So, zunächst muss ich ja einen Nachtrag zum Boulevard du Moulin schreiben – die berechtigte Frage nach der Mühle le moulin wurde nämlich gestellt. Die erste Mühle, aus römischer Zeit, stand unterhalb des Boulevards, da schlängelte sich nämlich ein Flüsschen, ein Riou in Provençal, entlang und unser Boulevard du Moulin führt in gewisser Weise dorthin. Vermutlich gab es dort später auch immer eine Mühle (ich weiß, ich muss ins Stadtarchiv …), heute findet sich jedoch keine Spur mehr davon und der Riou ist auch nicht mehr zu sehen, dafür gibt es jetzt den Boulevard du Riou,
eine wie es sich für einen ordentlichen Boulevard gehört vierspurige Straße mit Palmen, die, wie ich ja schon mal geschrieben habe, botanisch gesehen keine Bäume sind, aber wir akzeptieren sie jetzt mal als Baumbestand.
Ich habe ein bisschen Schwierigkeiten das zu beschreiben, aber die Straße liegt genau wie der Fluss im Tal und folgt dessen ursprünglichem Lauf. Der kleine Riou liegt darunter und plätschert unterirdisch dahin und fließt irgendwo ins Meer. (Ich habe so eine Ahnung wo ich ihn sehen kann, da gehts das nächste Mal hin!) Was lag näher als den Boulevard du Riou entlangzulaufen? Sehen Sie, und es ist genau der Ort, von wo man die Häuser des Boulevard du Moulin von unten sehen kann! Über den Boulevard fahren täglich eine Menge Autos zügig raus aus Cannes Richtung Le Cannet oder weiter Richtung Grasse, Fréjus und/oder zur Autobahn.
[Voilà, hier noch der nachträglich schnell eingebaute Stadtplan, schlechtes Foto mit Blitz und Daumen … ] Ich bin den Boulevard du Riou auch schon oft gefahren, aber noch nie gelaufen, wusste zunächst auch gar nicht, ob das möglich ist, aber siehe da, ein neuer, breiter Fußweg tat sich auf und ich stapfte ein bisschen aufgeregt entlang. Gottseidank war Sonntagnachmittag und der Autoverkehr hielt sich in Grenzen, ich möchte tatsächlich ungern wochentags dort laufen, der Fußweg hört nämlich irgendwann einfach auf und der Seitenstreifen wird immer schmaler. Die Autos hupten, als sie an mir vorbeizischten, und wenn ich außerdem für Fotos stehenblieb machten die Fahrer Zeichen, aus denen ich schließen kann, sie hielten mich für ziemlich verrückt.
Abgesehen davon, war ich ganz angetan von diesem Spaziergang, es ist so grün rechts und links des Boulevards, es wuchert geradezu, dazwischen Mimosen, Kakteen und immer wieder Schilf auf verlassenen Grundstücken, und es gluckert und plätschert allüberall, alles Wasser, das von den Hängen herabfließt, plätschert über kleine Kanäle in den unterirdischen Riou. Das hört und riecht man, manchmal riecht es feucht nach Erde, manchmal etwas brackig. Vom Auto aus sieht, hört und riecht man das alles nicht. Ich laufe und komme plötzlich an einer wirklich riesigen Mauer vorbei und fragte mich, zu was sie wohl gehört. Am ersten Kreisverkehr beschloss ich spontan nach rechts abzubiegen und nicht das letzte Drittel des Boulevards weiterzulaufen.
Die Avenue de Grand Jas führt bergauf und nichts, aber auch gar nichts lässt hier glauben, man sei im glamourösen Cannes. Ich entdecke zur Rechten einen kleinen Pfad, der oberhalb vom und parallel zum Boulevard verläuft und ich bin ein bisschen aufgeregt als ich ihn spontan entlang gehe, denn nichts sagt mir, wohin er wohl führen möge. Nach ein paar hundert Metern geht es Treppchen hinauf und um die Ecke und:
Ich hätte es mir denken können, ich stehe an einem winzigen Hintereingang zum Friedhof Le Grand Jas und begreife, dass die Mauer an der ich unten vorbeigelaufen bin, zum Friedhof gehört. Ich erinnere mich daran, dass genau hier in dieser Ecke das Grab von Klaus Mann liegt, das ich schon einmal so lange gesucht habe. Ich gehe aber nicht über den Friedhof und auch nicht noch einmal zum Grab von Klaus Mann, sondern zurück und die Avenue de Grand Jas weiter, die mich bergauf und zur rechten an der Friedhofsmauer entlang führt und letztlich oben an der Avenue de Grasse herauskommt.
Die Avenue de Grasse fahre ich wirklich so oft entlang, schon hundertfach muss ich hier vorbeigekommen sein, aber diese Abzweigung zur Avenue de Grand Jas habe ich auch noch nie vorher wahrgenommen, aber sie ist auch so unscheinbar und überhaupt sieht alles hier zu Fuß ganz fremd aus. Ich gehe die Avenue de Grasse nach rechts und damit zurück, der Friedhof liegt weiterhin immer rechts von mir, die meiste Zeit aber ist er hier hinter Häusern verborgen.
