Heute ist der 5. des Monats, Eingeweihte wissen es schon, Tagebuchbloggen ist angesagt: Wmdedgt, kurz für “Was machst du eigentlich den ganzen Tag” fragt Frau Brüllen jeden Monat wieder.
Gegen halb acht wache ich auf. Es regnet wohl nicht mehr. Der rauschende Autoverkehr, den ich hinter den geschlossenen Fenstern und Fensterläden wahrnehme, hört sich nach trockener Straße an. Es hat mehrere Tage geregnet. Im Bergdorf hingegen geschneit und der Schnee blieb liegen. Alles ist seither ungewiss. Für Donnerstag und Freitag wird dort nämlich erneut Schnee angekündigt. Werden wir den Weihnachtsmarkt absagen oder nicht, wurde gestern lange diskutiert. Ich suche im Handy nach einer neuen Information dazu. Nichts. Ich blättere die aktuelle Lage durch, lese dann aber zwei völlig unaktuelle Texte, Gaza kann ich mir noch nicht antun.
Monsieur öffnet energisch die Fensterläden (Sonne, hellblauer Himmel) und sagt, wir müssen HEUTE den Waschbeckenunterschrank und dies und das für das Bad der Baustelle in den Bergen kaufen, da der Installateur von dort oben uns bis eben nichts vorgeschlagen hat. Ich stehe auf und suche noch vor dem Kaffee die dazu geschriebenen Mails und Angebote in der Hängeregistratur. Habe ich schon einmal darüber geklagt, dass die Ablage in Frankreich vollkommen anders funktioniert? Die Ordner werden anders organisiert und anders eingehängt, mit dem Schild an der hinteren Pappe, das heißt, der Hänge-Ordner öffnet sich nach vorne, das Aktuelle wird dann aber hinten eingeordnet. Ich kann mich an dieses System nicht mehr gewöhnen und finde nie etwas, und muss, wann immer ich etwas suche, den ganzen Ordner rausnehmen und durchsuchen. Ich finde die Mail mit dem Angebot dennoch nicht und suche sie jetzt im PC und drucke sie aus. Wir diskutieren über dies und das. Was wollen wir? Wo gehen wir hin und warum. Nebenbei trinke ich einen Kaffee und esse ein Stück Rührkuchen.
Dann gehe ich ins Bad. Um halb zehn sind wir bereit, als eine dringende Mail mit einem angehängten Video eintrifft: Wasser dort, wo es nicht sein soll, in der Küche bei einem Mieter. Im alten Haus, in dem vor zwei Wochen schon ein Keller voller Wasser stand, weil ein Abflussrohr außerhalb des Hauses (das Stück unter dem Trottoir, das zur Kanalisation führt) kaputt ist. Es wurde zwar kurzfristig behoben, aber das Rohr muss repariert werden. Im Prinzip gibt es ein Gesetz, das besagt, dass Reparationen der Kanalisation außerhalb des Hauses von der Stadt übernommen werden. Davon will die Stadt aber nichts wissen. Wir werden es wohl selbst zahlen, warten aber noch immer auf den Kostenvoranschlag vom Abwasserentsorgungsdienst. Monsieur begibt sich also mal wieder als ersthelfender Laieninstallateur zum Ort des Geschehens.
Ich fange an hier zu tippen und mache mir einen weiteren Kaffee und nasche probehalber zwei Vanillekipferl, die ich gestern für den Weihnachtsmarkt (es ist eigentlich ein Nikolausmarkt, wissen Sie aber schon) gebacken habe. Nach dem ersten missglückten Versuch (mürbe, aber fade), habe ich nun schon zum zweiten Mal Kipferl nach dem Familienrezept meiner Freundin A. gebacken. Herzensdank! Sie wurden sehr lecker! Kleiner Tipp: für Vanillekipferl, die nach Vanille schmecken sollen, nicht mit echter Vanille sparen!
Der Mieter ruft nun aufgeregt an (er spricht kein Französisch, weshalb die Kommunikation meistens über geschriebene Nachrichten oder die Tochter erfolgt). Ich versichere ihm, dass Monsieur schon unterwegs ist, frage mich aber auch, warum er noch nicht da ist. Ich hoffe, es ist nicht gleichzeitig auch irgendwas mit dem Auto. Monsieur hat – aus Gründen – kein Handy. Dass ich ihn nicht erreichen kann, ist manchmal etwas anstrengend, und das, obwohl ich es ja auch noch kenne, ohne Handy und ohne die stets und ständige Rückversicherung zu leben. Mit Anfang zwanzig habe ich zwei Monate in Italien verbracht, meine Eltern genau einmal angerufen, dass ich gut angekommen bin und vermutlich noch ein freundliches Kärtchen geschrieben, dass dann zwei Wochen später ankam. Damit mussten sie klarkommen. Kann man sich heute nicht mehr vorstellen.
