Die Möwen fliegen und kreischen immer noch höchst erregt durch den südlichen Himmel, um ihr Territorium und die Flugversuche ihrer Jungen zu verteidigen. Heute Morgen gegen halb acht war ich im Meer schwimmen und wunderte mich über die anhaltende Aufregung der relativ tief fliegenden Möwen ein Stück weiter rechts. Ich dachte, es sei vielleicht ein Fischschwarm dort und die verschiedenen Eltern stritten sich um die Fische für ihre noch ungeschickt danach tauchenden Kinder. Was man als Möwe eben so lernen muss – ich konnte es aus der Entfernung nicht erkennen. Auf dem Rückweg zum Strand attackierten die wütenden Möwen plötzlich direkt über mir einen komisch aussehenden Vogel, der ihnen gerade noch so entkam: eine Drohne! Man sollte sich nicht mit Möweneltern anlegen, sie sind nicht zum Scherzen aufgelegt! Ich weiß nicht, ob es dieses Jahr mehr Möwen gibt, aber das scheinbar endlose Möwengeschrei (bis spät abends) ist mir bislang noch nie so aufgefallen.
Nach Abgabe eines Textes habe ich mich gestern mit zwei Stunden klimatisiertem Kino belohnt und mir den gerade angelaufenen Film „Avignon” angesehen. Eine romantische Komödie, die im Theatermilieu des jährlichen Festivals in Avignon spielt. Es ist der erste Spielfilm von Johann Dionnet, der im Film selbst mitspielt. Der Film handelt von der Diskrepanz zwischen Boulevardtheater und klassischem Theater und von einem jungen Schauspieler, der in Avignon im Off-Programm ersteres spielt, in einem Stück mit dem Titel „Ma soeur s’incruste” (zu Deutsch etwa: „Meine Schwester zieht bei mir ein und bleibt”). Er gaukelt jedoch einer jungen, aufstrebenden klassischen Schauspielerin, in die er verliebt ist, vor, er spiele die Hauptrolle in dem klassischen Theaterstück schlechthin: „Le Cid” von Corneille, das in Avignon im renommierten In-Programm gespielt wird. Die Geschichte wird konventionell erzählt, ist aber kurzweilig, pfiffig und amüsant. Nebenbei wird die Realität der Schauspieler (und des Regisseurs) erzählt, die sich im Leben mit kleinen Rollen und anderen Jobs durchschlagen, finanzielle Probleme haben, und beim Theaterfestival in Avignon neben dem Proben und Spielen auch noch Plakate aufhängen, Handzettel verteilen und eine „Parade” machen müssen, um Zuschauer in den Saal zu locken.
Man glaubt es kaum, aber ich habe 2006 in Avignon in einem Boulevardtheaterstück mitgespielt. Wir waren nur eine Woche lang dort, mehr konnten wir uns weder zeitlich noch finanziell leisten. Man muss den Saal, die Unterkunft, die Anreise mit dem Auto, das Benzin und die Verpflegung vor Ort zahlen. Wir haben vorher mit Theaterspektakeln, die wir im Tal gegeben haben, Geld „gesammelt”, um uns Avignon leisten zu können. Wir, das war eine kleine Theatergruppe namens „L’illustre Troupeau”, eine Anspielung auf das „L’illustre Théâtre”, eine berühmte Theatergruppe um Molière, und eine Anspielung auf unsere landwirtschaftliche Herkunft – „troupeau” meint Herde, insbesondere Schafherde. Für die Parade hatten wir uns als Schafherde verkleidet. Es war sicherlich das erste Mal, dass in Avignon eine Gruppe mit „Bäh, bäh”-Rufen durch die Stadt zog. Ich habe hier schon einmal darüber geschrieben, als ich 2011, dieses Mal als Zuschauerin, ein paar Tage in Avignon verbracht habe. Damals wurden die Bilder noch ganz klein im Text angezeigt. Man muss sie anklicken, um sie richtig sehen zu können. (Erkennen Sie mich?) Unser selbst geschriebenes Theaterstück drehte sich um den Abbau der letzten Telefonzelle in einem Bergdorf (das war damals aktuell!), um vergessene Träume und den Verlust von Kommunikation.