Die klitzekleine Avenue de Cimetière führt dann parallel zur Avenue de Grasse natürlich zum Friedhof und von dort aus kurvt noch ein kleines Sträßchen, eine Allee in diesem Fall, Allée Capitaine Coscioli, (vermutlich ein Afrikakämpfer im 2. WK) zu weiteren Eingängen des Friedhofs und zum Conciergehäuschen. Ich gehe ein paar Schritte hinein in den Friedhof und befinde mich im englischen Viertel: hier sind einige aristokratische Engländer begraben, die seinerzeit Cannes als Wintersitz gewählt hatten. Am Conciergehäuschen hängt ein streng klingendes Schild, dass der Concierge ab-so-lut keine Auskünfte über Grabmäler gebe. Er hat wohl keine Lust mehr ständig von neugierigen Touristen gestört zu werden, wenn er auf seinem Stühlchen vor dem Haus in der Sonne sitzt.
Nun, den Friefhof habe ich schon mal besucht, für einen weiteren ausführlichen Besuch bräuchte ich mehr Zeit und ich will lieber die Straße weitergehen. Beerdigungsinstitute und Floristen teilen sich hier am Friedhof die Avenue de Grasse. Sie ist eng, kaum hält ein Bus an einer Haltestelle ist alles dahinter blockiert. Kleine niedrige alte Häuschen mit Vorgärten stehen neben großen Wohnblocks, es folgen eine Autowerkstatt in einer niedrigen Garage, eine nicht ganz triste kleine Grünanlage mit Klettergerüst und einer Gedenktafel für einen provençalischen Dichter, ein paar seit ewigen Zeiten leer stehende Läden, deren Fenster mit Plakaten zugeklebt sind, alles ist ein bisschen grau vom Straßenstaub.
Eine große Bäckerei hat sich in einer ehemaligen Tankstelle einquartiert. Das gibt es oft in Frankreich und hat mich anfangs immer schockiert. Für mich sind Bäckereien kleine gemütliche wohlriechende Orte mit einer rundlichen Verkäuferin, nicht so ein Brot-drive-in, aber es ist zugegeben sehr praktisch, man nimmt sein Brot quasi im Vorbeifahren mit und findet immer einen Parkplatz, und dem Franzosen geht ja oft praktisch vor schön Es folgen eine Apotheke, ein Beautysalon und ein Friseur, deren schwarz-pinke Fassadengestaltung ich dann doch nicht aufgenommen habe, die kleine Postfiliale, die nur vormittags geöffnet hat, ein Wohnhaus im sechziger Jahre-Stil mit grünen Markisen und grüner Balkonverkleidung, ich habe mich nicht getraut, es zu fotografieren, weil so viele ältere Herrschaften auf den Balkons saßen. Dann rechts und links viele kleine Häuschen hinter schützenden hohen Mauern, eine letzte Kurve, noch nie vorher hatte ich dieses Haus mit dem spitzen Winkel wahrgenommen, und dann bin ich dort, wo ich letztes Mal aufgehört habe, die Avenue de Grasse in entgegengesetzter Richtung zu laufen.
Hi Christjann,
Foto 30: sieht so russisch aus
Foto 36: Flat Iron Building à la francaise
Markierst Du die Route noch auf dem Stadtplan?
Auf jeden Fall fängst Du das unglamouröse Cannes gut ein…:-)
Liebe Grüße
Marion
Stadtplan ist jetzt drin, Marion, ich wusste, dass was gefehlt hat ja, ich hätte das russische Kapellchen anschauen sollen, um mehr zu erfahren, hat mich auch gewundert es auf einem christlichen Friedhof zu finden – Problem ist, ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen beim Laufen – im Prinzip fehlt mir auch ein Schleifchen der Avenue du Grand Jas, die bergab anders geführt wird und zwei Sackgassen habe ich später auch nicht mitgenommen. Ich bin noch nicht so ganz organisiert – das lag auch daran, dass ich plötzlich Lust hatte meine Route zu ändern und insgesamt nur begrenzte Zeit hatte – weniger wäre vielleicht mehr gewesen –
Ach was, soll doch Spass machen! Also – schön entspannt bleiben…;-)
Liebe Christjann,
die alljährliche Frage: auf den Bildern blühen die Mimosen, gell?
Dieses Jahr aus Süddeutschland keine Wetterklagen: es gab nahezu keinen Winter. Die Krokusse und Schneeglöckchen blühen und die Bauersfrau vom Hofladen meinte, es gäbe diesen Winter keinen Winter mehr…. das glaube ich doch einfach!
Ich habe heute im Buchladen in Rottenburg (Nähe Tübingen) Dein schönes Buch gesehen, das es ja auch als EBook gibt (bin grad so am Umsteigen). Auch wenn ich im Buchladen gerne die Bücher in der Hand halte, hat es auch echte Vorteile, im Bett Bücher OHNE Brille lesen zu können! Die Buchstabenvergrößerung ist eine gute Erfindung!!
