Ajaccio hin und zurück

In Frankreich gehen seit Tagen und auch noch die kommenden Tage die Bauern auf die Straße – gehen ist bildlich zu verstehen, sie fahren vielmehr und blockieren Autobahnen und Bundesstraßen mit ihren Traktoren. Heute ist Paris dran. Es wurde Mist vor Ministerien und Präfekturen ausgekippt, Autoreifen aufgehäuft und angezündet und sie wollten die Zufahrt zur Großmarkthalle Rungis blockieren, das ist ihnen nicht gelungen, aber sie blockieren dennoch Zufahrtsstraßen nach Paris. Notre fin c’est votre faim heißt es auf einem immer wieder gezeigten Plakat. Wörtlich, “unser Ende ist euer Hunger”, meint, wenn wir nicht mehr da sind, habt ihr nichts mehr zu Essen. Ich habe mein französisches Leben auf einem kleinen Bauernhof begonnen, und auch wenn ich dort nur einen Jahreslauf mitgelebt und gearbeitet habe, weiß ich, dass Landwirtschaft eine tägliche und mühevolle Arbeit ist. Beglückend auch, oder sagen wir zutiefst befriedigend, und ja, sicher, es ist eine Entscheidung für dieses Leben, aber es ist eben auch eine nie aufhörende, tägliche, zeitweise nächtliche (beim Lammen, wie es derzeit die Schäfer im Bergdorf erleben, zum Beispiel) Arbeit. Ich bin absolut solidarisch mit den Bauern – ich finde zum Beispiel die erpresserische Preispolitik der großen Supermärkte katastrophal, die den Bauern den Preis für einen Salat oder einen Liter Milch diktieren und niedrig halten, hingegen den Preis für die Verbraucher verdoppeln oder verdreifachen, ohne, dass die Erzeuger auch nur einen Cent mehr daran verdienen. Und wenn die Bauern nicht einverstanden sind, Pech für sie, dann nehmen die Supermärkte eben spanisches oder niederländisches Gemüse ins Angebot und kicken die französische Ware raus. Den Verbrauchern ist es in der Regel egal, jede und jeder will sowieso nur möglichst günstig einkaufen, und man nickt die Werbung für die billigen Supermärkte, die das alles (angeblich) nur für uns machen, zustimmend ab. Oder nicht. Es geht aus vielerlei Gründen nicht immer, aber ich persönlich bin zutiefst zufrieden, wenn ich Obst und Gemüse, Fisch und manchmal auch Fleisch direkt beim Erzeuger einkaufe.

Ich wollte hier eigentlich gar nicht predigen, aber unser geplanter Ausflug fiel genau in die Zeit der Autobahnblockaden der Bauern. Es ist eine Sache, mit den Bauern solidarisch zu sein, eine andere, eventuell nicht von Cannes nach Toulon zu kommen und die Fähre nach Ajaccio zu verpassen. Der Ausflug war für uns nun nicht gerade lebenswichtig, obwohl Monsieur einen Freund wiedersehen wollte, einen Korsen, der in Ajaccio lebt, und man wird ja nicht jünger, nicht wahr. Vielleicht war das Angebot der Corsica Ferries eines, das der Fähre im Winter das Überleben sichert, für wenig Geld eine Art Minikreuzfahrt – Ajaccio hin und zurück, zwei Nächte auf der Fähre und einen Abend Tanz und Trallala – so hat man wenigstens eine Handvoll Gäste auf der Fähre, und fährt nicht komplett leer übers derzeit ruhige Januarmeer. Wir fuhren also nachmittags um 15 Uhr schon los, damit wir einen großen Zeitpuffer hatten, aber die Blockaden in Toulon hatten dort schon und auschließlich am Vormittag stattgefunden, wir kamen ohne jede Schwierigkeit in die Stadt und in unser Parkhaus (übers Internet reserviert und bezahlt, das System hat das Auto beim Ein- und Ausfahren ohne Probleme am Nummernschild erkannt, perfekt!). Wir schlenderten noch ein bisschen durch das abendliche Toulon und besuchten, wie immer mit Monsieur, mehrere bouquinisten, Buchantiquariate. Gegen 19 Uhr näherten wir uns der Fähre – zu Fuß. Das Auto blieb in Toulon – wir hatten nicht vor, Korsika zu bereisen, der Freund wohnt in Ajaccio in Laufnähe zum Hafen.

