So, jetzt aber endlich Salina, sonst wird das nix mehr. Ich will ja auch noch über Lipari und Catania schreiben – aber kaum waren wir zurück von unserer wahnsinnslangen Reise (9 Tage!), schwappt der Alltag schon wieder über unseren Köpfen zusammen. So was schreibe ich und denke dann, das sagt man so nicht im Deutschen, oder? Zusammenschwappen über den Köpfen. Hm. Es schwappt hinein, und irgendetwas bricht über unseren Köpfen zusammen, eine Welle? Die Welle schwappt über? Die Welle bricht? Schlägt? Ich denke hin und her und tippe es dann bei Google ein und finde nichts. Ich schreibe und lese ja fast ausschließlich auf Deutsch und dennoch entgleitet mir meine Muttersprache und geht mir das Sprachgefühl verloren, und leider ohne dass mir das französische Sprachgefühl dafür sehr viel näher kommt. Also sehr viel näher als mir Französisch derzeit ist, kommt mir die Sprache wohl nicht mehr. Klar spreche ich besser Französisch als zu Beginn meines Hierseins, aber Spracherwerb jenseits der 40 bleibt wohl limitiert. Ich denke beim Schreiben über jeden deutschen Satz, über manchen Ausdruck und über die Schreibweise von Wörtern nach. Selbst “dass” oder “das” wird zunehmend zum Problem. Ich schreibe ohnehin langsam, so wird es nicht schneller, und der Alltag schwappt, schlägt, bricht oder dominiert schon wieder und raubt mir Zeit und Energie.
Salina also, die zweite der Äolischen Inseln, die wir besuchten. Ich finde ja immer, man kann noch so viel lesen, es ist dann doch anders, zumindest anders. als ich es mir vorgestellt habe. Wir verließen Stromboli mit der Abendfähre – eigentlich hätten wir die Fähre vormittags nehmen sollen, aber das habe ich nicht richtig verstanden (so viel zur Sprachkompetenz) und so warteten wir lange mit unserem Gepäck am Anleger (“Hafen” habe ich unwissende Landratte im letzten Beitrag geschrieben, Hafen ist das keiner! Nur ein Anleger, ein grauer Betonsteg, und die Fischerboote werden nebenan auf den schwarzen Strand gezogen) auf die letzte Möglichkeit, um an diesem Tag von dieser struppigen Insel wegzukommen. Wir sehen das Kommen und Gehen neuer Inselgäste, Wanderer, Rollkofferzieher, die meisten kommen in Gruppen. Ein junges Paar stürzt sich auf den Taxifahrer (in einem Golfcart!) und fragt auf Englisch, ob er sie schnell noch zum Vulkan fahren könne. Sie diskutieren lange. Nein, sie erwarten nicht, dass er sie zum Kraterrand führe, versicherten sie, aber so nah wie möglich ran eben, um Fotos zu machen, hallo! Instagram lässt schön grüßen. Neben uns döste eine der vielen Katzen und ich finde es absolut erstaunlich wie viele vorbeilaufende Touristen diese Katze anfassen mussten. Als hätten sie noch nie eine dösende Katze gesehen. Oh! Entzückensschrei! Eine Katze! Streichel, streichel. Oh wie süß, schau mal eine Katze! Streichel, streichel, Foto. Oh! Wie niedlich diese Katze schläft! Foto, streichel, streichel. Übergriffig, denke ich und warte darauf, dass die Katze irgendwann unwillig faucht oder ihre Krallen ausfährt. Aber nein, sie ist es wohl gewohnt und nahm es klaglos hin.
Auf Stromboli war es aufgrund der Aschewolke dunkel und kühl geworden und ich suchte in meinem Koffer nach einer warmen Fleecejacke, die ich über mein Sommerkleid zog; ich wusste, dass wir auf Salina in das ein paar Kilometer entfernt liegende Dorf Malfa und zu unserem Hotel kutschiert werden würden, und erwartete ein ähnliches Gefährt wie das auf Stromboli.
Zunächst kamen wir noch bei Panarea vorbei. Die kleinste der Inseln, angeblich die schönste und daher die Millionärsinsel, beim Jetset genauso angesagt wie Portofino oder Capri. Zwei Carabinieri in einem lächerlich wirkenden wenig Autorität ausstrahlendem Golfcart (!) beobachten, wer aus der Fähre ein- und aussteigt. Sicher ist sicher. Es kursieren Gerüchte, dass eine der angesagten Bars auf der Insel den russischen Oligarchen Abramowitch mit den Worten “We are full” nicht reingelassen hätte. Und nein, Abramovitch hat dann weder die Bar noch die Insel gekauft. Vermutlich ist man dort anderweitig geschützt.
