Von hier bis ans Meer

Samstag:

Um vier Uhr war definitiv die Nacht zu Ende. Ich versuche noch ein paar Einschlafmeditationen, darunter wieder “die Ruhe des Bergs”, die mich mittags so schön wegdösen ließ und eine namenlose “Wieder-Einschlafen-Meditation”, mit einem ganz sanften Sprecher, habe mir zwei weitere Melatonin-Gummibärchen eingeworfen (ist das in Deutschland auch gerade der Hit?), aber alles umsonst, um halb fünf stehe ich auf und schreibe meine Morgenzeilen, oft hilft es mir, alles aufzuschreiben, was mir durch den Kopf geht, manchmal kann ich danach sogar wieder einschlafen, heute nicht. Also lese ich im Internet herum, immer wieder erstaunt, wieviele Menschen Vögel beobachten, unterscheiden und Vogelstimmen erkennen können. Ich kann das nicht. Ich kenne den Amselpapa, der in Cannes sehr wichtig im Vorgarten herumhüpft und jetzt nicht mehr schimpfen muss, weil keine Katze mehr auf der Fußmatte döst. Ich kenne das schuhschuuuhende Turteltaubenpärchen, dem ich Nestbauversuche auf der Fensterbank untersagt habe, ich kenne die keifenden grünen Papageien, die sich wohl in der ganzen Welt ausbreiten, ein paar Elstern und die Seemöwen. Andere Vögeln besuchen uns eher selten, da war die Katze, und ich habe aus diesem Grund auch keine Vögel gefüttert. In Cannes ist ja auch ganzjährig Futter zu finden, so what. Ehrlich gesagt bin ich auch selten so früh wach, dass ich die Vöglein zwitschern hören könnte. Wenn ich aufwache sind die Audi-Hundert-Weibchen und die knatternden Scooter-Männchen schon unterwegs. Aber heute bin ich in aller Frühe wach und höre in der Stille ein sehr lautes, geradezu durchdringendes Vogelgezwitscher, das mich dazu bringt eine Vogelstimmen-App zu öffnen, und mir Vogelstimmen anzuhören. Ok, “deutsche Vogelstimmen” ist ein bisschen lustig, die französischen klingen ganz genauso. Ich höre mich so durch, denke, vielleicht ist es die Nachtigall und nicht die Lerche, aber nein, es ist ganz eindeutig die Kohlmeise https://www.deutsche-vogelstimmen.de/kohlmeise/ und siehe da, schon sitzt sie auf der Fensterbank und schaut neugierig und mit schief gelegtem Köpfchen zu mir hinein, vermutlich hat sie meine Vogelstimme aus dem Internet gehört. Ich bin ganz entzückt. Aber da ich ihr nichts weiter zuzwitschere, fliegt sie schnell wieder davon, hin zu echten Kohlmeisen. Damit ist meine Vogelbeobachtung für heute schon beendet. Der Kuckuck kuckuckt den lieben langen Tag, jedoch, ohne sich blicken zu lassen. So ungefähr weiß ich wohl, wie er aussieht, aber Kuckucke finde ich aufgrund ihrer schmarotzerhaften Art, anderen Vögeln ihre Kinder unterzuschieben, nicht sehr sympathisch.

Sonntag:

Als ich heute morgen im Bad das Fenster zum Lüften (!) öffne, höre ich ein zwitscheriges Trillern, noch mit dem Handtuch auf dem Kopf eile ich zum PC und klicke auf gut Glück “Rotkehlchen” an. Und hurrah, das ist es! Ein Rotkehlchen zwitschert also in den Bergen ums Haus. Gesehen aber habe ich es nicht. Gesehen hab ich hingegen auf dem Kamin des Nachbarhauses eine Elster. Die kenne ich und ihren ratschigen Vogelruf erkenne ich auch, wir haben viele davon in Cannes.

