Deutschland – Frankreich

Eifersucht, Enttäuschung, Müdigkeit und eine sich breit machende Bronchitis sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für einen gelungenen Blogbeitrag, und das nach so langer Zeit…

Wo anfangen?
Deutschland hat es mir schwer gemacht, meine Zelte endgültig abzubrechen. Sonne, milde Temperaturen, blauester Himmel, Weinberge in allen Herbstfarben – wie schön war das! Ich hab tatsächlich geweint, als ich die alte Bergstraße entlanggefahren bin, ich hatte das Gefühl, als dürfte ich das alles nie wieder sehen, was natürlich völliger Quatsch ist, aber dieses endgültige Weggehen war schwerer als erwartet. Ich bekomme ja viel Post von Menschen, die auch weggehen wollen und die mich nach Tipps fragen – ich muss hier mal in aller Öffentlichkeit sagen, dass ich da auch keine Expertin bin, ich bin ja eigentlich nur mal ein paar Monate weggegangen und dann da geblieben. Das mag an sich vielleicht schon nicht so einfach sein, aber so richtig weggehen ist dann doch noch mal was anderes. Ich bin ja eigentlich eine erprobte Umzugsfrau, aber dieser Umzug war mein schwerster: es galt diesmal sich von so vielem endgültig zu trennen: Ich versank dabei in Büchern, Fotos, Briefen, Kontoauszügen, Schul-, Berufsschul- und Uni-Ordnern, Kinderspielzeug, Kleidern und Krimskrams, mein ganzes Leben zog an mir vorbei. Was lasse ich da, was soll noch mit? Abgesehen vom aufwühlenden Abschiednehmen, ist das Wegwerfen ja auch nicht mehr so einfach. Von wegen Müllsack auf und rein… ich sah mich mit dreierlei Mülltonnen konfrontiert, die nach einem komplizierten Plan abgefahren wurden und die, kaum waren sie geleert, gleich wieder voll waren. Stadtbibliotheken und Oxfam kapitulierten vor den Massen meiner Bücher und Kleider und nicht mehr benötigten Dinge und mangels Zeit beauftragte ich letztlich einen privaten Entrümpler. Ich habe mich bestimmt von 50% meines Eigentums getrennt, und doch habe ich noch mehr als hier in meine kleine Wohnung reinpasst. So viel also zu simplify your life! Is’ alles doch nich’ so simpel!
Deutschland war auch superintensiv, denn ich habe in drei Wochen die halbe Republik bereist, viele Freunde und Familie gesehen, viele neue Menschen kennen gelernt und viele sehr intensive Begegnungen und Gespräche gehabt, viel gelacht und noch mehr geweint, am Ende hatte ich das Gefühl, als wäre ich gerade aus dem Wäscheschleudergang meiner Waschmaschine rausgefallen. Müde, verknautscht und in leichter Schräglage kam ich in Frankreich an. Und kaum hatte ich französischen Boden unter den Füßen und zögerte zwei Sekunden an der Zapfsäule einer Tankstelle, hatte ich sofort einen Mann an meiner Seite, der mir behilflich sein wollte und der mich nach meinem Leben ausfragte… In Deutschland hatte mich drei Wochen lang kein Mann angekuckt. Ich hab’s versucht, aber ich wurde nur mit leerem Blick bedient oder gar nicht angesehen. So ging ich nach zwei Wochen aus lauter Verzweiflung in Köln in ein portugiesisches Café, wo mich der Barmann seinerzeit so unverschämt angemacht hatte, dass ich damals vor Schreck nicht mehr hingegangen bin. Aber der Barmann ist nicht mehr da und der neue Kellner ist superjung und kuckt vielleicht sehr junge Frauen lächelnd an, aber nicht mehr mich. Wer hätte gedacht, dass mir das mal fehlen würde… In Frankreich ist das gleich wieder anders und ich bin versöhnt.
In meinem Dorf angekommen, wurde ich auch erst mal erschlagen, was das soziale Leben anging. Ich kam sonntags an und erst am darauffolgenden Freitag aß ich alleine bei mir in meiner Wohnung. Bis dahin war ich mittags und abends überall zum Essen, vorher noch zum Apéro und zum Tee eingeladen worden und sollte ununterbrochen erzählen, als hätte ich eine Weltumsegelung gemacht. Hier war zwischenzeitlich nicht so richtig viel passiert: Giselle feierte ihren 80. Geburtstag und Caline hat mich verlassen und lebt nun bei meiner Freundin.