Wir erreichen Salina, ich ziehe den Reißverschluss meiner Fleecejacke hoch und suche den Anleger nach einem Golfcart ab. Aber nein, ein Mann in einem schwarzen Anzug hält dezent ein Schild mit meinem Namen hoch und führt uns zu einem silbernen Mercedes Bus. Monsieur und ich fühlen uns kurzzeitig etwas unwohl in unserem Stromboli-verwilderten Outfit. Während der Fahrt tönt leise jazzige Musik aus den Lautsprechern. Wir fahren in einem richtigen Auto über richtige Straßen. Man lässt uns an einem Gassengewirr aussteigen und wir folgen im Dunkeln dem Kofferträger. Herrjeh. Ich suche unauffällig nach einem kleinen Schein in meiner Brieftasche. “Willkommen! Endlich sind Sie da!” Wir werden überschwänglich begrüßt wie lang verschollene Freunde, sie hatten uns eigentlich schon am Vormittag erwartet. Man platziert uns auf der Terrasse, serviert uns dort etwas Wasser, während die Anmeldeformalitäten erledigt werden. Dann geleitet uns die Besitzerin zu unserem Zimmer, unter freiem, jetzt nachtdunklen Himmel stolpern wir treppab, treppauf, treppab und wieder hinauf. Die Hotelanlage ist wie ein kleines Dorf angelegt, kleine lauschige Plätze, maximal einstöckige Häuschen und alles ist maximal verwinkelt.
Wir erreichen gerade noch das Zimmer, als es zu regnen anfängt. Regen, sage ich, es schüttet. Wir entschließen uns, der Einfachheit halber, im, mit einem Stern ausgezeichneten, Restaurant des Hotels zu essen, machen uns so schick, wie wir können, ziehen unsere Regenjacken darüber und kommen dennoch komplett durchnässt an. Man nimmt unsere durchweichten Jacken mit einer höflichen Eleganz entgegen, als handele es sich um edle Pelzmäntel. Wir werden in einen, mit Antiquitäten eingerichteten, Saal geleitet und Monsieur und ich kommen an einem großen runden Tisch zu sitzen, so weit voneinander entfernt, dass wir uns nicht einmal unbemerkt etwas zuzischen können. Wir sind die einzigen Gäste, in der Ecke drängelt sich Personal à gogo. Man reicht uns höflich die Karte an. Möchten wir die Karte auf Englisch oder Italienisch? Monsieur und ich, wir haben beide verschüttete Italienischkenntnisse und einen Teller Nudeln können wir durchaus auf Italienisch bestellen. Wir nehmen also die italienische Karte und sehen uns dann von weitem verzweifelt an. Wir verstehen nichts. Nur die Preise. Die englische Karte, die wir dann erbitten, ist auch nicht viel aufschlussreicher. Es gibt natürlich Degustationsmenüs, da müsste man sich nicht zwischen all dem Unverständlichen entscheiden und bestellte nur lässig das fünf-, sieben-, oder neungängige Menü und basta. Aber das ist uns, auch finanziell, etwas zu aufwändig, wir wählen beide einen Teller Nudeln, die natürlich nicht so heißen, aber Linguine und Tortelloni können wir herauslesen.
Wasser wird gereicht, als handele es sich um einen ausgewählten Champagner. Mehrere junge Servicekräfte nähern sich dem Tisch und servieren uns zunächst einen “Willkommensgruß aus der Küche”. In einem, wie es scheint, exakt ausgezirkelten Radius werden vor uns drei Schälchen installiert. Man tritt einen Schritt zurück und erläutert uns, was wir vor uns sehen. Ein etwa (ungelogen!) ein Zentimeter großes Stück Aubergine, deren aufwändige Zubereitung sich mir leider sofort wieder entzieht, eine Scheibe einer orangefarbenen Kaktusfeige, in irgendetwas Außergewöhnlichem mariniert, das weder Monsieur noch ich verstehen, und ein kleines Stückchen Weißbrot mit drei Würfelchen Tomate darauf. Bonne dégustation!
