La Foire

Einmal im Monat ist in Guillaumes la foire. Foire meint, ein etwas groesserer Markt. Das bleibt in einem so kleinen Dorf dennoch ueberschaubar, aber gemessen an der ueblichen Beschaulichkeit ist doch etwas los auf den Strassen und Trottoirs und Plaetzen. Im laendlichen Milieu ist die foire stark jahreszeitlich ausgerichtet, …

und die Maerkte heissen auch verschieden. Im Fruehjahr gibt es passend zur Pflanzzeit die foire des plantes, das heisst, dass ueberdurchschnittlich viele Gaertner und Pflanzenhaendler vor Ort sind, und man kann dann von Stiefmuetterchen, Geranien, Petunien, Rittersporn, bis zu Salat-, Zuccchini-, Lauch- und Rote-Beete-Pflaenzchen alles erwerben, was so wachsen soll im Blumentopf und Gemuesegarten. Bei den Blumen muss man aufpassen — die Pflanzenhaendler kommen in der Regel von der Kueste und schleppen allerhand verlockende Pflaenzchen mit, die unser raues Bergklima nicht gut vertragen. Im ersten Jahr habe ich leidenschaftlich exotische Blumenpflanzen eingekauft, um festzustellen, dass es hier um diese Jahrezeit a) noch zu frueh und b) insgesamt zu windig und kuehl ist fuer derlei Gewaechs. Enttaeuscht finde ich mich also wieder mit den gleichen Balkonpflanzen wie in Deutschland: Geranien, Petunien, Begonien, Tagetes, Margeriten, an schattigen Plaetzen Fleissige Lieschen und da, wo es sehr sonnig wird, geht auch mal was Exotischeres, was aber wegen des Windes grundsaetzlich robust sein muss.

Im September zur Zeit der der sich wieder bergab bewegenden Transhumance heisst die foire foire des tardons; tardon bezeichnet die jungen Schafe, die im Fruehjahr geboren wurden und im Sommer in den Bergen aufgewachsen und hoffentlich schoen fett geworden sind, und die auf der foire zum Verkauf angeboten werden, denn die Septemberfoire dient vor allem dem Verkauf von Schafherden.

Jetzt im Oktober war es die foire concours, ein Wettbewerbsmarkt mit grosser Versteigerung am Ende, hier wird alles gekuert: der schoenste Blumenkohl, der groesste Kuerbis, die rundesten Kartoffeln, die geradesten Karotten, die schoenste Kuh und der bravste Esel.

Die herbstlichen foires haben viel Tierbezogenes zu bieten. Neben Kuh- und Schafsglocken und den dazugehoerigen handgefertigten Holzgestellen, die den Tieren umgehaengt werden, gibt es Wolle und Wollerzeugnisse, wie handgewebte oder geknuepfte Teppiche oder gefilzte Kleider und Objekte, was hier noch ganz neu ist, dann Felle und Utensilien fuer die Schafschur. Und dann findet man natuerlich alles, was man auf franzoesischen Maerkten immer findet: Produkte der regionalen Bauern wie Kaese, Wuerste, Honig, dann Oliven, Korbwaren, Haushaltskram, Messer, Spielzeug, Schuhe, Klamotten, Krimskrams.

Frueher war die foire in Guillaumes die groesste und wichtigste landwirtschaftliche foire im ganzen Umkreis, und sie war insbesondere an den Rhythmus und das Leben der Schaefer gebunden. So wurden damals auch im Juni, bevor es in die Berge ging, Schafe verkauft, insbesondere die, von denen man sah, dass sie beim anstrengenden Aufstieg nicht mithalten konnten. Das findet heute gar nicht mehr statt. Bei den Herbstfoires kamen bereits waehrend der Nacht die Schaefer mit ihren Schafen von ueberallher, und unendlich viele Schafherden wurden in kleine Pferche gesperrt und es wurde in aller Fruehe vor Ort und nach Ansehen der Tiere lange verhandelt und der Verkauf rituell mit Handschlag besiegelt; danach wurde ordentlich gefruehstuckt und auch gern schon mal ordentlich getrunken, schliesslich ist man schon seit Stunden auf den Beinen. Der ganze Ort war voll mit Tieren, Schaefern und Viehhaendlern. Heute gibt es nur noch wenige Schaefer, die sich die Muehe machen, einen Teil ihrer Herde nach unten zu bringen, und auch dann ist sie oft schon verkauft. Es gibt insgesamt auch immer weniger Schaefer und alles ist viel pragmatischer geworden.

