4. Deutsches Filmfestival Cannes

Uuuund? Wie wars? fragen Sie vielleicht. Keine Frage: Natürlich war es toll!

Zugegeben, wir hatten ein bisschen Angst, dass das Thema “Leben in der DDR/Mauer/Mauerfall” beim vierten Mal nicht mehr so viel Publikum anziehen würde, aber weit gefehlt! Wir hatten nicht nur viel, sondern auch interessiertes Publikum, das auch nach dem Film blieb, zuhörte und diskutierte. Alle Filme waren umrahmt von einer kurzen Einordnung in die jeweilige politische und kulturelle Situation der DDR, die Vorstellung der Schauspieler und Regisseure, und es wurden all die Themen aufgezeigt, die zu einer Zensur oder zu einem Verbot des Films führen konnten, sowie nach der Vorstellung von der Möglichkeit Fragen zu stellen. Das alles war verständlich und ausreichend niederschwellig, sodass sich niemand scheute, beispielsweise zu fragen, um welchen Aufstand es sich denn “1953” gehandelt habe. Wieland Koch von der Defa-Stiftung, Historiker und ursprünglich Lehrer, eine wandelnde Enzyklopadie (nicht nur des Films) war perfekt vorbereitet und konnte auf jede noch so abwegige Frage antworten (Wann wurde die SA gegründet? Lebensdaten von Theodor Fontane?). Franka Günther übersetzte kongenial in beide Richtungen. Wir erhaschten so einen (winzigen) Einblick in das Leben in der DDR, das trotz mancher Schwierigkeiten nicht jeden Tag trist und unglücklich war, was man im Westen ja häufig immer noch glaubt.

Wir hatten bei allen Filmen gut gefüllte Säle, die beiden Vorpremieren wurden jeweils in einem großen Kinosaal gezeigt und waren zwar nicht ausverkauft, aber sehr gut besucht! Und das, obwohl es viele Konkurrenzveranstaltungen gab: zeitgleich fand, wie schon letztes Jahr, das große Yachting Festival in Cannes statt, es gab zusätzlich die Journées du Patrimoine, also die Tage des offenen Denkmals, mit einer Vielzahl an Events und nur an diesem Wochenende zugänglicher Gebäude, und in der Médiathèque hielt die leitende Wissenschaftlerin, die für den Wiederaufbau der Kathedrale Notre Dame de Paris verantwortlich ist, einen Vortrag über den Fortschritt der Baustelle, um nur drei andere Publikumsmagnete allein in Cannes zu nennen. Und dennoch hat unser Festival funktioniert! Obwohl wir einen holprigen Start hatten – nein, es lag nicht am Referenten Wieland Koch, der sich, obwohl er von Jena mit dem Auto angereist war und am ersten Festivaltag noch etwa 800km zurückzulegen hatte, pünktlich und kein bisschen müde einfand, es lag an einem läppischen DVD-Spieler, der just in diesem Moment streikte und uns den ersten Film, “Der Dritte”, ein Film mit Jutta Hoffmann, einfach nicht mit Ton zeigen wollte (obwohl es beim Probelauf noch funktioniert hatte).

Es musste also ein zweiter DVD-Spieler besorgt werden – ein Teil des Publikums ging während der Wartezeit ein Glas in den umliegenden Bistros trinken, andere gingen ganz nach Hause. Die aber, die geblieben waren, tauschten sich anschließend noch über die Modernität des Films aus, der an die Nouvelle Vague erinnert, über das frische Spiel von Jutta Hoffmann, das uns bezaubert hat, und über die Rolle und Situation der Frauen in der DDR (Buch, Drehbuch und Film stammten übrigens jeweils von einem Mann!) und über all die kritischen Szenen und flapsigen Töne des Films, die machten, dass er sofort verboten wurde die staunen lassen, dass er NICHT verboten wurde* : So bekommt Margit ihr erstes Kind von einem Lehrer, der, statt ihr Nachhilfestunden zu geben, mit ihr ins Bett geht! Der zweite Mann (gespielt von Armin Müller Stahl, den ich fast nicht erkannt habe) geht, allerdings nachdem er Geld veruntreut hat, in den Westen. Sehr spannend! Trotz der DVD-Panne ein guter Auftakt!

