Pfeif drauf!

Es muss im Internet-Universum besondere Energien geben – anders kann ich mir nicht erklären, dass einunddasselbe nicht gerade aktuelle Thema in mehreren Köpfen und Texten aufploppt, ohne (!), dass es zwischen ihnen Kontakt gegeben hätte. Vor kurzem habe ich zwei Texte für meine Kolumne im schönen Frankreich-Magazin geschrieben, sie sind so lange nicht öffentlich, bis sie in ein paar Monaten im Heft erscheinen werden. In einem meiner Texte kommt der “Familienpfiff” vor, den ich Monsieur gerne beigebracht hätte, denn die Male, wo wir uns in der Menge oder auch im Wald beim Pilzesammeln verloren haben, sind unzählbar. Der Gatte aber kann die hohen Pfeif-Töne nicht hören (eine OP in jungen Jahren hat ihm immerhin das “tiefere” Hörvermögen gerettet), ich kann also im Wald pfeifen, so viel ich will, er hört mich nicht und verschwindet immer tiefer in die ewigen Jagdgründe, ach nein, das war etwas anderes. Im Dickicht.

Jetzt lese ich etwas verspätet bei Herrn B. über den Familienpfiff, den die Kaltmamsell ins Gespräch gebracht hat. Ist es nicht erstaunlich? Selbst, wenn ich mir jetzt so vorkomme, wie die Schülerin, die sich energisch schnipsend die Aufmerksamkeit erarbeitet, nur um dann “das wollte ich auch gerade sagen” oder in meinem Fall (mit leicht beleidigtem Unterton), “das habe ich auch gerade gesagt!” zu vermelden. Da ich aber eine komplett andere LeserInnengruppe habe als die Kaltmamsell (zumindest vermute ich das), kann ich das Thema ungestraft auch noch einmal ins Internet werfen.

Der Familienpfiff. Lang-kurz-mit Schlenker. Ich bin musikalisch total ungebildet, ich kann Ihnen das nicht adäquat in Musik-terminologisch korrekter Weise wiedergeben, ich könnte es Ihnen nur vorpfeifen. Immerhin aber weiß ich, wo unser Pfiff herkommt, von den Pfadfindern nämlich. Bei den Pfadis, wie sie heute heißen, wird nämlich gepfiffen. Schon Lord Robert Baden Powell, der Gründer der Scouts, hat einen international wiedererkennbaren Pfadfinderpfiff geschaffen; mit dem hat unser Familien-Pfiff allerdings wenig zu tun, hingegen mit der Tatsache, dass Pfeifen als Kommunikationsform verwendet wird.

Ich bin damit großgeworden, dass man nach mir pfeift. Und diesem Pfiff hatte ich unverzüglich zu folgen, ganz gleich, was ich sonst in diesem Augenblick machte. War man in einer Menschenmenge verloren, konnte man sich wiederfinden, in dem man sich pfeifend wieder annäherte. Dass ich pfeifen lernte, war also selbstverständlich.

Durcheinander kam ich nur, wenn wir uns mit den väterlichen Pfadfinderfreunden (und ihren Familien) versammelten und ein anderer Pfadfindervater einem seiner Kinder pfiff: Alle Pfadfinderfamilien hatten nämlich zu meiner Überraschung denselben Familienpfiff! Alle Freunde hatten ihn aus der jugendlichen Pfadfindersippe in ihre Familien übernommen.

Erst später, als ich im Teenageralter war, wurde es mir peinlich, dass mein Vater nach mir pfiff, “als sei ich ein Hund”. Diese Bemerkung stammte von einem Klassenkameraden und ich schämte mich ein bisschen, und verteidigte den praktischen Pfadfinder-Familien-Pfiff, der sich doch deutlich vom Pfiff nach unserem Hund unterschied, nicht.

Ich kann pfeifen, ich kann auch auf den Fingern pfeifen. Mir war nie der Gedanke gekommen, dass es sich für Mädchen nicht schickte, zu pfeifen. Hä? Was?

