Die nächtliche Odyssee zum schlecht beleuchteten Hotel irgendwo in der Provinz bei München erinnerte mich übrigens sehr an ein Ereignis während meiner Reise nach Westafrika. Vor gut zwanzig Jahren war ich mit meinem damaligen (weißen) französischen Freund unterwegs nach Burkina Faso. Da ein Direktflug nach Burkina Faso so viel teurer war, wählten wir einen Flug nach Bamako im benachbarten Mali und nahmen von dort den Überlandbus. Trotz zusätzlicher Übernachtung, trotz Busticket war diese Variante viel billiger. Länger dauerte es natürlich auch. Für mich begann mit dem Einstieg in den Bus die erste wirkliche Reise meines Lebens. Als einzige Weiße (mit meinem Freund) saß ich stundenlang in einem vollgestopften Bus eingezwängt neben einer fülligen Händlerin, die mir fettige Nüsse zu essen gab. Später, an einer der sechs Grenzen, an denen wir warten mussten – drei, um aus Mali rauszukommen, drei, um nach Burkina Faso reinzukommen, und jedes Mal mit Zollbeamten konfrontiert, die, sagen wir mal, gegen ein gewisses Handgeld, den Aus- bzw. Einreisevorgang hätten beschleunigen können, immer saßen wir zwei Weiße stundenlang in einem Büro rum und warteten, während die Zöllner aßen oder ein Schläfchen machten … Also später, wie gesagt, da aß ich zum ersten Mal in meinem Leben gegrillte Ziege und trank scharfen Ingwersaft. So scharf, dass ich ohne jede Rücksicht auf irgendwelche Mikroben, sofort noch ein prallgefülltes Plastiktütchen Wasser erstand, das ich in einen Zug aussaugte (man beißt eine kleine Ecke eines Plastiktütchenzipfels ab und saugt so das Wasser raus).
Auf der Rückreise kamen wir dank all dieser Warterei an den Grenzen dann auch nicht am frühen Abend, sondern nachts um vier in Bamako an und fanden natürlich kein Hotel mehr. In der Nähe des Busbahnhofs gab es zwar eines, der Busfahrer zeigte vage in eine Richtung, aber dort war alles verschlossen und dunkel. Keine Möglichkeit zu klingeln oder gar anzurufen. Magere Hunde streunten im Hof des Hotels herum, bellten und knurrten uns an. Aber trotz des Hundegebells erschien niemand. Wir machten uns auf den Weg zurück zum Busbahnhof, wo alle anderen Mitreisenden verschwunden waren, auch der Busfahrer hatte sich in Luft aufgelöst. Wir waren allein mitten im dunklen Nichts. Was tun? Ein Taxi fuhr vorbei, das wir zum Anhalten nötigten. Darin zwei junge Männer, die uns misstrauisch durch einen Spalt des geöffneten Fensters ansahen. Ob Sie uns zu einem Hotel fahren könnten, fragten wir. Sie beratschlagten sich und ließen uns schließlich einsteigen. Sie waren aus Sicherheitsgründen zu zweit unterwegs, erfuhren wir. Mich beruhigte das nicht gerade, aber immerhin waren wir jetzt zu viert – besser als zu zweit allein am Busbahnhof. Die Fahrt zog sich. Einmal quer durch Bamako und wieder hinaus, so schien es uns. Ob sie uns auch wirklich zu einem Hotel fahren würden, fragte mein Freund, in der Zwischenzeit auch etwas misstrauisch. “Jaja”, bestätigten sie. “Hotel, jaja.” Irgendwann hielten sie an. Mitten in einem unbeleuchteten Wohngebiet. “Hotel”, sagten sie und strahlten uns an. Ich sah überhaupt nichts, was nach Hotel aussah, mein Freund verstand es schneller. Da war ein rotes Licht neben der Haustür eines der Häuser. “C’est un hotel de passe?” fragte er ein bisschen fassungslos. Ein Stundenhotel? Ja, sie nickten eifrig. “Hotel!” Ich weiß bis heute nicht, ob es das einzige “Hotel” in Bamako war, das mitten in der Nacht geöffnet hatte, oder das einzige, das ihnen in den Sinn kam, egal, wir hatten keine Wahl, stiegen aus und klopften an die Tür des Hauses. Zwei junge Männer starrten uns genauso erstaunt an, wie wir sie. Wir bekamen problemlos ein Zimmer im ersten Stock mit vergitterten Fenstern. Wir schlossen die Tür ab und klemmten, wie