Am nächsten Abend sahen wir in einem großen und ziemlich vollen Saal “Das schweigende Klassenzimmer”; ein Film nach einer wahren Geschichte, von Westlern gemacht, über sechzig Jahre nachdem dieses Ereignis in der DDR stattgefunden hatte. Ist das nicht auch kulturelle Aneignung? Ich war ein bisschen skeptisch, aber der Film hat (nicht nur für mich) funktioniert, er war berührend und hat einhellig allen Zuschauern gefallen. Die wahre Geschichte dahinter und vor allem die Frage, was aus all den Schülern und Schülerinnen geworden sei, beschäftigte manche Zuschauerin nachhaltig. Im Buch von Dietrich Garstka, der Vorlage für den Film, erfährt man noch etwas mehr. Hier ein Text über den Besuch eines ehemaligen Schülers, heute natürlich ein älterer Herr, anlässlich des Erscheinens des Films, in einer Abiturklasse in Hessen.

Am nächsten Morgen hatten Monsieur und ich einen Termin in Nizza, so dass wir “Der rote Himmel”, der neue und silbern premierte Film von Christian Petzold, nicht sehen konnten. Ich hatte ihn aber bereits gesehen, und mochte ihn nicht wirklich, und gehe mit der einzigen nicht begeisterten Kritik, die es dazu gibt, konform. Alle anderen Kritiken singen Lobeshymnen, finden, dass der Film “ein luftiges Meisterwerk” sei, fühlen sich an Erik Rohmers Sommerfilme erinnert und was nicht alles, gähn. Ach, hier doch noch eine zweite schlechte Kritik. Anscheinend bin ich doch nicht so allein, der Film spaltet, manche hassen, andere lieben ihn. Nun gut. Der Kinosaal war voll und das Publikum überwiegend begeistert, hörte ich. So soll es sein.

Nachmittags gab es einen Defa-Film, “Coming out”, ein Film aus den achtziger Jahren über männliche Homosexualität in der DDR, über den im Vorfeld intern diskutiert worden war: Ist das Thema wirklich für das (bourgeoise ältere) Cannoiser Publikum geeignet? Ich bin froh, dass man sich dazu durchgerungen hat, den Film zu zeigen, denn, um es klar zu sagen, ich finde ihn großartig! Die Schauspieler (Matthias Freihof, Dirk Kummer) sind glaubwürdig und berührend (beide sind wirklich homosexuell, gerade nachgeschaut, das erklärt natürlich alles), man leidet mit dem Hauptdarsteller Philipp in seiner Zerrissenheit zwischen angepasster heterosexueller Beziehung mit Tanja, und seiner Anziehung zu Matthias, der seine große Liebe sein könnte, wenn er sich trauen würde (hinreißend Dirk Kummer!). Ich hatte, um ehrlich zu sein, nichts besonderes erwartet, aber es ist der Film, der mich bei diesem Festival am meisten berührt hat!

