Südfrankreich kann sehr kalt sein

Gerade komme ich von zwei unterkühlten Bergtagen halswehkrank zurück an die Küste und freute mich auf eine warme Wohnung, nix is, nach einem langen und ungeklärten Stromausfall nachts und vormittags, springt die eigentlich nagelneue Heizungstherme nicht mehr an. Ich komme also in eine ausgekühlte Wohnung und muss mir gar keine der vielen Kleidungsschichten ausziehen, ich lasse sogar die Mütze auf dem Kopf, und lege mich nach dem Mittagessen komplett angezogen und zuzüglich Wärmflasche ins Bett. Ich habe an der Gastherme, die “spielerisch einfach” zu bedienen ist, wie das Youtube-Tutorial behauptet, alle Knöpfe in jeder beliebigen Reihenfolge schon gedrückt, sie aus- und wieder eingeschaltet, sie springt kurz an, um dann erschöpft wieder runterzufahren. Errror 118. Was immer das bedeutet. Am Samstag könnte jemand kommen, um nach der Therme zu sehen, sagt man dem Gatten am Telefon, da muss ich leider im Hintergrund hörbar losmeckern, was dem Gatten zwar unangenehm ist, aber doch wirkungsvoll – es ist in der Tat besser, wenn ich nicht selbst am Telefon bin, denn meine in diesem Fall eisig-unterkühlte Aggressivität könnte bewirken, dass gleich gar niemand mehr kommt. Das kenne ich schon, ich lasse es also gerne den Gatten höflich aber bestimmt regeln, wenn es dann nicht läuft, meckere ich hörbar im Hintergrund. Da bekommen die Abwimmel-Sekretärinnen Mitleid mit dem Gatten und schicken uns jemanden “schon” für Mittwoch. Ich hätte ja gerne noch dringlich etwas von “fragiler Person eines gewissen Alters” und “ich bin krank” hinzugerufen, aber da hat der Gatte schon aufgelegt. Das mag er ja nicht, wenn ich auf sein Alter und seine gesundheitliche Fragilität anspiele, aber beides ist doch langsam spielentscheidend.

Später ist uns eingefallen, dass wir im Keller noch ein Gasöfchen haben. Ich glaube, diese Art von Ofen gibt es in Deutschland nicht – kann mich da aber auch täuschen; in Deutschland lebte ich (als Erwachsene zumindest) immer in gut mit Heizkörpern ausgestatteten Wohnungen, die mollig warm wurden. Oh, wie ich sie im südfranzösischen Winter vermisse, diese gut isolierten, warmen deutschen Wohnungen. Gut, das ist vielleicht auch eine Illusion, Heizkosten explodieren auch in Deutschland, ich lese vom Frieren in deutschen Dachwohnungen zumindest bei Herrn Buddenbohm. Petroleumöfen gibt es hier auch noch, die sind aber vermutlich wirklich eine sehr französische Sache. Stinken auch sehr, vor allem beim Ausschalten, weshalb man dann lüften muss, und die gerade schön erarbeitete Wärme wieder zum Fenster hinausfliegen lässt. Wenn man hingegen nicht lüftet, besteht immer die Gefahr von Kohlenmonoxydvergiftung. So kamen vor ein paar Jahren ein paar Jugendliche, die in einer Gartenhütte gefeiert und dann neben dem Öfchen geschlafen hatten, ums Leben. Wir haben aber ein Gasöfchen und das schieben wir jetzt vom Wohnzimmer in die Küche und wieder zurück. Ich kann der Wohnung beim Auskühlen zusehen, waren es 17 Grad als ich ankam, sind es jetzt, wo die Sonne weg ist, nur noch 15.

Im Bergdorf waren es am Samstag hingegen 14 Grad indoor, am nächsten Tag schon nur noch 12, und das, obwohl ich den Wohnraum immer mit ordentlichem Feuer im Kaminofen warm gehalten habe. Draußen wurde es natürlich auch immer kälter, und kaum war die Sonne weg, sanken die Temperaturen unter Null. Es erinnert mich an meine Zeit, als ich ganzjährig im Bergdorf gelebt habe, die meiste Zeit draußen war, und abends dann bis auf die Knochen ausgekühlt und kaum noch warm wurde. In dieser Zeit lernte ich immerhin ein ordentliches Feuer zu machen, eine der Fähigkeiten, auf die ich stolz bin. Auf dem Bauernhof räucherte ich seinerzeit noch ziemlich unfähig das ganze Haus ein.

