Vom Regen in die Traufe

Nun ist er da, der Regen. Ein zweiter Tag mit dunklen Wolken und freundlichen Regenschauern. Nicht zu viel, nicht zu gewaltvoll, zumindest hier bei uns. Sehr angenehm. Abgekühlt hat es auch, schnell reiße ich die Fenster auf, um einmal richtig durchzulüften, hinter mir schließt Monsieur sie beinahe ebensoschnell wieder. Er ist erbost, und ich muss mir etwas von den gefährlichen courants d’air, dem Durchzug, anhören, dem Verursacher von Männerhalsweh. Ich verdrehe die Augen. Lüften ist ein sehr deutsches Bedürfnis, in keinem anderen Land wird ganzjährig (!) diese Liebe zur frischen (häufig kalten) Luft so gelebt. In allen deutsch-andersnationalen Beziehungen erntet man dafür nur Verständnislosigkeit, wie ich vielen kleinen Videos im Internet entnehmen kann.

Die Enkelin hatte mir nach ihrem Berliner Schüleraustausch empört berichtet, dass sie im Zimmer der Austauschschülerin sogar bei offenem Fenster schlafen musste! Im Winter! Hat man so etwas schon erlebt? Verrückt diese Deutschen! Ich seufze. Das offene Fenster vermisse ich auch, aber da wir an einer lauten Durchgangsstraße leben, habe ich es nie wirklich eingefordert. Das Bedürfnis nach Ruhe übersteigt mein Bedürfnis nach Luft. Ich hätte es aber sowieso nie durchsetzen können. In den Bergen nämlich, wo es die meiste Zeit nachts absolut ruhig ist und ich das Fenster gerne offen stehen lassen würde, wird es mir natürlich auch nicht gestattet. Ich versuche indirekt mit dem offenen Badezimmerfenster zu arbeiten, aber ich finde es morgens auch immer wieder fest verschlossen vor. Erschwerend kommt hinzu, dass es in Frankreich keine Kippfenster gibt. Andere Länder, andere Fenster. Kippfenster, die wir so ungerührt im deutschen Alltag hinnehmen, sorgen bei Nicht-Deutschen immer wieder für Erstaunen. Der ulkigen Vietnamesin @uyenninh bescherte ihr dramatisch-erschrockener Blick beim Kippfenster-Öffnen die ersten 60.000 Follower.

Eigentlich wollte ich Ihnen noch von all dem Unbill erzählen, der uns ereilte. Unbill. Upsi. Wo kam das Wort denn jetzt her? Einerseits verliere ich den Reichtum meiner deutschen Muttersprache, es lebe das Synonymwörterbuch, andererseits traue ich Wörtern, die beim Schreiben überraschend aufploppen nicht mehr. Was bedeutet es eigentlich? Gerade mal nachgeschaut: Unbill meint in meinem Sinn “Unannehmlichkeiten”. Passt also.

Der Enkel, auf seinem Weg in die Ferien, sollte uns die Post aus Cannes mit in die Berge bringen, wir machen einen Treffpunkt im Nachbardorf aus, durch das er fahren würde. Klappte alles, aber siehe da, die Papiertüte mit der Post befand sich nicht in seinem Auto. Vielleicht im Auto der Mutter, die wiederum mit ihrer Mutter etwa eine halbe Stunde später dieselbe Strecke fährt. Wir warten also, haben ein überraschendes Treffen, großes Hallo auf der Straße, wir begrüßen und erzählen uns, was es Neues gibt, aber nein, die Post ist auch nicht in diesem Auto. Wo also könnte sie sein? Vermutlich hat der Enkel sie beim Auto packen aus Versehen in der Straße stehen lassen. Zuhause ist niemand mehr, die Nachbarn kennen wir nicht, die Samstags-Nathalie ist bei ihrer Familie in Ferien. Letzten Endes rufe ich Ivan an, den Bruder von Tetiana, er arbeitet als Barmann bei einem Edelitaliener. Es dauert einen Moment, bis er versteht, was ich von ihm will. Sein Französisch wird nicht unbedingt besser im italienischen Umfeld. Aber er ist so nett, nimmt umgehend seine Pause und macht sich auf die Suche nach unserer Post. Ich dirigiere ihn telefonierend die Straße entlang, wo der Enkel mutmaßlich geparkt hatte, und siehe da, die Tüte mit der Post (darin zwei wichtige Briefe) steht noch da! Hurrah!

