WmdedgT November 2023

Sonntag. Ich wache auf und liege lange im Bett herum, ich genieße es, es ist mollig warm, denn wir haben gestern endlich die Leintuch-Decken-Variante gegen das Übergangsdeckbett getauscht, es ist eine Wohltat, außerdem ist seit gestern die Heizung an; ich denke an das Telefonat, das ich gestern Abend geführt habe (ein Freund aus Göttinger Tagen, stark erkrankt an MS, hat sich assistiert das Leben genommen, ich wusste nicht, dass das in Deutschland jetzt geht), und ich denke an den Film, den ich gestern spät noch gesehen habe (Nyad). Als Pepita noch da war, konnte ich das nicht, lange wach im Bett liegen – sie hörte sofort, wenn ich aufwachte und miaute sogleich neben dem Bett, egal ob Sonntag oder Montag: Hallo! Futter! Wenn ich nicht baldigst aufstand, hüpfte sie ins Bett und quengelte und schnurrte und stapfte auf meinem Bauch herum.

Und schon weine ich ein bisschen. Ich denke den ganzen Tag an sie. Beim Frühstück hüpft sie nicht auf meinen Schoß, beim Mittagessen sitzt kein Kätzchen auf dem Stuhl links von mir und legt das Köpfchen auf den Tisch. Sie läuft auch nicht angelegentlich in die Küche, wenn ich koche, um dann, je nachdem, nach was es roch, jämmerlich bis wild miauend um Fleisch oder Fisch zu betteln, oder, wenn es weniger interessant roch, bei Tomatensoße vielleicht, energisch die Tür des Unterschranks zu bearbeiten, hinter der ihr Futter lagerte. Und auch das zeitlich stets unpassende Geräusch des Schabens und Kratzens im Katzenklo, das durch die ganze Wohnung drang, wenn etwa Monsieur gerade mit einer wichtigen Person telefonierte oder wenn wir mit Gästen zu Tisch saßen: Schrrrbbb, schrrrbbb, schrrrrbbb, dann ein kurzer Moment Stille, gefolgt von noch energischerem Schrrrbbb, schrrrbbb, schrrrrbbb, ist nicht mehr. Ich höre allerdings manchmal Fress- und Schrrrbbb-Phantomgeräusche. Dabei habe ich das Futter verschenkt und das Katzenklo entsorgt. Phantombilder habe ich auch. Aber das dunkle Ding unter dem Couchtisch ist keine zusammengerollte Katze, sondern sind die nachlässig abgestellten Schuhe des Gatten.

Ich stehe auf, mache mir einen Kaffee, lese im Internet herum und beantworte eine Mail. Dann schaue ich nach den abgetropften Quitten. Ich fürchte, es wird nicht mal zwei Gläser Gelee geben.

Die Sonne scheint wieder (nach mehreren Tagen Regen), aber es ist sehr windig. Am Donnerstag war ich in Nizza, es war grau und das Meer war aufgewühlt wie selten. Es passte zu meiner Stimmung. Schwere See, schwere See, mein Herz klang es in meinem Kopf. Seitdem höre ich wieder alte Alben von Element of Crime. Entdecke das neue Album, verlässlich schwermütig. Und immer wieder Texte mit Katzen. Ist mir vorher nie aufgefallen.

Monsieur aber legt jetzt Moustaki auf, passt stimmungsmäßig auch.

Ich gehe ins Bad, dusche und wasche mir die Haare. Bis ich fertig bin, ist es Zeit zu gehen. Zur Vorpremiere dieses Films mit dem komischen Titel La passion de Dodin Bouffant – es geht ums Kochen und um die Liebe.

So viel wusste ich zumindest vorher. Nun, es ist ein sehr ästhetisch gedrehter Film, ruhig, lang und langsam, es wird viel französisches Essen zubereitet und gegessen, andeutungsweise lieben sich der Schlossherr (Benoît Magimel) und seine Köchin (Juliette Binoche), sie haben über die Jahre eine stille Vertrautheit erreicht (sie waren btw. im echten Leben ein Paar und kochen beide leidenschaftlich gern), und sprechen wenig, die Handlung ist eher nebensächlich. Monsieur musste mehrfach mit einem beherzten Kneifen ins Knie vor dem Einschlafen bewahrt werden. Anschließend gingen wir essen. Klar. Aber jetzt dann doch nicht, wie vorher angedacht, zum Griechen, sondern zu einem klassischen Franzosen, ich hatte Lust auf Pot au Feu. Trotz des Windes sitzen die Menschen auf den Restaurantterrassen und schauen verweht in die Sonne. Für einen Platz mussten wir anstehen, bekommen aber recht bald einen netten Tisch, wenn auch im Inneren, dafür ohne Wind (Pot au Feu gabs nicht, wir essen gegrillte Sardinen und Ceviche de Dorade als Entrée, Magret de Canard und eine Variante von Bouillabaisse als Hauptspeise, sehr satt, daher kein Dessert, Espresso). Während des Essens erfahre ich, dass der Jugendfreund von Monsieur nebst Gattin nicht am Donnerstag zum Mittagessen kommen, sondern schon am Mittwochnachmittag und sie zum Abendessen bleiben. Das wirft meine ganze Planung durcheinander.