Ich frage die Freundin nach den Neuigkeiten im Dorf, bekomme Fotos von Menschen, die kniehoch im Schnee stehen und Autos freischaufeln. Ich habe gestern via Internet beim Baumarkt und bei einem Gartencenter schon nach einer Schneeschaufel geschaut, das Angebot in Cannes ist verständlicherweise stark reduziert. Eine (überschaubare) Schneeschaufelauswahl wird es nur in den landwirtschaftlichen Cooperativen im höher gelegenen Hinterland geben. Die sind bei Schneefall dann aber auch schnell ausverkauft. Ich werde froh sein, überhaupt etwas zu finden. Die Musik für den Weihnachtsmarkt wurde abgesagt, erfahre ich, und die kleinen Zelte werden erstmal nicht aufgebaut, unter der kommenden Schneelast würden sie zusammenbrechen. Was wir konkret damit machen, sehen wir am Samstag, wird mir geantwortet. Am Samstag! Da findet er schon statt, der Weihnachtsmarkt! Voilà, das ist südfranzösische Spontanität. Bis zum Schluss wissen wir nicht, wie und was wir machen, oder ob wir doch alles ganz anders machen oder nicht. Manchmal macht es mich auch nach über 18 Jahren noch wahnsinnig.
Wie schon in den letzten Tagen, überprüfe ich den Lieferstatus von zwei Bestellungen. Einmal ein riesiges Paket mit viel Dresdner Christstollen und einmal Funktionsunterwäsche für die frierenden Enkelkinder in Lyon. Wird wohl beides nicht rechtzeitig ankommen. Die Christstollenlieferung, obzwar schon lange unterwegs, wurde wohl durch den Schnee irgendwo blockiert und kommt nicht weiter. Ob sie noch vor meiner Abfahrt in die Berge ankommt, ist ungewiss. Das ist doof, ich wollte einen Teil gerne da oben verschenken. Danach werden wir uns in alle Winde zerstreuen und uns erst im nächsten Jahr wiedersehen, bisschen zu spät für Christstollen. Die Funktionsunterwäsche sollte ein Geburtstagsgeschenk für beide Enkelkinder sein, die im kalten Lyon frieren. Der Geburtstag ist morgen, die Eltern werden am Wochenende nach Lyon fahren – aber meine Bestellung harrt noch in den Starlöchern, so wie es aussieht.
Es kommen noch diverse Nachrichten aus dem Bergdorf, auf die ich reagieren muss, unter anderem wird gefragt, ob ich auf dem Weg nach oben Kommissions-Ware von einer Ausstellerin, die am Samstag lieber im “großen” Bergdorf verkaufen will, mitbringen könne. Kann ich, klar. Das zukünftige Prozedere muss mehrfach hin-und hergesendet werden. Immerhin, der Weihnachtsmarkt soll wirklich stattfinden. Ich hatte ihn gestern in Gedanken, und durchaus mit einer gewissen Erleichterung, schon abgehakt. Nun also, erneut Motivation dafür zusammenkratzen.
11.50 Uhr. Ich bereite Essen vor. Ofengemüse, Polenta und ich mariniere uns je eine Scheibe Lammkeule mit Knoblauch und Rosmarin und Olivenöl.
12.20 Uhr. Das Handy ploppt wieder auf. Die Tochter des Wasserschaden-Mieters teilt mir mit, dass Monsieur noch eine Weile bei ihnen bleiben wird, um mit dem richtigen Installateur weiter zu arbeiten. Das immerhin ist ein (neu erworbenes) Zugeständnis von Monsieur, mich über andere informieren zu lassen, da er weiß, dass ich mir ab einer gewissen Zeit doch Sorgen mache, vor allem, wenn er zum Essen nicht rechtzeitg da ist!
Da ich Hunger habe, schiebe ich das Ofengemüse und die Polenta in den Ofen. Das werde ich schonmal braten und dann essen. Später, wenn Monsieur kommt, brate ich ihm das Lammfleisch. Ich decke den Tisch, stelle fest, dass ich kein Brot mehr habe, auch keines mehr im Gefrierschrank. Tant pis, dann eben ohne Brot.
