Cannes – Nachlese und Anschwimmen

Die goldene Palme haben nun also weder Wim Wenders, noch Ken Loach noch Martin Scorsese bekommen (alle drei Filme wurden hoch gelobt!), sondern nein, eine Frau, die dritte in der Geschichte der Goldenen Palme, man versucht da etwas aufzuholen, die Französin Justine Triet bekam sie für ein Krimi-Gerichts-Drama “Anatomie d’une chute” – es sei ein packender Film, wurde mir gerade von einer Freundin berichtet, die den über zwei Stunden dauernden Film in einer der Vorstellungen für die Einwohner von Cannes heute gesehen hat (ich konnte ihn nicht sehen, wir waren anderweitig unterwegs). In einem Gerichtsprozess wird versucht zu klären, ob ein Mann, Ehemann und Vater, Selbstmord begangen hat oder ob er von seiner Frau, einer Autorin, gespielt von der deutschen Schauspielerin Sandra Hüller, ermordet wurde.

Bei der Übergabe der Palme kam es zu einem kleinen Skandal, da Justine Triet in ihrer Dankesrede die Rentenreform Macrons stark kritisierte und seine neoliberale Politik grundsätzlich, sie beklagte außerdem die Kommerzialisierung der Kultur in Frankreich, die mit dieser Politik einhergehe.

Die Kulturministerin fand diese engagierte Rede, die im übrigen von vielen Menschen im Publikum applaudiert wurde, aber von ebensovielen Menschen auch als unangebracht (und undankbar) galt, skandalös, da Justine Triets Film mit öffentlichem Geld gefördert worden war. Witzige Szene, als Jane Fonda, die die Palme übergeben durfte, der Filmemacherin hinterher eilte um ihr das offizielle Dokument, das sie neben dem Mikro vergessen hatte, mitzugeben und es ihr letzten Endes hinterherwarf. Ganz geklärt wurde nicht, ob dies ein Kommentar Fondas zu Triets Rede gewesen ist oder schlicht ein Lapsus.

Sandra Hüller war noch in einem anderen Film in Cannes vertreten, “The Zone of Interest”, dort verkörpert sie die Gattin von Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten von Auschwitz, die in ihrer schönen Villa umgeben von einem paradiesischen Garten, in unmittelbarere Nähe zum Konzentrationslager, eine Familienidylle aufbaut. Dieser Film bekam den Großen Preis der Jury, ebenso eine wichtige Auszeichnung.

Ich würde gerne zu Sandra Hüller hier ein kleines Video einfügen, das ich aber bislang nur auf Facebook gefunden habe. Nicht sicher, ob es (für Sie alle) funktioniert.

Sandra Hüller kennen Sie vielleicht aus dem seinerzeit, nicht nur in Cannes, hochgelobten Film “Toni Erdmann”, den ich hingegen vor allem verstörend fand. Nun gut.

Einen Film, den ich gerne ansehen werde, wenn er im Kino erscheinen wird, stammt vom Franco-Vietnamesen Trần Anh Hùn, ein Film über das Essen, das Leben und die Liebe (manchmal will man ja auch einfach nur was Schönes sehen, nicht wahr; dass das Kino heutzutage viel zu sozialkritisch sei und uns zu wenig träumen lasse, wird hier auch immer wieder kritisiert) mit Benoit Magimel und Juliette Binoche. Die Kritiken sind positiv: der Filmtitel sei unverdaulich und lasse Schlimmstes befürchten, hieß es (La passion de Dodin-Bouffant ist der französische Titel, der Englische hingegen lautet Pot-au-feu) man habe erwartet, ein Remake etwa von Babettes Fest zu finden, oder eine Abwandlung von La grande bouffe, das Thema ist ja nicht neu, mir fällt dazu noch Bella Martha ein. Aber anscheindend ist es dem Realisateur gelungen, etwas völlig Neues zu filmen und Magimel und Binoche, die im echten Leben einmal ein Paar waren und einen Sohn eine Tochter zusammen haben, verkörperten ihre Liebesgeschichte glaubwürdig und “glühten” in ihren Rollen.

Und damit Sie das auch noch wissen: Was wir zwischenzeitlich im TV gesehen haben: die Serie “Back to life”. Sehr britisch. Zwischen Lachen und Schaudern. Aber absolut sehenswert.