Es passierte kürzlich hier in Südfrankreich. Als ich einmal fröhlich ein Lied vor mich hinpfiff, rügt mich eine etwa zehn Jahre ältere Bekannte halb scherzhaft, halb missbilligend “Eh-oh! Tu siffles? Ça va pas!” Ich starrte sie an. Meinte sie das ernst? Sie lachte etwas, weil sie sich wohl ihres barschen Tons bewusst wurde, aber ja, im Grunde meinte sie es ernst. Pfeifende Frauen sind unschicklich. Sie versuchte es dann herunterzuspielen, als sie spürte, wie überholt sie sich anhörte, zitierte mir aber ein französisches Sprichwort: Femme qui siffle et poule qui contrefait le coq sont préludes de catastrophe. Also Pfeifende Frauen und Hühner, die krähen (wörtlich: Hähne nachmachen) sind Vorboten einer Katastrophe. Ein provenzalisches Sprichwort übrigens. Das es so aber auch im Deutschen gibt: Mädchen die pfeifen, Hühnern die krähen, soll man beizeiten die Hälse umdrehen. Dankeschön auch. Abgesehen davon habe ich nicht wirklich etwas über das verpönte Pfeifen von Frauen gefunden. Monsieur, gerade von mir befragt, zuckt mit den Schultern. Ich lese ihm das provenzalische Sprichwort vor. Aber auch das lässt ihn unbeeindruckt.

Wenn pfeifende Frauen in Deutschland unschicklich waren, so sind sie es zumindest seit der pfeifenden Ilse Werner nicht mehr. Sie hatte es allerdings irgendwann satt, bei Interviews immer nur auf ihr Pfeifen reduziert zu werden (was vielleicht auch ein Zeichen dafür ist, dass dennoch so wenige Frauen pfeifen).

Hier das schmissige “Wir machen Musik”, das Ilse Werner (und ihr Pfeifen) berühmt gemacht hat. Achtung! Einmal gehört, bleibt es gnadenlos im Ohr.

Falls Sie jetzt (wie ich) mehr zu Ilse Werner wissen möchten, gäbe es beispielsweise hier etwas, zuzüglich Fotos und einem fünzehnminütigen Hörstück.

Wie ist es bei Ihnen? Hatten Sie einen Familienpfiff? Können Sie (demnach) pfeifen? Oder hat man Ihnen das Pfeifen verboten? Oder haben Sie gar drauf gepfiffen?

PS: Je nachdem wie man die “Katastrophe” auslegt, die einem bevorsteht, wenn man als Frau pfeift, hat sich meine vielleicht schon ereignet: Ich habe mir heute beim Mittagessen zubereiten nämlich so dermaßen die Finger der rechten Hand am Backblech verbrannt, dass ich jammernd und klagend durch die Wohnung lief. Du pfeifst? Da siehst du, was du davon hast! Derzeit tippe ich hier rechts nur noch einfingrig.

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30 Responses to Pfeif drauf!

  1. pitdieerste sagt:

    Familienpfiff…nicht wirklich. Aber meine Mama hatte einen Pfiff um uns heim zu beordern, sei es zum Essen, Bettzeit oder sonstiges. Wir wohnten am Ortsrand und ich war mit den Nachbarskindern in Wald und Wiese unterwegs. Aber der pfiff (mit gespitzten Lippen, nicht auf den Fingern), eine bestimmte Tonfolge…die andern Nachbarinnen hatten andre Pfiffe und die, die nicht pfeifen konnte musste rufen. Aber das hörte man nicht so gut) wurde nur dafür genutzt. In Menschenmengen oder so wurde der nicht genutzt.
    Ich kann auch nut Lippenpfeifen, durch die Zähne oder auf den Fingern hab ich nie hin bekommen.

    Der Gatte kann das und hat es tatsächlich auch bei den Pfadfindern angewandt um seine Truppe zusammen zu trommeln und wurde dafür auch mal von einer anderen Leiterin geschimpft, dass das doch keine Hunde wären*g*.

