Falls Sie es kürzlich noch nicht gelesen haben, Herr Buddenbohm hat sich sehr detailreich zum Oktoberfest geäußert, das jetzt wohl zur hanseatischen Tradition wird. In meinen Kommentaren lese ich, dass Oktoberfeste jetzt gefühlt überall in Deutschland stattfinden. Auf Instagram folge ich ein paar Fahrradjungs, wie ich sie nenne, die aus unterschiedlichen Gründen mit dem Fahrrad um die Welt reisen. Ich könnte altersmäßig ihre Mutter sein, aber ich bin echt angefixt von den großartigen Landschaftsfotos und Geschichten, die sie teilen. Einer von ihnen ist Fabian alias @permacycle; er sucht weltweit Permakulturfarmen auf und schleppt zum Zweck des Saatguttauschs anderthalb Kilo Saatgut mit sich herum, weil er möchte, dass es weltweit mehr Vielfalt bei Obst und Gemüse gibt, als das, was einem standardmäßig im Supermarkt angeboten wird. Tolle Sache. Etwas, was all die Jungs gemeinsam haben, ist die Lust auf Bier, immer wieder werden erstaunliche Bierfunde in Minisupermärkten der abgelegensten Gebirgsregionen Zentralasiens in den Stories gezeigt. Neulich war Fabian in Kasachstan. In Almaty, der größten Stadt des Landes, gibt es, man glaubt es kaum, ein Paulaner Brauhaus, ein riesiges, nagelneues Brauhaus im bayrischen Stil, Kellner und Kellnerinnen in Tracht (er Lederhose und rotkariertes Hemd, sie Dirndl), und es gibt dort nicht nur Paulaner Bier zu trinken, sondern auch Laugenbrezeln und Weißwurst zu essen! Unfassbar! Und in einem Filmschwenk in der Story auf Instagram habe ich Hinweisschilder entdeckt, die zu den “Stuberl” und zum “Biergarten” führen! Ich habe mir dann heute mal die Internetseite von Paulaner angesehen, und es wird noch viel verrückter, denn Brauhäuser im Bayrischen Stil gibt es fast überall auf der Welt, unzählige allein in China, aber auch in Taiwan, Indonesien und in Singapur, und eben auch in Almaty (Kasachstan) und in Baku (Aserbaidjan). Alle Paulaner Brauhäuser auf der ganzen Welt können Sie hier entdecken. Der internationale Werbespruch lautet übrigens: Celebrate the Prost.
Und siehe da, es gibt Oktoberfeste in solchen Brauhäusern, etwa in Südamerika, aber auch in Spanien, Griechenland und ich staune sehr, sogar in Cuneo, das ist eine kleine italienische Stadt im Piemont gleich nebenan. Da wird neben der Piemontkirsche auch dem Bier und der Weißwurst gefrönt. Wer hätte das gedacht!
Wenn man mir in Frankreich etwas Nettes über Deutschland sagen will, dann kommt in der Regel ein anerkennendes “La fete de la bière est super!” Fete de la bière, Bierfest, so heißt das Oktoberfest in Frankreich. Alle waren schon einmal dort. Auch eine recht vornehme Dame, neben der ich kürzlich bei einem Essen zu sitzen kam, fand das Bierfest formidable! Ich selbst war wie gesagt noch nie da, und werde da wohl auch nicht mehr hinkommen, Bier kann ich ja eh keines mehr trinken, und nüchtern ist das Ganze vermutlich nicht zu ertragen.