Noch etwas, was Sie vielleicht nicht wussten und ohne das Sie genauso gut weiterleben könnten: Im Hotel Martinez wurden für die Zeit des Filmfestivals vier Falken angeheuert, also genauer gesagt zwei Falkner mit ihren Falken, die die Tauben und die Seemöwen in Schach halten sollten. Die Tauben sind ein bisschen aufdringlich und hüpfen ohne Scheu auf die Teller der Gäste auf der Terrasse und sind das, was man hier “pique-assiette” nennt, jemand, der von ihrem Tellerchen mit isst, ohne zu bezahlen, ein Schmarotzer auf gut Deutsch; die Seemöwen aber (ebenso pique assiette, das wollen wir nicht vergessen), haben gerade Brutsaison, nisten auf Dächern und in Nischen der Hotels und umliegenden Häuser, und sie fühlen sich und ihre Jungen schnell von den vielen Menschen bedroht und werden daher aggressiv. Wenn die Falken unterwegs sind, bleiben die Möwen im Nest und die Tauben verkrümeln sich, ohne die Krümel auf dem Teller mitgenommen zu haben. Andere Restaurants versuchen das zu erreichen, in dem sie Winddrachen in Greifvogel-Optik, die sich im Wind hin und her bewegen, anbringen. Da denke ich, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Tauben und Möwen bemerkt haben, dass es ein Fake-Falke ist. Sie sind ja nicht doof, diese Tiere. Gestern erlebte ich, wie in unmittelbarere Nähe dieses Fake-Falken eine Seemöwe eine Taube erlegt hat. Nicht schön anzusehen.

Nachtrag mittendrin: da mich gerade Herr Buddenbohm exakt wegen dieses Falken-Phänomens verlinkt hat (Merci nach Hamburg!) liefere ich einen (französischen) Artikel inklusive Film dazu nach. Das Hotel Martinez macht das wohl erfolgreich schon ein paar Jahre. Und nochmal explizit: Es geht nicht darum, Tauben und Möwen zu jagen und zu töten. Es geht darum, ihnen zu signalisieren, dass rund um das Hotel Martinez “feindliches” Terrain sei, und sie so fernzuhalten.

Anderes Thema: Ich habe zwischenzeitlich die Schwimmsaison im Meer begonnen. Letzten Montag, um genau zu sein. Das Wasser hat derzeit 17°C, für die, die es interessiert. Die Wassertemperatur zu wissen, ist ja beim täglichen Meeres-Schwatz ein MUST. 17 Grad also. Ist ok. Etwas frisch beim Reingehen, aber schnell spürt man es nicht mehr. (Wir waren heute eingeladen und der dortige Pool war auf 29 Grad geheizt! Verrückt!) Ich schwimme also seit Montag jeden Tag und bin wahrhaftig beglückt, auch über meine Kondition, das Winter-Hallenbad-Schwimmtraining war nicht umsonst! Am Donnerstag, auf dem Weg zur großen Boje, die, ich weiß es nie, etwa bei 300 oder 400 Meter draußen im Meer herumdümpelt, und die den Schwimmbereich begrenzt – wenn Sie weiter rausschwimmen und etwa von einem Motorboot erfasst werden, sind Sie selbst schuld – ich schwamm also am frühen Morgen, kaum Menschen am Strand, es war noch beinahe windstill, das Meer kräuselte sich nur zu kleinen plätschernden Wellen,

ich war wirklich glücklich so alleine im Meer, da brizzelte es erst an einem Arm, es kam so überraschend wie mein Schrei, und zack brizzelte es nochmal am anderen – ich sah sie nichtmal, aber ich wusste, ich bin in die Tentakeln einer der lieblichen Feuerquallen geschwommen. Energisch, um nicht zu sagen panisch, schwamm ich zurück – die Stellen an den Armen brennen, es war zunächst weniger schmerzhaft als letztes Jahr, als sich ein größerer Tentakelarm um meinen Unterschenkel gewickelt hatte; zunächst erinnert es dieses Mal nur ein wenig an eine Begegnung mit Brennnesseln und ich hoffte, dass es weniger schlimm würde. Aber nein, drei Tage später habe ich erneut überall kleine, juckende und mit Lymphe gefüllte Bläschen an vier Stellen an beiden Armen. Es wird noch eine Weile dauern, bis es abgeheilt ist und man wird es lange sehen. Freitags war ich dann nicht schwimmen und gestern nur ein bisschen im klaren Wasser nah des Strandes, wo ich den Überblick hatte. Ich denke über eine Schwimmweste nach, um wenigstens den Oberkörper zu schützen. Klar, ich könnte auch weiterhin im Hallenbad schwimmen, das im Sommer immerhin das Dach zur Seite schiebt – aber so sehr ich mich im Winter daran gewöhnt habe, so wenig passt es für mich im Sommer. Quallen hin oder her, Meer ist Meer.