“Können wir bitte etwas Brot bekommen”, ruft Monsieur leicht verzweifelt, der fürchtet, dass er hier heute Abend verhungern wird. Aber nein, was für ein faux pas! Man verneint höflich, das Brot käme später, die reizenden Kleinigkeiten müssten wir “pur” genießen, um den Geschmack in seiner ganzen Komplexität auskosten zu können. Hahaha. Wir sind eindeutig zu hungrig und eindeutig zu wenig kulinarisch gebildet, um der Aubergine und der Kaktusfeige, geschweige denn den Tomatenwürfelchen irgendetwas Besonderes abschmecken zu können. “Aber er hat doch gar nichts an”, denke ich, und versuche Monsieur halblaut das Märchen von “Des Kaisers neue(n) Kleider(n)” zu erzählen, was sich aufgrund des Abstands als unmöglich erweist, der Gatte ist schwerhörig und ich will in diesem Ambiente die Stimme nicht heben. Es folgen weitere Grüße aus der Küche, ein cremiges Irgendwas im Kupfertöpfchen und ein weiteres Hmhm, an das ich mich bedauerlicherweise nicht mehr erinnere, jedes Mal mit dem gleichen heiligen Ernst serviert. Aber dann kommen, unter je einer verzierten silbernen Kuppel, synchron serviert, unsere Nudeln, hurra, endlich was Richtiges zu essen, und zwei Grissini bekommen wir auch. Ich habe (eine natürlich viel kompliziertere Version von) Linguine Vongole und bin zufrieden, der Gatte, der sich mit Lamm gefüllte Tortelloni versprochen hatte, weiß nicht, was er da eigentlich isst, nach Lamm schmeckt es nicht und auch nach nichts, was wir kennen (ich probiere es natürlich). Es ist, im besten Sinne, neu und, ähm, überraschend. Wir entschließen, zusätzlich ein Dessert zu wählen – und, hurrah, die Zusammenstellung von hausgemachten Eissorten und Sorbets verstehen wir und können wir auch geschmacklich schätzen. Köstlich. Aber oh weh, wie anstrengend das alles!
So ähnlich verläuft auch das Frühstück am nächsten Morgen, man ist umwuselt von zu viel und überaufmerksamem Service, man hält es kaum aus, aber immerhin ist der Cappuccino ausgezeichnet.
Es regnet wieder und Monsieur zieht es vor, sich in dem luxuriösen Zimmer und dem bequemen Kingsize-Bett aufzuhalten und zu lesen. Ich bedaure rückblickend, dass ich mich nicht entschließen konnte, alleine die Insel zu erkunden, im Nachbardorf wurde nämlich der wundervolle Film “Il Postino – Der Postmann” gedreht, mit Massimo Troisi und Philippe Noiret in den Hauptrollen. Und so wie es aussieht, habe ich hier den gesamten Film in deutscher Sprache gefunden. Ich hoffe, Sie können ihn in Ihrem Land auch ansehen.
[Exkurs Stromboli]
Der Film Stromboli ist übrigens sehr beeindruckend! Ingrid Bergman hat darin allerdings keine sympathische Rolle: Am Ende des Zweiten Weltkriegs findet sich Karen in einem italienischen Internierungslager; nach Litauen (ihrem Film-Heimatland) kann (will) sie nicht zurück, zu ihrer Familie, die nach Argentinien ausgewandert ist, lässt man sie nicht reisen. Um dieser ausweglosen Situation zu entkommen, heiratet sie kurzentschlossen einen italienischen Soldaten, der um ihre Hand angehalten hat und ihr von seiner Mittelmeerinsel vorschwärmt. Als sie auf Stromboli ankommen und sie den aktiven Vulkan sieht und die drei ärmlichen Häuschen, ist sie fassungslos und wütend. Worauf hat sie sich da eingelassen? Sie, eine Tochter aus gutem Haus, modern, gebildet und frei, tut sich schwer in dieser archaischen Welt und mit ihrem ungebildeten Mann, der sich als Fischer verdingt. Sie ist unzufrieden und benimmt sich arrogant, und wird im Gegenzug von ihrer italienischen Familie und den meisten Einwohnern abgelehnt.
In dem Film wird übrigens auch eine Mattanza gezeigt, die sizilianische (gewaltsame) Art, Thunfisch zu fangen. Karen nimmt zufällig daran teil und ist so schockiert und angewidert, dass sie unter diesen “brutalen Schlächtern” definitiv nicht mehr leben will. Als sie schwanger wird, beschließt sie, die Insel zu verlassen.
