Le Grand Jas heisst der grosse Friedhof von Cannes. Ein riesiges steinernes Gelände liegt auf einem Hügel etwas ausserhalb der Stadt, es geht dort treppauf und treppab und ist grau, grau, grau. Das war bislang mein Eindruck. Ich hatte eine zauberhafte Beschreibung dieses Friedhofes gelesen und war, wie so oft bei grossen Erwartungen, nur enttäuscht. Vielleicht… … war es bislang einfach nicht die rechte Friedhof-Saison, vielleicht muss man am Totensonntag oder an Allerheiligen auf Friedhöfe gehen, wenn man sie als Tourist besichtigen will. Ich hatte mir jetzt vorgenommen, das Grab von Klaus Mann aufzusuchen, der sich 1949 in Cannes mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben nahm. Ich hatte über sein Grab verschiedenes gelesen, das einzige, was in allen Beschreibungen übereinstimmt, ist, dass das Grab in Carré 16 zu finden ist. Das Carré 16 liegt entgegen aller Logik dann aber nicht neben 17 oder 18, sondern ganz am anderen Ende, hügelabwärts. Das hatte ich zwar auch schon gelesen, aber steht man dann allein zwischen Alleen, Sektionen und bizarr angeordneten Carrés auf mehreren Ebenen wird der grosse Friedhof zu einem verwirrenden Labyrinth. Das Carré 16 hat Blick auf die Schnellstrasse und das Grab von Klaus Mann fand ich genau dann, als ich aufgab es zu suchen. Es entspricht keiner gelesenen Beschreibung. Kein Maulbeerbäumchen, kein Unkraut, keine Grabinschrift. Es wirkt sehr neu. Sehr glatt, sehr kühl. Ich vermute, es wurde in jüngster Zeit neu gestaltet. Tröstlich fand ich zu sehen, dass Klaus Mann nicht vergessen ist. Besucher hinterlassen kleine Steinchen, Schneckenhäuschen, Kerzen.
Als ich später wieder alle Treppen bergauf gestiegen bin, erlebe ich doch eine Überraschung: ich sehe das Meer! Die letzten Male war es entweder zu sonnig, zu gleissend hell oder zu dunstig, ich sah nie das Meer vom Friedhof und dachte, “oh, was die immer alle für einen Mist schreiben, weil sie glauben, dass sowieso nie einer kommt und nachsieht”. Man muss im Herbst kommen, im warmen Abendlicht, wenn die Kontraste schärfer sind, dann sieht man den Unterschied zwischen den Blautönen von Himmel und Meer. Plötzlich fand ich den Friedhof schön, natürlich war er wegen der Feiertage auch voller Blumen, was das viele Granitgrau freundlicher wirken liess. Wieviel Geschichte hier liegt. Wieviele Schicksale. Tieftraurige Eltern begruben 1903 ihren Sohn Honoré, der feige erschossen wurde, in La Bocca, um 17 Uhr als er die Schule verliess, dabei war er nur ein guter Schullehrer, der leichtsinnigerweise nicht an das Böse glaubte. Die ganze Geschichte steht mit vielen Ausrufezeichen in Stein graviert, darüber thront auf einer Säule lebensgross die Büste des Lehrers mit einem beeindruckenden Schurrbart.
Nun hast du mich neugierig gemacht. Aus 1000 km Entfernung kann ich natürlich nicht einfach vorbeigehen. (Und ob ich jemals in der Rue Notre Dame in der evangelischen Kirche predigen werde, sei dahingestellt.)
Aber es gibt ja Google. Und da finde ich in der Bildersuche mindestens drei verschiedene Grabgestaltungen:
Bei Peter Grundwaldt einen sehr buschigen Baum, darunter am Fußende des Grabes eine kleine Platte, ähnlich den Votivtafeln, die die Franzosen so sehr lieben, mit einer auf dem Foto nicht lesbaren Inschrift. Es sollte sich aber um die anderswo belegte Bibelstelle Lk. 9, 24 handeln.
Bei joern.de sieht man einen hochstämmigen Baum, die Platte mit der Inschrift steht am Kopfende des Grabes. Am Fußende eine Tontafel, die verschiedenen anderen Objekte, die Peter Grunwaldt fotografiert hat, sind verschwunden. Unter dem Baum nur ein wenig Unkraut.
