenden Autos und Menschen nicht so bewusst wird), insgesamt eine knappe Stunde für das administrative Prozedere und 127 Euro, plus einen Strafzettel für widerrechtliches Parken, der noch erwartet wird.

Aber ich habe vorgegriffen, zunächst nämlich promenierten wir frohgemut durch das beinahe komplett geschlossene und menschenleere Städtchen, bestaunten im Hafen ein paar Schiffe und genossen den Sonnenuntergang.

Unser Abendessen nahmen wir in einem kleinen Restaurant ein, wo das Sehen und Gesehenwerden, komplett egal ist, es war gut und erschwinglich, und wir waren dieses Mal, so schien es uns, fast ausschließlich von echten Tropezien umgeben. Am nächsten Tag, nachdem wir das Auto wieder ausgelöst und anderweitig geparkt hatten, trafen wir uns mit der jungen Autorin und Verlegerin Natalie Fischer und André Rondini (er stammt aus der Familie der St. Tropez-Sandalen-Manufaktur Rondini) auf dem (im Winter nur kleinen) Markt. Monsieur erstand dort bei einem Bouquinisten, wie könnte es anders sein, ein Buch, ich erwarb einheimischen Lavendelhonig und wir ließen uns später von Natalie und André ihr St. Tropez auf weniger bekannten Wegen zeigen, soweit im kleinen St. Tropez Wege noch weniger bekannt sein können. André Rondini ist eine lebende Enzyklopädie, nichts, was er nicht wüsste über St. Tropez, und niemand, den Natalie und er nicht kennen: Wir kamen so überall ins Gespräch mit Fischern und echten Einwohnern von St. Tropez, und manches Mal hatte ich bei den Gesprächen das Gefühl an einem Pagnol-Stück teilzunehmen. Sehr charmant und sehr authentisch. Ein herzlicher Dank für diese persönliche Stadtführung an Natalie und André!

Falls Sie des Französischen mächtig sind, können Sie hier einem der älteren Fischer aus St. Tropez (den wir während unseres Spaziergangs kennengelernt haben!) und seinem Sohn zuhören, wie sie über ihr Metier erzählen und wie es sich von früher zu heute verändert hat. Falls es mit der Sprache schwierig sein sollte, genießen Sie vielleicht einfach die Bilder. (Leider haben Sie über eine Minute Werbung, bevor es losgeht.)

Natalie, die seit ihrer Kindheit mit St. Tropez verbunden ist, hat zusammen mit ihrer Schwester vor ein paar Jahren den kleinen Mons Verlag gegründet; die Schwestern geben zusammen ein anspruchsvolles und nicht alltägliches Buchprogramm heraus. Ich erwarb die letzte Neuerscheinung des Verlages, Natalie Fischers großformatiges, liebevoll gestaltetes und zweisprachig angelegtes Werk (französischer Text von André Rondini), das Geschichte und Geschichten über und aus St. Tropez enthält, von Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen. Im Buch stellt die Autorin die noch ansässigen Fischer (die, die Sie auch im Video sehen, und die wir bei unserem Spaziergang kennengelernt haben) vor, ebenso Landwirte, Schäfer, Winzer, Imker und Handwerker. Man bekommt ebenso traditionelle Rezepte und Ausflugstipps in die Umgebung; dieses “Kaleidoskop der Region”, wie der Untertitel lautet, wird angereichert durch zahlreiche Abbildungen von Gemälden, alten Postkarten, Briefen, Fotos und Dokumenten, manches davon erstmals in die deutsche Sprache übersetzt.

Der Band ist schwer, aber nicht zu sehr, man könnte ihn gerade noch mitnehmen und unterwegs darin lesen, so wie ich es für meine Bilder heute Nachmittag machte, aber vielleicht liegt er doch besser auf einem Tisch (das Buch ist fadengebunden und lässt sich gut aufschlagen!) und man schmökert und blättert vor oder nach seinen Spaziergängen in und um St. Tropez darin herum, ein marineblaues Lesebändchen hilft, manche Seite des in fünf Kapiteln aufgeteilten Buches wiederzufinden. Sehr hochwertig gemacht, mit einem griffigen und matt gestrichenen Bilderdruckpapier, das die Abbildungen, darunter viele ganz- und doppelseitige, kräftig und leuchtend strahlen lässt. Ein mehrseitiger Anhang mit Quellen-, Literatur- und Personenregister macht aus diesem Werk, das eine große Liebeserklärung an St. Tropez ist, auch ein ernstzunehmendes Nachschlagewerk.

