Hier kommt noch etwas nachgetragene Berg-Berichterstattung vom 15. August.
Spätestens jetzt am hochheiligen 15. August, Maria Himmelfahrt, Ferragosto in Italien, definitiv Ferienhöhepunkt, sind alle anderswo, wo es dann übervoll und laut ist. Meer, Berge, ganz egal. In abgelegenen Buchten gibt es frühmorgens schon keinen freien Platz mehr. Stille und sonst menschenleere Dörfer sind laut und voll. Man ist unter Freunden oder in Familie, man isst, trinkt und feiert. Es ist Sommer.
Und wir sind auch anderswo, aber nur weil es den großen Flohmarkt in Puget-Théniers gibt, den man unmöglich nicht besuchen kann. Was hat Monsieur hier schon Schätze gefunden!
Definitiv ein anderes Ambiente als der Flohmarkt in Berlin.
Aber keinesfalls kann man mit dem Gatten gemeinsam über den Flohmarkt schlendern, zu unterschiedlich sind unsere Flohmarktinteressen: ich – Klamotten, Deko, Geschirr, Absonderliches, aber alles nur, wenn es wirklich “besonders” ist, weil wir eigentlich alles schon haben außer Platz, um noch mehr Kram unterzubringen (ich schleppe aus diesem Grund ein kleines Retro-Blumenbänkchen aus Metall mit, das ich aus dem Keller des Schulhauses mitgenommen habe, um es dem erstbesten Menschen, dem es gefällt, zu überlassen), er – Bücher, Werkzeug, Dinge, die man mal brauchen könnte, für die man immer Platz findet, versteht sich.
Kaum angekommen, stelle ich das Blumenbänkchen dezent neben ein Schränkchen, das an einer Platane lehnt und auch niemandem zu gehören scheint. Vielleicht findet sich ein Liebhaber oder eine Liebhaberin. Monsieur und ich machen aus, uns in zwei Stunden wieder hier zu treffen.
In der Stadt gibt es aktuell eine Kunst-Installation, Der Verein La vallée aux oiseaux hat große Origami Vögel (Kraniche) über den Fluss Roudoule gespannt und überall in der kleinen Stadt installiert – sie sind nachts beleuchtet, was es noch poetischer macht. Den Kranichen folgend laufe ich, vielleicht zum ersten Mal, durch enge Gassen und Sträßchen bis hinauf zur Kirche.
Mitten im Flohmarktgetümmel an einem alten Haus der Hinweis auf eine “Haushaltsauflösung im letzten Stock”. Dem kann ich nicht widerstehen, schon weil ich gern in alte Häuser gucke. Es ist ein gewisser Schock. Das Haus ist abgewohnt, krumm und schief, mit niedrigen Decken, das Treppenhaus eng, abgenutzte Bodenkacheln, ein Geländer, auf das ich mich stütze, fällt mir entgegen.
Die Menschen, die trotzdem hier wohnen, schauen verdutzt aus ihren Türen, weil ein nicht enden wollender Strom von Menschen hinauf- oder wieder herunterläuft.
Unter dem Dach falle ich fast in Ohnmacht, so wenig Luft gibt es, so viele Menschen stauen sich um so viel muffigen Müll. Brauchbare und unbrauchbare Stühle, Kleinmöbel, Regalbretter, zusammengerollte Teppiche, Geschirr, Gläser, Töpfe und Pfannen jeglicher Art und Qualität stapeln sich überall auf dem Boden, auf Tischen und Buffets und sogar auf dem Klo. Kleider, Bett- und Tischwäsche quellen aus Kommoden und aus uralten wuchtigen Schränken, von denen ich mich frage, wie man sie hier hochbekommen hat und wie man sie bei der niedrigen Decke hat aufstellen können. Die Wände hängen voller Bilder, Heiligenbilder, fragwürdiger Kunst und Kitsch. Es ist ein potenzierter Messie-Haushalt oder eine Ansammlung von zig Haushaltsauflösungen, ich weiß es nicht, ich will hier auf jeden Fall nichts anfassen und nur so schnell wie möglich wieder raus. Ein paar Fotos mache ich dennoch.
Der Blick aus einem Treppenhausfenster ist aber sehr nett.
Monsieur und ich treffen uns trotz Getümmel bereits unterwegs. Er schleppt sich mit einer Tasche voller Bücher und Werkzeug ab. Ich habe für 50 Cents nur ein Salz-und-Pfefferschälchen erstanden. Eigentlich wollten wir hier im Städtchen essen, aber es ist uns zu voll, also fahren wir zurück nach Entrevaux.
