Sainte Anne

Ste AnneAm vergangenen Samstag ist zum ersten Mal in der Geschichte des Dorfes das Patronatsfest der Sainte Anne, kurz Ste. Anne, buchstäblich ins Wasser gefallen. Der Pfarrer und auch sonst niemand konnte bei dem andauernden schlechten Wetter die völlig überflutete Geröllstrecke hier hinauf fahren. Dabei hatten wir seit Tagen das Dorf und das Kirchlein herausgeputzt. Im Kirchlein haben wir die Bänke, den Altar und die Gipsfigur der Ste. Anne abgestaubt, die anlässlich ihres Geburtstages immer in einer kleinen Prozession zu ihrem Oratoire, einem Kapellenbildstock, getragen wird. Wir haben gesaugt und gefegt und frische Luft hineingelassen in das etwas muffig riechende Kirchlein. Wir haben frische Kerzen aufgesteckt und Blumen gepflückt und den wackeligen Stuhl für den Pfarrer stabilisiert, und meine betagte Schwiegermutter hat es sich nicht nehmen lassen, die weiße, leinene Altardecke eigenhändig zu bügeln. Im Dorf haben wir die Wege vom wuchernden Unkraut befreit, das Gras entlang der Wege gemäht, die gepflanzten Blumen gegossen und das Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs und das Oratoire der Ste. Anne mit Blumen geschmückt. Außerdem haben wir alles für einen festlichen Apéro nach der Messe vorbereitet. Normalerweise kommen auch die Leute aus den umliegenden Dörfern hier hinauf für das Fest, und nach der Messe und der Prozession redet und trinkt und isst man zusammen.

LichtBei uns im Haus polierte meine Schwiegermutter schon tagelang mit Eifer all die herumstehenden Kupfer- und Messingkessel. Alles muss glänzen für das Fest, und das Haus muss piccobello sauber sein. Wir alle wurden daher von meiner Schwiegermutter in strengem Ton angehalten, unsere Bücher, Zeitungen, Notebooks, Klamotten und Spiele aus dem großen Wohnzimmer, unserem Aufenthaltsraum, weg und in unsere Zimmer zu räumen. Und das Werkzeug, die Gartenhandschuhe, die Bergstiefel sollten aus dem Eingangsbereich in den Keller verschwinden. “Nichts will ich hier mehr herumliegen sehen!”, schimpfte sie laut und wir räumten, wienerten und schrubbten das alte Haus, so gut es ging, sauber. Sie müssen wissen, wir wohnen in einer ehemaligen Schule, die Ende des 19. Jahrhunderts hier gebaut wurde, und der alte Schulsaal, als solcher vor dem Ersten Weltkrieg zum letzten Mal genutzt, ist zum Wohnraum umgestaltet worden; man sieht ihm die Schule aber noch an, denn die Schulen Frankreichs wurden damals alle nach dem gleichen Schema gebaut und hatten vor allem einen sehr hohen Schulsaal und darüber lag die kleine Lehrerinnenwohnung. Das ist bis heute so. Wir leben also tagsüber im großen Saal, in dem auch noch immer zwei der niedrigen Holzbänke der Schulkinder stehen, und noch immer gibt es die Estrade, auf der früher das Pult der Lehrerin gestanden hat: Monsieurs Großmutter war die letzte Grundschullehrerin hier oben. Sie war noch ganz jung, als sie hier ihre erste Stelle antrat und sie hat sich in dieser Bergeinsamkeit in Monsieurs Großvater verliebt.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Dorf komplett aufgegeben, nur drei Männer (allesamt aus Monsieurs Familie) waren aus dem Krieg zurück gekommen. Alle anderen Familien hatten ihre Männer, Brüder, Söhne oder Väter verloren.

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Monsieurs Großeltern aber waren dem Ort so verbunden, dass sie irgendwann die Schule kauften, bevor sie vollständig zusammenfiel und auch andere Menschen erstanden die umliegenden Höfe und Häuser und bauten sie wieder auf. Das nur am Rande, und um zu verstehen, dass wir zwar ein groß aussehendes Haus haben, aber nur wenige, winzige und außerdem nicht heizbare Zimmer über dem Schulsaal. Eigentlich passt dort jeweils nur ein Bett hinein, ein Schrank und ein Stuhl. So viel Kram wie heute hatte man früher einfach nicht. Wir stopfen also unsere persönliche Habe in die Ecken und unter das Bett, man weiß kaum noch, wo man seinen Fuß hinsetzen soll, egal, Hauptsache unten ist aufgeräumt.

Wir waren also festlich gestimmt und innerlich und äußerlich vorbereitet, aber dann gewitterte es einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang: Wasser, Hagel, Blitz und Donner, nur stundenweise unterbrochen, so dass wir es zumindest geschafft haben, das gemeinsame Essen aller Dorfbewohner etwas improvisiert im teilüberdachten Innenhof, dem ehemaligen Schulhof, le préau, abzuhalten.

DetailMesse und Fest waren nicht an ihrem richtigen Tag geplant, deshalb war Ste. Anne verärgert, wird hier ironisch gesagt. Aber es gibt hier mehrere Gemeinden, die die Heilige Anne als Namenspatronin haben und für den Pfarrer ist es eine richtige Herausforderung, alle die weit auseinanderliegenden Orte mit demselben Heiligen am selben Wochenende mit einer Messe zu versehen, und möglichst auch an allen sich anschließenden Festlichkeiten teilzunehmen. Das war in diesem Jahr unmöglich, so dass wir unsere Heilige Anne am Wochenende vor ihrem eigentlichen Namenstag feierten. Das würde in Deutschland ja nicht gehen, dieses Vor-Feiern von Namens- oder Geburtstagen. Niemand ist zwar aberläubisch, aber alle denken dennoch, das bringe Unglück … Tss, würde man da in Frankreich sagen, so ein Quatsch. In Frankreich ist man pragmatisch, das habe ich bestimmt schon einmal erzählt. Wir zum Beispiel feiern hier im Sommer mehrere Geburtstage zusammen, ganz gleich, ob sie noch stattfinden werden oder schon stattgefunden haben. Sie liegen zeitlich alle im Sommer, die Familie ist zusammen, das ist das Wichtigste und so wird einfach das Datum für ein gemeinsames Geburtstagsfest gewählt, das allen am besten passt. Hat der Heiligen Anne, unter anderem Schutzpatronin gegen Gewitter, dieses Jahr vielleicht doch nicht so gefallen, dieser Pragmatismus ;-)

Das Filmchen des Festes und der Prozession vom letzten Jahr, das ich Ihnen eigentlich zeigen wollte, existiert nicht mehr. Ich will versuchen, noch ein paar Fotos zu machen, die ich später einstelle.

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2 Responses to Sainte Anne

  1. Uschi sagt:

    Liebe Christiane,
    das tut mir so leid, daß das Wetter Euch einen Strich durch das so schön vorbereitete Fest gemacht hat. Und das nach all der vielen Arbeit, die Ihr Euch gemacht habt!!!
    Hoffentlich folgt jetzt schöneres Wetter.
    Ich wünsche Dir noch entspannte und erholsame Tage in den Bergen – soweit das mit dem gesamten “Familienanhang” möglich ist!
    Herzliche Grüße Uschi

  2. dreher sagt:

    Oh, liebe Uschi, ich dachte, ich hätte das schon beantwortet *kopfschüttel* – wir bekommen jetzt ein Ersatzfest! Nächsten Montag! Ich hoffe, es regnet dann nicht.