Ich glaube aber auch, dass man diese Art des Feierns von “außen” nicht wirklich verstehen kann. So ging es mir mit dem Kölner Karneval, zu dem ich damals “gezwungen” wurde: Die gesamte Verlagsbelegschaft zog an Weiberfastnacht nach einem ausgiebigen Frühstück (u.a. mit Mett-Igel!) verkleidet in die Südstadt, um in einer bestimmten Kneipe zu feiern. Am liebsten hätte ich mich davor gedrückt. Erwachsene Menschen, die sich verkleiden, kölsche Lieder singen und tagelang Bier trinken, das war mir so suspekt. Aber sich als neue Mitarbeiterin dem Karneval zu entziehen, ging einfach nicht. Die Kolleginnen halfen mir bei der Kostümauswahl (ich meine mich zu erinnern, dass ich als Nichtschwimmerin ging, nein, nicht im Badeanzug, ich hatte etwas blau-weiß Geringeltes an, hatte eine Schwimmbrille auf der Stirn, Schwimmflügelchen und ein Quietscheentchen im Arm (die Flügelchen und das Quietscheentchen verlor ich bald) und versicherten mir, großes Ehrenwort, dass ich am Donnerstagmorgen bestimmt nicht die Einzige sein würde, die verkleidet im Bus sitzen würde. Am meisten Angst hatte ich davor, mich zu blamieren und auf irgendeinen Scherz hereinzufallen. Aber es war wirklich erstaunlich, was sich am Karnevalsmorgen schon alles in der Stadt und in den öffentlichen Verkehrsmitteln tummelte: dicke Männer im Biene Maja-Kostüm, Clowns, Piraten, ältere Damen mit Blumenhut und Herzchen auf der Wange, Erwachsene, alle verkleidet, aber vor 11.11 Uhr noch mit ernsten Arbeitsgesichtern. Na gut, beim ersten Karneval war ich noch etwas verklemmt, aber nach ein paar tanzenden und singenden Tagen hatte mich das Karnevalsfieber gepackt – Außenstehenden kann man nicht erklären, was da los ist und dass man Lust hat, verkleidet am helllichten Tag in überfüllten Kneipen auf Tischen zu tanzen, zu schunkeln und zu singen. Der Rheinländer ist ja auch im Alltag eher aufgeschlossen und sangesfreudig, zumindest was das kölsche Liedgut angeht, das es wohl in keiner anderen Stadt so gibt, aber im Karneval potenziert sich das ins Unendliche, alle reden, lachen, singen und tanzen miteinander, liegen sich in den Armen und teilen inbrünstig eine geradezu trunkene Köln-Liebe. Ach Kölle, do bes e Jeföhl!
Vielleicht ist das Oktoberfest, wenn man “drin” ist und mit FreundInnen oder KollegInnen feiert, auch “ein Gefühl”, das man Außenstehenden nicht erklären kann. Ich kann es mir zumindest vorstellen. Ob man dieses Gefühl aber bis nach Almaty, Sao Paolo und in irgendeine entlegene chinesische Provinz transportieren kann, das bezweifle ich stark. Und, Nachtrag, bis eben war ich davon überzeugt, dass es in Frankreich keine Oktoberfest-Varianten gibt, aber oh Schreck, es geisterte heute sogar ein Bierfest in Cannes (!) durch meine Timeline. Aber nein, ich werde nicht mal zu Recherchezwecken dort hingehen!

Ein ganz anderes Thema. Michel Blanc ist gestorben, ein französischer Schauspieler, der in Frankreich vor allem durch die Serie “Les Bronzés” bekannt wurde, in der er in jeder der drei Episoden einen Loser spielt, unattraktiv, unbeholfen und verzweifelt auf der Suche nach Liebe, und sei es nur für eine Nacht. Es gelingt ihm nie. Er tut einem von Herzen leid, zumal seine “Freunde” sich auch noch über ihn lustig machen. Auch wenn die Serie ein finanzieller Erfolg wurde und die Schauspieler (Michel Clavier, Thierry Lhermitte, Josiane Balasko, Gérard Jugnot) Freunde fürs Leben wurden und sich in dieser oder ähnlicher Zusammensetzung bis heute für alle möglichen anderen Komödien zusammenfanden, hatte Michel Blanc es bald satt, nur als Jean-Claude Dusse gesehen zu werden und suchte sich bewusst andere Rollen.