Ich schlafe mit Skiunterwäsche, Mütze, Socken und Bettflasche und sage mir aufmunternd, dass ich es doch eigentlich mag, im Kühlen zu schlafen, aber erstens bin ich entwöhnt, zweitens älter geworden, dann wuselten irgendwelche Viren im Dorf herum, und einer hat sich vorwitzig bis zu mir durchgeschlagen, und aus dem Halsweh wurde eine Erkältung. Ich hoffe, es bleibt dabei und will nicht noch C*** werden.

Warum also mache ich das? Bei sportlicher Kälte im Dorf herumhängen? Weil wir den traditionellen Weihnachtsmarkt vorbereiten, darum! Wir sind die meiste Zeit nur zu zweit, die Vereinspräsidentin des Eichhörnchenvereins und ich, plus der Lebensgefährte der Präsidentin. Er macht die männlich-technischen Dinge: er schlägt drei Weihnachtsbäume und transportiert sie ins Dorf und wir stellen sie gemeinsam auf, er säubert das Dorf von all dem Laub und kümmert sich auch um Elektrizität im alten Gewölbekeller, in dem wir traditionell Glühwein und heiße Schokolade ausschenken, Waffeln backen und wo man sich bei sehr ungemütlichem Wetter ein bisschen aufwärmen kann. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Der Keller gehört nicht uns, sondern wird uns nur freundlicherweise zur Verfügung gestellt, er wird allerdings von der großen Familie, der er gehört, das ganze Jahr über als Abstelldepot genutzt; wir räumen also jedes Jahr aufs Neue den vorderen Teil des Kellers leer und teilen ihn mit Vorhängen, die wir auf sehr abenteuerliche Art vorsichtig anbringen (der Putz bröckelt schon ab, wenn man ihn streng ansieht) vom vollgestopften Depot dahinter ab. Die Vereinspräsidentin hat vor Jahren schon Duschvorhänge im weihnachtlichen Design erstanden, dieses Jahr hat sie unseren Weihnachtsduschvorhangbestand erneut aufgestockt, unter anderem mit drei fröhlich grinsenden übergroßen Schneemännern. Mich macht das fertig. Duschvorhänge schön und gut, sie sind strapazierfähig und können Feuchtigkeit problemlos ab. Geniale Idee eigentlich, aber dieses Design! Und wer kommt eigentlich auf die Idee, sich Schneemänner in die Dusche zu hängen? Gibt es dafür wirklich einen Markt? Unfassbar. Und ja, ich lasse es zu, dass wir mit diesen Duschvorhängen und anderem mir nicht wirklich gefallendem Dekokram arbeiten.

Der Geschmack im französischen Bergdorf ist ein anderer als in der deutschen Großstadt. Und der Geschmack der Vereinspräsidentin ist noch einmal sehr besonders. Die Idee für den Weihnachtsmarkt war zwar ursprünglich meine, im Laufe der Jahre ist es aber ihr Herzensprojekt geworden, und ohne ihren Eifer und ihre Hingabe gäbe es den Markt sicherlich schon nicht mehr, ich mag sie daher weder kritisieren noch in ihrem Elan bremsen, ich versuche nur etwas vorsichtig ordnend einzugreifen. Einen Schneemann an der Tür zum ebenerdigen Keller, kann ich mir vorstellen, er hat sowas Einladendes, mit den ausgebreiteten Armen. Ob die Bürgermeisterin, die es gerne schick haben will, und die beispielsweise die verschrammten bunten Kugeln an den Weihnachtsbäumen nicht mehr erträgt, es jetzt aushält, dass sie auf dem Platz von einem riesigen Schneemann angegrinst wird, ist allerdings fraglich. Aber da muss sie durch, nicht wahr. Wir haben noch zwei weitere Schneemann-Duschvorhänge, wer weiß, wo wir die noch unterbringen.

Wir sind die meiste Zeit zu zweit, das Rauf und Runter von der Leiter und das Gefummel in der Kälte mit Vorhängen, Lichterketten und Draht (draußen muss ja alles zusätzlich mit Draht angebunden werden, damit die Deko Wind und Wetter unbeschadet übersteht) ist anstrengend und ich bin weihnachtsdekomäßig schon gut saturiert, zuhause mache ich dieses Jahr nix, das ist so gut wie sicher! Nur einmal haben wir eine “Art-Direktorin”, die uns mit einem gewissen Hang zur Perfektion anweist, wie wir die Federboa-Girlanden um den Weihnachtsbaum auf dem Platz in möglichst symmetrischen Wellen anbringen sollen. Es sei “viel zu ordentlich” raunt mir später jemand anders auf dem Platz zu. Man kann es wirklich nicht allen Recht machen.