Aber vielleicht hat unsere Unentschiedenheit für diesen Film dazu geführt, dass das zweite Missgeschick passiert ist – es war nämlich ein falsches Kino angegeben worden. Wir standen alle in Le Cannet vor dem kleinen Kino Le Cannet Toiles, aber siehe da, der Film lief in einem anderen Stadtteil, in Rocheville nämlich, im Kino Cinétoiles. Die, die im Auto gekommen waren, sausten jetzt dorthin, mit dem Auto ist es zeitlich machbar in ein paar Minuten zum anderen Kino zu wechseln, mit öffentlichen Verkehrsmitteln muss man einmal mit der Kirche ums Dorf fahren, und käme nicht mehr rechtzeitig dorthin, und zu Fuß schon gleich gar nicht, wir vermuten, dass wir so viele potentielle ZuschauerInnen leider verloren haben. Trotz dieses Malheurs war der Saal erstaunlich voll, und es blieben viele ZuschauerInnen, um über die Hintergründe des Films: an echten Szenetreffpunkten und in einer echten Szenekneipe mit “echtem”, sprich homosexuellem Publikum gedreht; Charlotte von Mahlsdorf, eine berühmte Trans-Frau der DDR, hat im Film einen Gastauftritt, sie spielt die Bardame; über die beeindruckenden Schauspieler, über den Regisseur Heiner Carow, der sich sieben Jahre lang mit der Kulturabteilung des Zentralkommittees herumgeschlagen hatte, um den Film machen zu dürfen, und über Homosexualität in der DDR, die dort zwar schon seit 1968 nicht mehr strafbar war (Im Vergleich: für Gesamtdeutschland wurde der Paragraph 175 erst 1994 abgeschafft!), gesellschaftlich dennoch nicht akzeptiert, etwas zu erfahren.

Am nächsten Morgen sahen wir, erneut in einem großen Saal, “Zwischen uns die Mauer” – ein anderer West-Film über die (80er Jahre in der) DDR, erneut nach einer erlebten Geschichte, aber sie hatten gute Berater; denn so sehr ich mich mit dem Westteil des Films und dem West-Mädchen identifizieren konnte, in ihrer politischen Naivität und bis hin zum Halstuch, das sie trug, so sehr fanden sich Franka und Wieland in der gezeigten DDR wieder. Die achtziger Jahre sind “unsere” Zeit und wir berichteten aus unserer Ost-West-Erfahrung: Franka, die in der DDR Französisch studiert hatte, in der Gewissheit, dass sie nie nach Frankreich würde reisen können, erzählte, wie sie in der DDR eines Tages für einen belgischen Regisseur dolmetschen durfte, mit dem sie schon deshalb befreundet blieb, um Französisch sprechen zu können, und dass sie ihn in Prag traf – genau wie die Protagonisten des Films es zumindest vorhatten; sie erzählte auch wie sie seinerzeit den Mauerfall verschlafen hat. Wieland sprach von der evangelischen Kirche in der DDR, die, anders als die katholische Kirche, die sich weniger politisch zeigte, einen Freiraum bot für viele Menschen die “anders” dachten oder waren. Und ich berichtete von meinem Besuch (mit der Schule) in Berlin und dem Tag in Ostberlin, der mit der ungemütlichen Erfahrung beim Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße begann, den ich so ähnlich in Erinnerung hatte, wie er im Film gezeigt wurde. Und davon, wie wenig sinnvoll ich die 25 DM “Zwangsumtausch” (West-Sprache) bzw. “Mindestumtausch” (Ost-Sprache) ausgegeben hatte. In einem Café am Alexanderplatz nämlich, mit viel Torte, Kaffee und Saft, und nicht etwa in einer Buchhandlung oder in einem Plattenladen. Dieses Eingeständnis verfolgte mich dann bis aufs Kino-WC, wo mich eine Dame festhielt und lang auf mich einsprach, wie dumm ich doch gewesen wäre und warum ich nicht wenigstens in ein Museum gegangen sei, die schönsten Museen gäbe es doch in Ostberlin undsoweiter, sie konnte nicht aufhören, aber ich konnte den vor über vierzig Jahren begangenen Café-Besuch ja nun nicht mehr rückgängig machen, es war ein wenig mühsam, und beinahe wäre ich im Kino eingeschlossen worden, weil ich noch immer im WC war, während das Kinopersonal bereits das Rollgitter herunterließ.