Zuhause liegt ein Paket von A***, wo ich der Schnelligkeit halber zwei Bücher von Rebecca Dautremer, meiner langjährigen Lieblingsillustratorin, bestellt habe, damit ich sie am Mittwoch von ihr signieren lassen kann. In der Mediathek von Ranguin, einem eher sozial schwachen Stadtteil von Cannes, ist derzeit eine überraschend tolle Ausstellung über sie und ihre Buchillustrationen. Am Mittwochnachmittag wird sie ebendort einen Vortrag halten. Da kann ich jetzt leider nicht mehr dabeisein, es betrübt mich, bin aber froh, dass ich mir wenigstens die Bücher gegönnt habe. Vergnügt blättere ich im “Stundenbuch des Jacominus Gainsborough” und in ihrem Artbook.

Die Ausstellung hatte ich mir am Freitag angesehen, um mir etwas tröstlich Schönes zu gönnen – ich habe ehrlich gesagt nicht viel erwartet, aber die Ausstellung, die Mediathek selbst, insbesondere die Abteilung für Kinder- und Jugendbücher dort, sind toll und bedauerlicherweise an einem verregneten Nachmittag in den Schulferien so gut wie gar nicht besucht.

Zurück zu dem, was wir heute machen. Sechzehn Uhr. Zeit für eine späte Sieste.

Um siebzehn Uhr nehme ich mich dem Quittengelee und dem Quittenbrot an, das ich gestern vorbereitet habe. Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal Quittengelee gemacht und Quittenbrot – beides mochte ich bislang nicht besonders, aber ich hatte die super aromatischen Quitten der Nachbarin aus dem Bergdorf geschenkt bekommen und wollte sie nicht umkommen lassen. Man kann es ja immer auch verschenken, dachte ich, und siehe da, das Gelee gelang und ebenso das Quittenbrot, man riss es mir aus den Händen, und ich selbst mochte es zu meiner großen Überraschung auch.

Dieses Jahr bekam ich erneut die wundervollen Quitten, kann mich aber beim besten Willen nicht mehr erinnern nach welchem der tausendundein Rezepte, die es gibt, ich vorgegangen bin. Ich habe mir nichts notiert und erinnere mich an gar nichts mehr. Das erschüttert mich auch zunehmend, ich hatte früher mal so ein gutes Gedächtnis, jetzt vergesse ich Dinge quasi sofort. Habe ich es mit Zitronensaft gekocht? Oder mit einer Vanilleschote? Habe ich die zerkochten Quitten mit dem Pürierstab kleingekriegt oder nur durch ein Sieb gestrichen? Oder hatte ich mir einen Flotte Lotte geliehen? Dieses Jahr schreibe ich es auf, wenn es gelingt, weiß ich, wie es ging, wenn nicht, probiere ich es beim nächsten Mal anders.

Mit den Quitten verbringe ich den Abend bis 21Uhr. Ächz. Ich weiß, warum ich mich nicht mehr daran erinnere, zu viel Arbeit. Das Quittenbrot scheint gelungen zu sein, es trocknet jetzt vor sich hin, und Monsieur hat den Topf ausgeleckt. Ob das Gelee fest werden wird, sehen wir morgen (nur dreieinhalb Gläser!).

Keine Ahnung, ob etwas im TV läuft. Zu mehr habe ich jetzt keine Kraft mehr.

So war mein Tag. Danke fürs Lesen!

Ich reihe diesen Text in die gesammelten Tagebuchbloggereien bei Frau Brüllen ein, die uns jeweils am 5. des Monats fragt: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Kurz: Wmdedgt. Wissen Sie natürlich schon alles. Hier sind die anderen November-TagebuchbloggerInnen.

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10 Responses to WmdedgT November 2023

  1. Heidi Lang sagt:

    Danke für die berührende Beschreibung. Wir hatten so viele Haustiere, und jedesmal ist es mir beim Abschied so ergangen. Herzliche Grüße und alles Gute …..es ist so bereichernd hier zu lesen…H.Lang

  2. Manuela sagt:

    Danke für den schönen Text. Die Alltagsgeschichten sind mir immer noch die Liebsten:-)
    Ist das Quittengelee was geworden? Quittenbrot klingt lecker, habe ich noch nie gehört.
    Das mit Pepita tut mir so leid, zum Mitheulen.
    Um das sonnige Wetter in Cannes beneide ich dich, hier in OWL ist es jetzt schon sehr herbstlich und kalt. Obwohl ich es sonst liebe, in der Natur zu sein, kostet es mich jetzt manchmal Überwindung.
    Liebe Grüße
    Manuela

  3. dreher sagt:

    Echt? Das ist ja schön! Und ja, das Quittengelee ist perfekt geworden! Sehr hell, nicht zu fest, nicht zu flüssig :D
    Quittenbrot wird aus dem Rest der gekochten Quitten (für das Gelee nimmt man ja nur den Saft) mit der gleichen Menge Zucker lange gekocht und gerührt, und dann streicht man die Masse auf ein Backblech – später, wenn es trocken ist, nach mehreren Tagen, schneidet man es in Würfel – es ist sehr fruchtig – warum das “Brot” heißt, keine Ahnung, manchmal heißt es auch Quittenkonfekt.
    Danke für dein Mitgefühl – sie fehlt sehr, die Pepita!
    Liebe Grüße!