Wir haben noch lange nicht alles gesehen in St. Tropez, es gibt noch viele Sträßchen zu durchlaufen, auch das Musée de L’Annonciade oder das kleine und originelle Maison des Papillons, zu dem man über im Asphalt eingelassene Schmetterlinge findet, haben wir dieses Mal ausgelassen. Wir werden also wiederkommen! Bis dahin werde ich noch ein bisschen lesend in die Geschichte und Geschichten von St. Tropez eintauchen.

ps: gerade erfahren, dass das morsche Pointu St. Tropez (erstes Foto des Artikels), das laut Natalie Fischer seit Jahr und Tag am Hafen von St. Tropez auf dem Trockenen lag (Natalie kennt die Geschichte dieses und vieler anderer Pointus, die im Hafen liegen), abtransportiert wurde. Ich bin so froh, es noch gesehen zu haben!

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9 Responses to St. Tropez

  1. Daniela sagt:

    Danke, für den Blick auf dieses schöne Städtchen abseits der Saison (trotz all der Widrigkeiten). Ich bin immer wieder gerne dort und nutze dann die bateaux verts. Man umgeht damit im Sommer den lästigen Stau, die Parkplatzsuche und kann in den Städten, von denen man aus startet ganz bequem im kühleren Parkhaus parken. Ein Eis oder ein Stück Tarte Tropezienne und ein Espresso bis zur Abfahrt runden das Vergnügen ab. Das Buch interessiert mich und ich freue mich schon jetzt auf eine Fortsetzung des Stadtbummels. Liebe Grüße * Daniela

    • dreher sagt:

      Dankeschön!
      Von Cannes aus gibt es in der Saison auch eine Fähre nach St Tropez – habe ich aber noch nie genutzt. Ich behalte das im Kopf.
      Das Buch gibt es vor Ort im Buchhandel oder direkt beim Mons Verlag, ich habe ihn im Text verlinkt, hier nochmal – Adresse muss man aber ins Suchfeld eingeben, anklicken klappt im Kommentar vielleicht nicht https://monsverlag.de/
      Liebe Grüße!

  2. Peters sagt:

    Danke, für den schönen Bericht. Ich habe mir schon öfter vorgenommen mit der Fähre nach St Tropez zu fahren, da ich selten mit dem Auto vor Ort bin. St. Tropez im Winter ist wirklich schön ! Schade, dass diese Fähren nicht im Winter fahren.
    Ich meine mich auch zu erinnern, dass die Fähre nicht gerade günstig ist.
    Liebe Grüße aus Antibes
    Kathrin

    • dreher sagt:

      Sehr gerne :-)
      Ich habe keine Ahnung, was die Fähre kostet, aber die Benzinkosten plus Autobahngebühren plus Parkgebühren (oder Abschleppgebühren :-( ) summieren sich auch – aber natürlich ist man mit Auto flexibler, man kann auch an den Strand fahren, der ja auch ein Stück entfernt ist oder nach Ramatuelle oder Cogolin …
      aber im Winter fährt die Fähre leider nicht, das ist richtig –
      Liebe Grüße!

  3. Marion sagt:

    Ui, schöner Ausflug. Mit einem kurzen Abstecher nach St. Tropez auf der Durchreise im Herbst ’93 verbinde ich nur Stau, Stau, Stau…

  4. Croco sagt:

    In den Achzigern waren wir mal da. Ein vollgestopftes Städtchen und vor lauter Menschenköpfen sah man nichts, woran ich mich erinnern könnte. Ich war enttäuscht, erwartete ich doch Vespa und Brigit Bardot.
    Auf den Fotos im Winter sieht St. Tropez so aus, wie es vermutlich ursprünglich mal war und alle verzaubert hat. Man sollte nur im Winter ans Meer reisen, und im Sommer in die Skigebiete.

  5. dreher sagt:

    Ah oui, barfuß am Hafen wird in St Tropez nicht mehr getanzt…
    Im Winter ans Meer, absolut! Viele (frz.) Skiorte sind im Sommer aber eher trostlos : große leerstehende Ferienwohnungskomplexe, die nur mit viel Schnee zu ertragen sind. Obwohl es zunehmend Versuche gibt, auch im Sommer attraktiv zu sein.