Nachmittags dann sahen wir “Karla”, unseren letzten Festivalfilm, aber der erste Film, in dem die noch sehr junge Jutta Hoffmann mitspielte, der mich aber trotz der Frische und Unbeschwertheit ihres Spiels etwas ermüdete. Die Ernsthaftigkeit, mit der man sich in dem Film der Frage des “Kritik übens” und “wann man wie seine Meinung sagen kann” auseinandersetzt, und in dem auch wieder jeder gesprochene Satz eine tiefere Bedeutung zu haben scheint, hat mich leider nicht gefesselt. In der damaligen DDR sah man diese Auseinandersetzung mit Kritik aber ungern und der Film wurde verboten. Ich verlinke hier nachträglich noch diesen NDR-Beitrag zu Jutta Hoffmann, in dem sie auch etwas zu “Karla” sagt. Unser Publikum war aber immer noch da, stellte auch immer noch Fragen, und Wieland Koch beantwortete sie unermüdlich und freundlich und dank seines umfassenden Wissens bis ins letzte Detail, und Franka übersetzte weiterhin genauso freundlich und professionell.

Sicher ist, ohne Wieland Koch und Franka Günther hätten wir die Filme nicht wirklich verstanden und das Festival hätte nicht diese Tiefe bekommen! An dieser Stelle noch einmal von Herzen Dank für das Engagement beider, das viel persönlichen Einsatz erforderte und unentgeltlich erfolgte, denn unser Filmclub ist zwar engagiert, hat nur ein winziges Budget!

Und dann haben sie uns auch noch riesige Mengen von DDR-Viktualien mitgebracht: Hallorenkugeln, Knusperflocken, Geleebananen, Kalter Hund und Schlager Süßtafeln, Erdnussflips und Salzbrezeln und noch allerhand anderes. Das alles gab es für das Publikum zu verkosten, dazu gab es, nein, nicht Rotkäppchensekt sondern französischen Champagner oder Saft. Wir standen noch lange vor dem Kino herum und plauderten und naschten Schokolade und winkten Wieland und seiner Frau Ulli zum Abschied nach, die sich wieder auf den Heimweg nach Jena machten. Und immerhin haben wir uns mit “à l’année prochaine” verabschiedet. Bis zum nächsten Jahr! Ein 5. Deutsches Filmfestival? Na klar!

* Danke an Franka fürs aufmerksame Lesen und die Korrektur!

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19 Responses to 4. Deutsches Filmfestival Cannes

  1. Susanne sagt:

    Vielen Dank für diesen Bericht. Ich möchte allen Freund:innen von Film aus und über die DDR unbedingt den Streifen “Tamara” von Peter Kahane ans Herz legen (https://www.filmportal.de/film/tamara_1c691d281211415bb4f8cf35b2c4e4b3).

  2. Gabriele sagt:

    Was für ein schöner Bericht 🤩 Es freut mich sehr, dass ihr wieder so erfolgreich wart und – nachdem ich gegenüber dem Gatten rumgejammert habe, warum es so was nicht auch hier gäbe und er meinte, ich solle halt MDR gucken – glaube ich auch, dass es hierfür ein unvoreingenommenes und interessiertes Publikum braucht. Das gibt es in Deutschland nicht, da haben alle – Ost- und Westgeborene – eine eigene spezifische Meinung, die oft schwarz oder weiß ist, auf keinen Fall aufgeschlossene Differenzierungen zulässt. Es braucht wohl ausreichend Abstand dazu. Das schweigende Klassenzimmer hat mich auch sehr berührt, die Menschen, die die DDR verklären, blenden völlig aus, dass es eben auch ein Unrechtsstaat war, der Andersdenkende selbst wegen Kleinigkeiten ausgeschlossen, sanktioniert und eingesperrt hat. Danke, dass Ihr dieses Filmfestival organisiert 😃

    • dreher sagt:

      Dankeschön! Ich habe deinen Kommentar gerade aus dem Papierkorb gefischt, keine Ahnung, warum das Programm das manchmal macht, das nur zur Erklärung, warum dein Kommentar, der vermutlich der erste war, hier nicht aufgetaucht ist.
      Ja, es braucht vermutlich den Abstand – räumlich und zeitlich, um unvoreingenommen zu sein, und um diese Filme aus dem verschwundene Land mit ehrlichem Interesse anzusehen und verstehen zu wollen.
      Liebe Grüße!

