Leberkrise

T’as une crise de foie, stellte Monsieur trocken fest. Eine Leberkrise? Das Wort erinnert mich stark an die Leber-Party, von der in meiner Kindheit immer wieder im Radio zu hören war. Ich stellte mir vor, dass im Britischen Parlament ständig Partys gegeben wurden, bei denen man besonders viel Leber aß. Weil ich das vermutlich so unerklärlich fand (ich mochte damals keine Leber) hat es sich mir so ins Gedächntis gebrannt, dass es das erste ist, was mir zu la crise de foie einfällt. Leberkrise, Leber-Party. Auch Georg Leber, bereits verstorbener SPD-Politiker, fällt mir wieder ein, schon komisch was das Hirn alles gespeichert hat und bei Gelegenheit wieder hochspült. Natürlich weiß ich heute, dass die Labour-Partei keine ausschweifenden Partys im Britischen Parlament geschmissen hat; meine Leberkrise aber hat ihre Ursache durchaus in den aufwändigen Menüs der diversen Réveillons, wie hier Weihnachts- und Silvesterabend heißen und von den Tagen dazwischen, wo man sich weiterhin einlädt und/oder die Reste vertilgt. Das letzte Bierchen war vermutlich schlecht, würde manch einer vielleicht sagen, aber ich trinke ja nicht mal Alkohol, bei mir war es vermutlich der letzte Schokotrüffel oder die Foie Gras mi-cuit oder der gefüllte Kapaun oder eine der unzähligen Marennes-Oléron Austern oder die Buttercreme-Bûche de Noël, oder die ewige Wiederholung derselben auschweifenden Luxus-Genüsse der Jahresendfeste der Franzosen. Zu viel, von allem viel zu viel. Und zu fett. Viel zu fett. Ich möchte nicht wissen, wie schlecht es mir gegangen wäre, hätte ich das alles noch, wie es sich gehört, mit Sauternes, diversen Grand Crus und Champagner weggespült.

Was wimmert man nicht alles, während man sich, von kaltem Schweiß bedeckt, abwechselnd im Bett herumwälzt oder über die Kloschüssel beugt und der Magen in konvulsische Zuckungen all die Leckereien in jetzt schon stark fermentierter Form wieder von sich gibt. Mir ist so schlecht, oh Gott ist mir schlecht. Bitte, bitte lass es bald vorbei sein, nie wieder will ich irgendwas essen, nie wieder Schokolade, ganz bestimmt nie wieder, und bei dem Gedanken an Schokolade krampft sich der Magen noch einmal zusammen. Selbst das Erbrechen bringt nur kurzzeitig Erleichterung, ich wälze mich eine Nacht und einen Tag wimmernd und stöhnend im Bett herum. Monsieur bringt mir Hepagrume, ein altmodisches Mittel in Ampullen für Verdauungsstörungen, es wirkt nur bedingt. Abends bekomme ich noch leichtes Fieber. Ich fröstele, gleichzeitig glühe ich. Crise de foie, Monsier ist ganz ungerührt, zu viel Schokolade, sagt er, das geht vorüber. Er brät sich sein Steak diesmal alleine und macht immerhin freundlicherweise die Küchentür zu, damit ich es nicht riechen muss. Die zweite Nacht schlafe ich zumindest durch, aber in meinem Bauch liegt noch immer ein schwerer Stein und ich spüre, ich bin nur einen Millimeter von erneutem Ekel entfernt. Heute morgen ging immerhin schon ein Tee.

schoum-flacon-540-ml_pIch suche Leberkrise im deutschen Kursbuch Gesundheit und stoße nur auf Leberkrebs oder Hepatitis. Von beidem bin ich hoffentlich noch weit entfernt, meine Gesichtsfarbe ist zwar fahl, aber nicht gelb. Das Internet beschert mir mehrere Artikel, die besagen, la crise de foie, Nationalkrankheit der Franzosen, gebe es gar nicht, zumindest nicht außerhalb Frankreichs. Von Schoum ist da die Rede, einer gelben Lösung auf Pflanzenbasis, die bei la crise de foie eingesetzt wird. Monsieur lacht, als ich ihm das sage. Schoum ist wohl das allerletzte Mittel für schwere Alkoholiker, um deren erschöpfte Leber noch ein wenig zu aktivieren, sagt er. Warum es dann mit 95%Alkohol versetzt ist, erschließt sich mir nicht so ganz, aber es geht wohl darum, das Übel mit dem Übel zu bekämpfen, wie so oft in der Pflanzenmedizin. Es ist peinlich, la solution Schoum in der Apotheke zu erfragen, wie ich diesem netten Text entnehme. Helfen soll aber auch Hepagrume, das Mittel unserer Wahl, das außerdem weniger schlecht beleumundet zu sein scheint. Und zusätzlich ein paar Tage Diät. Das kann ja sowieso nicht schaden. Es gäbe gar keine crise de foie, sagte ich gerade vorwurfsvoll zu Monsieur, nachdem ich mich im Bett liegend durch mehrere Texte auf meine Smartphone gearbeitet habe. Das sei eine rein französische Krankheit. Monsieur zuckt mit den Schultern. Das zeigt nur, dass du eine echte Französin geworden bist, ist sein ganzer Kommentar.

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32 Responses to Leberkrise

  1. Birgit sagt:

    Na dann gute Besserung liebe Christiane, bei mir steht Iberogast auch immer im Kühlschrank. Kann ich sehr empfehlen! Ich bin übrigens auch wieder in der Erholungsphase nach meiner Grippe, das Jahr fing ja nicht gut an. LG

  2. Micha sagt:

    Hoffentlich ist die Krise mittlerweile beigelegt und du bist wieder wohlauf!
    (wie machst du das nur, dass ich dich nur schmunzelnd lesen kann – selbst im Krankheitsfall?!)

    • dreher sagt:

      :D hehe … ich schreibe vermutlich auch noch mit einem Fuß im Grab … na so richtig klasse ist es noch nicht, könnte auch ne Magenschleimhautentzündung sein … aber heute gabs immerhin schon kartoffelpürree :)

  3. Tine sagt:

    Gute Besserung!

    Hatte nicht Julia Child in ihrer Zeit in Paris auch eine Leberkrise? Ich meine mich vage daran zu erinnern. Dann trifft es wohl nicht nur Franzosen ;-) .

    • dreher sagt:

      Dankeschön, alles wieder im Lot. Julia Child musste ich aber erstmal googeln. Und vielleicht fühlte sie sich auch durch die Leberkrise als Französin “geadelt” ;)

  4. Tine sagt:

    Julia Child ist sehr lesenswert. Also vor allem ihr Buch My Life in France. Sie lebte ja in den 50er oder 60er Jahren in Frankreich und das war schon ganz schön ein Kulturschock für sie. Bekannt ist sie hier durch den Film Julie und Julia, dazu gibt es auch ein Buch: Julie & Julia: 365 Tage, 524 Rezepte und 1 winzige Küche.