13 Uhr esse ich Ofengemüse (Blumenkohl, Karotten, Lauch) und Polenta. Danach die Hälfte einer überreifen Mango.
Ich tippe hier ein bisschen und will mich dann zur 20 minütigen Verdauungssieste hinlegen. Im Bad sehe ich den Wäscheberg und ich erinnere mich, dass ich dringend Bettwäsche waschen wollte. Wenn die Sonne scheint, kann ich die großen Wäschestücke nämlich draußen trocknen. Drinnen dauert es zu lang. Ich werfe also schnell noch die Wäsche in die Maschine, stelle ein Kurzprogramm an, so dass die Wäsche später wenigstens noch etwas Nachmittagssonne bekommen wird. (Ich könnte mich erneut aufregen über den französischen Supermarkt, wo Nachfüllprodukte teurer verkauft werden als das Produkt in der Originalverpackung. Was soll das? Wer ökologisch denkt und weniger Verpackung will, soll gefälligst mehr zahlen? Es interessiert hier einfach keinen! Ich habe also gestern knurrend wieder eine große Flasche Waschmittel erstanden.)
14 Uhr: Kaum liege ich, kommt Monsieur nach Hause. Er ist erschöpft. Also mache ich ihm erstmal sein Essen warm. Es war nicht das Abflussrohr-Problem, sondern ein anderes. Es ist ein altes Haus. Glücklicherweise hat er einen Installateur gefunden, der bereit war, sofort zu kommen und außerdem seine Mittagspause durchzuarbeiten. Selten in Frankreich.
14.40 Uhr Sieste.
15.37 Uhr. Ich war tatsächlich über die zwanzig Minuten hinaus eingeschlafen. Hänge dann eilig die Wäsche auf den Balkon. Monsieur hat keine Energie mehr, um nach Waschbeckenunterschränken zu schauen, ich gehe also kurz in die Stadt, um das zu machen, was ich eigentlich heute früh schon vorhatte, ein paar Dinge einzukaufen, die ich zu Tetiana in die Ukraine schicken will. Schon beim Gedanken daran bricht mir das Herz. Die Ukraine. Israel. Es ist nicht zum Aushalten.
In der Innenstadt laufe ich nur schnell von A nach B und C und wieder zurück, den Weihnachtsmarkt lasse ich schnöde links liegen, und habe auch keine Muße, die Weihnachtsbeleuchtungen zu fotografieren. Bin am Ende leider nicht so erfolgreich, wie ich gern gewesen wäre und werde das Paket nicht mehr morgen fertig bekommen. Dann also erst nächste Woche. Hoffen wir, dass es dann noch einen Transporteur gibt, der vor Weihnachten hinfährt.
Ich warte lange auf den Bus, kaufe beim Aussteigen beim Bäcker noch ein frisches Brot und bin um 19 Uhr wieder zuhause. Monsieur schaut Nachrichten. Ich bekam eine Mail für eine Textfreigabe, die ich überfliege, deren Kürzungen ich später oder morgen noch einmal genauer ansehen muss. Ich hole die Wäsche wieder vom Balkon, besonders trocken ist sie nicht geworden. Dann koche ich Karotten-Ingwer-Kürbissuppe mit dem Kürbis der auf deutsch “Langer von Neapel” heißt. Hihi. Ausgezeichneter Kürbis! Viel mehr wird heute nicht mehr passieren. Doch, das Handy ploppt gerade noch einmal auf: die Weihnachtsmarkt-Freundin aus den Bergen schickt mir nochmal eine kleine Einkaufsliste mit Dingen, die ich morgen besorgen und am Donnerstag mitbringen soll.
20.40 Uhr: Wir essen Suppe und den Rest des Fleisches von heute Mittag.
Danke fürs Lesen meines Dienstags. Schönen Abend! Die anderen Tagebuchblogger finden Sie wie immer verlässlich bei Frau Brüllen!
ps: gerade bei einer anderen Bloggerin gefunden und mich erinnert: ich habe heute irgendwann auch den heutigen Text in meinem Adventskalender “der andere Advent” gelesen. Aber heute ist das Innehalten dabei nicht so richtig gelungen, deswegen habe ich wohl auch vergessen, es aufzuschreiben.