Wir haben schon letztes Wochenende damit angefangen, alte Lichterketten zu sichten und die Deko zu ordnen. Beim Abbauen und Aufräumen wird nämlich in der Regel alles immer nur schnell zackzack in Kisten und riesige Plastiksäcke geworfen und niemand hat Lust, das alles vor dem nächsten Weihnachtsmarkt mal schön zu ordnen. Und ja, wir sind früh dran dieses Jahr, weil wir logistisch noch eine Beerdigung eingeplant haben, von der wir nicht wissen, wann sie sein wird: Die derzeitige Dorfälteste liegt im Sterben. Es geht dem Ende zu, aber es ist ein langer und schwerer und auch schwieriger Abschied. Niemand mag sich ausmalen, dass sie möglicherweise kurz vor dem Weihnachtsmarkt sterben wird, wir müssen es aber mitbedenken. Die Präsidentin und der Lebensgefährte sind davon unmittelbar betroffen, sie tragen schwer daran, die Vorbereitungen des Marktes im Dorf und die Besuche im Pflegeheim in Nizza zu koordinieren. Schon deswegen will ich dieses Mal besonders viel mithelfen, werde auch wieder Plätzchen und am Vortag des Marktes salzige Tartes und Muffins backen. Für das Backen sind wir nur zu dritt. Die anderen Damen des Dorfes, die sich früher engagiert haben, sind entweder zu alt geworden, aus irgendwelchen Gründen gekränkt, oder sie haben sich entschieden im Dezember lieber in die Karibik zu reisen. Es sei ihnen gegönnt.

Ob wir dieses Jahr wieder mehr Publikum haben werden, ist leider auch ungewiss, denn im größeren Nachbardorf ist zeitgleich auch Markt und die Aussteller, die traditionell gerne zu uns kamen, ziehen es nun vor, lieber dorthin zu gehen. Wir tun und machen trotzdem, was wir können.

Die Dorfälteste, die ich gerne als eine kleine energische, strenge, aber auch fröhliche Dame mit blitzenden Augen und roten Apfelbäckchen in Erinnerung behalten werde, hat sich, Weihnachtsmarktlogistisch gesehen, perfekt verabschiedet. Am Sonntagnachmittag haben wir es erfahren. Die Beerdigung wird am kommenden Freitag sein. Adieu Antonia!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

15 Responses to Südfrankreich kann sehr kalt sein

  1. Ursula Weber sagt:

    Gute Besserung liebe Christiane🍀. Ich staune immer wieder und bewundere sehr, was du bezüglich des Weihnachtsmarktes im Bergdorf jährlich auf die Beine stellst! Außer der Deko auch noch Plätzchen, Tartes und Muffins backen Dafür musst du schnell gesund werden✊🍀✊.
    Die einst fröhliche Dorfälteste wird mit großer Freude auf ihr Dorf und Euch herabblicken 🌟✨✴️

    • dreher sagt:

      Danke für deine Wünsche liebe Uschi! Wir haben glücklicherweise noch ein paar Tage Zeit, der Weihnachtsmarkt findet erst am 9. Dezember statt. Und ja, A., die in Châteauneuf geboren wurde, wird gerne auf ihr kleines Dorf schauen ✨😊✨💗✨

  2. Heidi Lang sagt:

    Hallo Christiane, ich musste beim Lesen heute mehrmals herzlich lachen, es ist so toll geschrieben.
    Ich wünsche dir ein warmes Zuhause und eine schöne Adventszeit. Liebe Grüße Heidi 👍🥰

    • dreher sagt:

      Merci 🙏💗 Der Heizungstechniker ist wohl auf dem Weg, kann nur noch ein paar Stunden dauern, bis es hier wieder warm ist 😅

  3. Trulla sagt:

    Duschvorhang mit Schneemann lässt auch mich staunen, ist aber, wie man sieht, letztendlich ein vielseitig verwendbares Ding. Ideen muss man haben!

    Wunderbar stimmungsvoll ist das Foto mit dem schön geschmückten, leuchtenden Baum, hingerissen hat mich der neugierige Hund als Beifang.

    Nicht zu erstenmal bewundere ich, was Sie leisten und ich wünsche Ihnen von Herzen gute Besserung

    • dreher sagt:

      Vielen Dank liebe Trulla!
      Der junge Hund ist ein Dorf-Neuzugang, ich liebe ihn sehr, aber es kam mit seinem Besitzer und der Präsidentin, einer KatzenBesitzerin, leider zu diplomatischen Verstimmungen, sonst hätten wir durchaus noch einen Helfer mehr haben können. Es ist und bleibt schwierig in diesem Dorf-Mikrokosmus! 😅

  4. N. Aunyn sagt:

    Das liest sich noch nach viel Vorbereitungsarbeit. Gutes Gelingen und vor allem: Eine rasche und vollständige Genesung.