Das Fernsehprogramm wurde ihm zu Ehren geändert, und als erstes wurde mein persönlicher Lieblingsfilm (ich habe eine Schwäche für Komödien, die im landwirtschaftlichen Milieu spielen) “Je vous trouve très beau” gezeigt. Ich mochte Michel Blanc in der Rolle des mürrischen Bauern Aimé Pigrenet sehr und habe meinem Kommissar Duval einen Kollegen zur Seite gestellt, der von dieser Figur inspiriert ist und nur wenig verhüllt Michel Le Blanc heißt. Sozusagen mein persönliches Denkmal.
Heute lief auch die erste Folge von “Bronzés”; die Serie, die in Frankreich Kult ist, habe ich natürlich irgendwann gesehen, aber nie wirklich lustig gefunden; aus heutiger Sicht geht der Humor der 70er Jahre, sexistisch und auch ein bisschen rassistisch, gar nicht mehr.
Hier eine Zusammenstellung der “besten” Szenen
Dann aber auch “Monsieur Hire”, der erste Film, in dem Blanc eine ganz andere Rolle spielt; ich finde den Film sehr bedrückend, vor allem weil Monsieur Hire, ein russischstämmiger Jude, der eigentlich Hirovitch heißt und Schneider ist, als Außenseiter der Gesellschaft dargestellt wird. Und das am Vorabend des 7. Oktober.
Liebe Christine,
ich bin ein wirklicher und echter Bayer 14. Generationen hab ich stolz in meinem Stammbaum. Aber das Oktoberfest hab ich noch nie besucht. Für viele Münchener ist das echt ein Albtraumzeit. Kollegen von mir mach entweder grundsätzlich Urlaub um den Irrsinn zu entgehen, meiden die Innenstadt oder haben grundsätzlich Wechselkleidung dabei falls sie mal wieder in der U-Bahn vorgek****** werden. Das so ein Massenbesäufnis ein Exportschlager ist find ich traurig da die bayerische Kultur so vielfällig ist und alles nur auf Saufen, Party und furchtbare Musik reduziert wird.
Bayern ist im Bund ja eher ein peinliche Angelegenheit – wir haben einen mediengeilen Ministerpräsidenten, sind alle etwas dämlich und haben nur schöne Landschaft im Angebot.
Und über das Thema Tracht schreibe ich lieber nix – aber nur weil man sie in eine Leberhose oder ein Dirnl quetscht mutiert man noch lange nicht zum Bayern – das ist nur Fasching im Oktober.
Liebe Grüße Claudia
Liebe Claudia,
vielen Dank für deine original bayrische Sicht der Dinge, so ähnlich sehe ich das auch – von meinen damaligen Münchner KollegInnen ging auch niemand zum Oktoberfest, aber ich habe das Gefühl, dass sich etwas geändert hat – vielleicht nicht unbedingt zum Guten (vor allem nicht für die Anwohner) aber (nicht nur) Instagram ist voll mit jungen Menschen, Bayern und anderen, die alle in Tracht und mit Freunden auf die Wiesn gehen. Als ich “jung” war, wäre das ein absolutes no go gewesen. Und wo ich hinschaue wird übers Oktoberfest berichtet, in der ZEIT (!) gab es ein Interview mit einer Wiesn-Kellnerin.
Aber natürlich hast du Recht, es ist kein echtes Volksfest (falls es da jemals war) sondern Karneval im Oktober.
Liebe Grüße ins Allgäu!
Soeben entdeckt: Hier im Ort wird das Oktoberfest gleich mit der nächsten Karnevalssession verknüpft (Bericht vom letzten Jahr); wie praktisch, 2 Fliegen mit einer Klappe😅😯:
https://pulheimreport.de/pulheim/gruen-gelb-feiert-weiss-blau-oktoberfest-der-kg-ahl-haere/
Und der bayerische MP ist auch noch pseudo-cool (“damit bin ich ‘fein'”, autsch).