  4. Christiane H. sagt:

    So ein Phantomtierchen, was ab und zu, mal mehr mal weniger intensiv noch bei uns lebt, kenne ich. Das braucht seine Zeit und das ist auch gut so, das Abschiednehmen ist ja ein ganzer Prozess, den kennen wir ja bei geliebten Menschen die uns verlassen haben nur zu gut.
    Quittenbrot heisst hier” Quiddejetsch” sehr lecker
    e léiwen Bonjour

  5. Marion sagt:

    Alles vergeht, wir erleben es nun mehr und mehr. Wie schön, dass du das Schöne und Tröstliche trotzdem sehen und genießen kannst. “Nyad” interessiert mich auch, habe aber kein Netflix mehr. Ich hatte übrigens irgendwann den von dir empfohlenen MARE-Podcast über die dt. Langstreckenschwimmerin angehört. Sehr spannend, aber auch ganz schön verrückt. Derzeit schaffe ich noch nicht mal meine wöchentliche Schwimmrunde. Die Illustratorin ist ja interessant! Schade, dass deine Pläne so selbstverständlich für Monsieurs Pläne über den Haufen geworfen werden. Würde dir bestimmt gut tun und hätte ich dir sehr gegönnt. Von Quittenbrot habe ich noch nie gehört. Selbstgemachte Marmelade habe hingegen ich gerade wieder von meinem Vater bekommen. Als ehemaliger Bäcker macht er das mit links und ich freue mich immer über die Köstlichkeiten aus seinem Garten. Wie gut, dass du eine Putzfrau hast und dich so auf die erbaulicheren häuslichen Pflichten konzentrieren kannst! Mir fällt die Hausarbeit gerade wieder so schwer (das Kochen hingegen leichter) und auch “Die Kunst des achtsamen Putzens – wie wir Haus und Seele reinigen”, das ich mir eigens zugelegt habe, hilft nur selten weiter. Seufz. Das Herbstwetter hier ist gerade wunderbar, habe gestern einen schönen Spaziergang gemacht, immerhin.

    • dreher sagt:

      Nyad ist interessant, die Schwimmerin (gespielt von Anette Bening) ultra unsympathisch, man fragt sich, wieso alle so an ihr hängen, insbesondere ihr Coach, gespielt von Jodie Foster. Unfassbare Leistung allerdings mit 64 nach 4 abgebrochenen Versuchen! Vielleicht muss man so starrköpfig (charakterstark) sein, um das zu schaffen.

      Freue mich, wenn du meinen Links folgst! Der Podcast (die Schwimmerin) hat mich mehr beeindruckt als der Film.

      Naja, ich hatte die Mail nicht gelesen, und Thierry nicht richtig, in der der Besuch sich vor Wochen schon ankündigte, das kann man jetzt nicht mehr ändern sie haben ein Hotelzimmer gebucht etc.

      Die Putzfrau ist eine Hilfe, das stimmt, aber alles macht sie nicht. Ich habe gestern drei Stunden aufgeräumt, weggeworfen und abgestaubt 🙄 mir hat das Rümpelfasten mit Alexandra Grassler sehr geholfen, da einen Einstieg zu finden. Seitdem fällt es mir leichter (nicht immer und nicht alles).

      Liebe Grüße!

  6. sunni sagt:

    Oh, wie ich die Schwere im Herzen kenne, nachdem ich unsere Katze- über die Woche hin meine einzige Begleitung und Gesellin – erschlagen am Waldrand nach 3 Tagen intensiver Suche fand. Es hat Monate gedauert, bis es leichter wurde…Und jedem, der sagte: Das ist doch nur eine Katze, warum weinst du so, hol dir eine neue…konnte ich nicht deutlich machen, dass man ein Lebebwesen nicht durch ein anderes ersetzen kann. Und ich wollte dann auch nicht mehr. Noch heute, 21 Jahre später, höre ich manchmal ihr Miauen ganz genau, wenn ich etwas sagte oder fragte—Und ja, man spricht mit Tieren wie mit Menschen!Traurig, sehr!Ihnen alles Liebe. Eine warme Decke hilft schon ein Stückchen weiter. Herzlich, Sunni

    • dreher sagt:

      Oh wie schrecklich, liebe Sunni! Das glaube ich, dass es Monate gedauert hat, bis es leichter wurde.
      Danke fürs Teilen dieser traurigen Erinnerung. Und ja, nicht alle Menschen verstehen, was uns mit den Katzen und Hunden und anderen kleinen Wesen verbindet.
      Eine Decke hilft, und eine Wärmflasche, möchte ich ergänzen. Alle Liebe zu Ihnen!