Corona Tagebuch – Tag 8448 Sonntag

Sie wissen vielleicht, dass ich eine Zahlenschwäche habe, Rechenschwäche offiziell, Dyskalkulie heißt es auf Französisch und sogar auf Deutsch. Ich denke “achtundvierzig” und schreibe 8 und 4. Gefühlt sind wir aber schon bei achttausendvierhundertundichweißnichtwieviel Tagen der Ausgangssperre. Ächz. Es wird auch noch so weitergehen, auch wenn wir im Süden jetzt endlich in der “grünen” Zone sind, gestern war es noch “orange”. So ein richtiges Aufatmen gibt es aber nicht. Also, es wird langsam wieder losgehen, aber die Betonung liegt auf langsam, alles ist unsicher, und alles wird von vorne nach hinten und zurück durchdiskutiert, und nicht überall sind die Bürgermeister einverstanden, dass die Schule wieder losgehen soll. Schulklassen werden halbiert, Busse und Nahverkehrszüge bekamen Abstandszeichen eingeklebt, nur jeder zweite Sitz soll besetzt werden, und die Fahrer werden durch eine Plexiglasscheibe geschützt. Man steigt jetzt auch nicht mehr vorne beim Fahrer ein, sondern hinten! Keine Möglichkeit beim Fahrer ein Ticket zu kaufen, keine Möglichkeit den Fahrer anzusprechen und der wird auch nichts mehr kontrollieren. Da es hier auch keine Fahrscheinautomaten gibt (man hat auf elektronisch aufladbare Wochen- und Monatskarten umgestellt) werden das endlich entspannte Zeiten für Schwarzfahrer. Aber das ist vermutlich das geringste Problem. Monaco hebt die Ausgangssperre morgen schon auf, das ist zumindest für Beausoleil, wo es Straßen gibt, deren eine Seite zu Monaco gehört und die andere zu Frankreich, etwas schwierig in der Umsetzung. Es sei (in Monaco) das Ende der Ausgangssperre, aber nicht das Ende der Krise, hört man warnend immer wieder. Deswegen gibt es auch vorsorglich Pläne zur Verlängerung der Ausgangssperre in Frankreich bis Ende Juli, aber Monsieur winkt nur ab. Er glaubt nicht, dass das durchgesetzt wird. Es ist nur ein Warnschuss sozusagen, ein “reißt euch gefälligst noch zwei Wochen zusammen”, damit wir das déconfinement ab dem 11. Mai halbwegs gesittet hinkriegen. Es ist eine sehr angespannte Situation in Frankreich, das merkt man in seinem klein-klein-Alltag mit den Fragen wo kriege ich frischen Mangold/Fisch/Spargel nicht direkt, aber die Franzosen sind unzufrieden mit ihrer Regierung und in den sozialen Medien kocht es hoch. Dieser Text hier fasst ein bisschen zusammen, wie es in Frankreich aussieht. Und was danach kommen kann.

Niemand hat je gesagt, dass Monaco schön sei.

Ok, was anderes. Wir waren heute ganz früh auf dem Markt, dem Gatten stand der Sinn nach frischem Fisch und außerdem wollte er testen, ob seine Muskelzerrung sich soweit beruhigt hat, dass er wieder ein Stück laufen konnte. Beides mal ja. Es gab zwei reizende kleine Doraden und das Bein hielt. Keine Beschwerden.

Sonntags halb Neun ist im Moment eine gute Zeit für den Marktbesuch, würde ich sagen. Keine Schlange, ausreichend Stände, auch kleine Erzeuger: Fisch, Eier, Käse, Wurst und Schinken, Gemüse, Obst und sogar Oliven und Beignets für den Apéro. Leider keine Blumen. Aber wirklich frische Erdbeeren, zum halben Supermarktpreis, super frischer Mangold (ich schrieb neulich, ich habe eine Wirsingtarte gemacht, es war Mangold!), und erste Zucchini und ihre Blüten, die man als Beignets ausbacken kann. Das Angebot ist gut und noch sind nur wenige Kunden da. Um Neun Uhr waren wir schon wieder zuhause. Mich lachte dieser frische junge Mangold so an, ich wollte sofort eine tourte aux blettes machen.

Eine süße Mangoldtorte, eine Nizzaer Spezialität. Wenn Sie die Zutaten lesen, wird Ihnen schwummerig: Parmesan, Olivenöl, Mangold, Rosinen, Pinienkerne und Äpfel in zwei Schichten sandigem Mürbeteig. Und das schmeckt? Ich habe meine erste tourte aux blettes in der Altstadt von Nizza bei einem kleinen Bäcker gekauft und war von dem eigentümlichen Geschmack sofort angefixt. Mit dieser Tourte (Tourte heißt es, wenn die Tarte noch einen Teigdeckel bekommt und “geschlossen” ist) ist es wie mit den Petits Farcies und all den anderen Spezialitäten aus der familiären Küche, es gibt so viele Varianten wie Familien. Bei einem Wettbewerb von AmateurbäckerInnen in Nizza geben alle ihre besonderen Tipps weiter: einer nimmt einen bestimmten Zucker, eine Dame gibt einen Schuss Pastis in den Teig, andere nehmen Backpulver, manche mischen die Äpfel in die Füllung, andere legen sie obenauf …