    • dreher sagt:

      Danke für Ihre Erinnerungen! Unser Pfiff ist auch ein Lippenpfiff – und diente auch in erster Linie dazu, mich “heimzuholen”, war aber wirklich gut im Wald, wenn man sich beim Pilzesammeln aus den Augen verloren hat. Ich zumindest fand das beruhigend, den Vater (ich kann mich weniger an eine pfeifende Mutter erinnern) irgendwo zu hören und zu wissen, dass er da ist.
      Ich glaube bei Pfadfindern wird gerne gepfiffen ;-)

  2. Martina sagt:

    Gut, dass meine Eltern den Spruch mit dem unschicklichen Pfeifen nicht kannten. Wir hatten nämlich einen unschlagbaren Familienpfiff: den Anfang der 5. Sinfonie von Beethoven ‘ta-ta-ta-taaa’. Funktionierte immer. Wer erwartet schon die 5. von Beethoven auf einem Kirmesplatz?
    Finger verbrennen beim Kochen oder Backen: eine Aloe Vera-Pflanze in die Küche stellen. Wenn man sich verbrannt hat, gleich ein Blatt (ist eigentlich mehr ein Stängel) abschneiden, aufschlitzen und das Gel des Blattes/Stängels auf die verbrannte Stelle schmieren. Lindert ganz schnell die Schmerzen und das Schlimmste ist überstanden. Die Pflanze nimmt es nicht übel, sie wächst trotzdem weiter und gießen muss man sie auch nicht oft, weil sie ein Sukkulent ist.

    • dreher sagt:

      Toller Pfiff! :-)
      Danke für den Aloe Vera-Tipp. Stimmt! Ich sollte mir eine in die Hof-Terrasse stellen! Ich habe mir eben in der Apotheke ein “Narbenheil-Gel” besorgt, das ist im Prinzip dasselbe. Zunächst hatte ich nur Feuchtigkeitscreme dick aufgetragen. Es wird dennoch Blasen geben :-(

  3. Ich kann das mit den “besonderen Energien” bestätigen, das ist so.

  4. Marion sagt:

    Nope, war nie Thema, außer vielleicht mal der berühmte Bauarbeiter-Pfiff 🤔. Ich hätte es aber gut gefunden das zu können, für die Fälle, wo man wirklich mal dringend auf etwas aufmerksam machen will/muss oder auch als Zeichen der Anerkennung (z.B. auf Konzerten). Außerdem ist es doch charmant, wenn man sogar ein Liedchen pfeifen kann.
    Und “contrefaçon” kenne ich nur im beruflichen Kontext 😉. Die genannten Blogs finde ich ebenfalls gut, bin dort aber äußerst selten, für alles reicht die Zeit nicht.

    • dreher sagt:

      Ok. Danke dir. Ja, ich wollte nicht noch den Schlenker zur Straßenbelästigung durch Männerpfeifen machen – schwieriges Thema!
      Was meinst du mit “contrefaçon”?

      • Marion sagt:

        In deinem Text: contrefaire = nachmachen. War nur ein Trigger in Bezug auf eine berufliche Tätigkeit in einer katastrophalen Branche 😫. Sorry, war etwas aus dem Kontext.

  5. Sabine Flechtker sagt:

    Unser Familienpfiff enstand durch Zufall, als ich vor ca. 55 Jahren vom Blockflötenunterricht nach Hause fuhr und gutgelaunt “Zizibä Zizibä, Sonn` vertreibt den letzten Schnee” pfiff, und meine Mutter mich schon kommen hörte.
    Blockflöte spiele ich schon lange nicht mehr, aber der Pfiff mit der Melodie ist geblieben.
    Unschlagbar wenn man jemanden in der Menge verloren hat und nicht den Namen brüllen möchte. Meine Mann, die Kinder und sogar die Enkelhunde reagieren auch auf diese Melodie.