Ich kenne das “frueher” nur vom Erzaehlen und von Fotos, aber seit ich hier bin, haben sich die foires auch nochmal veraendert. Da es immer weniger kleine Bauern gibt und mit ihnen klassisches landwirtschaftliches Leben, werden auch die foires immer weniger landwirtschaftlich und hingegen mehr touristisch: banal, gesichtslos, austauschbar. Und wenn bald die ganzen Alten nicht mehr sind mit ihren winzigen Hoefen, den fuenf Huehnern, drei Ziegen, einer Kuh und einem Gemuesegarten, und die Anwesen dann von einer daran uninteressierten Familie an Côte d’ Azur-Franzosen, Deutsche oder Englaender verkauft werden, die sich hier ihren Sommersitz ausbauen, dann aendert sich hier mittel – bis langfristig noch einmal viel.

Auf meiner ersten foire gab es nachmittags noch eine richtige Schlaegerei, der zumTeil sehr zerstrittenen und hitzkoepfigen Schaefer, die um diese Tageszeit schon allerhand Alkohol konsumiert hatten. Nicht, dass ich das besonders erstrebenswert faende, aber das zur Veranschaulichung, dass das Ambiente anders war. Die Kneipen waren voll und laut, es wurde in grossen Gruppen zusammen gesessen, getrunken und gegessen und immer gab es etwas Deftiges wie les tripes, also Kutteln zu essen. Jetzt darf man ja drin nicht mehr rauchen, so dass sich das Geschehen in den Kneipen immer wieder lichtet, mal ist draussen mehr los, mal drinnen, aber irgendwie ist es insgesamt anders geworden, sauberer, glatter.

Mir hat sich das Phaenomen foire nicht von Anfang an erschlossen. Diese fiebrige Atmosphaere auf dem Hof, mit der die foire allmonatlich erwartet wurde, nur um dann stundenlang rumzustehen, zu trinken, und mit den gleichen Leuten wie immer zu plaudern, konnte ich nicht nachvollziehen und die aermlichen Kleiderbuden hatten fuer mich grosstadtverwoehnte Eventgeherin ueberhaupt keinen Reiz. Ich kannte ausser den Hofleuten niemanden, ich sprach schlecht franzoesisch und ich verstand kaum etwas. Das laute alkohol- und rauchgeschwaengerte Ambiente mit den wild aussehenden Schaefern war mir unheimlich und fremd. Was sollte ich hier? Ich war froh, wenn ich mit dem ersten Auto, das wieder hoch fuhr, mitfahren konnte, spaeter habe ich oft selbst ein Auto genommen, um mich davonschleichen zu koennen, wenn ich mich allzu doll langweilte.