Udo und Willi unterwegs haben im vergangenen November schon die neue Grabplatte vorgefunden.
Was ist da geschehen?
Hallo Wolfram, ich hatte meine Informationen bei Jens Rosteck gefunden und schnöde bei Wikipedia – die aber das Gleiche sagen wie deine Quellen – ich vermute, dass bei Verlängerung der Grabkonzession (alle 30 Jahre, also, nach 1979 wäre das 2009 gewesen) die Familie sich zu einer (pflegeleichten) Grab-Umgestaltung entschieden hat. Und das nicht mehr so kleine Maulbeerbäumchen hebelte mit seinen Wurzeln vielleicht die Nachbargräber aus?! Auf der Tontafel steht nur “unvergessen”. Die Grabinschrift von Lk stand ursprünglich auf dem allerersten Grabstein, so viel ich gelesen und gesehen habe, ein schweizer Musiker nahm sich dann wohl des verwilderten Grabes eine Zeitlang an und pflanzte das Bäumchen.
Ich wusste nicht, dass Notre Dame evangelisch ist?!
Hallo Christiane,
nein, Notre Dame ist nicht evangelisch, ich las nur zu meinem Erstaunen im Annuaire Protestant, daß sich die reformierte Kirche von Cannes (temple genannt) in der 7 rue Notre Dame befindet, lt. Google-Map in gerader Linie zwischen dem Bahnhof und einem Luxushotel.
Das Pfarrhaus steht dann, weniger konfessionell (aber die Reformierten und das Kreuz… das ist auch so ein Ding) in der rue de la Croix.
Friedhofsverwaltungen sind manchmal seltsam. Vielleicht hatte die von Cannes das Bäumchen auch schlicht verboten.
Oder es ist eingegangen in einer Canicule. Wir werden es, fürchte ich, nicht erfahren.
Aber da ich keine Ahnung habe, wer von der Familie Mann heute noch lebt, ist deine Mutmaßung für mich durchaus plausibel. Immerhin steht jetzt nicht mehr der Schatten des Vaters auf dem Grabstein, wie ich es auf einer Internetseite las (Klaus’ 4. Vorname war Thomas).
Liebe Grüße aus den trüben Vogesen in den tiefen Süden!
Hallo Wolfgang,
rue Notre Dame habe ich bislang noch nicht erkundet, scheint mir –
Gruesse aus Cannes, wo es heute schüttet, stürmt und grau ist – genau wie die Wirtschaftslage!
Christjann
Hallo Frau Dreher, danke für die wunderschönen Fotos. Wollte auch schon immer mal zum Grab von Klaus Mann, deshalb habe ich mich sehr über die Fotos gefreut.
In einem Urlaub besuchte ich das Grab von Albert Camus in Lourarin, auf den Fotos die mein Mann gemacht hat, sieht man wie tief beeindruckt ich irgendwie war, deshalb sehe ich mir diese Bilder immer gerne mal wieder an. Das Herbstlicht in Cannes ist beneidenswert schön, wünsche Ihnen deshalb noch ganz viele so tolle Lichttage.
Danke rosalinde ! Ja, das Sonnenlicht war toll. Jetzt gerade geht in Cannes die Welt unter, es stürmt und schüttet und so wird es noch ein paar Tage bleiben, und ich find auch das toll!
(nur auf Friedhöfen möchte ich jetzt nicht merh rumlaufen)
Liebe Christiane,
wenn meine Mama und ich auf Reisen sind (was leider viel zu selten der Fall ist), dann haben wir ein Hobby: wir suchen stets auch einen Friedhof auf, lesen die Namen, Geburts- und Sterbedaten und Widmungen.
Mit 19 war ich mit ihr Paris und ganz grosser Jim Morrison-Fan. Da war es natürlich für mich unverzichtbar seinem Grab im Friedhof Père Lachaise einen Besuch abzustatten, das hat mich damals sehr beeindruckt.
Dieser Post ist ein Ansporn für mich hier mal eine Friedhofstour zu unternehmen…aber die riesenhaften Nekropolis mit diesen Nischen schrecken mich ziemlich ab…
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