    • dreher sagt:

      Vielen Dank für Ihre Erinnerung! Das Liedchen musste ich erst googeln. Sehr nett!
      Ja, ich finde das Pfeifen in der Menge (oder im Wald) auch genial. Heute kann man sich zusammentelefonieren, aber damals gab es das ja nicht. Lustig, dass auch die Hunde darauf reagieren. Wir hatten einen anderen Pfiff für den Hund ;-)

      • Sabine sagt:

        Naja, ich pfeiffe auch nur mit diesem Pfiff nach den Enkelhunden, wenn sie nicht auf Herrchen und Frauchen hören… Klappt fast immer, ich habe sie frühzeitig mit Käsestückchen konditioniert…

  6. Vinni sagt:

    Mädchen, die pfeifen und Hühner die krähen… ja den Spruch hab ich von meiner Mutter auch schon mal gehört und sie darob etwas fassungslos angeguckt.

  7. Caroline Bahri sagt:

    Den Familienpfiff kann ich heute noch. Würde auch heute noch drauf reagieren. Da ich nicht singen kann, pfeife ich gern mal ein Liedchen. Aber mein französischer Mann mag das gar nicht und findet, dass sich das für eine Frau nicht gehört. Kommt auf den Haufen „ Unterschiede Frankreich/Deutschland“

    • dreher sagt:

      Siehst du! Familienpfiff ist wohl “unsere” Generation. Und eigenartig, dass das weibliche Pfeifen in F (noch immer) so verpönt ist.

  8. Gabriele sagt:

    Wir haben auch einen Familienpfiff, bis zu deinem Text habe ich noch nie so richtig darüber nachgedacht. Ich habe den in die Ehe mitgebracht und automatisch weiter eingesetzt, irgendwie hat der Rest der Familie das akzeptiert, ohne ihn selbst anzuwenden. Schade eigentlich, denn ein gemeinsamer Pfiff schafft ja nonverbal ein Zugehörigkeitsgefühl. Auf zwei Fingern konnte ich leider nie pfeifen, das wollte ich aber immer mindestens genauso gern können, wie Bierflaschen ohne Flaschenöffner zu öffnen 😊. Vielleicht lerne ich es irgendwann noch 🤓.

    • dreher sagt:

      Lustig, nicht wahr, wie viele aus unserer Generation die Pfiffe noch kennen? Und gar nicht schlimm fanden, dass man uns herbeigepfiffen hat, erst heute sieht man das wohl anders.
      So richtig gut auf zwei Fingern kann ich auch nicht pfeifen – es wird nicht sehr melodiös, nur laut :D
      Das mit den Bierflaschen bleibt auch für mich eine Herausforderung (obwohl es in F auch drehbare Kronkorken gibt!)

  9. Claudia Pollmann sagt:

    Mein Vater hat mich immer mit Pfiff gesucht und gefunden. War ein Papakind und immer wenn wir gemeinsam unterwegs waren wie beim sonntäglichen Frühschoppen konnte ich die Gegend erkunden und via Pfiff wusste ich immer wenn es Zeit ist heim zu gehen. Wir waren ein gutes Team. Er fehlt mir sehr.
    Liebe Grüße aus dem Allgäu

  10. Croco sagt:

    Wir durften nicht pfeifen.
    „Vögel, die morgens pfeifen, holt abends die Katz.“
    Ich kann’s auch nicht besonders gut.
    Nur den hier, wenn ich bereit bin zu allem:
    https://youtu.be/3CamXKi002Q?si=_I6GEwnmRXYTmJSM

    • dreher sagt:

      Aha! Stimmt, den Spruch gibt es auch; ich habe ihn bislang allerdings nicht mit Pfeifen in Verbindung gebracht.
      Herrjeh, welchen Erziehungsregeln man sich (generationsübergreifend) beugt. Dabei gilt doch auch: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Das ist doch ein Grund zum vergnügten Pfeifen!

      Oh! Kill Bill – hatte ich vollkommen vergessen!