Unterwegs. Auf der Route Napoléon.

Wir waren zu einem Familientreffen in der Nähe von Grenoble eingeladen, in Lus-la-Croix-Haute trafen wir auf Cousins und Cousinen Monsieurs, une cousinade also.

Wir fuhren über die Route Napoléon dorthin, die, wenn man sich das auf der Karte ansieht, von uns in einer fast geraden Linie nach Norden führt. Ganz so gerade wars dann aber nicht, in Wirklichkeit ist sie ungeheuer kurvig und führt über Berge und Hügel und Cols hinauf und wieder hinunter.

Die Route Napoléon heißt so, weil Napoléon am 1. März 1815, mit etwa 1000 Mann von seinem Verbannungsort Elba kommend, in Golfe Juan anlandete und über Cannes, Grasse, Castellane, Digne, Sisteron, Gap bis nach Grenoble und weiter bis Paris lief, um sich die Macht wieder anzueignen, was ihm für immerhin etwas mehr als hundert Tage gelang, bis er bei der Schlacht von Waterloo vernichtend geschlagen wurde. Nachzulesen (auf Deutsch) etwa hier. Sein erster Halt war Cannes, hier übernachtete er, allerdings außerhalb von Cannes, da der damalige Bürgermeister ihm den Zugang zur Stadt verwehrte; der Ort, an dem sie ihre Zelte für ein “Biwak” aufschlugen, war damals Strand; bis heute erinnert die kleine Straße “Rue Bivouac Napoléon” nicht weit vom heutigen Palais des Festivals daran.

Ich füge ein Foto ein, mir ist nämlich gerade dieses ziemlich neue Schild an der Ecke zur Nachbarstraße ins Auge gefallen: “Napoleon kam hier am 2. März 1815 vorbei”. Quasi direkt vor unserer Haustür. Nur, dass unser Haus, obzwar noch im 19. Jahrhundert erbaut, damals noch nicht stand.

Und wie mir auch gerade auffällt, wohnen wir jetzt offiziell an der Straße, die für LKWs ausgewiesen ist.

Die Route Napoléon ist heute eine Ferienroute, heißt auch RN 85, und wird von Motorradfahrern ebenso wie von Wohnmobilen gerne gewählt – um gemächlich (die Wohnmobile) oder schwungvoll (die Motorräder) entweder in den Süden oder wie bei uns, in den Norden zu schaukeln. Der normale Pkw-Fahrer findet sich irgendwo dazwischen und harrt seufzend der Momente, wo er endlich die Wohnmobile überholen kann.

Auf dem Hinweg waren wir etwas in Eile, weil wir zum Mittagessen schon da sein wollten, und weil die im GPS angegebenen dreieinhalb Stunden Fahrzeit natürlich weder die Baustellen, noch die langsamen und unüberholbaren Wohnmobile, noch die Kaffee- und Pipi-Pausen miteinberechnet. Keine Besichtigung von Sisteron also, das am dramatisch aussehenden Felsen klebende Dorf sehe ich nur im Vorüberfahren. Und da ich fuhr, gibts auch kein Foto.

Unterwegs und je näher wir dem Zielort kamen, war es sehr grün! Dieses wunderbare Juni-grün mit wogenden Weizenfeldern, blühenden Wiesen und dazwischen roten Mohnblumenfeldern.

Der Ort selbst lag auch mitten im hügeligen Grün und war im Weiteren umgeben von Bergen, unsere einfache kleine Ferienwohnung hatte auch Blick ins Grüne! Insekten summten und sirrten, Vögel zwitscherten. Es war ganz und gar beglückend, zumal für die ganze Woche Regen angesagt war, es aber bis auf zwei kleine Gewitterschauer angenehm sonnig blieb.

Es wurde drei Tage lang viel erzählt, von heute und von früher, von Kindern, Enkeln und Eltern, es wurden Fotos herausgekramt und betrachtet, in fetten Fotoalben geblättert, und Erinnerungen, schöne und weniger schöne, geteilt, es wurde viel gegessen und getrunken, Boule gespielt und ein bisschen gewandert: eine Strecke zu einem kleinen Wasserfall war den überwiegend 70+ Cousins und Cousinen mit Knie und Hüfte angepasst.

