Herbst und Latwerge

Wir sind in den Herbst gehüpft. An der Küste ist es wohl immer noch warm und spätsommerlich, wie ich einigen Beiträgen in den einschlägigen sozialen Medien entnehmen kann, hier oben in den Bergen ist es pünktlich zum Herbstanfang auch Herbst geworden.

Als wir hier oben ankamen, waren es plötzlich nur noch sechzehn Grad, es regnete in Strömen und die Wolken hingen tief – wir mussten als erstes ein Feuer anwerfen, der Temperaturschock verursacht uns immer sofort Männerhalsweh, Sie kennen das, dem muss man etwas entgegensetzen. Am besten dicke Socken, einen Wollpullover, einen Grog und ein Feuer. Ich gebe aber zu, dass ich ein Feuer auch ganz nett finde, wenn es draußen so usselig ist. Selbst wenn die Dorfbewohner hier noch kurzhosig und im T-Shirt herumlaufen und barfuß in Outdoorsandalen. Früher, als ich noch die Auberge bewirtschaftet habe, habe ich manches Mal in Verkennung der Temperaturunterschiede zwischen Küste und Bergen, den Tisch für die Gäste draußen gedeckt (gut, nicht gerade bei Regen) – aber selbst mit Wolljäckchen weigerten sich viele Gäste und wollten lieber drin essen. “Verweichlichtes Volk diese Côte d’Azur-Fuzzis”, dachte ich damals verächtlich. Jetzt trage ich selbst drei Schichten übereinander, zumindest bis ich mich wieder akklimatisiert habe, und würde derzeit keinesfalls draußen essen wollen.

Heute Morgen sah es zwar wieder ganz nett aus, aber wir hatten nur einstelligen Temperaturen. Brrr. Heute Abend gab es die erste Suppe! Suppe ist ein untrügliches Zeichen für die Herbstsaison. Aber nein, noch nicht mit Kürbis, so weit bin ich noch nicht, ich bin noch bei Zucchini und Tomaten. Ich bekam auch gerade wieder welche geschenkt. Aber das erste Apfelkompott gab es schon. Bei der Tomatengabe waren nämlich auch die ersten Äpfelchen dabei.

Und ich habe für fast gar kein Geld unterwegs eine Kiste mit winzigen über-reifen Pflaumen erstanden – sie schmeckten wie Zwetschgen, ich MUSSTE sie kaufen, so lecker waren sie! Es hat natürlich damit zu tun, dass man hier im Süden in der Regel keine Zwetschgen findet, und wenn, dann kommen sie “aus dem Osten”, damit meinen sie hier aber nicht die Ukraine oder Moldawien, sondern den Osten von Frankreich. Das war mir lange unklar, weil ich, vom Süden schauend, natürlich alles “da oben” für den Norden hielt, den Osten aber irgendwo bei Polen verortete; aber nein, der französische Norden liegt oben links neben Belgien, bekannte Städte sind etwa Lille oder Arras, die liegen dann auch im Département “Nord” – Ch’ti-Land, falls Sie sich an den Film erinnern, und der französische Osten entspricht in etwa dem lieblichen Elsaß.

Da kommen sie in der Regel also her, die Zwetschgen, die man hier findet, sie sehen auch aus wie Zwetschgen, aber sie sind unreif und sauer. Und da man im Süden keine Zwetschgen kennt, kann man denen “da unten” immer erzählen, “das muss so”. Das wollen mir die Verkäufer auf dem Markt dann auch erzählen, aber hallo, ausnahmsweise können sie mir mal nichts vormachen, ich WEISS, wie Zwetschgen schmecken können! Süß nämlich, wenn sie schön reif sind, zumindest. Und sie werden reif, auch im Elsaß und auch in Deutschland! Ich kenn’ mich aus! Und diese winzigen blauen Pflaumen, kaum größer als Mirabellen, die waren göttlich! Und da sie anscheinend sonst keiner wollte, nahm ich alle, und weil sie so über-reif waren, bekam ich sie beinahe geschenkt. Und ich futterte sie selig und lutschte auf dem Kern herum und dachte an meine Kindheit und den Zwetschgenbaum im Garten und ich hatte plötzlich unbändig Lust auf “Latwerge”, gesprochen Laddwersch oder Ladwerje, oder noch ein bisschen anders, je nach Gegend. Ich habe da heute sogar schon die Etymologie bemüht. Und den Hinweis auf das südhessische Wörterbuch (Band 4, Spalten 167–168) verdanke ich einem ehemaligen Darmstädter Bibliothekskollegen! Herzlichen Dank KHK!