Wir hatten eine einfache vollkommen überheizte Innenkabine, bei der wir Temperatur gleichmal auf 15 Grad runterdrehten und zunächst Essen gingen. Auch nach dem Essen war es noch viel zu warm, nicht nur deswegen schliefen wir nicht besonders gut, obwohl das Meer beinahe spiegelglatt war und ich das Medikament mit dem sprechenden Namen mercalm gegen Reiseübelkeit nicht brauchte.

Gegen sechs Uhr morgens wurden wir unsanft durch Lautsprecher geweckt, zusätzlich klopfte ein Mitarbeiter laut an unsere Tür. Wir sollten bitte raus aus der Kabine, und nichts drin lassen, die Zimmerfeen wollten sie wieder für neue Gäste herrichten. Wir befolgten das, auch wenn wir später an der Rezeption erfuhren, dass wir alles drin lassen könnten, denn wir behielten dieselbe Kabine für den gesamten Aufenthalt. Davon wollte der Mitarbeiter auf dem Flur aber nichts wissen. Nun gut, wir hatten jeder nur eine kleine Tasche mit Schlafanzug und Zahnbürste und einem bis drei Büchern darin, die konnten wir beim Freund unterstellen. Um sieben Uhr, es war noch ziemlich dunkel, standen wir schon auf dem Markt von Ajaccio, die Händler waren noch dabei, die Stände aufzubauen. Wir tranken Kaffee im einzigen kleinen Bistro, das geöffnet hatte.

Danach trödelten wir über den kleinen Flohmarkt und am Hafen entlang zum Haus des Freundes.

Trotzdem waren wir schon um acht Uhr beim Freund, der zwar beteuerte, dass wir ihn nicht geweckt hätten, aber er wirkte dennoch leicht verschlafen. Wir tranken Tee und plauderten.

Die Herren tauschten Erinnerungen aus, bis es Zeit war Mittag zu essen (ich wählte Ravioli Josephine beim Italiener, Il Passegero, eines der wenigen Restaurants, das in dieser Saison geöffnet hatte! Sehr fein!) Danach blieben die beiden unter sich, und ich spazierte ein bisschen durch die Innenstadt, wo fast alle Läden geschlossen waren. Ajaccio hält Winterschlaf.

Auch Napoléon war nicht an seinem angestammten Platz …. dafür gab es aber andere Napoléons in Ajaccio …

Um 16 Uhr waren wir verabredet, um gemeinsam das Musée Fesch zu besichtigen, da war ich zwar vor ein paar Jahren schon einmal (guckstu hier), allerdings hatten mich die alten “Schinken” die da hingen (des vieilles croûtes, nannte der Freund sie, “alte Krusten”) eher gelangweilt. Der Freund zeigte uns immerhin hier und da ein “Schätzchen”, etwa einen Botticelli. Hier könnten Sie ihn sehen. Und natürlich kommt man um die Familie Bonaparte nicht herum, ich habe ich es nicht so mit Napoléon, der Freund aber ist ein Napoléon Spezialist und weiß zu jedem Bild und jeder Büste etwas zu sagen.

Napoléon überquert die Alpen – auf der zukünftigen Route Napoléon

Wir hatten alles in allem eine Stunde, dachten wir, die Damen des Museums waren aber schon beim Einlass um 16 Uhr eher abweisend, wir hätten nur noch 45 Minuten Zeit, ob wir wirklich noch hineinwollten? Das wollten wir, aber tatsächlich schlossen sie schon um Viertel vor Fünf unerbittlich einen Saal vor unserer Nase. Da müssen Sie eben nochmal kommen, sagten sie kühl.