    • dreher sagt:

      Dankeschön! Ja, es ist viel Arbeit, und das alles nur für einen Tag 😔 manchmal haben wir mehr HelferInnen, es macht es nicht unbedingt unkomplizierter, weil alles immer x-mal besprochen werden muss, aber dieses Jahr sind wir wirklich wenige.

  5. Marion sagt:

    Ich mochte die Winter im Süden in meiner kalten “Sommerwohnung” auch nicht. Ich hatte auch ein Gasöfchen, das ich von Zimmer zu Zimmer geschoben habe, trotzdem unzureichend. Es stank und ich hatte auch Angst, mich zu vergiften, weshalb ich dann wiederum lüftete, seufz. Die Gasflaschen bekam ich immer geliefert. Ich weiß meine ohne große Umstände gut und schnell heizbare, muckelige Wohnung mit den gemütlichen Holzdielen daher auch sehr zu schätzen! Hier ist es allerdings plötzlich auch sehr kalt geworden, so dass ich letzte Nacht auch das 1. Mal mit Socken geschlafen habe, das mache ich nur sehr selten im “Extremfall” (nachts bleibt die Heizung aus). Heute beginnt auch hier unser kleiner, süßer Weihnachtsmarkt für mehrere Tage! Toll, dass Du Dich immer noch engagierst, umso mehr, als dass immer weniger Unterstützung da ist und das Nachbardorf auch noch Eure Ideen klaut. Die Bürgermeisterin sollte nicht mäkeln, sondern Euch unterstützen. Der Weihnachtsbaum ist wunderschön und das Eichhörnchen auf dem Dach ist auch süß! Viel Glück mit der Reparatur der Heizung (und ja, diese Telefonate mit irgendwelchen Servicecentern sind immer sooo nervig, auch hier) und eine schöne Adventszeit! 🥰🎄✨

  6. dreher sagt:

    Danke, liebe Marion!
    Ja, nicht nur die Ideen, auch das Datum ist dasselbe. Das ist echt fatal. Ich hätte unter diesen Umständen bei uns den Weihnachtsmarkt abgesagt, aber es gab einen gewissen Druck von der Bürgermeisterin, die sich gern mit diesem Event schmückt. Nun gut.
    Der Heizungstechniker wird wohl erst heute Abend kommen…

    Liebe Grüße!

  7. Reiner Wadel sagt:

    Ein Duschvorhang mit Schneemann? Hm, das muss ich mir Mal durch den Kopf gehen lassen. Danke für den Tipp. ;-))

    • dreher sagt:

      Bitteschön, sehr gerne 😂 falls Sie noch weitere Deko- oder Weihnachtsgeschenkideen benötigen, melden Sie sich ruhig! 😂😅☃️❄️☃️

  8. Karin Penteker sagt:

    Als Duschvorhang in einem Wintersportort kann ich mir das eigentlich ganz gut vorstellen :)
    Dekomässig kriegste Deutschland und Frankreich (und d’ailleurs die Romandie) einfach nicht zusammen! Was die hier schön finden finde ich extrem kitschig bzw. hässlich. Aber na ja, Geschmäcker sind verschieden.
    Ich war letztes Wochenende in Bern bei der Tochter und ich muss sagen, der Weihnachtsmarkt ist um einiges gemütlicher und schöner (sowie eindeutig besser organisiert) als der in Genf. Zudem sind die Standbesitzer so viel netter. Und der Glühwein so heiss wie er sein muss. In Genf verteidigte man einen ernsthaft nur lauwarmen Glühwein damit, dass mir auch so vom Alkohol schon noch warm werden würde. Danke auch!
    Ganz liebe Grüsse und baldige Genesung!
    Karin

    • dreher sagt:

      Hahaha! Das wirds sein!
      Ja, meine Vorstellungen von Deko werden hier auch nicht verstanden. Ich hatte ja damals, beim allerersten Markt, gedacht, wir dekorieren gar nicht, sondern machen “Natur”-Deko. Ungeschmückte Bäume aber gehen gar nicht. Und weiße, nicht blinkende Lichterketten sind einfach fad. Bunt muss es sein und blinken muss es auch. Nun gut. Man gewöhnt sich an alles. Und es soll ja auch ein Markt für Kinder sein, denen wird der Schneemann bestimmt gefallen :D
      Danke für die Genesungswünsche!

  9. Pingback: 23-11-30 Tuba Mirum / 106 – iberty.de