Während ich „Avignon” sehe, tauche ich ein in das Avignon-Ambiente im heißesten Hochsommer, in die Schwierigkeiten der Boulevardtheatergruppe. Ich sehe den alten klapprigen Bus – so einen hatten wir auch – und muss lachen, wenn der Tontechniker im Film seinen Einsatz verpasst, so wie unser Tontechniker auch immer mal wieder seine Einsätze verpasst hat. Melancholisch denke ich an unsere Theatergruppe zurück, die sich, anders als die Film-Gruppe, die ihr Stück später in Paris weiterspielt, in Avignon vollkommen zerstritten hat.
Ein sehr netter Sommerfilm, den ich mir glatt noch einmal ansehen würde, so gut hat er mir gefallen, irgendwie möchte man die Personen im Film gar nicht verlassen (und zwei Stunden im klimatisierten Kino tun ihr Übriges).
Ach wie schade, der läuft bei uns nur noch im Multiplex, und da gehe ich aus Prinzip nicht rein! Was aber sehenswert ist und bei euch vielleicht auch gerade läuft ist “Amélie et la métaphysique des tubes” nach dem Buch von Amélie Nothomb. Ich bin nicht gerade ihr grösster Fan, aber dieses Buch ist aus einer anderen Perspektive (nämlich die Ereignisse aus der Sicht des Kindes) gesehen und als Animationsfilm verfilmt. Nicht Disney-mässig, sondern poetisch und in tollen Farben und Formen, ein bisschen wie “Flow”, wenn du den gesehen hast. Ganz toll!!! Und im klimatisierten Kleinkino gesehen, welch ein erfrischendes Erlebnis! Eine der Szenaristinnen war auch da für ein Q&A…
Danke für den Tipp! Bin eher gar kein Fan von Amelie Nothomb, aber ich habe mir die bande annonce angesehen, könnte mir gefallen!
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Lustig 😅
Ich erinnere mich gut an Euer Avignon-Abenteuer! Wie schön, wenn man solche Erinnerungen hat für später… Danke für den Filmtipp. Ich gehe heute wohl auch noch ins klimatisierte Kino (ist super heiß geworden hier), um mir den neuen Film mit bzw. von Julie Delpy anzugucken, die ich immer noch sehr mag. Er wird nur heute in OmU gezeigt, soll aber etwas seicht sein (“Die Barbaren”) – tant pis.
Viel Spaß! Muss ja nicht immer alles schwer sein!
Ich mag July Delpy auch gern.
Klimatisiertes Kino bei Hitze ist immer eine gute Idee! In Genf wurde am Samstag offiziell “alerte canicule” ausgerufen, also Hitzewarnung, und bei Hitzewarnung dürfen sich alle Senioren in drei von der Kommune finanzierten, klimatisierten Kinos kostenlos Filme ansehen, um sich etwas abzukühlen.
Das ist doch mal eine gute Idee!
Alerte Canicule haben wir zwar auch, aber außer dem kostenlosen Rat drin zu bleiben und viel Wasser zu trinken, gibt’s nix 🙄🤷
Das ist wirklich eine nette Idee für die Senioren! Sooo klimatisiert war das Kino dann gar nicht, die werden auch nicht mehr so runtergekühlt wie früher, als man im Eiskasten gesessen hat (was ja auch ok ist). Habe dann doch nicht den Delpy-Film gesehen, sondern “Loyal Friend” mit Naomi Watts, hatte plötzlich Lust auf New York-Feeling. In meiner Dachwohnung werde ich die nächsten Tage nicht bleiben können (bis 39°). Flüchte wohl in meinen Lieblingspark o. Lieblingsbiergarten mit Bäumen, Schatten und einem lauen Lüftchen… Haltet Euch wacker!
Hier sind die Kinos so kalt, dass ich jedes Mal eine Strickjacke oder wenigstens ein Schultertuch mitnehmen muss! Und das bei Temperaturen über 36 Grad. Gesund ist das nicht. Danach ist der Schock nur umso größer.
Erträgliche Zeiten im Biergarten wünsche ich!