Nach drei Tagen fuhren wir müde gequatscht wieder zurück. Ein bisschen gemächlicher dieses Mal, aber Sisteron, das zu nah lag, als dass wir schon eine Pause hätten machen wollen, sah ich wieder nur im Vorüberfahren. Wir hielten dafür in Digne, offiziell Digne-les-Bains, kleiner verschlafener Kurort, in dem es das Wohnhaus von und ein Museum für Alexandra David-Néel, einer großen Abenteuerin und Reiseschriftstellerin, gibt. Alexandra David-Néel ist die erste Frau, die in die damals “verbotene” Stadt Lhasa in Tibet – illegal, als Bettlerin verkleidet – ein- und wieder ausreiste.

Hier noch ein kleiner Film (in französischer Sprache), in dem uns ein sehr enthusiastischer und sehr junger Mann unter anderem das Haus und das Museum in Digne zeigt. Dort findet auch ein Gespräch mit der dame de compagnie, der “Gesellschaftsdame” von Alexandra David Néel statt, die als junge Frau zehn Jahre mit ihr lebte, nach ihrem Tod ihre Asche in Indien in den Ganges streute und sich ihr restliches Leben um den Nachlass der Reiseschriftstellerin kümmerte.

Falls Sie je nach Digne kommen sollten, gleich gegenüber des Museums (das außerhalb der Stadt, aber nah der Route Napoléon liegt, was einen Abstecher leicht macht) gibt es ein kleines vegetarisches, teilweise veganes Restaurant mit leckerem Essen, selbstgemachten Limonaden und gutem Kaffee.

Was unterwegs übrigens auch üppig blühte, war der Ginster; ich musste unbedingt anhalten, um ihn zu erschnuppern. Katherine Mansfield hatte ein Parfum, das genet fleuri hieß, blühender Ginster. Ich weiß nicht mehr viel von und über die neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield, die ich gelesen habe, als ich vor etwa 25 Jahren nach Neuseeland reiste, warum ich mir ausgerechnet ihr Parfum merken konnte, wissen die Götter. Ich schnupperte also am dottergelben Ginster, und fand den Duft überraschend stark aber angenehm. Leider finde ich aber keine Spur von einem Parfum namens genet fleuri im Internet. Gestern habe ich extra Fragonard aufgesucht, die ja allerhand Blüten-Düfte produziert haben, Ginster gehört wohl zum Duftbukett vieler Parfums, einen reinen Ginster-Duft aber haben sie (bislang) nicht im Angebot.

Wieder zuhause klebt die Katze nun auf meinen Knien fest.

ps: kleiner Nachtrag – wie ich erst dank einer Leserin erfahren habe (merci Eva) sind die rosa und pink verpackten Heuballen, die ich für Zufall oder Verpackungskunst am Wegesrand gehalten habe, ein Zeichen der Solidarität mit an Brustkrebs erkrankten Frauen.

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15 Responses to Unterwegs. Auf der Route Napoléon.

  1. dreher sagt:

    Michael Chevalier schrieb mir auf Facebook: Eigenartigerweise gibt es diesmal am Ende keinen Platz zum Kommentieren – ich hätte gerne geschrieben, dass ich seit 2007 sehr, sehr oft die N85 in beiden Richtungen gefahren bin, mal mit kleinen Varianten rechts oder links, aber doch immer lieber als auf der A7. Wenn man eine grössere Strecke fährt ist Sisteron ein wunderbarer Stopp – nachmittags hin und nächsten Vormittag weiter. https://www.hotel-lacitadelle-sisteron.com/en/presentation

    Sieht so aus, als könnte man ganz normal kommentieren. Ich zumindest kann es. Falls es für Sie nicht klappt, geben Sie mir über die üblichen Wege bescheid? Danke!

  2. Ursula Weber sagt:

    Liebe Christiane, vielen Dank für die wunderschönen Bilder und den interessanten Bericht. Euch einen schönen Sonntag und liebe Grüße U.

    • dreher sagt:

      Danke liebe Uschi für deinen Kommentar, durch den ich sehe, dass es funktioniert! Dir auch einen schönen Sonntag!