Das hat sich veraendert. Ich kenne jetzt fast alle Menschen hier im Tal, die kennen mich, und ich werde selbst von manchen Schaefern mit Handschlag begruesst, und wenn man sich einen Monat, oder zwei oder drei nicht gesehen hat, weil man von seinem Berg vor lauter Arbeit oder im Winter vor Schnee nicht runter gekommen ist, freut man sich wirklich sich wieder zu sehen. Man bleibt stehen und redet, geht was trinken, verabredet sich zum Essen und setzt seinen Weg ein paar Schritte fort, um wieder jemanden zu begruessen, und vielleicht zu fragen, ob schon jemand Thierry aus Roubion gesehen habe, und ob Chantal heute auch da ist und wo der Messerhaendler seinen Stand hat und um zu bemerken, wie gross doch die Maedchen von Valérie geworden sind und wie huebsch, und Isabelle ist schwanger, na wie schoen, félicitations, und wollen wir nicht gemeinsam essen und wo esst ihr heute und hat schon jemand irgendwo reserviert …? Und dann kauft man Kaese und eine Wildschweinsalami, einen neuen Korb und ein kariertes Holzfaellerhemd und drei Paar Socken und fuer die Kinder irgendeinen Bloedsinn aus buntem Plastik oder einen Luftballon und etwas Nougat, und immer trifft man im Gewuehl Leute, die man schon eine Weile nicht gesehen hat und begruesst sich und verabredet sich zum Apéro oder zum Essen. Aus kneipensolidarischen Gruenden geht man am Tag der foire in alle Kneipen oder Bars, wie das hier richtigerweise heisst. So wird der Apéro in einer Bar eingenommen und kann sich hinziehen, weil ja wieder jeder jedem einen ausgeben muss, und daher wird das gemeinsame Essen, das dann in der Regel in einer anderen Bar stattfindet, auch eine spaete und sich lang hinziehende Aktion. Dann ist es schwupps nachmittags, und entweder wechselt man jetzt noch einmal die Bar, oder man bleibt, kommt ganz drauf an. Wenn es zum Beispiel regnet, geht man hier ja ungern nochmal raus. und wenn die Stimmung gut ist, gibts ja auch keinen Grund zu gehen. Wechselt man hingegen die Bar, trifft man nochmals andere Menschen, denen man gerne einen ausgibt und vice versa und so nimmt der Abend seinen Lauf. Vernuenftige und in der Regel nur leicht angetrunkene Freundinnen und Ehefrauen versuchen langsam ihren Mann aus dem Gewuehl loszueisen und zum Heimfahren zu bewegen, was im Winter mit dem Hinweis auf Glatteis manchmal gelingt, laue Sommer- und Herbstabende sind im Kreise Gleichgesinnter aber einfach zu schoen, als dass man so frueh schon brav nach Hause fahren koennte. Und wer laesst sich schon vor aller Augen von seiner Frau was sagen? Faire la foire heisst nicht umsonst durchfeiern. Und so kann sich das Geschehen noch lange hinziehen.

Anfangs war mir das unvorstellbar, dass man einen ganzen Tag so vertroedeln und vertratschen kann. Und versaufen. Was gibts denn da immer noch zu reden? Das haben wir doch schon dreimal gehoert heute und es ist doch alles so belanglos. Koennen wir nicht endlich heimgehen? Und dann kommt Benoit zur Tuer herein, und waren wir eigentlich schon beinahe gegangen, muss jetzt mit Benoit nochmal was getrunken werden. Allez, on va boire un petit coup, komm, einen trinken wir noch, nur noch einen… alors Benoit, erzaehl mal, wie gehts dir, was machst du so? Und wenn man Pech hat, ist einer der Huetehunde von Benoit vom Auto ueberfahren worden, oder er hat im letzten Monat oben in den Bergen sechs Schafe an den Wolf verloren. Darueber muessen wir erstmal aufgeregt diskutieren, denn der im Nationalpark Mercantour wieder angesiedelte Wolf, angeblich von allein eingewandert, ist der Feind Nummer Eins der Schaefer, und der Wolf ist das beliebteste Hassthema zwischen den studierten Ecolos, die fuer den Nationalpark arbeiten und den Schaefern, die seit Generationen hier die Schafe weiden. So schnell kommen wir hier nicht mehr raus. Dann deklamiert Loulou angetrunken und dramatisch ein Gedicht von Rilke fuer den Hund von Benoit, wie schoen, und dann gleich noch eins und wir trinken auf den treuen Hund und auf die Treue ueberhaupt und so gehts. Heute weiss ich einfach, dass es so ist, und etnweder ich geh zur foire oder ich bleib zu Hause, so ein richtiges Mittelding gibt es da nicht. Aber heute kann ich das auch, das redundante Reden ueber Alles und Nichts, das troedelige Zusammensitzen, und tatsaechlich sieht das alles anders aus, wenn man alle kennt und und dazu gehoert. Ich war am Samstag zum ersten Mal seit Monaten wieder auf der foire, das letzte Mal war Patrick noch dabei, das muss im Maerz gewesen sein. Es war wohltuend und bewegend, dass sich alle so gefreut haben, mich wiederzusehen, und sich freuen zu hoeren, dass ich hier bleiben werde. Es wollte gar nicht aufhoeren, das Umarmen und Begruessen und Reden und komm, wir trinken noch einen. Und ehe ich’s mich versah, war der Tag um. So ist sie… la foire!

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