Same same but different: die Sommerfrische in den Bergen

Gerade habe ich das Wort “Sommerfrische” in der französischen Übersetzung gesucht: es heißt villégiature (gesprochen etwa: willehschiatühr), für den Fall, dass Sie mal jemanden beeindrucken wollen mit originellem Vokabular. Es handelt sich um einen längeren Aufenthalt in den Bergen oder an der oder einem See während des Sommers. Wir sind schon kurz nach dem Berlin-Aufenthalt, wie gehabt, in die vermeintlich kühlen und vermeintlich stillen Berge geflohen. Ich habe gerade mal die älteren Texte nachgelesen, ich riskiere, mich zu wiederholen, denn hier passiert in nur leichten Abwandlungen immer dasselbe: wir sammeln Johannisbeeren und kochen Gelee, das Patronatsfest der Heiligen Anne wird einmal im oberen, dann im unteren Bergdorf gefeiert, ein Theaterstück wird aufgeführt, man lädt Nachbarn zum Apero oder zum Essen ein, im größeren Dorf unten im Tal ist Markttag, undsoweiter undsoweiter.

In Cannes ist auch alles wie immer: Südfrankreich leidet unter der Canicule, der Hitzewelle. In Cannes ist es zu voll und zu laut und vor allem viel zu heiß. Das Meer ist so warm, dass sich die Quallen tummeln, jede(r), die/den ich kenne, wurde dieses Jahr “verbrannt” von den fiesen kleinen Feuerquallen. Ich bin am Ende nicht mehr im Meer schwimmen gegangen, sondern ins Schwimmbad; das Hallenbad meiner Wahl wird im Sommer zum Freibad, das Dach wird zur Seite geschoben und man stellt draußen ein paar Liegestühle und Sonnenschirme auf. Es gäbe eigentlich auch noch eine kleine Liegewiese, die ist aber dieses Jahr braunverbrannt, sie wird nicht gewässert – auch in Cannes wird (zumindest an den nicht touristischen Orten!) Wasser gespart. Die Duschen am Strand funktionieren übrigens seit diesem Jahr auch nur während der zwei Sommermonate, ansonsten sind sie abgeschaltet. Auf der stacheligen Wüstenwiese des Schwimmbads liegt so gut wie niemand. Die Liegestühle aber sind komplett besetzt von älteren Damen und großen Schwestern, die kleine Kinder beaufsichtigen, die kreischend ins Wasser springen oder herumrennen. Es gibt nur zwei Bahnen für Schwimmer*innen, aber es reicht, es will fast niemand richtig schwimmen, das Publikum in den Sommerferien ist ein vollkommen anderes.

Im Nachbarhaus in Cannes ist eine Baustelle, sie teilen die Mauer mit uns, so dass unser Haus mitvibriert, wenn auf der anderen Seite mit Presslufthämmern Wände weggestemmt werden. 30 Grad indoor und Baustellenlärm machen mich fertig, ich zögere daher keine Sekunde, ins Bergdorf zu fahren. Dort ist es allerdings auch erstaunlich heiß und jetzt haben wir auch eine Baustelle, es ist allerdings unsere eigene, da müssen wir durch. Früher als vermutet haben sie angefangen, nachdem wir seit November darauf warteten. Die Handwerker sind super diszipliniert, es wird von 8 bis 18 Uhr gearbeitet und sie machen nur eine Stunde Pause. Die Ruhe suchenden Sommerfrischler im Dorf knirschen mit den Zähnen, und wir zucken mit den Schultern und entschuldigen uns allenthalben. Aber ich sitze tagsüber auch leicht gequält mit Kopfhörern am großen Tisch. Immerhin ist es etwas kühler. Indoor 24 Grad, draußen allerdings waren es gestern auch schlappe 33 Grad. Aber ich greife vor.