Latwerge ist sehr stark eingekochtes Pflaumenmus, und es ist erst dann “ferddisch, wenn de Kochleffel senkrecht drin stegge bleibt” (Hochdeutsch: es ist erst fertig, wenn der Kochlöffel drin stecken bleibt). Ich wollte Latwerge machen, aber es gibt kein Familienrezept, sodass ich erstmal lange das Internet durchlas und mich dann als Basis für dieses Rezept entschied, vermutlich weil mir das Bild am besten gefallen hat. Im Rezept taucht dann ziemlich viel Werbung auf, das nervt mich etwas, und wenn Sie es anklicken und lesen wollen, passen Sie schön auf, wo Sie dann im Text hinklicken. Hier mal ein Dank an all die Blogger und Bloggerinnen und Rezepte-VeröffentlicherInnen, die das weiterhin ohne nervig aufploppende Werbung machen!

Es gibt nicht nur zig Varianten, “Latwerge” auszusprechen, sondern ebensoviele, es herzustellen: auf dem Herd, im Ofen, Rühren oder nicht, mit Zucker oder ohne. Mit Gewürzen oder ohne. Gemeinsam haben alle nur den Umstand, dass man zunächst die Früchte entsteinen muss (mühsam bei den kleinen Pflaumen!) und es danach noch stundenlang braucht. Ich habe den Topf, nachdem er zwei Stunden im Ofen war, in denen nicht viel passiert ist, auf den Herd gestellt und dann gerührt.

Nach insgesamt fünf Stunden Rühren und Kochen war ich geschmacklich schon nah dran an Latwerge, nur von der Konsistenz nicht (“de Kochleffel blieb ned drin stegge”), aber ich entschied dennoch, dass es jetzt gut ist, und hatte damit leckeres Pflaumenmus! Es ist gar köstlich und ergab stolze neun (na gut, achteinhalb) Gläser!

Vielleicht koche ich es nächstes Mal noch etwas mehr ein. Im Moment bin ich aber auch mit dem dunkelroten Pflaumenmus ganz glücklich. Sprechen wir aber nicht von der Küche, sah aus wie nach einem Blutbad!

Kennen Sie Latwerge? Wie machen Sie es? Oder kaufen Sie es nur bei den Landfrauen, die es im Schichtbetrieb 24 Stunden lang rühren (zumindest tun sie das im hessischen Ried, wie mir Frau K., vormals Frau Dinktoc, zutrug.)

Eine klitzekleine Pflaumentarte gab es auch noch. Allerdings mit französischem Tarteboden.

Einen hab ich noch: Von einem Freund aus Darmstädter Tagen (Merci Doc!) bekam ich ein Video der Band “Handkäs mit Orangen” zugeschickt: Das ist hessischer Blues, vielleicht nicht für alle verständlich, aber der Blues ist “schwazz wie Ladweje” :-)

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11 Responses to Herbst und Latwerge

  1. Pingback: Währenddessen in den Blogs – Buddenbohm & Söhne

  2. Laddwersch! Hat mir mein hessisch-westerwäldisch bester Studienfreund beigebracht, mache ich immer, soweit es die Ernte des elterlichen Zwetschgenbaums hergibt (dieses und vergangenes Jahr leider nicht). Ich mache es im Ofen, fürchte aber, dass das Resultat bei mir eine Mischung aus Powidl und Latwerge ist, also nicht ganz so dick – ich argumentiere mir eine Rechtfertigung aus meiner vielwurzeligen Herkunft zusammen.
    (Kischemischl brachte mir eine Frankfurter Freundin bei, Dulkes wieder erwähnter Freund, Grie Soß ein anderer befreundeter Hesse – hessische Küche scheint mich besonders anzuziehen.)