  3. Karin Penteker sagt:

    Da bin ich fast etwas neidisch! Einen Film über die DDR zu sehen, mit der entsprechenden Einordnung, was für ein Geschenk. Dies ist zwar genau meine Epoche, aber wir haben weder in der Schule noch sonstwo viel über das “wahre” Leben in der DDR erfahren. Ich hatte eine Brieffreundin in der Nähe von Leipzig, aber sie durfte ja auch nicht schreiben was sie wollte (oder es hätte weitreichende Folgen gehabt) und so blieb der Austausch etwas oberflächlich. Und Kassetten mit Westmusik, die ich ihr auf ihren Wunsch hin geschickt hatte, wurden konsequent aus dem Päckchen entfernt. :( Das Autentischste war noch, dass wir mit Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre) sprechen konnten (er lebt in der Nähe meiner Geburtsstadt). Leider habe ich daran wenig Erinnerung, ich glaube es ging um seine Uebersetzungen von Werken tschechischer und slowakischer Dichter und gar nicht um den Alltag in der DDR. Sehr spannend das alles und toll, dass ihr dieses Festival auf die Beine gestellt habt! Und dass die Franzosen an diesem Teil der Geschichte Interesse haben!

    • dreher sagt:

      Ja, das ist richtig, ein Geschenk! Wir haben in der Schule auch nicht viel über die DDR erfahren – es war mir ein fremderes Land als alle anderen Länder! Ich hatte als Azubi in der Buchhändlerschule eine Begenung mit Jurek Becker, das (und er) war toll! Ich habe damals Bücher von ihm gekauft und signieren lassen, die wurden mir aber irgendwann geklaut – aber nur weil ich seine Bücher gelesen habe, bedeutet es nicht, dass ich irgendetwas verstanden hätte vom Leben in der DDR.
      Ja, wir sind auch froh, dass das Festival funktioniert hat und es immer wieder Publikum anzieht!

  4. Marion sagt:

    Schön! Und danke für die Impressionen. Damals in Ostberlin mit der Schulklasse habe ich mir Klaviernoten gekauft, das weiß ich immerhin noch. Im Pergamon-Museum waren wir! Und am Alexanderplatz haben wir auch gegessen, aber was weiß ich wirklich nicht mehr. Es war ein aufregender Tag “drüben”. “Das schweigende Klassenzimmer” hatte ich verpasst, möchte ihn aber sehr gerne noch sehen.
    Eigentlich sollte man ja meinen, dass es keine “dummen” Fragen gibt, ABER da fällt mir direkt wieder ein (sorry, kleiner Exkurs): Ich war mal auf einer Lesung von Jennifer Teege über ihr Buch über ihren Großvater Amon Göth, einem der übelsten NS-Täter. Nachher erkundigte sich eine Zuhörerin tatsächlich nach dem Vornamen “Amon”, da sie ihn ihrem Sohn geben wollte. Das war so gedankenlos und krank, dass ich es niemals vergessen werde.

    • dreher sagt:

      Bravo für deinen Tag in Ostberlin! Und “Das schweigende Klassenzimmer” ist sehenswert!
      Vielleicht ist er ein “guter” Amon geworden, dann wird vielleicht fürderhin nicht immer nur an den “bösen” Amon gedacht (naja, kleiner Versuch …)

  5. Claudia Pollmann sagt:

    Was für ein wunderbarer Bericht. Du hast mich wirklich mitgenommen und einige der Filme werde ich mir sicher anschauen .
    Danke dafür…

    • dreher sagt:

      Wie schön, Claudia, vielen Dank! Und wenn es dich sogar inspiriert hat, den einen oder anderen Film zu sehen, dann ist das top! 😎📽️
      Liebe Grüße!