Nein, ich habe keinen netten Restauranttipp fürs Hinterland. Das von uns seinerzeit so geschätzte Café Central in Guillaumes wurde verkauft, die Nachfolge ist so hmhm, also versuchen wir unser Glück im großen Restaurant gegenüber der befestigten Vauban-Stadt. Wir bekommen die letzten zwei Plätze unter einem Schatten spendenden Baum mit Blick auf die Stadt, das ist ganz klar ein Plus am heißen 15. August. Im Restaurant gibt es ein Tausch-Bücherregal mit gar nicht mal so schlechter Auswahl, und so lasse ich Monsieur hier beim Apéro in einem Buch schmökern und laufe mal wieder ein wenig durch Entrevaux, das stets, so auch heute, eigenartig verschlafen und leer ist, wo es doch so spektakulär aussieht. Auch Entrevaux habe ich bereits einmal erwähnt. Sie merken, so richtig woandershin komme ich nicht. Ich bin aber gespannt, ob es etwas Neues gibt.
In der Boucherie gibts nun Bücher. Und nein, Boucherie, auch wenns ähnlich klingt wie Bücherei, meint eigentlich Metzgerei. Es gibt keine mehr, so wie’s aussieht. Auch in der Metzgerei auf dem Platz wird jetzt Kunst angeboten. Erste Zeichen von Gentrifizierung, wie ich in Berlin gelernt habe.
Immerhin gibt es eine neue kleine Bio-Épicerie
Und es gibt eine Art Straßen-Kunst.
Und viele alte Häuser, die von außen malerisch aussehen, von innen vermutlich dem alten Haus in Puget-Théniers ähneln.
Ansonsten gibt es eine Handvoll wenig attraktiver Kunsthandwerks-Läden mit selbstgefertigtem, eher wenig originellem dafür teurem Perlenschmuck. Ich weiß nicht viel über Entrevaux, das zu einem anderen Département gehört. Das Département 04, les Hautes-Alpes, ragt hier mit Entrevaux ins Département 06, den Alpes Maritimes. Auf der Karte unten rechts.
Jedes Mal denke ich, ich sollte etwas in Erfahrung bringen über die Menschen, die hier leben, denn ein paar leben ja wohl noch oder wieder hier. Aber dann ist es wieder weniger wichtig geworden und ich habe genug anderes zu tun.
Ein paar Kinder rennen im Badeanzug an mir vorbei und ich folge ihnen neugierig. Sie verschwinden in einem Durchgang und schwupps sind sie weg, ich höre sie von weiter unten lachen und kreischen. Sie sind die Uferböschung zum Fluss Var hinabgerannt oder gerutscht; neben dem kleinen Trampelpfad durch Gebüsch, Disteln und Brennesseln stehen mehrere Hinweisschilder, dass das Baden im Fluss untersagt ist. Stört hier keinen, und am heißen 15. August-Feiertag wird das auch niemand kontrollieren. Ich würde auch gern wenigstens die Füße ins Wasser tauchen, aber mir ist der rutschige Weg zu steil.
Von der Brücke aus sehe ich ihnen zu. Und entdecke eher zufällig eine Liebeserklärung im Fluss.
Ah, la nostalgie … et le coeur 💙…
Eh oui …
In Entrevaux war ich zwei Mal mit der Pinienbahn von Nizza aus. Das erste Mal im März 1997. Da war gar nichts los, aber die Sonne schien und wir sind zur Festung gelaufen. Habe ich in sehr netter Erinnerung, vor allem weil die Fahrt auch sehr beeindruckend war. Ich weiß gar nicht, ob es den Train de Pignes noch gibt…
Liebe Grüße Gabi
Doch, den train de pignes gibt es noch. Ich habe den aber selbst noch nie genommen *schäm*, dabei habe ich sogar mal eine Kulturwanderreise dafür übersetzt. Man nutzte den Zug quasi als “hop on und hop off”-Fortbewegungsmittel und entdeckte und erwanderte entlegene Dörfer und Ziele (die Zitadelle!) und kommt so in mehreren Tagen bis nach Digne.
Das kommt auf die kleine “bucket-list”
In Entrevaux waren wir 2011 und da sah es genauso aus. es wurden einige Häuser restauriert und wir dachten eigentlich, dass es weiter so voranschreitet und in ein paar Jahten sehr sehenswert sein wird. offensichtlich ist es ein bißchen stehen geblieben. schade, die Lage ist doch toll.
Ich kenne Entrevaux seit 2005 und es ist bis heute ähnlich verschlafen, nur gab es damals noch Bäcker und Metzger im Dorf und einheimische Bewohner. Warum sich das in keine Richtung entwickelt, keine Ahnung! Denn ja, es ist wirklich eine einmalige kleine Festungsstadt!