Es ist kalt und grau heute. Also kalt ist relativ, 10 Grad sind es, nachdem wir im Februar schon bei 23°C draußen rumgehampelt haben. Ha! Heißt es “wir sind rumgehampelt” oder “wir haben rumgehampelt”? Das sind so Sachen, die ich plötzlich nicht mehr weiß. Egal, bei dem Wetter will in Südfrankreich sowieso keiner draußen rumhampeln. Denkt man. Es sind täglich mehr Autos auf der Straße, ich vermute, dass der Boulevard Carnot zu sehr überwacht wird, weshalb alle die Alternativroute nehmen. Oder es sind alles Mediziner, die im Krankenhaus arbeiten, das an der Verlängerung dieser Straße liegt. Nehmen wir das an. Heute wird es kein sehr lustiger Beitrag. Auch wenn ich wie jeden Morgen von der Katze geweckt wurde.
Die erste Info, die ich bekomme, ist, dass die Gemüsemärkte mit sofortiger Wirkung, nach einer Regierungs-Anordnung von heute Nacht, geschlossen wurden. Das Communiqué des Bürgermeisters, den ich anfange zu schätzen, klingt bitter. Er fügt sich, findet aber, dass die Entscheidungen, die in Paris gefällt werden, dem Süden nicht gerecht werden. Er hält den hygienisch überwachten Freiluftmarkt für gesünder als die Supermärkte. Außerdem beklagt er den Verlust der Ware, die heute nicht verkauft werden kann und den Verlust des Einkommens für die regionalen Bauern. Er bittet uns, den lokalen Handel zu unterstützen. Jetzt, so gut es geht, und vor allem nach der Krise.
Ich finde das auch bitter, denn ich wollte just heute auf den Markt, frisches Obst, Gemüse und Salat einkaufen. Bleibt nur der kleine Lebensmittelladen neben dem Bäcker. Monsieurs Tochter bietet sich an, später für uns im großen Supermarkt miteinzukaufen. Ich gehe zunächst in den kleinen Laden und fülle dafür meinen Ausgangsschein aus. In der Tageszeitung gibt es jeden Tag einen Schein zum Ausschneiden, für die, die keinen PC und Drucker haben.
Was für ein Glück, das Lädchen wurde gerade mit Ware beliefert. Ich muss aber erst draußen warten, mit einem kleinen aufgeregten Hund, denn mehr als zwei Personen sollen nicht in dem Lädchen sein, zusätzlich zur Besitzerin an der Kasse, dem Ehemann und dem Großvater, die die Waren auspacken und einfüllen.
Zu meiner großen Freude räumt der Besitzer gerade Eier ins Regal. Die gab es lange nicht, ich nehme gleich 3 Pakete (à sechs Eier) 12 für die Familie über uns, 6 für uns, und komme mir trotzdem wie ein Hamsterer vor. Dafür gibt es kein Mehl. Ich brauche keines, aber es wird von der Kundin vor mir und der hinter mir beklagt. Ich nehme die letzte Flasche Rosé für Monsieur und hoffe, es gibt da zukünftig keinen Lieferengpass. Kein Wein in Frankreich, das wärs noch! Obst und Gemüse (unreife Bananen, Äpfel, Lauch, Chicoree) hat Supermarktqualität und ich bin nicht so wahnsinnig glücklich, nehme daher zusätzlich die ersten französischen Erdbeeren mit, komplett überteuert. Als ich wieder rauskomme, stehen acht Personen draußen Schlange. In der Bäckerei gibt es nur wenig Brot, sie wurden ebenfalls nicht mit Mehl beliefert, außerdem sind sie jetzt nur noch vormittags geöffnet. Mir fällt die Erzählung “Der dritte Nagel” von Herrmann Kant ein, die ich gerade gerne wiederlesen würde. Hier eine Inhaltsangabe. Ich nehme auf dem Weg dieses Mal Fenster auf. Erdgeschossfenster, die wie durch Zufall, fast alle geschlossen sind. Mit dem wenigen Licht wirkt das heute alles sehr trist. Das ist Cannes? Das ist auch Cannes!
Sie wundern Sich vielleicht, warum ich Ihnen den Wiener Psychiater vorenthalten habe, er hat durchaus Videos produziert, ich musste aber erstmal verdauen, was er sagte, habe eine Nacht schlecht geschlafen und habe gezögert, ob ich das hier veröffentlichen will. Er stellt die Frage der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, spricht über die Existenzängste vieler Menschen, denen diese Ausgangssperre das Einkommen nimmt, sie arbeitslos macht, die kleine Unternehmen ruiniert, und er spricht über den Tod. Retten wir Leben oder verlängern wir das Sterben? fragt er. Ich muss da erstmal schlucken. Finde seine Ausführungen hörenswert, und doch … In meiner französischen Familie gibt es durch Corona verschuldete Arbeitslosigkeit und verhinderte Projekte. Meine Friseurin, mein Fingernagelstudio, der Fischer, bei dem ich Fisch kaufe, die Buchhandlung, gerade erst in größere Räumlichkeiten umgezogen, mein Lieblingsrestaurant, werden die das alle überstehen? Die Hilfen, die vom Staat angeboten werden, die natürlich erst beantragt werden müssen, die kommen wann? Können die das auffangen? Monsieur gehört zur Risikogruppe. Er würde die Krankheit, die sein Sohn gerade durchlebt, vielleicht nicht überleben. Ich kann mich an den Gedanken, “er muss ja sowieso sterben” nur schwer gewöhnen, auch wenn ich weiß, dass es so ist. Ich habe meinen Vater früh verloren, meinen ersten Mann, meinen langjährigen Freund. Ein Freund meines Mannes, gesund und sportlich, starb vor nicht allzulanger Zeit beim Wandern. Herzinfarkt. Zack, weg, tot. Wir alle müssen sterben. Ich weiß.
Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken, sagt Bonelli. Ich lasse Sie nachdenken. A weng Zeit müssens aber schon mitbringen, nicht wahr.
Bis morgen! Bleiben Sie zuhause und bleiben Sie gesund!
danke für den bonelli link. er hat schon ziemlich recht.
Die Krise ist auch ein positiver Zustand man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. ….und es war die Zeit reif…..Aber Bonelli koennte doch wirklich mal positiver sprechen und uns nicht immer auf Situationen aufmerksam machen, die wir wissen, ahnen und mit denen wir von den restlichen Medien verschreckt und zugemauert werden.
Danke für Dein Tagebuch. Die Familie meines Mannes lebt in Frankreich, der Kontakt ist herzlich, aber selten. Bei Dir kann ich immer ein bisschen “französische Luft” schnuppern, das tut mir gut. Deine Mischung aus Persönlichem und Beschreibung von Alltagsleben ist spannend und berührend. Bitte mach weiter! Merci beaucoup…
Danke Juliane, wie schön! 😊 ich freue mich sehr, wenn es dir gefällt, ueber meinen/unsern französischen Alltag zu lesen. Liebe Grüße!
merci Christine! Bin mit Dir / Euch und Allen.
Herzensgüße in meine Herzensheimat
Sei gsund, immer, und zuversichtlich, immer!
bise, Tina