Mit allen Vor- und Nachteilen: Überbleibsel von Bier und Zigaretten.

Mit dem goldenen Schwan in der Stadt der Goldenen Palme.

Voilà, das Filmfestival 2023 ist vorbei. Morgen regnet es trotzdem nochmal, danach ist es wahrscheinlich schlagartig Sommer.

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13 Responses to Cannes – Nachlese und Anschwimmen

  1. Maria sagt:

    Danke für die tollen Berichte vom Festival.

  2. Pingback: Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 29.5.2023 – Buddenbohm & Söhne

  3. Marion sagt:

    Coucou, oder doch ein Neoprenshorty? Gerade mal bei Decathlon geguckt, sehr schick und bestimmt hilfreich. Das Schwänchen ist ja süüßß – relaxt Du darin? Ich habe immer noch ein Schwimmtief, nicht gut für die Beine, die schlimm spannen. Die Freibadsaison hat hier ebenfalls begonnen, die Wassertemperatur in meinem Lieblingsbad wird die 19° nicht übersteigen. Es herrscht ideales Fahrradwetter, aber dazu müsste ich das Rad auch erstmal aufpumpen 🤔. Danke für die Filmtipps und sonstigen Eindrücke vom Festival und noch einen schönen Pfingstmontag!

  4. Marion sagt:

    Mein Kommentar ist gerade im Nirwarna verschwunden, also nochmal:
    Wie wär’s doch noch mit einem Neoprenshorty? Hab’ gerade bei Decathlon geguckt, da gibt es hübsche. Das Schwänchen ist ja süüßß, ist das Deiner? Hier hat auch die Freibadsaison begonnen, ich habe meine Motivation immer noch nicht wiedergefunden, dabei spannen die Beine schlimm. Dem Knie geht’s allerdings durch die Dehn- und Kräftigungsübungen, die ich immerhin mache, besser! Immerhin… Wassertemperatur im örtlichen Freibad wird auch nur so bei 19° liegen. Es herrscht ideales Fahrradwetter. Aber dazu müsste ich das Rad erstmal aufpumpen 🤔. Wieso nimmt einem eigentlich nicht einmal jemand irgendetwas ab, seufz? Danke für die weiteren Berichte vom Rande des Festivals und noch einen schönen, erholsamen Pfingstmontag!

    • dreher sagt:

      Da sind sie jetzt beide. Die waren, ohne dass ich sie gesehen hatte, im Papierkorb gelandet 😳😔 Habe sie jetzt reaktiviert. Komisch ist das!

      Ich habe noch einen älteren Kommentar von dir dort gefunden (u. a. zur Rentenreform) und noch 5 weitere Kommentare von anderen Leserinnen 😳😳😳 habe ich jetzt zwar wiederhergestellt und freigegeben, weiß aber nicht mal, von wann sie sind. Sehr sehr eigenartig!

  5. Peters sagt:

    Oh nein, die Feuerquallen sind schon da!

    Toni Erdmann fand ich auch verstörend und Sandra Hüller kann nur ( ich bin kein Experte) einen Gesichtsausdruck, aber Benoît Magimel und Juliette Binoche finde ich super. Kein Vergleich zu Sandra Hüller!

    Vielen Dank für die Informationen aus Cannes

    • dreher sagt:

      Bitte gerne, danke fürs Lesen! Ich habe (noch) keine wirkliche Meinung zu Sandra Hüller. Bin gespannt auf beide Filme!
      LG

  6. Marion sagt:

    Ich habe heute schon 2x kommentiert. Ist nix bei dir angekommen? 🫤

  7. Elisabeth sagt:

    In Tauchgeschäften gibt es so Anzüge, die “Unterzieher” heißen, weil sie dafür gedacht sind, unter einem Tauchanzug getragen zu werden. Sie sind kaum dicker als ein Badeanzug und stören überhaupt nicht.
    Sowas in etwa:
    https://www.tauchshop-online.de/mares_trilastic_she_dive_overall_lycra_overall
    (Das ist ein ziemlich teures Exemplar; wenn man etwas sucht, kann man es sicher aus preisgünstiger bekommen.)