Ich zeige Ihnen mal dieses Video, sie sehen einen Landwirt, Jean-Marie, als er noch ein Kind war, erzählt er, gab es etwas hundert Gemüseeanbauer, die Mangold anbauten, jetzt gebe es nur noch vier oder fünf. Das  Rezept von Josette ist eigentlich das von Jacques Médecin und genau das, was ich gemacht habe. Ich habe heute aber ganz zarte junge Mangoldblättchen gekauft, nicht diese riesigen Lappen. Meine Tourte ist optisch nicht ganz gelungen (und ich habe den Mangold nicht richtig ausgewrungen, die Füllung ist etwas zu nass geworden) sie sieht vor allem mal wieder etwas grob-handwerklich aus, denn ich habe eine ungeeignete Auflaufform verwendet, ich hätte einfach eine normale Tarteform wählen sollen. Aber ich habe das Video erst anschließend angesehen. (Vor zwei Jahren habe ich es schonmal nicht in der richtigen Form gemacht, man lernt anscheinend nicht dazu *augenroll*.) Aber sie ist sehr lecker! Ein paar Sekunden Nizza sehen Sie in dem Video auch.

Nicht nur wir dürfen nicht fliegen, auch die Flugbegleiter von AirFrance leiden und haben Entzugserscheinungen. Sie haben ein lustiges Video gemacht.



Bis morgen! Passen Sie weiterhin auf sich auf!

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17 Responses to Corona Tagebuch – Tag 8448 Sonntag

  1. Ich verdrehe Zahlen auch immer. Wie geht es Ihnen damit im Französischen? Ich erinnere mich heute noch, wie ich als Französisch-Anfängerin mal quatre-vingt-dix-sept an die Tafel schreiben sollte. Totaler Blackout vor 28 Schülern und einer Lehrerin. Wir nicht angenehm.

    • dreher sagt:

      Grauenhaft! Ganz grauenhaft! Telefonnummern am Telefon durchgegeben werden das reinste Chaos. Nie stimmt, was ich aufgeschrieben habe, nie! Die sagen hier alles immer in Zweierpäckchen: zeroquatre quatrevingtreize soixantedixhuit … und wenn es um 70 Cents geht, sagen sie soixante-dix, aber man gibt ein 50 cent-Stück und ein zwanzig cent-Stück … für mich macht das cinquante-vingt und nicht soixante-dix …. das ist aber etwas, das verstehen die Franzosen nicht mal im Ansatz, wenn ich das versuche zu erklären *augenroll* –

      • E.K. sagt:

        😃😃😃oh, Mann habe ich gebraucht, bis ich diese absurde Art zu zählen in den Griff bekommen habe!Viermal zwanzig und dreizehn, also ehrlich Leute, warum einfach, wenn es auch so wundervoll verschwurbelt kompliziert geht?
        Und für mich ist Mangold das Gemüse Satans, das wirklich allereinzigste Gemüse das ich definitiv NICHT mag!
        Mein Herzallerliebster kriegt das öfter in Spanien(wir können ja von uns aus quasi nach Spanien spucken, Luftlinie 15km) als Alcelgas-Verduras serviert, weil das Zeug bei mir nicht durch die Küchentüre darf! Aber in der Cannesform ist ja nicht viel drin, das Meiste ist jawohl der Apfel. Aber da sag ich Blettebanause nur, warum nicht einfach Apfelkuchen, ohne das Teufelszeug backen?😉

        Ich muss am 13. 5. nach Toulouse, zur Inspection unseresfahrbaren Untersatzes. Irgendwie macht mir das Déconfinement Angst. Wir sitzen hier ja von Anfang an im grünen Bereich, aber wenn jetzt einfach wieder deconfiniert wird, dann wird sich das vermutlich drastisch ändern. Wirtschaft, Wirtschaft über alles und wenn die Alten sterben, spart das dem Staat Rentenzahlungen. Ich finde, was hier in den EPHADS abgeht hochkriminell!🤮🤮🤮🤮Sorry, auch das muss mal gesagt werden!😥😥😥Und die Schule ist die atypische Bakterienschleuder schlechthin.Für uns heisst das, wir können unsere Familie bis auf unbestimmte Zeit nicht sehen!😥😥😥😥

        Aber es ist Frühling und die Sonne scheint und ich habe mir jede Menge Samen im Internet bestellt, die schon gekeimt haben und so die Sonne und der Regen wollen, eine nette Ernte versprechen!😉

  2. Sunni sagt:

    Ach, nach all dem problematischen Diskutieren was für eine herrliche Doppeltarte und das Video der Flugbegleiter…Großes Theater, echt französisch. Hier kocht die Volksseele bis zu Prügeleien, gar nicht schön. So, und jetzt schaue ich Ihre wunderbaren Fotos noch einmal an und träume mich nach Cannes! Bises, Sunni

  3. Petra—Christiane sagt:

    Liebe Christiane,
    bin froh, zu hören, dass auch bei Ihnen alles gut ist. Haben auch heute wieder
    mit Interesse Ihren Bericht gelesen und sogleich Appetit auf die Mangold—Tourte
    bekommen. Ist das obendrauf ein Eischnee oder Puderzucker ?
    Bei uns gab es heute eine Clafoutis mit Birnen und Vanillesauce, so sind wir
    in Gedanken und beim Essen im Reiseland Frankreich 🇫🇷.