    • dreher sagt:

      Ah, schön, noch eine Ladwersch-Begeisterte! Kirschemischel hieß bei uns Kirscheplotzer, ich bin ja auch keine eindeutige Hessin, sondern habe badische Wurzeln – den habe ich schon ebensolange nicht mehr gegessen wie Ladwersch. Aber ich helfe mir hier mit dem luftigen Clafoutis darüber hinweg. Grieh Soß zu machen nehme ich mir zwar jedes Jahr vor, da es aber in Kindheitstagen kein Lieblingsgericht war, fehlt es mir weniger und ich bin es nie angegangen. Handkäs nehme ich mir aber manchmal aus Deutschland mit. Den mag hier aber keiner (außer mir), umso besser!

  3. Christiane H sagt:

    Quetschekraut ass immer e Genoss, och wann de Löffel net dra steche bleibt, einfach op der Schmir geniessen, a voll Erinnerungen schon elend durch de Geruch, Gudden Appetit

  4. Marion sagt:

    Mmhh, yummie, so eine fleißige Hausfrau, das gibt wieder Gummipunkte bei der konservativen Fraktion 😉. Den rheinische Wortschatz (“usselig”) hast du dir aber auch bewahrt 😀, eben multikulti!

    • dreher sagt:

      Hehe, ja konservativ und multikulti, that’s me 😉😅

      • Marion sagt:

        Dich meinte ich gar nicht mit konservativ, denn bisher ging ich nicht davon aus, aber vielleicht bist du es ja mittlerweile, oder schon immer oder in Teilzeit? 😉

        • dreher sagt:

          Keine Sorge, ich hab doch auch extra einen Smiley hintendran gestellt – aber in der Tat ist es schwierig zu definieren – gemessen an dem, was hier konservativ oder links ist, gehöre ich nirgendwo dazu (für die Konservativen zu links, für die Linken zu konservativ) – das Marmeladekochen (und Kochen generell) ist hier links-rechts-befreites Kulturgut, aber das weißt du ja.

  5. Ursula sagt:

    Hier ist mein Familienrezept:
    3 kg Zwetschgen entsteinen,
    500g Zucker drüber, über Nacht stehen lassen.
    Vorsichtig aufkochen, darf nicht heftig brodeln.
    Sobald es kocht, Hitze so niedrig stellen, dass es gerade noch blubbt.
    Wenns auf die Hälfte eingekocht ist, mit dem Pürierstab pürieren und abfüllen. Bei meinem Herd dauert das Einkochen ca 2h.
    Gaaanz wichtig: NIE rühren, sonst brennts an!!
    Ich koche es immer in einem großen Alubräter.

    • dreher sagt:

      Awww, danke Ursula! So ähnlich habe ich es gemacht, ich hatte etwas mehr Zwetschgen-Pflaumen, nahm (leider) deutlich mehr Zucker, es zog über Nacht, es blubbte mir leise die ganze Küche voll mit dunkelroten Spritzern, und lustigerweise dachte ich, wenn ich es NICHT rühre, brenne es an. Alutopf habe ich hier gerade nicht zur Hand, es gibt aber noch welche in der Familie, muss ich mir beim nächsten Mal vielleicht ausleihen. Und : ich nahm 2 Zimtstangen und etwa 8 Nelken und ein paar der Zwetschgensteine dazu, Sternanis hatte ich gerade nicht. Ich brauchte insgesamt 5 Stunden (2 Stunden im Ofen, 3 Stunden Herd) und es war nicht mal zur Hälfte reduziert.