Ich hatte vor meiner Abreise den Grundstein für einen Weihnachtsmarkt gelegt und auch einen Dorfadventskalender initiiert, mit 24 zu schmückenden Fenstern, und kaum war ich zurück, prasselte alles auf mich ein. Als Ideengeberin war ich gleichzeitig zur Chefin avanciert und sollte nun alles begutachten, kommentieren, wissen, können und für alles eine Lösung parat haben. Sind die Handschuhe aus Wollresten schön? Wie viel sollen die Salzteigfiguren kosten und die Windlichter aus umbastelten Joghurtgläsern? Wie soll der Baum auf dem Platz geschmückt werden und wann und mit wem werde ich ihn schlagen und wie aufstellen? Backen wir Plätzchen und Lebkuchen und ein Lebkuchenhaus? Und wann? Und wann basteln wir die Sterne? Und hast du die Wachsplatten zum Kerzen verzieren mitgebracht? Und wer wird all die Fenster dekorieren? Und mit was? Und hatten wir anfangs nicht genug, so haben wir jetzt mehr als 24 Fenster, wen werden wir kränken, wenn wir sein Fenster ablehnen? Und welches Fenster nehmen wir für den 24.? Und ich kam bis einschließlich letzten Montag, an dem alles wieder aufgeräumt wurde, nicht mehr zum Atmen. Zwischenzeitlich kamen meine Möbel, ich kam aber bislang noch nicht zum Einrichten und quetsche mich nach wie vor mit eingezogenem Bauch zwischen Tisch und Herd zum Kühlschrank, den ich nur halb aufkriege, weil die Gasflasche für den Gasherd im Weg steht. Die Gasflasche schiebe ich immer ein bisschen von rechts nach links, je nachdem ob ich den Ofen oder den Kühlschrank aufmachen will oder gar an die Waschmaschine muss.
Alles, was ich suche, ist garantiert noch in irgendeiner der zusätzlich die Wohnung verstopfenden Kisten, und ich schiebe und stoße und stapele alles von einer Ecke in die andere oder und unter den Tisch und aufs Bett oder in den Flur vor der Wohnung, je nachdem wo ich gerade dran muss. Klar ist bislang nur: alles passt nicht rein. Und ich habe weder Garage noch Keller noch Abstellraum, so dass alles, was wirklich nicht mehr hier reinpasst ein bisschen wild auf dem Balkon steht und gelegentlich nass geregnet oder zugeschneit wird. So lebe ich und es geht mir zunehmend auf die Nerven, aber vor dem Nikolaus-Weihnachtsmarkt war an persönliche Zeit und ans Einrichten wirklich nicht zu denken. Wenn ich mal in Ruhe bei mir war und auch grad mal keiner bei mir rumsaß, umgab ich mich mit deutschen Lauten und hörte Grönemeyer, Nena, Xavier Naidoo, Rio Reiser und Element of Crime und was ich sonst noch so fand an Heimatklängen in meiner CD-Sammlung. Endgültig weggehen ist nicht so einfach, sag ich euch, auch wenn das andere Land einen wild an sich drückt und fast erstickt vor Zuneigung. Plötzlich ist das nämlich alles zu viel…

Und wann kommt das mit der Eifersucht? Uuund der Weihnachtsmarkt? Uuuund die Adventsfenster? Jaaaa doch, gemach gemach…

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