  6. Trulla sagt:

    Ich wurde 1945 in der Heimat Sachsen meines väterlichen Großvaters geboren (wegen Ausbombung in Hamburg). 1947 gingen meine Eltern (der Vater kam unversehrt aus Russland) über die “Grüne Grenze” bei Nacht und Nebel zurück, haben aber über all die Jahre bis zum Tode den Kontakt zu Verwandten und Freunden gehalten (Pakete und Briefe gingen hin und her). Als Rentner durften sie sich besuchen. Die von Willy Brandt geschlossenen Ostverträge ermöglichten mir 1973, noch ahnungslos, dass die Mauer jemals fallen könnte, den Geburtsort zu besuchen.
    Ich hatte mich zwar immer für diesen uns verschlossenen Teil Deutschlands interessiert, aber in der liberalen Großstadt Hamburg ein so ganz anderes Leben geführt als meine AltersgenossInnen in dem sächsischen Dorf, dass unsere begonnene Kommunikation – aus heutiger Sicht leider – versandete. ich war wohl auch noch zu beschäftigt, um die Wichtigkeit zu erkennen.
    (Was für eine dumme Frau übrigens, die meinte, Ihnen hins. des Ostberlin Besuchs Vorhaltungen machen zu müssen).
    Ein Kommilitone meines Mannes stammte aus dem Nachbardorf. Wir verabredeten uns 1973 auch zu einem Treffen in seinem Elternhaus. Der Vater war Pfarrer, und er wurde als einziger von vier Geschwistern wegen auffälliger Kritik in der Schule schon in den 1950er Jahren in ein westliches Internat geschickt und kehrte in all den Jahren nur noch zu Besuchen, die er als Nichtflüchtling machen konnte, zurück.
    Die Unterschiede der Lebensumstände Ost/West über mehr als nur 40 Jahre, die Sozialisation der Menschen, ist so unterschiedlich verlaufen, dass allein durch die Wende nicht plötzlich alle zufrieden sein konnten.
    Umso wichtiger finde ich Veranstaltungen, wie von Ihnen, liebe Christiane, geschildert. Nie hätte ich allerdings gedacht, dass unter Franzosen eine so gute Resonanz darauf erfolgt. Gegenseitiges Verständnis kann man nicht oft genug fördern.
    Ich wurde übrigens im Freundeskreis oft ungläubig angesehen, wenn ich erzählte, dass die BürgerInnen der DDR nicht tagein/tagaus unglücklich waren, sondern i h r Leben lebten.
    Einige der gezeigten Filme kenne ich. Aber einem so feinen Erklärer hätte ich sehr gern zugehört.
    Da Sie Jurek Becker erwähnen: es gibt so ein wunderbares, vergnügliches und liebevolles Buch mit seinen Postkarten an Manfred Krug und Otti.

    @Marion: Ich kenne die Geschichte von Jennifer Teege und bin ebenso fassungslos wie Sie.

    • dreher sagt:

      Liebe Trulla, ganz herzlichen Dank für Ihre Geschichte!
      Seitdem ich mich mit den Defa-Filmen und etwas mehr mit dem Osten beschäftige, bin ich viel hellhöriger geworden und auch sensibler (für den Osten und seine Menschen allgemein). Es hat durchaus auch mit meiner eigenen “Fremdheit” in einem anderen Land zu tun. Es ist ein weites Feld, um Fontane zu zitieren, der in einem Film auch vorkam, also ein passendes Zitat :-) Ich habe in Berlin ja die Unterwelten-Führung gemacht, die wirklich toll war – aber es wird dort “westlich” erzählt (die Abschlussgeschichte vor allem, da kommen die Ostler nicht gut weg.). Das pädagogische Material für den Film “Zwischen uns die Mauer”, der im Grunde beide Seiten realistisch zeigt, ist dann sehr vereinfacht und aus Westperspektive geschrieben. So etwas wäre mir früher nicht mal aufgefallen.
      Wieland Kochs Frau, die in Marburg studiert hatte, erzählte, wie sehr man sich dort über sie lustig gemacht hatte (und nicht nur wegen der thüringisch gefärbten Sprache). Ich war während meines Studiums gegenüber einer Kommilitonin aus dem Osten auch eher verständnislos. Nein, nur weil die Mauer nicht mehr steht, ist noch lange nicht alles gut. Ich weiß nicht, wieviel bei den Franzosen wirklich hängenbleibt, es ist ein langer Weg zum Verständnis. Ich habe in einem früheren Beitrag schon einmal auf die (nicht nur Ost-West) Biographiegespräche auf Gut Gödelitz hingewiesen. So etwas sollte es viel mehr geben: https://gut-goedelitz.de/biografiegespraeche/