Wir kamen rechtzeitig zum Fest der Sainte Anne, alle waren pünktlich zur frühen Messe anwesend, nur der Priester nicht, da konnte einer der Anwesenden, der extra zum Glockenläuten aufs Dach der Kirche geklettert war, noch so viel läuten, es half nichts; sein Auto hatte einen Platten, erklärte der Priester eine gute Stunde später, und er musste erst zur Werkstatt und es geht ja alles nicht so schnell hier auf dem Land. Es wurde also nochmal geläutet, der gute Mann hatte eine Stunde vor der Glocke ausgeharrt, weil er das Kirchendach-Abenteuer nicht noch ein zweites Mal wagen wollte.

Es gab wie immer die Prozession mit der Figur der heiligen Anne zur kleinen Wegkapelle – alle Anwesenden, die Wiesen, Weiden und die Tiere wurden dort gesegnet.

Danach gabs einen Apéro und es folgte das große Essen hinter der alten Schule.

Und, wie schon vor drei oder vier Jahren, war das Essen musikalisch untermalt von Elodie – und auch der Priester sang wieder. Dieses mal “Un coup de soleil” von Riccardo Cocciante, und das ohnehin gefühlvolle Liebeslied hört sich aus dem Mund eines Priesters noch bedeutsamer an, und später drehten ein paar unermüdliche TänzerInnen ihre Runden.

Gegen 16 Uhr wurden die Tische abgeräumt und zusammengeklappt und alle gingen “nach Hause”, wo man sich ein bisschen erholte, um drei Stunden später im unteren Dorf weiterzufeiern.

Nach dem offiziellen Teil (Blumenschmuck am Kriegerdenkmal ablegen, Ansprachen verschiedener Regionalpolitiker sowie der Bürgermeisterin und Absingen der Marseillaise) gab es ein etwa zehngängiges Menü und kurz vor Mitternacht wurde dann (endlich) auch getanzt. Kaum erklangen die ersten Töne vom ersten Schlager, sprangen alle auf, in Windeseile wurde ein Tisch abgebaut und alle, wirklich alle, jung oder alt hopsten vergnügt auf der improvisierten Tanzfläche. Ich auch! Zumindest ein bisschen, so richtig hopsen geht ja nicht mehr. Aber wenn ich was bedaure, seitdem ich Knie habe, ist es, nicht genug getanzt zu haben. Wieviele Gelegenheiten habe ich verpasst, jahrelang blieb ich lieber sitzen, weil ich immer dachte, hinter meinem Rücken würde man Bemerkungen über meinen Hintern oder meinen Tanzstil machen. Herrjeh, was macht man sich das Leben schwer! Mit 60 und kaputten Knien ist es mir jetzt egal, ich bewege mich so wie ich kann …

zu Schlagern wie “Sous les sunlights des tropiques”

oder auch zu “richtiger” Achtziger Jahre Musik. Alles französisch natürlich.

und ich amüsiere mich prächtig!

Am nächsten Tag ruht man sich aus, wir hingegen sammelten Johannisbeeren und ich kochte Gelee nach dem alten Familienrezept und mit altmodischen Gerätschaften (die unverwüstliche Flotte Lotte). Ein knapper Tag Arbeit für nur zehn Gläser Gelee! Es hat Jahre gegeben, da haben wir an zwei Abenden hintereinander insgesamt 75 Gläser Gelee gekocht.

wird fortgesetzt …

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10 Responses to Same same but different: die Sommerfrische in den Bergen

  1. Gabriele sagt:

    Auch wenn sich deine Sommer-Bergdorf-Geschichten ähneln, es macht immer großes Vergnügen sie zu lesen und man wünscht sich, das Fest mal richtig mitfeiern zu können 😊, so lebendig, wie du es schilderst. Liebe Grüße aus einem heißen und sehr schwülen Berlin

  2. Marion sagt:

    Deine Geschichten langweilen nie. Das Schild in der Küche “commissions” ist wie das im Berliner Häuschen – ist das toll, so nostalgisch; anderes Land, gleiche Sitten. Es ist außerdem schön, wie ihr dort oben Gemeinschaft lebt, auch wenn’s manchmal stresst 😉. Habt noch eine erholsame Zeit (soweit das mit Baustelle geht)!