    Eine gute Woche und bleiben Sie alle gesund,

    herzliche Grüße — Petra Christiane

    • dreher sagt:

      Es ist eine Mischung aus Zucker und Puderzucker. Ich habe vielleicht ein bisschen zu viel genommen.

  4. Dirk Franke sagt:

    Zucchiniblüten auf dem Markt. . So neidisch. Ich Berlin werden die in Kokain aufgewogen, wenn wir sie denn mal kriegen.

  5. Caroline Bahri sagt:

    Danke für die wunderschönen Fotos. Ich habe das Gefühl, als wäre das alles weit weg, mein Herz will hin, ich darf nicht hin, obwohl ich nur exakt 7 km entfernt „confiniert“ bin und ich eigentlich auch zu Fuß gehen könnte. Bald, hoffentlich bald wieder.

    Die tourte klingt klasse und wird wieder nachgemacht. Deine tarte habe ich mit Porree und Speck gemacht, der Teig war sehr gut gelungen und schafft es ins Repertoire. Danke dir!

  6. Tina Sumser sagt:

    …zucchini blüten jööö j`adore !!!die tarte – ich habe tourte hunger….! nizza, my Love. der film, jössas, wie gelungen , so würde man es hier in Ö. es ausdrücken, glaube ich zumindest :-)) Großes MERCI Christiane, so ein Amusement, zwischen all dem Ernsten…mit Freddys musique noch dazu! TOLL und danke, danke danke, bleib gesund und Monsieur natürlich auch. Des bise Tina :-)

  7. Heidi sagt:

    Die Tourte habe ich vor vielen Jahren in Cap Ferrat kennengelernt. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie gut es mir geschmeckt hat. Vielen Dank für das Rezept und die Erinnerung daran, muss ich unbedingt mal backen. Und vielen Dank für dieses schöne Blog, es ist mir immer ein Fest, es zu lesen.

  8. Ute sagt:

    Liebe Christiane,
    Deinen Blog habe ich heute Morgen sehr bald nach dem Aufstehen gelesen und er hat mir sofort ein bis dahin noch nicht vorhandenes Lächeln ins Gesicht gezaubert…:-) Was Du geschrieben hast, die wie immer so ansprechenden Fotos dazu, interessante Links mit Filmchen :-), das hat mich auch wieder an den Podcast mit Dir denken lassen, den ich gestern gehört habe…Du versprühst, zumindest für mich, gerade sooo viel gute Energie, das tut einfach nur gut! Danke dafür :-)
    Ich freue mich, dass Du so viel in diesen tägliche Blog steckst, wo Du doch gerade so gut zu tun hast. Tatsächlich motivierst Du mich gerade, auch durch den Podcast, wieder mehr Zeit und Liebe ins Kochen zu stecken. Haben wir doch seit unserem Umzug im letzten Jahr jetzt auch einen wunderebaren kleinen Laden mit Obst, Gemüse und Südfrüchten ;-) wie er selbst das beschreibt, um die Ecke :-)
    Ich staune immer wieder, dass bei Euch die Märkte auch sonntags auf haben. Und was es da alles Tolles gibt!
    Bei jedem Mal, das ich hier lese, denke ich dringender, dass ich auch mal eine Tarteform brauche…Schluss mit Improvisation in der Springform :-)
    Habt einen angenehmen Montag :-)

  9. Gabriele sagt:

    Mangold ist eines meiner Lieblingsgemüse, das habe ich auch jedes Jahr im Garten. Allerdings sind die Spatzen ganz wild drauf, ich kann die Pflanzen nur unter Sicherheitsnetz anbauen. Aber die Tourte aux blettes habe ich auch während meiner Aufenthalte in Nizza nie probiert – bin ob der Mischung eher skeptisch. Du hast aber immer so schöne Bilder und ja, Monaco ist hässlich, zumindest die Straßen, aber es gibt auch dort nette Ecken und mich haben beim ersten Besuch die schicken Polizisten und die mamorgetäfelten Unterführungen und Gehwege sehr beeindruckt… lang ists her..
    Alles Liebe Gabriele

  10. Croco sagt:

    Ob Mangold mit mir ein Problem hat, oder ich mit mit, ist noch nicht geklärt. Auf jeden Fall passen wir nicht zusammen.
    Mir geht es ähnlich mit den Zahlen. Ich verdrehe sie andauernd, so wie ich Richtungen verdrehe. Habe mal gelesen, dass das daher kommt, dass man als Kind von linkshändig
    auch rechtshängig umdressiert wurde. Bei mir wäre das der Fall.