Wer derzeit die Tour de France schaut, ist meiner französischen Bergwelt ganz nah. Da in Paris die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele laufen, wird die triumphale Schlussetappe der Tour de France, die traditionell immer auf den Champs Elysées in Paris stattfindet, kurzerhand in den Süden nach Nizza verlegt. Und auch die letzten (nicht nur bergigen) Etappen finden hier im Süden statt. Gestern habe ich die Tour (im Französischen ist die Tour übrigens männlich, le Tour de France heißt es!) aus allen möglichen Gründen verpasst, aber heute habe ich wenigstens ein bisschen davon gesehen (es ging über den höchsten Col Europas, den Col de la Bonette). Vor dem Fernseher natürlich. Ich gehe nirgendwo hin, leider auch nicht zu der sommerlichen Hochzeit. Die Gründe kann man sich an zwei Fingern abzählen. Kein Kommentar.
Gestern war die Tour in Barcelonette angekommen, einer Kleinstadt im Ubaye-Tal (sprich etwa: Ü-baij), das von Nizza aus gesehen hinter dem Col de la Cayolle liegt und nicht nur deshalb ein eher seltenes Ziel für uns ist, auch weil es für uns in den Wintermonaten unzugänglich ist (der Col de la Cayolle ist eine von mehreren Etappen der Route des Grandes Alpes und in der Regel von Oktober bis Ende Mai wegen Schnees gesperrt). Im Juni dieses Jahres waren wir in der Nähe von Grenoble unterwegs, und der kürzeste, aber fahrerisch anspruchsvollste Rückweg in unser Bergdorf (wo wir zur Europawahl hinfuhren! Können Sie sich daran noch erinnern? Was ist seither nicht alles geschehen und auch nicht geschehen! Die politischen Diskussionen zur Regierungsbildung nehmen kein Ende!) – der kürzeste Weg also führte von den Chartreuses über Barcelonette und den Col de La Cayolle.
In Barcelonette hatte ich uns eine Übernachtung in einer der “mexikanischen Villen” gebucht, so dass wir dort zum ersten Mal einen Abend und eine Nacht verbrachten. Von den Villen wusste ich, und dass man auch in einer komplett erhaltenen Villa übernachten kann, die zu einem Guesthouse oder auf Französisch chambres d’hôtes umgebaut wurde, hatte ich kürzlich in der Sendung Echappées belles gesehen. Ich hoffe, Sie können sich die verlinkte Sendung anschauen, es ist natürlich auf Französisch, um die mexikanischen Geschichte von Barcelonette, die Villen und die Villa Puebla im Besonderen geht es aber erst ab 1:23:10 und es ist auch der letzte Beitrag der Sendung.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wanderten Bewohner Barcelonettes nach Mexiko aus, wo sie in der Textilindustrie erfolgreich wurden. Die reichsten unter ihnen kehrten nach Barcelonette zurück und errichteten hier stolz ihre Sommervillen, einige im Art-Déco-Stil, andere im eklektischen Stil, eine Villa erinnert dezent an Schloss Neuschwanstein. Die Villa Puebla ist eine der ältesten “mexikanischen” Villen und wurde von Laurent und Tessi, einem Franzosen und einer Schwedin, zu einem Gästehaus umgebaut.
Die Villa bekam eine Heizungsanlage, die Zimmer bekamen Bäder, die Betten neue Matratzen, die Küche wurde durch einen Wanddurchbruch vergrößert und außerdem modernisiert, aber das Haus war und ist, auch mit seiner Einrichtung, unverändert erhalten geblieben.
Sogar die originalen Tapeten konnten mit Tapetenrollen, die man auf dem Dachboden gefunden hatte, und die wie durch ein Wunder weder von Mäusen zerfressen noch von Schimmel befallen waren, repariert werden.
Natürlich gibt es keinen Fernseher im Haus, aber es gibt W-lan, und Monsieur konnte Motorsport, ich glaube, es war der Grand Prix von Monaco, auf seinem Laptop sehen.
Währenddessen bin ich ein wenig durch Barcelonette gelaufen, das an Markttagen sehr belebt sein kann, aber an diesem Freitagabend sehr verschlafen war, nicht nur wegen des regnerischen Wetters. Aber es hat mir gefallen, vor allem, weil man von jeder Gasse aus einen Blick auf die Berge hat.
Und nein, ich aß dann nicht beim Mexikaner, sondern holte mir eine Pizza und aß sie in der Küche des Hauses, wo sich ein junger Mann zu mir gesellte, ein Gast der Villa, aus Australien stammend, aber in New York lebend, ein Künstler, von Laurent und Tessi zu einem Aufenthalt als “artist in residence” eingeladen. Wir sprachen über das Leben, das uns jeweils in andere Länder verschlagen hat, er ist jung, schüchtern und sehr bescheiden, und erst als ich später seinen Namen googelte, den er mir auf ein Stück Papier geschrieben hatte, wusste ich, dass ich mit einem der aktuell erfolgreichsten Illustratoren geplaudert hatte, während ich mir mit vollem Mund und wie ein Kind die Käsefäden der Pizza von Hand in den Mund geschoben habe.
Ilya Milstein heißt der Künstler und seine Wimmelbilder zieren manchmal den New Yorker, vor kurzem auch eine Ausgabe des Süddeutschen Magazins.
Liebe Christiane, vielen Dank für den interessanten Bericht und die vielen schönen Fotos.
Ein schönes Wochenende und – vor allem – gute Besserung!!!
Liebe Grüße Uschi
Danke liebe Uschi! Auch ein schönes Wochenende für dich!
Heute ist mir Ihr Text mit den wunderbaren Bildern wieder mal unter die Haut gegangen. Auch weil mir jetzt öfter deutlich wird, dass ich vieles nicht mehr persönlich sehen kann.
Dieser Ort mit den herrlichen Häusern, Ihre Unterkunft in dem einen besonderen Haus mit wunderschöner Inneneinrichtung, die Liebe und Pflege durch die Eigentümer und wie besonders berührend Ihre Begegnung mit dem jungen Mann. Großes Können hat es nicht nötig, groß aufzutreten. Das gilt meiner Meinung nach ebenso für Sie, liebe Christiane.
Und natürlich auch von mir: Gute Besserung!
Sehr herzlichen Dank, liebe Trulla, Ihre Worte gingen mir auch unter die Haut, ich bin hier, alleine vor dem PC, scham-errötet vor Freude!
Außerdem ermutigen Sie mich, von dem kleinen Ausflug zu erzählen, zu dem ich Monsieur buchstäblich gezwungen habe, aus genau diesem Grund nämlich: man wird es bald nicht mehr sehen oder machen können, wenn nicht jetzt. Eine Art kleine “bucket-list” (die Villa in Barcelonette war nur ein Punkt darauf): wir haben in wenigen Tagen sehr bereichernde Begegnungen erlebt, und auch wenn es anstrengend war, sind wir beide froh, es gemacht zu haben.
Und natürlich danke ich Ihnen auch für die Genesungswünsche!
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