  7. Pingback: 23-09-21 Dispatches from Pluto – iberty.de

  8. Croco sagt:

    Diese Filme sind so spannend. Man spricht Deutsch und doch erzählen sie von einer fremden Welt. Und es freut mich sehr, dass man sich in Cannes für diese Film interessiert. Mit den Kindern von Golzow fingt es bei mir an. Paul und Paule. Ach ja, und so weiter..
    Kurz nach dem Mauerfall waren wir um ersten Mal in der DDR und in Ostberlin. Ich war fasziniert. Die Sprache war so anders und die Menschen wirkten ernsthaft auf mich.
    Alles sah so grau aus, es gab noch die Einschusslöcher vom Krieg in den Häuserwänden. Das Geld loszuwerden war schwer. Wir haben im Haus des Lehrers gegessen und in einem großen Restaurant in der Karl Marx Allee. Wir waren pappsatt un dhatten noch so viel Geld übrig. So gab es Bücher und nochmals Bücher. Man hat sie uns in Packpapier eingeschlagen und notdürftig ne Schnur drumrum gebunden. Es sah waghalsig aus. Am Grenzübergang sollten wir auspacken. Nein, sagte ich, das machen wir nicht. Das bekommen wir nie wieder zusammen. Dann fragte der Grenzer, was denn drin wäre. Schulbücher und Klassiker, sagte ich. Seine Stimme wurde ganz weich als er antwortete, dass wir etwas von ihnen haben wollten, hätte er nie geglaubt.
    Im Pergamonmuseum waren wir auch, hat fast nichts gekostet. Dafür standen wir Stunden im Schneesturm an. Drin erfuhren wir dann, dass an der Garderobe nur eine Person da wäre und man so nicht mehr Leute reinlassen könnte, weil sie nicht so schnell arbeiten könne. Genau, drei Kassen waren besetzt.

    • dreher sagt:

      Danke dir Croco für deine schönen Erinnerungen!
      Dass der Museumseinlass nach dem Arbeitsrhythmus der Gardrobenfrau bestimmt wird, ist irgendwie lieb, aber natürlich aus westlich-effizienter Sicht ein Witz. Garderobenfrau wird da gleichmal abgeschafft … so viele kleine Berufe (Platzanweiserin im Kino!) gibt es nicht mehr …

  9. Croco sagt:

    Da hast Du recht, so viele Arbeitsplätze sind verschwunden.
    Keiner trägt einem mehr die Koffer im Hotel in den 4. Stock.
    Und es gibt keine Obstverkäuferin mehr, die einem im Supermarkt die besten Tomaten empfiehlt. Und dann in eine spitze Papiertüte packt.
    Kein Schalter mehr in der Bank, kein Kartenverkauf durch Menschen am Bahnhof.
    Ich weigere mich ja noch strikt, statt der Kasse mit Dame die Selbstbedienungskasse aufzusuchen. Vier Kassen und eine Aufsicht, also drei Leute eingespart.
    Seit Neuestem hat sogar der Baumarkt so eine Kasse.
    Ganz ehrlich: für all das bin ich zu alt und zu bockig.

  10. iris sagt:

    Vielen Dank für diesen interessanten Bericht!
    Ich habe die zwangsumgetauschten Märker zum Teil in eine Soljanka umgesetzt im Palast der Republik. Ein paar Jahre später sah ich fassungslos, wie das Gebäude abgerissen wurde. Es freut mich, dass ich es mal besucht habe.

    • dreher sagt:

      Sehr gerne! Schön, dass Sie ihn gelesen haben! Soljanka im Palast der Republik, das hat doch was! Schöne Erinnerung!