Das verflixte siebte Jahr

Sie können dieses Gejammere von Auslandsdeutschen an der sonnigen Côte d’Azur nicht mehr hören? Hat euch ja keiner ins Exil gezwungen. Habt ihr doch gewollt. Na also. Seid mal schön still mit diesem Luxusgemeckere. Das Leben ist kein Ponyhof! Immerhin habt ihr Palmen und Sonne und Strand und Meer. Wenn Sie so denken, sollten Sie hier NICHT weiterlesen. Nehmen Sie einfach den nächsten oder übernächsten Artikel und gucken Sie, ob’s da wieder besser passt. Bis dahin also. Schönen Tag noch…

So, wir sind also unter uns, hoffe ich doch, Sie können noch mal kurz überlegen, ob Sie hier bleiben wollen…. es wird ein bisschen meckrig, seien Sie gewarnt! Ja? Nein? Besser doch wegklicken? Ich bin Ihnen nicht böse, wenn Sie so einen meckrigen Mist nicht lesen wollen. Aber dann lesen Sie es einfach auch nicht. Es ist kurz vor Pfingsten, machen Sie es sich schön, gehen Sie spazieren, die Sonne scheint ja… oder lesen Sie mal wieder einen deutschen Klassiker… da wissen Sie, was Sie haben.

So, jetzt aber sind wir sicher ungestört. Haben Sie sich noch einen Kaffee gemacht? Gut so.

Meine Liebesbeziehung mit Frankreich dauert ja gerade sechs Jahre, dennoch habe ich manchmal den Eindruck, wir sind schon im verflixten siebten Jahr. Die erste Verliebtheit ist verflogen, es knirscht. Es gab in letzter Zeit so gehäuft schwarze Tage, an denen ich dachte, warum tue ich mir das an? Warum bin ich nicht einfach brav zu Hause geblieben? Was hat mich, verdammt noch mal, geritten, in diesem Land leben zu wollen? Ich bin ja wirklich freiwillig gekommen. Wie doll müssen sich Menschen an fremden Ländern reiben, wenn sie unfreiwillig dort gelandet sind, als Flüchtlinge, Exilierte, Asylsuchende. Aber vielleicht darf man dann lauter jammern, als wenn man freiwillig kam. Oder vielleicht jammert man nicht, sondern ist einfach froh, weil man in (einer gewissen) Sicherheit angekommen ist?!

Mich nervt so vieles gerade. Auch Dinge, die ich am Anfang so geliebt habe. Diese ständige mindestens dreigängige gemeinsame Esserei zum Beispiel. Wie soll ich jemals wieder auf mein Normalgewicht kommen, wenn es hier immer nur ums Essen geht?! Essen, essen, essen. Ständig muss gegessen werden und vom Essen geredet und wieder gegessen. Und eingeladen und gegeneingeladen, und wieder zurück. Und es wird eingekauft und noch mehr eingekauft und Essen gekocht und noch mehr Essen gekocht. Und immer hat jemand Geburtstag oder es sind Feiertage und alles wird noch üppiger, festlicher und mehr, immer mehr. Ich bin so erschöpft. Kann man nicht einfach mal abends nur ein Butterbrot essen? Allein?

Mich nervt, dass ich immer angekuckt werde wie ein weißer Elefant, weil ich hier nicht unbemerkt durchkomme, ganz gleich, ob ich was sage oder nicht. Ich sehe deutsch aus, ich habe eine deutsche Art und ich habe einen deutschen oder wie auch immer gearteten Akzent. Ich bin anders. Ich bin keine Französin. Ich tue nicht mal so. Aber ich lebe trotzdem hier. Merde. Muss das jetzt bei jedem Radieschenkauf erneut erörtert werden? Das ist das Schicksal der Menschen mit Migrationshintergrund: Wo kommen Sie her? Wie gut Sie sprechen! Und wann gehen Sie wieder zurück?

Ich mache Fehler beim Sprechen, es ärgert mich auch, ja, Herrgott ich habe die Sprache halt so nebenbei gelernt, ich werde vielleicht doch mal Sprachstunden nehmen müssen. Aber deswegen bin ich doch nicht blöd. Dass man mich für eine Idiotin hält, nur weil ich in Frankreich zunächst Käse und Kaninchen auf einem Markt verkauft habe und noch immer mit irgendwelchen Konditionalformen und Subjonctiven rumstottere, nervt mich. Und dieses freundlich-erstaunte „oh, was für schwierige Worte du kennst, Christjann!“, weil ich mal ein Fremdwort gewählt habe. Oh ja, und auf deutsch kann ich „Industriestaubsauger“ sagen, und ganz ohne Akzent. Ich habe einen Uniabschluss, aber für dieses Land bleibe ich eine stammelnde Idiotin.

Mich nerven diese blöden Bemerkungen über unsere angeblich so harte Sprache mit den vielen Konsonanten. Neulich las ich in einer freundschaftlichen Runde ein deutsches Gedicht von Rose Ausländer vor. Es folgt die unweigerliche amüsierte Diskussion, ob Gedichte in dieser komischen harten Sprache schön sein können. Es merkt keiner wie verletzend das ist. Es wird die Geschichte des Chinesen erzählt, der Französisch in Deutschland gelernt hatte und der französisch mit diesem schrecklichen deutschen Akzent sprach. Natürlich ist das irgendwie lustig. Ich fand schwäbisch sprechende Türken auch mal lustig. Heute nicht mehr. Ich bin super empfindlich geworden.

Letztes i-Tüpfelchen in dieser langen Reihe von Verletzungen ist Herr Wurst. Alain-Xavier Wurst, französischer Journalist, den es aus ungeklärter Ursache nach Deutschland verschlagen hat, und der mit seinem reizenden Büchlein „Zur Sache, cherie“ über die Unfähigkeit der deutschen Frau zu flirten, seinem verletzten französischen Männerego Luft macht, nur weil er nicht sofort alle deutschen Frauen ins Bett gekriegt hat. Grrrgh. Und dann fängt er seinen blöden Bericht noch mit dem Wort „Geschlechtsverkehr“ an, die Länge des unaussprechlichen und konsonantenlastigen Wortes zeigen seiner Ansicht schon die Unfähigkeit der Deutschen zum spielerisch-flirtigen Umgang mit „der Sache“.

Tatsächlich habe ich zunächst einen Auszug seines Buches in französischer Sprache gelesen (danach auch das Buch). Ich begann, schon auf Krawall gebürstet und mit steiler Stirnfalte zu lesen und dachte, „dich zerreiß ich in der Luft, du Pfeife“, aber siehe da, abgesehen vom Einstiegskracher (so hätte ich es ja auch gemacht) ist Herr Wurst gar nicht so schlecht. Und nach vielen ernüchternden Erfahrungen mit deutschen  Frauen wirklich interessiert am Thema „Wieso funktionieren deutsche Frauen anders?“

So, das muss jetzt aber ein neuer Artikel werden…  sonst fallen Sie mir noch mit dem Kopf auf die Tastatur … bis gleich!

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