    • dreher sagt:

      Dankeschön, Marion! Genau, dasselbe Schild – aber meines ist ein neues “Retro-Teil” und den aktuellen Einkaufsbedürfnissen angepasst, aber die Häkchen sind zu leicht, sie bleiben nicht dort, wo sie sollen. Ich kannte das aber nicht aus Deutschland und war verblüfft, es im Berliner Häuschen vorzufinden!
      Ja, man kann nicht nicht Gemeinschaft leben in so einem winzigen Dorf.

  3. Susanne sagt:

    Ich schließe mich Gabriele an! Wie Du das Fest und das Dorf beschreibst, da sehe ich immer einen Film vor mir, einen dieser schönen Filme, in denen man gerne mitspielen würde, weil Kulisse, Atmosphäre und Handlung so beglückend wirken. :-)
    Und genau: Tanz, als ob niemand zusieht, das sollte man eigentlich schon als Teenager beherzigen, aber die Hemmungen, die Du beschreibst, kenn ich selber allzugut. Jetzt, mit 53, ist es mir auch völlig egal und ich tanze einfach, so lange ich es noch kann! ;-)

    Eine schöne Zeit noch im Bergdorf, und Grüße aus dem schwülen Frankfurt am Main!

    • dreher sagt:

      Dankeschön Susanne! Als ich das erste dieser Feste auf dem Dorfplatz miterlebte, war ich auch beglückt, dass es so etwas gibt und dass ich mittendrin sein konnte! Jetzt ist es “normal” geworden. Schön ist es immer noch! Und ja, tanzen, als ob niemand zusieht! Einfach machen! Liebe Grüße nach Frankfurt!

  4. Karin Penteker sagt:

    Nun bin ich ja nicht katholisch, aber ich kann mir trotzdem nur schwer vorstellen, dass man in Deutschland einen Priester ein Liebeslied singen hören würde! :) die Leichtigkeit des Lebens auf französisch. Oder zumindest scheint es mir so. Die Geschichten aus dem Bergdorf lese ich immer besonders gern. Wie Gabi, Susanne und Marion schon sagten, man fühlt sich mitten drin mit dir und das ist so schön. Hier (z.Zt. in Niederbayern) ist es auch heiss und jeden Tag gibt es ein heftiges Gewitter, oder zwei oder drei. Uebernächstes Wochenende bin ich in Heidelberg zum obligaten Ehemaligentreffen und, was für ein Zufall, gleichzeitig ist auch Schlossbeleuchtung!
    Liebe Grüsse, Karin

    • dreher sagt:

      Du hast Recht Karin, ich bin wohl schon so französisiert, dass mir zwar die Bedeutung der Worte des Liedes “neu” vorkommen, nicht aber die Tatsache, dass der Priester grundsätzlich singt (es ist aber einer, der gerne singt, der auch ständig neue Lieder während der Messe einführt, die dann leider nur er kennt …)
      Schön, wenn euch die Bergdorfgeschichten immer noch und immer wieder gefallen :-)
      Hier regnet es nicht, sehr ungewöhnlich, kein Gewitter weit und breit, es ist noch immer sehr heiß!
      Viel Spaß in HD, Schlossbeleuchtung ist schön, wenn man einen guten Fensterplatz hat, sonst sind mir da ehrlich gesagt zu viele Menschen. Liebe Grüße!

  5. Wolfram sagt:

    Hier sind’s Brombeeren, über 7 Kilo haben die Pfarrfrau und die Mädchen in den letzten Wochen gesammelt und zu Konfitüre verarbeitet. Da stand allerdings nur die Pfarrfrau Kopf, nicht die Gläser. ;)

    • dreher sagt:

      😁🤸 Brombeeren! Wow! Das ist hier eine seltene Konfitüre! Wir hatten extra zwei Gläser für die Loto-Gewinne gekauft, weil sie so gut wie keine(r) selbst macht (Brombeerranken gibt es viele, Brombeeren so gut wie nicht!).