Grüß mir die Mimosen, wandere schön weiter (ich folge Dir gerne!), alles Liebe&Gute,
Eva
Ja, liebe Eva, die Mimosen blühen – ich wollte ihnen dieses Jahr kein weiteres Kapitel widmen – aber sie blühen trotz des Regens (= südfranzösischer Winter) ganz unverdrossen, die Mandelbäumchen hingegen haben fast alle zartrosa Blüten durch den vielen Regen verloren –
liebe Grüße, viel Spaß mit dem e-book (muss man das eigentlich oft aufladen?)
Nö, ich hab jetzt schon 2 Bücher gelesen und es ist immer noch halb voll. Außerdem ist es einfach aufzuladen mit dem Handykabel….dank der EU, die doch genormte Stecker verlangt hat!
Aber grad bin ich wieder auf Papier! Ich bekomme nach wie vor gerne und viele Bücher geschenkt und geliehen und schenke und leihe ebenso gerne Bücher. Mal sehen, wie sich das dann entwickelt!
Schönes Wochenende,
Eva
Hi Christiane,
du mußt (daran führt kein WEG vorbei) unbedingt deine Spaziergänge in einem Buch herausbringen. Ich find das einfach super.
TONI
Lieber Toni, freut mich, dass du meine Spaziergänge magst – aber ich habe noch ein gutes Stück Weg vor mir, bis dahin: “Nous avons référencé 264 rues, 126 avenues, 70 impasses, 52 boulevards, 45 chemins et 34 allées sur Cannes” (Zitat aus einer Seite der mairie) – und wenn man dann jeden Menschen, dessen verrostetes Gartentürchen ich abgelichtet habe, um Erlaubnis fragen muss, na, das wird ein Spaß!
Gib es auf Deutsch raus, dann sieht es keiner der Gartentürbesitzer.
hast du eine Ahnung … und so Rechte-Sachen sind heikel … (mir hat eine frühere Nachbarin aus meinem Dorf nur sehr gnädig verziehen und ich warte immer noch darauf, dass Sie mir eine Rechnung stellt, weil ich ihren Mann beim Schneeschippen aufgenommen und im Buch veröffentlicht habe ohne Genehmigung!)
Jetzt möchte ich mich aber auch einmal bedanken für die interessanten Spaziergänge mit Dir. Ich bin bekennende Cannes-Liebhaberin – ich hab keinen Bezug zu den Menschen dort, ich verstehe die Sprache nicht, aber ich verbringe in den Gassen und auf den Boulevards, zwischen gestressten Einwohnern und den aufgetakelten Besuchern selbst im Hochsommer seit einigen Jahren meine schönsten Urlaube. Ich mag die kleinen Gegensätze, das weltberühmte Cannes und die etwas kleinstädtische, sympathische Seele. Aufgrund meiner Französischdefizite freu ich mich besonders über Deine Berichte hier. Ein Buch würde mir ganz sicher auch gefallen, ich habe nur ein deutschsprachiges gefunden, das etwas genauer auf die Stadtgeschichte, die Straßen und Gebäude eingeht. Wie Deine Spaziergänge, so sehen auch meine Urlaubstage aus, die Fassaden, der Asphalt, ein Stück wildes Grün hinter rostigen Stahlgeländern … nicht zu vergessen, die Gerüche! Das Meer, das Blumige. Und dann die Essengerüche, Fisch, bisschen Moder. Ich hoffe, Du kannst Dich ein wenig mehr anfreunden mit der Stadt, ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass Du dem morbiden Charme im Laufe Deiner Entdeckungstour schon ein wenig mehr verfallen bist. Also nochmal Dankeschön und bitte, bitte mehr davon!
Vielen Dank Kerstin! Ja, du hast Recht – ich bin auf dem Weg, Cannes mögen zu wollen – je mehr Normales ich sehe, desto mehr gefällt mir die Stadt Mehr kommt sicher, das verspreche ich – es dauert jetzt aber etwas, habe mir im Skiurlaub ein paar Bänder gerissen und bin für ein paar Wochen gehtechnisch außer Gefecht gesetzt
Hallo Christiane,
in der aktuellen RCA-Zeitung habe ich den Artikel über Sie gelesen und war sofort total begeistert. Jetzt habe ich mir gleich beide Bücher von Ihnen im Buchhandel bestellt.
Ich würde es auch toll finden, und mir geht es genauso, wie Kerstin hier schreibt, wenn es über Ihre Sparziergänge ein Buch geben würde.
Merci Sieglinde, fürs beigeistert sein und Bücher bestellen (der Artikel in der RCZ ist wirklich nett)!!! Hoffe, beide Bücher mögen Ihnen gefallen. Jaaa, die Spaziergänge … seufz … komme zu Fuß bislang höchstens auf den Balkon …
liebe Grüße!