Deutsche sind ja überall auf der Welt immer zahlreich vertreten, vielleicht deshalb die grassierenden Oktoberfeste auch im letzten Winkel dieser Erde. Man kann auch versuchen, es positiv sehen: wenigstens etwas, das man an uns schätzt 🤔. Ich hatte eine nette und lustige Kollegin, die (vielmehr ihre Familie) aus Almaty stammte. Die würde ich jetzt gerne befragen. Es gibt jedenfalls viele Deutschstämmige in Kasachstan!
Danke für den Hinweis auf Michel Blanc und die tollen Filmtipps!!
Bitte gerne. Ich habe gerade noch die Trailer verlinkt – gestern Abend war ich zu müde.
Ja, haha, das ist kölscher Pragmatismus, jeder Anlass ist gut, um ein Fässchen Kölsch anzuzapfen und zu feiern
Und du hast natürlich Recht, in Südamerika gibts viele Deutsche, in Spanien ebenso – und vielleicht auch in Kasachstan. Dass es in China so viele Brauhäuser gibt, wo die Asiaten nicht mal Alkohol vertragen, ist mir jedoch ein Rätsel.
Aber Paulaner ist gut im Geschäft, das ist sicher!
Ich hatte einen langen Kommentar geschrieben, ist er angekommen? Hier erscheint kein Hinweis “wartet auf Freischaltung”, ansonsten habe ich wohl nicht auf “abschicken” gedrückt. Mist! Aber das war früher auch schon mal so, dass die Kommentare scheinbar im Nirvana verschwanden…
Bin unterwegs Marion, hab es nicht so im Blick, pardon, alles angekommen!
👍🥰
auf den traditionellen Festen wir Kirmes und Co gibt es keine Festzelte mehr, weil da irgendwann keiner mehr hin ging, weil Bier und Blasmusik bei den Jungen als uncool galten. Wenn man das ganze aber Wiesn oder Oktoberfest nennt, rennen plötzlich alle hin…ich versteh es ja auch nicht.
Kostet auch noch richtig viel Geld, man muss Karten kaufen oder gleich einen ganzen Tisch mieten.
Eine junge Kollegin sagte mal zu mir, dass der Chef überlegt ob wir da mal alle zusammen hingehen, ich: da bin ich krank…sie: wieso, du weißt doch noch gar nicht wann das ist? – Egal, ich bin da auf jeden Fall krank*g*…keine 10 Pferde kriegen mich da hin.
Vielleicht ist es genau das – es wird teuer und damit elitär, und dann muss man sich auch noch extra einkleiden …
Ich habe im Internet gesehen, wie Männer frühmorgens über die Wiesn rannten und sich in irgendwelchen Zelten auf Tische warfen und darauf liegenblieben, um so den Tisch zu reservieren … mein Gott!
Also …. dein Karnevalskostüm behalte ich im Hinterkopf! 😊Hier, in unserem kleinen Ort, geht immer ein Zug – vorbei am Haus unserer besten Freunde. Da laufen auch viele mit, die ich kenne – also ist dabei sein ein Muß. Verkleiden macht mir Spaß, wenn es ein originelles, preiswertes Kostüm ist. Den Film, der auf Deutsch “Sie sind ein schöner Mann!” heißt, kam vor Jahren mal im Fernsehen – spät. Deshalb hat mein Mann ihn auf DVD aufgenommen – und ich habe ihn noch! Heute abend wollen wir mal sehen, ob er noch funktioniert 😏! LG Gundula
Haha
das ist ja schön, dass dich mein allererstes Karnevalskostüm inspiriert! Die Schwimmflügelchen waren in den vollen Kneipen etwas hinderlich, aber draußen sollte das kein Problem sein!
Ich hoffe, es hat geklappt mit dem Film!
LG