Gelesen und gesehen

Am Montag waren wir im Kino, ich wollte Le dernier des juifs sehen, der gerade noch ein letztes Mal und zur besten Mittagsschlaf-Zeit um 13.40 Uhr im Kino lief. Der Titel heißt tatsächlich so: Der letzte Jude. Der Film bekam von Presse und Publikum einvernehmlich gute Kritiken, es ist selten, dass Publikum und Presse sich so einig sind und den Film “hilarant und bouleversant” urkomisch und erschütternd, finden; es erschien mir vielversprechend.

Es geht um Mutter und Sohn, die als letzte Juden in einem sozial schwachen Hochhausviertel wohnen, um sie herum nur noch Araber und Schwarze. Der jüdische Lebensmittelhändler schließt, die ganze Communauté Juive ist weggezogen. “Wir müssen auch gehen”, sagt die schwerkranke Mutter zu ihrem Sohn, nicht nur weg aus dem Viertel will sie, sondern ganz weg nach Israel. Ruben Bellisha aber, ein bisschen candide, geht es nur zögerlich an, denn er hat sich in seinem Viertel ganz gut eingerichtet, hat dort Freunde und schläft mit einer (verheirateten) arabischen Nachbarin, die sich zuhause langweilt; er verheimlicht seiner Mutter die antisemitischen Schmierereien an der Tür und sogar den nächtlichen Einbruch, bei dem er sich hinter dem Kleiderständer versteckt. Die Dialoge zwischen Mutter und Sohn, beide nicht ganz in der Realität verankert, haben mich traurig gestimmt, aber rückblickend und mit ein bisschen Abstand sind die sympathischen Züge des Films hängengeblieben, wirklich gelacht habe ich trotzdem nur selten, zu aktuell und bedrückend ist das Thema – wir waren vermutlich die einzigen Nichtjuden im Kino, denn das Publikum lachte geschlossen und amüsiert an manchen Stellen, deren Komik sich mir/uns entzog.

“Wo sollen wir jetzt noch hingehen?” fragt mich die ältere Dame, die neben mir saß, als das Licht im Kino wieder anging. Ich möchte gar nichts sagen, um mich nicht als Deutsche zu outen, und antworte nur mit einem bedrückten Seufzen und hebe die Schultern. “Sind Sie aus Cannes?” fragt sie. “Ja”, antwortet Monsieur. “Und das hat er alles vor dem 7. Oktober schon gedreht, kann man sich das vorstellen”, redet sie weiter. “Ich bin aus Paris hierhergekommen. Wo soll ich jetzt hingehen, wenn es hier nicht mehr geht?”

Ich habe auch gelesen, heute etwa die Rede von Marcel Reif in der Jüdischen Allgemeinen: Hätte ich ihn fragen sollen?

Ich habe gestern vergessen, den Link zu Lila in Israel zu teilen. Der Blog wurde schon bei Herrn Buddenbohm und auch bei Dirk von Iberty hin und wieder verlinkt. Ich habe ihn schon vor einiger Zeit in meine Blogroll aufgenommen, lese dort bislang nur unregelmäßig, hier ist auch gerade viel los.

Wiederentdeckt und erneut gelesen habe ich zwei BDs; aufgrund der aktuellen Situation erschienen sie mir jetzt viel eindrücklicher.

Guy Delisle begleitet seine Frau, die für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen arbeitet, nach Israel. Zwischen Haushalt, Kinderbetreuung und dem Versuch, ein neues Projekt in Angriff zu nehmen, erkundet er Jerusalem. Die “Aufzeichnungen” seines Alltags in dieser geteilten Stadt (sie leben im Ostteil Jerusalems) sind lakonisch, humorvoll, und trotz des einfachen Stils eindrücklich und manchmal verstörend. Klar ist am Ende nur, dass man dieses Land so schnell nicht verstehen kann.

Wie kann sich die Frau eines angesehenen israelisch-palästinensischen Chirurgen von ihm unbemerkt radikalisieren und ein Selbstmordattentat in Tel Aviv begehen? Ihr Mann sucht nach Antworten und begibt sich zurück nach Palästina und in seine Familie, die tief in die Untergrundbewegung verstrickt ist und für ein freies Palästina kämpft. Yasmina Khadras “Attentäterin”, das ich als BD mit dem Titel “Das Attentat” gelesen habe, zeigt ebenfalls wie komplex und verfahren die Situation in Israel ist. Sehr spannend, dabei einfühlsam für beide Seiten, und genau deshalb lässt einen das Buch unbefriedigt, um nicht zu sagen hoffnungslos zurück: Es gibt keine einfache Antwort, keine einfache Lösung in diesem Konflikt.

wird fortgesetzt …

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6 Responses to Gelesen und gesehen

  1. Gabriele sagt:

    Es gab vor einigen Jahren eine Ausstellung zu Jerusalem im Jüdischen Museum in Berlin, die mich sehr beeindruckt, aber gleichzeitig ratlos zurückgelassen hat. Es ist sehr komplex und dennoch gibt es viele Menschen, die von einfachen Lösungen überzeugt sind und darüber alle belehren wollen. Ich habe eine jüdische Freundin, die mir kurz nach der Terrorattacke in Israel sagte, immer, wenn es im Nahen Osten kracht, müssen wir hier in Deutschland um Leben und Gesundheit fürchten; sie hat ihren 10jährigen Sohn ausdrücklich verboten, in der Schule zu erzählen, dass er Jude ist. Es ist einfach nur schrecklich…

    • dreher sagt:

      Danke Gabi, ja, das ist in Frankreich nicht anders und in der Tat sind viele Juden von Frankreich weggegangen, weil sie sich in diesem Land nicht mehr sicher fühlen.

      Ich habe vergessen, im Blog den Link zu https://rungholt.wordpress.com/2024/01/25/tu-bi-shvat-2/ zu setzen, den ich seit Neuem (unregelmäßig) folge. Lila lebt in Israel und ich habe ihren Blog auch in meine Blogroll aufgenommen.
      Ich verlinke ihn auch oben im Text noch einmal.

  2. Marion sagt:

    Danke für die Anregungen. Ich habe mir die Gedenkfeier im Bundestag eben auf YT angeguckt (hatte sie leider verpasst), sie ist jedes Jahr bewegend und dieses Jahr wichtiger denn je.

  3. N. Aunyn sagt:

    In der Hauptstadt ist es gefährlich in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen. Deshalb machen jüdische Kitas und Schulen derzeit keine Ausflüge mehr, denn das ist Kindern nicht vermittelbar.
    Neulich gab es im privaten Rahmen an einem Schabbat-Tisch eine Diskussion darüber, wann der späteste Zeitpunkt wäre Deutschland zu verlassen – und zwar von Leuten für die das bisher nie eine Perspektive war.

    • dreher sagt:

      Danke für Ihren Kommentar!
      Das ist in Frankreich nicht anders. Ich finde es immer wieder erschütternd zu sehen, wie sehr jüdische Schulen bewacht werden (müssen).