Die Kaffeemaschine im Haus in den Bergen hat ihren Geist aufgegeben. Zu weit weg von Elektrofachgeschäften, bestelle ich Ersatz im Internet. Ich erwarte komplizierte Transaktionen, dass ich bis ins Nachbardorf fahren muss, um sie dort im örtlichen Einzelhandel oder in der Bar des Alpes abzuholen. Kein Problem eigentlich, man muss sich nur organisieren. Aber dann erhalte ich am nächsten Tag einen Anruf der Postzustellerin, die mir das Paket ankündigt und zwar in der nächsten Viertelstunde. Sie entschuldigt sich, sie sei die Urlaubsvertretung und wisse nicht, wo wir genau wohnten. Es gibt keine Straßen im Bergdorf. Die Anschrift für alle lautet schlicht: “Le village”. Im Dorf. Ob ich es ihr erklären könne? Ich bin gerade bei Freunden zum Mittagessen, verabrede mich daher mit ihr auf dem Dorfplatz, um das Paket in Empfang zu nehmen. Wir lernen uns kennen, ich erkläre, wo wir wohnen und speichere für alle Fälle ihre Telefonnummer ein. Verblüfft und ermutigt über die Schnelligkeit und die Lieferung nach Hause, bestelle ich daher ein paar fehlende Dinge für eine neu zu installierende Lampe ebenso im Internet. Vier kleine Päckchen müssten in den folgenden Tagen eintrudeln. Am nächsten Tag erhalte ich zwei Lieferungsankündigung – und Monsieur und ich fahren daher extra etwas früher vom Einkaufen zurück, damit ich die Postzustellerin, die gegen 13 Uhr im Dorf ankommt, nicht verpasse.

Zuhause angekommen, habe ich zwei Benachrichtigungen auf dem Handy, dass zwei Päckchen bereits in meinem Briefkasten seien. Da sind sie aber nicht. Herrjeh, vermutlich gab es am Samstag eine andere Urlaubsvertretung und sie hat die Post in den anderen Briefkasten für das alte Schulhaus gelegt, der unten an der Abzweigung zum oberen Dorf angebracht ist. Für den habe ich aber keinen Schlüssel! Ich telefoniere herum, jemand kann mir am nächsten Tag den Schlüssel bringen. In der Zwischenzeit werde ich für beide Päckchen aufgefordert, die Qualität der Lieferung zu bewerten. Das tue ich grundsätzlich nicht, aber die Mails für die Lieferungen, die irgendwo sein sollen und für die, die noch kommen werden, häufen sich. Das nur, um zu erklären, was jetzt passiert. Ich bekomme nämlich eine weitere Mail von Chronopost, dass sie die Lieferung XYZ nicht haben zustellen können, ich möge bitte angeben, wann ich beliefert werden möchte. Das tue ich, werde aber noch einmal ausgebremst, ich müsse zuvor 1,95€ Zollgebühr zahlen. Nein, ich bin nicht misstrauisch, denn ich habe tatsächlich ein paar deutsche Produkte bestellt, gebe meine Bankdaten ein und klicke, und zack, bin ich auf einer dubiosen Seite, die mich beglückwünscht, jetzt Mitglied zu sein, und ich dürfe gleichnochmal auf einen anderen Link klicken, um zu meinem kostenlosen ichweißnichtwas zu gelangen. Mir wird heiß. Ich klicke nirgends mehr hin. Das war ein Betrug. Ich habe mich zum ersten Mal reinlegen lassen. Herrjeh. Irgendwann ist immer das erste Mal, aber ich schäme mich. Zitternd und mit hochrotem Kopf suche ich die Telefonnummer, um meine Kreditkarte sperren zu lassen. Bizarrerweise traue ich jetzt auch der Dame von der Kreditkartensperrung nicht mehr richtig, sie stellt mir nur noch mehr Fragen zu meinem Konto, ich will niemandem mehr etwas sagen, notiere aber dennoch die Nummern und Passwörter, die sie mir gibt, um in den nächsten Tagen eine neue Karte zu bekommen. Ich kann mich den ganzen Tag nicht mehr beruhigen; die angebliche Mailadresse von Chronopost, die ich jetzt genauer ansehe, ist natürlich völliger Mist, warum habe ich das nicht sofort bemerkt?