  3. Eva sagt:

    Gerade auf dem Heimweg von Hamburg in Frankfurt umgestiegen-wo ich auch immer an unser Treffen auf der Buchmesse denken muss!
    Herzliche Grüße zurück,
    Eva (&Tibor)

    • dreher sagt:

      Ich weiß nicht warum, aber es landen neuerdings immer wieder Kommentare direkt im Papierkorb. Glücklicherweise habe ich deinen schnell dort entdeckt.

  4. Trulla sagt:

    Auch ich danke für die schönen Bilder und den Bericht. Auch wenn ich nicht kommentiere, lese ich hier immer gern.

    Sehr berührt hat mich die Erklärung der rosa Ballen (es gibt eben auch noch viel Gutes in der Welt), hielt ich es doch zunächst für eine kleinere Art Verpackungskunst ala “Christo”.

    • dreher sagt:

      Sehr gerne. Ich hielt die verpackten Heuballen für Zufall, mich erinnerten sie aber auch an Christo, deswegen habe ich sie auf dem Rückweg auch aufgenommen. Dass es einen tieferen Sinn gibt, hat mich auch berührt und kurz beschämt.

  5. Marion sagt:

    Hach, seufz, Sehnsucht, Reiselust… Die Marshmallows sind auch toll und die Katze hat sich während eurer Abwesenheit verdreifacht… Solche Regenschirm-Straßenkunst scheint es auch noch in anderen südlichen Städten zu geben – sehr hübsch finde ich das. Ich genieße hier ebenfalls die Natur – zwar nicht so bombastisch wie bei euch, aber auch schön. Überlege noch, wer alles quasi vor meiner Haustür vorbeigekommen ist? 😀

    • dreher sagt:

      Das erste Mal, dass ich diese Regenschirm-Deko in echt gesehen habe, war in Catania auf Sizilien. Den Text (und die Fotos) habe ich leider nie geschriebe… Dabei wollte ich das unbedingt. Schon wegen der tollen Fotos.
      Die Katze hat viel leere Haut (hat viel abgenommen) die sie mit sich herumschleppt. Beim Liegen und im schlechten Winkel sieht das dann so aus.

      • Marion sagt:

        Das mit der Katze war nur ein Spaß, sorry 😊. In meiner alten Heimat Alicante gibt es jetzt auch Regenschirme, habe ich im Internet gesehen. Deine Abenteuterin finde ich ebenfalls inspirierend!
        Liebe Grüße aus dem Kölner Stadtwald, wo sich die Hitze unter Bäumen im Schatten und mit einer leichten Brise aushalten lässt.

  6. Karin Penteker sagt:

    Die RN 85 haben wir auch schon manches Mal genommen, allerdings sind wir da immer spätnachmittags von Genf losgefahren und wollten möglichst noch vor Mitternacht in Antibes ankommen, also haben wir nie einen der von dir so liebevoll beschriebenen Orte besucht. Vor allem das Alexandra David Néel Museum würde ich gerne sehen, sie war eine so spannende Frau! Und das vegetarische Lokal wäre einfach nur ein Traum für mich und Töchterchen. Letztere kam kürzlich total genervt von einem Kurztrip aus Paris zurück und beschwerte sich, dass es Vegetarier in Paris so schwer hätten, auf die Hand gäbe es praktisch immer nur das Gleiche, Sandwich, Sandwich, Sandwich.

    • dreher sagt:

      Ich war auch überrascht von dem kleinen Lokal! Es gab am Eingang einen Tisch, auf dem lauter Visitenkarten und Infoblättchen über alternative Medizin, Meditation etc herumlagen. Ich dachte, ich muss Digne vielleicht mal einen längeren Besuch abstatten, scheint sich verändert zu haben. Ich kenne es eigentlich als Ort, wo man in Restaurants zum hundertsten Mal klassisches Rinderragout (La Daube) bekommt. Es IST nicht leicht für Vegetarier, und schon gar nicht für Veganer in Frankreich!

  7. Marion sagt:

    Das mit der Katze war nur ein Spaß, sorry 😊. In meiner alten Heimat Alicante gibt es jetzt auch Regenschirme, habe ich im Internet gesehen. Deine Abenteuterin finde ich ebenfalls inspirierend!
    Liebe Grüße aus dem Kölner Stadtwald, wo sich die Hitze unter Bäumen im Schatten und mit einer leichten Brise aushalten lässt.