Les Mamadous

Tut mir leid, wenn ich Ihnen Cannes so ein bisschen madig mache, ich könnte Ihnen mit Leichtigkeit auch nur die strahlende Oberfläche zeigen und natürlich gibt es für jedes hässliche Bild auch ein wunderschönes, das ich Ihnen auch zeigen könnte – mache ich auch, versprochen! Aber ich lebe nun mal hier und gehöre weder zur „wir-genießen-unseren-wohlverdienten-Ruhestand-im-Zweithaus-in-Südfrankreich-Generation“ noch zu der ultrareichen afrikanischen, arabischen oder neuerdings russischen Klientel, die beispielsweise mit einer 85 m langen Yacht anreist und quasi kostenlos im Hafen ankert, da sie die Hafengröße aus eigener Tasche extra ihrer Yacht angepasst hat, oder die versteckt hinter Mauern und in weitläufigen Parks in Luxusvillen auf dem Hügel mit Meerblick, dem besagtem la Californie residiert. Märchenland. Es gibt Reichtum in Cannes, keine Frage. Natürlich ist Cannes eine „reiche“ Stadt, aber es gibt auch Arme in Cannes, es gibt heruntergekommene Stadtviertel, in denen fast nur Schwarze leben, es gibt weiter draußen riesige HLM’s, Sozialwohnungen, in Form von Hochhaussiedlungen. Die sehen Sie als Tourist nie, ist auch nicht wichtig, deswegen kommen Sie ja auch nicht. Aber, wenn man immer nur das goldglänzende Cannes zeigt, ist man versucht zu glauben, dass das Geld hier auf Bäumen wächst. Das denken ja auch viele, insbesondere in ärmeren Ländern, und leider wird diese Mär ja auch immer und immer wieder erzählt …  

Im Erdgeschoss des Hauses, in dem ich mein Büro habe, leben links in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung seit etwa 30 Jahren, sprich in der dritten Generation, etwa 5 Afrikaner, die hier nur les Mamadous heissen, weil einer von ihnen immer Mamadou heißt. Sie sind fünf, manchmal auch mehr oder weniger, aber fünf passt gut, weil die Miete so für jeden hundert Euro beträgt. Offiziell wohnt hier natürlich nur einer, machen wir uns nichts vor. Vermutlich ist auch nur einer wirklich en règle, also mit offiziellen Papieren etc. Aber das wollen wir alles gar nicht so genau wissen. Erfahren wir sowieso auch nicht. Sie sind sehr freundlich, lachen viel, aber unsere Unterhaltung ist etwas limitiert im Stil von ça va? Alors, ça va? Oui, oui, ça va! Ah, ça va!  Abgesehen davon sind sie sehr diskret und leise. Man hört sie quasi nie, nur abends spät klappern dann irgendwann Töpfe und Pfannen und dann riecht es im ganzen Haus bald lecker nach Curryhuhn. Es sind genau die Afrikaner, die den ganzen Tag durch die Fußgängerzone laufen, oder auch kilometerlang am Strand entlang und dort Sonnenbrillen, Tücher, Hüte, Stofftiere und bei Bedarf manchmal auch Regenschirme anbieten. In der Regel arbeiten sie nur während der Sommersaison, also von Mai bis Oktober, und verbringen den Winter zu Hause, im Senegal bei ihren Familien. Die letzte Saison aber lief nicht so gut, so dass sie erst spät gegangen sind, selbst im November gingen Sie noch täglich raus um vielleicht doch noch ein bisschen Geld zu verdienen, und vermutlich kommen Sie auch früher als gewohnt wieder. Die Wohnung ist in der Zwischenzeit an andere Afrikaner untervermietet, die es sich nicht leisten können nach Hause zu fahren. Nach Hause fahren bedeutet nämlich auch, neben Geld muss man für alle Geschenke mitbringen, all den Schnickschnack, von dem man in Afrika glaubt, dass er hier kostenlos rumliegt. (Wenn man den Sperrmüll manchmal sieht, haben sie damit nicht ganz Unrecht!) Alle Mamadous ernähren zu Hause im Senegal eine große Familie, Eltern, Brüder, Schwestern, Frauen, Kinder, Cousins. Und zu Hause sind sie der Chef, aber neben der Familie stehen auch schon alle Nachbarn Schlange, um für sich oder jemand anderen etwas zu erbeten: Ein Handy, eine Uhr, Geld, irgendwas. Jeder braucht natürlich etwas und sie sind doch jetzt reich. Und les Mamadous geben gerne und voller Stolz, und sie mehren ihren Ruhm und ihren Ruf reich und großzügig zu sein, und dann fahren die reichen Mamadous irgendwann völlig ausgeplündert zurück ins reiche Cannes, um dort noch ein bisschen Geld von den Bäumen zu pflücken. Und sie erzählen zu Hause nicht, wie mühselig und verdammt einsam ihr kleines armes Leben im Märchenland ist.

Da les Mamadous nicht immer in der gleichen Zusammensetzung hier wohnen, habe ich Schwierigkeiten, sie, vor allem an anderen Orten, wieder zu erkennen. Laufe ich durch die Stadt und sehe einen Afrikaner mit seinen Waren, versuche ich immer blitzschnell abzuchecken, ob es vielleicht einer meiner Nachbarn ist, denn, wenn ich sie nicht grüßen würde, wären sie sehr verletzt. Meistens ist es aber natürlich irgendjemand, den ich nicht kenne, der aber glaubt, in meinem Blick Interesse an ihm oder an seinen Waren gesehen zu haben. Das ist mir dann immer ein bisschen unangenehm, freundlich zu grüßen, aber doch gar nichts zu wollen. Das sind sie in der Regel auch nicht gewohnt, dass eine Weiße sie freundlich anlächelt, meistens kuckt man sie nämlich nur böse oder genervt an oder zischt, dass sie sich vom Acker machen sollen. Ich kann ja auch nicht erklären, dass ich ihn so angestarrt habe, weil ich ihn mit einem Nachbarn verwechselt habe… oh làlà, so eine fadenscheinige Geschichte würde mir ja auch keiner glauben…

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