im Film, die Stuhllehne unter den Türgriff. Ich legte ein dünnes Leintuch, das ich dabei hatte, über die stark benutzt aussehende Bettwäsche. Es gab sogar ein Badezimmer mit WC und der obligatorischen kleinen Plastikgießkanne zum Reinigen und Spülen. Nur gab es kein Wasser. Nun gut. Wir legten uns hin und schliefen tatsächlich ein, trotz des Gelächters und des Amüsierlärms irgendwo im Haus. Am nächsten Morgen servierten uns die jungen Männer Frühstück wie in einem richtigen Hotel (Tee und Baguette), und wir frühstückten während zwei jungen Frauen mit einem älteren Herrn schäkerten, der dort offensichtlich seine Nacht verbracht hatte. Wir starrten uns alle gegenseitig neugierig aber freundlich an. Wahrscheinlich waren noch nie vorher zwei Weiße in diesem Stundenhotel aufgetaucht. Letzten Endes waren sie nett dort und die beiden jungen Männer fragten uns nach Europa und Deutschland und Frankreich aus. Später riefen sie uns ein Taxi und handelten für uns den Tarif bis zum Flughafen aus. Am Flughafen war es dann sehr abenteuerlich – ich erinnere mich nur noch an wildes Gedränge und dass wir quer über das Rollfeld zum Flugzeug laufen mussten. Dort entschied der Kapitän am Fuß der Gangway, wer mitfliegen durfte und wer nicht. Wir hatten damals auch viel Verspätung, weil man das Gepäck eines nicht erschienenen Passagiers wieder ausladen musste. Ah, l’Afrique! Was für ein Abenteuer!
so interessant, ich sehe die Situation vor mir wie ein Film, was für Erlebnisse
Merci ! Das fiel mir wieder ein, als wir bei München vor diesem schwach beleuchteten Hotel mitten im Wohngebiet standen… 😅
Quelle histoire 😁… Die afrikanischen Verhältnisse sind wohl jetzt das “neue Normal” in Europa… Bist du sicher, dass das in München kein Stundenhotel war? 🤣
Ich will es gar nicht so genau wissen … Es war auf jeden Fall ein merkwürdiges Hotel, was auch an der ägyptisch-indischen Nacht-Equipe lag – vielleicht wäre es mir bei Tag weniger bizarr vorgekommen.
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Huiuiui,
im Rückblick eine coole Geschichte. Ich bin mir sicher, das war es zum tatsächlichen Zeitpunkt nicht. Aber ihr habt alles doch unbeschadet überstanden, welch Glück! Ich denke, diese Reise wäre derzeit nicht mehr möglich.
Herzliche Grüße,
Eva
Ja, vermutlich hast du Recht. Es war damals im Norden von Mali auch schon nicht mehr sicher, wir sind auch nicht ins Dogon Land gefahren, obwohl viele selbsternannte Guides uns dorthin bringen wollten. Ich bin sehr naiv und unwissend nach Afrika gekommen, war die meiste Zeit überfordert und verließ mich sehr auf meinen Freund, einen erprobten und angstlosen Afrika-Reisenden. In dieser Nacht habe ich ihn zum ersten Mal auch als etwas unsicher erlebt. Mir war aber alles auf dieser Reise so fremd, dass mir die Nacht in Bamako und die Situation in diesem Stundenhotel auch nicht gefährlicher als anderes erschien.
Wir alle, die gerne hier lesen, sind auf jeden Fall froh, dass du das überstanden hast, du würdest uns fehlen 😉
Liebe Grüße,
Eva
💗🥰🙏
Puuuh!
Hinterher ist es immer eine gute Geschichte.
Wenn Du das so erzählst, fallen mit meine Ghanageschichten wieder ein. Anscheinend ist es nicht unüblich, von Wildfremden abgeholt zu werden und an ein unbestimmtes Ziel gebracht zu werden. Und dann geht alles gut aus.
Ich komme erst jetzt dazu, all Deine Geschichten nachzulesen.
Danke Dir sehr dafür.
Danke Dir, dass Du alles liest, ich hatte es nicht auf FB geteilt, es war also nicht so richtig sichtbar. Ich schaffe es auch nicht, immer alles von allen zu lesen.
In Bamako wurden wir ja nicht mal abgeholt, wir hielten das Taxi an, und sie hatten anfangs mehr Angst vor uns und waren nicht sicher, ob sie uns mitnehmen wollten… 😅 Schreib mal von Ghana, fände ich spannend!