Ich habe tatsächlich auch hier den gesamten Film gefunden, allerdings in der italienischen Fassung mit englischen Untertiteln.
Ingrid Bergman und Roberto Rossellini haben sich während der Dreharbeiten auf Stromboli leidenschaftlich ineinander verliebt, und lebten in dem kleinen und heute roten Haus zusammen, ein Skandal, da beide bereits verheiratet waren.
[Exkurs Stromboli Ende]
Zurück zu Salina: Viel mehr sehen wir nicht von der sehr grünen Insel, die anders als Lipari, wo das Wasser mit Tankschiffen vom Festland zur Insel gebracht wird, Quellen hat. Auf der Insel wird Wein angebaut, aus dem sie einen besonderen Süßwein machen, und überall wachsen Kapernbüsche; Kapern sind überhaupt die Entdeckung für mich auf diesen Inseln. Man fragt sich, wie man bisher ohne Kapern hat leben können, denn hier isst man sie in und zu allem (Sandwiches, Salat, Pizza, Nudeln mit Kapernpesto, es gibt sogar Kapernmarmelade!); sie haben einen ganz anderen Geschmack, als den, den ich kenne, sie sind ganz mild, da sie in Salz und nicht in Essig eingelagert werden. (Vor dem Zubereiten muss man sie entsalzen!) Zu Kapern werden übrigens die unreifen Blütenknospen, die dann, ähnlich wie Oliven, vorbehandelt werden müssen, um genießbar zu sein. Die Früchte der Kapern, wenn man sie reifen lässt, heißen (im Italienischen) Cucuncu. Und die Kapernblüte, leider nicht in echt gesehen, sieht wohl wunderschön aus, sehr zart, weiß, mit rosavioletten Staubblättern.
Es regnet weiterhin viel, wir trödeln so herum, und am Nachmittag, als es aufhellt, spaziere ich ein wenig durch das verschlafene und am Hang hängende winzige Dorf Malfa,
erstehe in der Apotheke erneut Hustensaft und Aspirin,
sehe von überall das Meer, den Hafen und den einzigen Strand von oben, zu dem ich nicht absteige.
Dann gönne ich mir, im geheizten Hotelpool herumzuplantschen (um meinen tapferen Knien eine andere Bewegung zu ermöglichen), kuschele mich anschließend in den dickflauschigen Bademantel ein und lese ebenfalls im gemütlichen Bett. Am Abend essen wir im Bistro am Platz, dort ist das Essen so schlecht, dass ich meinen Teller quasi unangetastet zurückgehen lasse.
Später erfahre ich, dass die Besitzerin des Hotels in den Neunziger Jahren aus den USA zurückgekommen ist; ihre Familie war zwei Generationen früher dorthin ausgewandert. Sie aber zog es zurück, back to the roots und auf die Insel und baute das Hotel auf – in dem seinerzeit die Filmcrew von “Il postino – Der Postmann” logierte und aß. Damals kochte aber natürlich noch nicht die Tochter der Hotelbesitzerin edle Sternemenüs, sondern der Gatte zauberte aus “Nichts” üppige Köstlichkeiten. Das hätte uns vermutlich auch (und besser) gefallen.
Am nächsten Tag reisen wir weiter nach Lipari.
wird fortgesetzt
Oh, der Link für Stromboli funktioniert für mich, wie schön! Ich habe Stromboli noch nie gesehen und freue mich schon darauf, mein verrostetes Italienisch etwas aufzufrischen.
Ich liebe Kapern … habe aber noch nie einen Kapernstrauch gesehen. Leider ist das ja mit vielen Früchten so, man ist oft erstaunt, wenn man zum ersten Mal die Pflanze sieht, die sie hervorbringt. “Falsche” Kapern kann man übrigens aus den Blütenknospen von Gänseblümchen herstellen.
Liebe Grüsse
Karin
Ach komm, mit Gänseblümchenknospen *denke dir hier ein Emoticon mit staunend aufgerissenen Augen” –
Ich mochte Kapern bisher nicht, liegt aber vor allem an der Säure, der in Essig eingelegten Kapern. Ich habe mir in Salz eingelegte Kapern mitgebracht und versuche, sie zunehmend in der Küche einzusetzen Ich hätte auch gerne noch einen Pistazienbaum/strauch gesehen; Pistazien sind nämlich ebenso in fast jedem süßen wie salzigen Gericht anwesend!
Viel Vergnügen mit “Stromboli”!
LG
C.