Am nächsten Tag bekomme ich den Schlüssel für den anderen Briefkasten, laufe hin, öffne ihn hoffnungsvoll, aber nix ist, er ist leer. Jetzt weiß ich auch nicht weiter. Ich frage die Dorfnachbarn und auch in der Auberge. Nö. Keiner weiß was. Zwischen all den Mails für Päckchen, die angeblich geliefert wurden und denen, die noch zu liefern sind und den falschen Mails dazwischen – ist das Ergebnis gleich Null, abzüglich einer Kreditkarte. Ich will nie wieder etwas bestellen.

Am späteren Abend erhalte ich eine Nachricht einer Freundin, die sich gerade in Cannes befindet, ihr Freund habe zwei Päckchen für mich. In Cannes? Nein. Im Dorf natürlich. Warum hat er mir das nicht gesagt? Hat er wohl vergessen. Na gut. Ich eile zum Freund der Freundin, er ist gerade im Garten und füttert die Hühner, es dauert alles etwas länger hier im Dorf, aber irgendwann habe ich meine beiden Päckchen. Er hat sie der Postzustellerin abgenommen, erklärt er mir, denn zufällig kam er gerade des Wegs, als sie vergeblich versuchte, die Päckchen in meinen ungenormten Briefkasten hineinzustecken. Er rät mir, einen anderen Briefkasten zu erstehen. Und die Postzustellerin käme samstags schon um 11.30Uhr. Nun gut.

Merke: Im Dorf geht nix verloren! Und: Ein zweites Mal lasse ich mich nicht mehr betrügen, passt nur auf! Die Mail des Finanzamts, das uns eine Rückzahlung von ein paar hundert Euro verspricht, sehe ich mir genauer an. Auch sie ist Betrug. Es kommen jetzt noch ein paar dieser Art, ich scheine mich in der Betrugswelt schnell als freundliche Idiotin herumgesprochen zu haben. Aber nicht mehr mit mir!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

4 Responses to Vom Regen in die Traufe

  1. Marion sagt:

    Mann oh Mann 😮. Als hättest du mit dem schwierigen Göttergatten nicht genug zu tun. Männerhusten 😂. Boah, noch nicht mal in den Bergen frische Luft und Ruhe… Queen Elizabeth hat auch immer bei offenem Fenster geschlafen, auch im Winter, und sie ist 96 geworden, und Kippfenster hat sie in ihren Schlössern wohl kaum. Morgens ist sie von ihrem “Piper” geweckt worden, wenn sie in Schottland war. Den hätte sie ja gar nicht gehört bei geschlossenem Fenster 😅. Also von wegen nur in Deutschland.
    Das Video ist herrlich 😄.
    Ja, wie schnell ist es passiert, dass man eine Betrugsmail anklickt, und es ist so beunruhigend, dass die privaten Mails gelesen werden. Wollte mal schauen, ob man das Handy noch besser sichern kann. Hab’ schon alle Passwörter geändert, aber trotzdem. Da du so schnell reagiert hast, ist dir hoffentlich wenigstens kein weiterer Schaden entstanden.

    • dreher sagt:

      Männerhalsweh! An Husten wollen wir gar nicht denken!
      Ach guck, dass Lillybet bei offenem Fenstern geschlafen hat, kam in “The Crown” bislang nicht vor ;-)
      Ja, es ist ätzend – nein, es ist sonst kein Schaden entstanden, Gottseidank!

  2. Ulla sagt:

    Ja die Frischluft Fanatiker, geht mir genauso aber mein österr. Mann schläft getrennt.
    Habe die Tage und schon früher mal die mail erhalten, dass ich 2,95€ Zoll zahlen soll für eine Bestellung🤔. War zum Glück vorsichtig und habe nix angeklickt, auch wenn die mail angeblich von DHL sein sollte. Tut mir leid, dass Sie reingelegt wurden, der Aufwand das zu korrigieren ist immer immens. Grundsätzlich klicke ich ähnliche Benachrichtigungen nie an, lieber warte ich auf eine spätere Ermahnung o.ä.
    Grüße aus dem verregneten München
    Ulla

    • dreher sagt:

      Ja, wirklich zu blöd – ich war so in Eile, hatte Dinge bestellt, die ich vor Eintreffen des Elektrikers haben wollte, und war daher so darauf erpicht, alles schnell zu bekommen – und habe nicht richtig aufgepasst. Lieber einmal durchatmen und nochmal hingucken. Glücklicherweise ist sonst nichts passiert und die neue Karte kam auch schnell.
      Liebe Grüße!