La serie noire est morte

Mort un dimanche de pluieIn drei Kellerräumen eines alten Hauses in einer Nebenstraße des Boulevard de la République hatte Monsieur den größten Teil seiner Kriminalromansammlung aufbewahrt. In diesen Kellern und in einer benachbarten Souterrainwohnung stand das Wasser einen Meter fünfzig hoch, das kann man an den Wänden schön sehen. Die Feuerwehr hat das Wasser ausgepumpt und die Mieterin der kleinen Souterrainwohnung Wasserstandsliniehat all ihr aufgeweichtes Hab und Gut in den Garten geworfen, Teile der Einbauküche sahen wir schon auf der Straße liegen. Alles hat sie verloren, schreit sie hysterisch. Und der Nachbar aus dem Hochparterre nickt mit düsterer Miene dazu. Sie hatte nicht viel : Kühlschrank, Mikrowelle, Fernseher, ein Bett und einen Sessel, und versichert ist sie natürlich nicht. Wer ist hier schon versichert. Ein großer Haufen Kleider und Wäsche liegt auch im Garten. « Alles ist hin ! » hört sie nicht auf zu lamentieren und als reiche das nicht, malt sie sich und uns dramatisch aus, was passiert wäre, wenn sie zu Hause gewesen wäre, als das Wasser stieg : Tot hätte sie sein können !  Nun, sie ist es glücklicherweise nicht, aber sie kann nicht aufhören zu jammern und zu klagen und ich lasse sie irgendwann stehen und versuche Monsieur zu helfen seine Kriminalromansammlung aus den drei überschwemmten Kellern zu retten. Zunächst müssen wir hier die Türen aufbrechen und herausheben, denn die Bücherregale mitsamt den Büchern waren dahinter gefallen und blockierten sie. Türen aufbrechen muss man ja auch mal gemacht haben, wenn man Kriminalromane schreibt, nicht wahr ? Auf Französisch heißt das Brecheisen sehr hübsch Pied de Biche, Rehbein also, und ich finde es bei aller Tristesse amüsant, dass ein Rehbein beim Retten von Kriminalromanen hilft, hieß doch die Sekretärin des Kommissars Erik Ode auch Rehbein. « Rehbeinchen, machen Sie uns doch mal einen Kaffee », ist ein Satz, der sich mir ins Gedächtnis gegraben hat (vor langer Zeit, wenn Sie nach 1970 geboren sind, können Sie sich vielleicht nicht erinnern). Aber trotz Rehbein ist von Retten leider keine Rede. Hier ist auch alles hin, und Monsieur könnte vermutlich ebenso laut heulen wie die Nachbarin, aber er ist nur sehr still und weint vermutlich leise im Innern.

Keller 1Keller 2Mehr als zehntausend Bände standen hier. Sämtliche französischen Kriminalromanserien seit dem Zweiten Weltkrieg hatte Monsieur gesammelt, vollständig, einschließlich der Spionageromane, wie er ausdrücklich sagt, denn die BiLiPo, die Bibliothèque de la littérature policière in Paris hat die Spionageromane nicht in ihr Sammelgebiet aufgenommen. Offiziell wurden sie als « zu vulgär » eingestuft, aber vermutlich war es der antisowjetische Tenor, der den überwiegend politisch links stehenden Bibliothekaren nicht gefallen habe, meint Monsieur. Nein, er habe nicht die größte Sammlung nach der BiLiPo gehabt, sagt er bescheiden, in Avignon gäbe es noch jemanden, der die gleiche Sammlung habe, und zusätzlich seien die Bücher dort in einem besseren Zustand.

Wir haben uns heute Zentimeterweise vorgearbeitet. Die Bücher sind mit Wasser vollgesogen wie Schwämme, manche sind schlammig, sie kleben aneinander und sie sind schwer. Sie haben in der vergangenen Woche bereits angefangen zu schimmeln, man sieht es und man riecht es.

SchimmelpilzSchimmel

Vermutlich eignen sich die Keller künftig nur noch zur Pilzzucht. In einem anderen niedrigeren und fensterlosen Kellerraum ist es nicht nur feucht, sondern zusätzlich entsetzlich warm, und hier riecht es zusätzlich nach Gärung. Ich überlege, ob man nicht einen Bücherschnaps brennen könnte, ein Buchparfüm gab es ja auch schon, aber Monsieur hat nur ein müdes Lächeln dafür übrig.

Wir haben heute viele Serien komplett weggeworfen, darunter die Collection Feu, eine antimilitaristische Serie und sehr, sehr viele Bänder der berühmten Série Noire, deren Titel ich heute sehr sprechend fand. Lustigerweise ist eines der wenigen Bücher, das die Überschwemmung trocken überstanden hat, den Titel Apres moi le déluge: nach mir die Sintflut.

ici reposentgrosse WäscheNach mir die Sintflutwarum aufregen?

C’est la fin, sagt Monsieur betrübt, als er die glitschigen Bücher der Collection Mystère und der Collection Angoisse in die Plastikkisten legt, mit denen wir sie aus dem Keller tragen, on ne les trouve plus. Alle diese Bücher, die populäre Literatur der fünfziger Jahre, teils mit eindringlich gezeichneten Covern, aber auf schlechtem Papier gedruckt, findet man kaum noch bei den bouquinisten, und die bouquinisten selbst verschwinden ebenso, einer nach dem anderen. C’est la fin.

MystereAngoisseSpionageTitelCoverWir hingegen haben noch ein paar Tage zu tun, allein mit dem Entsorgen der Bücher. Heute haben wir alles zunächst zur Straßenecke getragen, am Nachmittag haben wir sie dann, schon etwas müde geworden, auf der gegenüberliegenden Straßenseite entsorgt, für Morgen bekommen wir mehrere große Mülltonnen geliefert. Der Anfang vom Ende einer großen Sammlung.

Anfang vom Ende

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5 Responses to La serie noire est morte

  1. quel spectacle , qui fait mal

  2. Birgit sagt:

    Liebe Christiane, das ist ja schrecklich, was da passiert ist. Wie nach der Flut 2002 in Dresden. Ich wünsche Euch viel Kraft , mehr weis ich da auch nicht zu sagen. LG aus Dresden von Birgit

    • dreher sagt:

      Ja, danke liebe Birgit – man muss selbst betroffen sein, um wirklich zu verstehen, was man sonst immer nur im Fernsehen sieht, vor zwei Jahren stand ja auch halb Deutschland unter Wasser, entlang der Donau, der Elbe, dem Rhein …

  3. Pingback: Linkerei | croco