Das ist dann auch schon die Überleitung, denn wir fahren heute wieder nach Cannes. Von hier bis ans Meer sozusagen. Womit ich mir erlaube, für eines meiner Bücher zu werben. Nur für den Fall, dass Sie es noch nicht kennen sollten. Gestern Abend habe ich Bel Ami weitergehört, die Übersetzung des Textes, der der Hörbuchfassung zugrunde liegt, stammt, das habe ich gestern gefunden, von Paul Wiegler, der zwar nicht mehr aus der Generation Maupassants stammt, aber aus einer anderen Zeit. Warum er, der aus Frankfurt am Main stammt, hin und wieder österreichische Worte wählte (übersiedeln), erkläre ich mir damit, dass das Österreichische viel charmanter und altmodischer klingt als das nüchterne Deutsche. Zumindest finde ich das, und vielleicht ist es ihm auch so vorgekommen. Georges Duroy, alias Bel Ami war gestern nach Cannes gereist, um den sterbenden Freund zu besuchen (und um seine zukünftige Witwe zu trösten). Man logiert in der Villa Jolie. Ich habe gestern tatsächlich nachgeschaut, ob es in La Californie, denn die Wegbeschreibung passt auf dieses Viertel, eine Villa Jolie gibt. Aber nein, die Villa, die zum Vorbild wurde, wenn sie es denn wirklich gab oder noch gibt, hat einen anderen Namen. Irritiert bin ich allerdings über die beschriebenen “dichten Fichtenwälder”. Ich vermute, dass der Übersetzer, anders als Guy de Maupassant, sich nicht bis nach Cannes begeben hat, um die Flora und Fauna zu überprüfen. In Cannes gab und gibt es keine Fichtenwälder. Es gibt Pinienwälder. Pinien gehören zur Familie der Kiefern. Wenn man “Kiefernwälder” übersetzt hätte, wäre ich nicht schockiert gewesen. Aber Fichten! Pinien, um das auch noch zu sagen, vor allem die großen Schirmpinien gehören hier zur heimischen Flora. Palmen hingegen, auch wenn hier immer mehr gepflanzt werden, und sich sogar schon wieder eine selbst in unserem Vorgarten ausgesät hat und sich sichtlich wohl fühlt, wurden irgendwann importiert.

Auf einer Stadtansicht von Cannes, die vermutlich aus dem Jahr 1860 stammt, ist weit und breit noch keine einzige Palme zu sehen.

Es waren die Engländer, die Ende des 19. Jahrhunderts die Mimose aus Australien und die Palmen aus ihren subtropischen Kolonien mitgebracht haben. Heute sind die Palmen aus Cannes nicht mehr wegzudenken, das Stadtwappen ziert ein Palmwedel und nicht zuletzt wird hier alljährlich während der Filmfestspiele die Goldene Palme verliehen. Und wenn das keine schöne Überleitung ist, ich zeige Ihnen hier nämlich das neue Plakat der diesjährigen Filmfestspiele.

L’image est extraite du film “Rhapsodie en août” d’Akira Kurosawa (1991) © Shochiku Co., Ltd. / Kurosawa prod. / Création graphique © Hartland Villa

So viel für heute! Bonne soirée!

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8 Responses to Von hier bis ans Meer

  1. Marion sagt:

    Bin froh, dass ich trotz allem einen guten Schlaf habe – noch. Gestern Nacht haben polyphone Renaissance-Gesänge (amarcord) auf ARTE für die nötige Bettschwere gesorgt.
    Ich hatte mal eine Kollegin, deren Hobby das “Birdwatching” war. Leider war sie nicht gesprächig, so dass ich nichts weiter darüber erfahren habe. Gerade gelesen: Kiefern gehören auch zu den Fichten und der Verbreitungsgrad passt auch. Früher gab es ja viel mehr Wälder im mediterranen Raum, vielleicht ist es doch nicht so verkehrt?
    Hier ein kleiner Song-Spaß zum Wochenbeginn aus Kölle, ebenfalls Stadt der grünen Papageien (wobei ich sie nie sehe, muss wirklich mal stärker drauf achten): https://www.youtube.com/watch?v=f2apRkxhl3w

    • dreher sagt:

      Als der Verlag noch in Marienburg war, mit dem schönem Garten, hatten wir die Papageien immer vor dem Fenster. Du kannst aber auch einfach am Rhein entlanglaufen, sie sind wirklich überall in den Bäumen. Danke dir, das Lied habe ich noch nicht angehört.
      Nun, ich habe mein gepflegtes Halbwissen ja meistens von Monsieur, der besteht auf Kiefern.

  2. Bianca sagt:

    Es gibt eine tolle App von der TU Chemnitz zur Bestimmung von Vogelstimmen, man nimmt den Vogel auf und bekommt dann eine mehr oder weniger sichere Vogelbestimmung, ich hab viel damit gelernt. Die App heißt BirdNET.

  3. Croco sagt:

    Es funktioniert tatsächlich mit den Vogelstimmen! Man kann sie rufen mit dem Gesang.
    In der Schule habe ich es schon ausprobiert mit dem Amselgesang.
    Im Frühjahr, wenn sie wuschig sind, öffnet man das Fenster und lässt Ruf und Gesang mehrfach abspielen. Ich hatte schon sieben Amselhähne gleichzeitig vor dem Fenster des Biosaales. Man darf sich halt nicht bewegen.

  4. Croco sagt:

    Ach ja, zum Einschlafen funktionieren bei mir die Podcasts sehr gut. Am besten sind die ganz monotonen und langweiligen.

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