Bergpässe

Heute habe ich mir zur Entspannung noch einmal die Tour de France auf dem Sofa angeschaut – und natürlich auch, weil sie auf dem Col de la Couiolle endet, einem kleinen Pass unweit unseres Bergdorfes, über den ich in meinem ersten Jahr in den Bergen ständig gefahren bin, weil ich an den Sommerwochenenden in einem Berghotel (Lo Robur in Roure, ich verlinke es nicht, weil es schon so oft den Besitzer gewechselt hat, damals gab es einen fantastischen Koch, aber das Haus war sehr einfach) in einem anderen Tal gearbeitet habe, dem Tal de la Tinnée, “dem Tine-Tal”, so hat es meine Freundin Tine getauft.

Dass ein Col kein Gipfel sondern eben ein Pass ist, habe ich in diesem ersten Jahr auch gelernt, nachdem ich über mehrere Cols gefahren bin und jedes Mal enttäuscht war. Ich erwartete immer irgendetwas Besonderes, einen Gipfel vielleicht (aus heutiger Sicht eine verrückte Idee) – ich wusste nicht, was ein Pass eigentlich ist, ich, Städterin, wusste damals aber auch nicht, was ein Tal ist.

Als Gebirgspass, Passübergang oder kurz Pass bezeichnet man den Übergang in das aus Sicht des Talbewohners jenseits des Gebirges liegende Tal. Als Übergang oder zur Überfahrt geeignet ist eine möglichst tief gelegene, gangbare oder befahrbare Stelle eines Bergkamms, Höhenrückens oder Gratverlaufs zwischen zwei Bergstöcken oder -ketten.

Danke Wikipedia

Die Journalisten bissen sich heute zu Beginn der Übertragung der Etappe über vier Pässe bzw. Cols (Col des Braus, Col de Turini, Col de la Colmiane, Col de la Couiolle) immer wieder lachend auf die Lippen und schoben die Aussprache des Zielpasses gerne einem anderen in der Runde zu. “Couiolle” kommt dem Wort “couille” sehr nahe, das vulgär für – hüstel – Hoden steht, oder auch “couille molle”, was man mit “Weichei” übersetzen könnte. Die im Französischen häufig verwendete Redewendung “Il nous casse les couilles” bedeutet wörtlich “er geht uns auf den Sack”, meint natürlich, auf die Nerven.

Der Col de la Couiolle, eher bescheiden und unspektakulär (abgesehen von der seit einigen Jahren existierenden Spitzenküche in einer von außen schlichten Unterkunft), sorgte heute also für Gesprächsstoff und Gelächter. Ich freute mich vor allem auf die allerletzte kurvige Bergstrecke bis zum Ziel auf diesem Col, denn ich bin sie schon so oft gefahren, mag sie sehr und fand sie immer ein bisschen verwunschen mit den grün bewachsenen Felswänden, den kleinen alten gemauerten Brücken und den Wasserfällen, den winzigen Tunnels und zu meiner Zeit wenig Gegenverkehr. Außer ein paar Motorradfahrern fuhr kaum jemand auf dieser schmalen, kurvenreichen Straße, die an ein paar einsamen Bergdörfern (Roure, Roubion) vorbeiführt. Heute dann ein paar verrückte Radfahrer, für die, so scheint es, die Straße neu geteert und hier und da verbreitert wurde. Ich habe mich schon vor vielen Jahren von der Tour de France “verabschiedet”, die Zeiten, in denen ich die Teams und ihre Fahrer kannte, sind lange vorbei. Damals wurde mir zu viel gedopt und der junge Mann, der heute zum fünften Mal die Tagesetappe gewonnen hat, erscheint mir auch zu leichtfüßig im Vergleich zu den anderen, die sich deutlich mehr quälen. Aber was weiß man schon.

Was mich heute beim Zuschauen genervt hat, war die Präsenz des Supermarkt-Sponsors Leclerc, der das diesjährige “gepunktete T-Shirt” für den besten Bergfahrer gesponsert hat (das hässlich und billig aussieht und mich an eine Salamiverpackung erinnert) – und dass sie es wohl entlang der Tour an fast alle ZuschauerInnen verteilt haben, die es auch brav getragen haben. Sie wissen es vielleicht, aber bevor sich die Radfahrer den Berg hinaufkämpfen, fahren erst einmal wie beim Karneval jede Menge Sponsorenautos an den seit Stunden ausharrenden ZuschauerInnen vorbei, und normalerweise werden dann zur Bespaßung großzügig Kamelle, äh, Werbeartikel oder Käse oder Salami (in Plastikverpackung) verteilt – das sollte aber auf den südlichen Bergstrecken, die durch den Nationalpark Mercantour führten, vermieden werden, insofern gab es wohl “nachhaltige” T-Shirts. Man sah nur das, fand ich, Leute in billigen Salamiverpackungs-T-Shirts. Ätzend. (Und nein, ich zeige Ihnen jetzt nicht auch noch ein Foto davon!)

Hier jetzt aber unsere Col-Überquerung vom Ubaye- ins Vartal von Anfang Juni. Die Strecke von Barcelonette zum Col de la Cayolle (Achtung, nicht verwechseln!) ist toll schön, spektakulär, und die meiste Zeit einspurig, die Monsieur mit einer wieder neu erwachten Rennfahrerleidenschaft fuhr. Nicht nur, dass ich kaum sinnvolle Fotos machen konnte, (bitte verzeihen Sie mir die Unschärfe!) mir wurde erstmals auch schlecht und ich bat ihn inständig, weniger ruppig zu fahren, denn sonst hätte ich mich am Straßenrand übergeben müssen.

Alles Schöne und Besondere (“Halt an! Eine Schlüsselblumenwiese!”) wurde mit “kennen wir schon!” abgetan und durchgebrettert, als gäbe es einen Rekord zu brechen.

Oben auf dem Col lagen nur noch ein paar schmutzige Schneefelder, grün war es Anfang Juni noch nicht.

Die “andere” Seite, das Var-Tal – letzte Berge vor dem Meer :-)

Für den Enzian, den sieht man nicht so oft, hielt Monsieur tatsächlich mal kurz an, so dass ich ein Foto aus dem Fenster machen konnte. Da waren wir aber auch schon auf der anderen Talseite, fast “zu Hause” und durften uns einen Verschnaufer gönnen.

Die tief hängenden gelblich-grauen Wolken auf beiden Seiten des Cols waren übrigens voller Saharasand und regneten in der Folge mehrfach ab.

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2 Responses to Bergpässe

  1. roswitha sagt:

    wunderbarer bericht der mich so manches lehrte, z.b. über pässe. und die blüten des enzians umgeben von stiefmütterchen(viola) und anemonen, das gefällt mir. danke für die immer interessanten beschreibungen aus einer gegend, in der ich mich sehr wohlgefühlt habe(montlaux), ende der 70-er jahre, ewig her. herzlichen gruß, roswitha

    • dreher sagt:

      Vielen Dank, liebe Roswitha!
      Freue mich, wenn Sie etwas “mitnehmen” aus meinen Texten.
      Montlaux habe ich mal gegoogelt – war bestimmt sehr besonders, dort Ende der Siebziger!
      Liebe Grüße!