Zum Sonnenuntergang fuhren wir raus zu den Iles Sanguinaires. Dies ist, zumindest im Winter, das Naherholungsgebiet der Einwohner von Ajaccio, hier wird gejoggt und spaziert, man führt Hunde aus und sagt sich freundlich “guten Tag”, genau wie in Cannes im Naturpark La Croix des Gardes. Die Farben des Sonnenuntergangs waren nicht superspektakulär, aber schöner als erwartet an einem überwiegend bewölkten Tag.

Dann stiegen wir wieder in den sechsten Stock hinauf, aßen später Pizza, die Herren tranken guten korsischen Rotwein (Patrimonio) und wir erzählten noch bis spät.

Zurück auf der Fähre fanden wir “unsere” Kabine nun zwar gut temperiert, aber ungemacht vor. Nun gut. Ich warf noch einen Blick auf die Abendveranstaltung im großen Saal, es wurde zu französischen Schlagern getanzt und gesungen, es war nichts Ausschweifendes, ich hatte ja ursprünglich Angst, dass diese Fahrt so ein lautes und alkohollastiges Event werden könnte, wo man nachts im Aufzug Erbrochenes findet (so habe ich es seinerzeit auf den Fähren nach Norwegen erlebt). Das war absolut nicht der Fall. Gerne hätte ich mitgetanzt, aber meine Knochen wollten nicht mehr, ich hatte laut meinem Schrittzähler doch unbemerkt 12 Kilometer zurückgelegt, und fiel muskelkaterig in mein ungemachtes Bett, in dem ich jetzt ein bisschen besser schlief.

Immerhin ließ man uns am nächsten Morgen schlafen, wir duschten warm (das muss man ausnutzen!) und wir frühstückten spät,

und obwohl ich eigentlich noch mal “schnell auf dem Markt” wollte, ein paar korsische Produkte erwerben, ich hatte mir extra sagen lassen, wo ich den besten Honig und bei wem die beste charcuterie erstehen könnte, ließ ich Honig Honig sein und fiel einfach nur auf eine sonnenbeschiene Bank auf Deck, blickte aufs Meer und Ajaccio und las, bis wir abfuhren, und es schnell zu windig wurde. Herumsitzen und lesen machte ich auch fast den ganzen Tag, es gab nämlich kein Internet, zwischendurch aßen wir zu Mittag, den Kaffee nahmen wir im großen Saal, hörten uns die Gitarrenklänge und den Gesang der Musiker an und guckten aufs Meer. Monsieur leistete mir zeitweise Gesellschaft, genoss aber meist die (relative) Ruhe unserer Kabine.

In Toulon schaltete ich den Routenplaner an und hörte mit Schrecken, dass die A 57 gesperrt sei. Herrjeh – die Bauern, denken wir, und ich suchte nervös eine Alternativroute, Monsieur fuhr aber dennoch erstmal Richtung Autobahn, vielleicht gäbe es eine ausgeschilderte Umleitung – wir hörten den Verkehrsfunk 107.7, um Lyon herum gehe nichts mehr, erfuhren wir, 200 Kilometer Autobahn waren gesperrt, und nun rollten alle Traktoren nach Paris. Wir aber haben Glück, die A57 war frei und außerdem schön leer! Die Blockaden aber werden in den nächsten Tagen auch wieder im Süden stattfinden, und die A 57 wird Anfang Februar (nachts) wegen Bauarbeiten gesperrt sein, sollten Sie hier unterwegs sein, stellen Sie sich bitte darauf ein!

Kleine Zugabe – denn dieses Lied habe ich seither im Kopf, es wurde auf der Fähre mindestens fünfmal gesungen – mit und ohne Publikum: Elle a les yeux revolver, elle a le regard qui tue, elle a tiré la première, m’a touché, c’est foutu …

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6 Responses to Ajaccio hin und zurück

  1. Marion sagt:

    Eine Insel im Alltag – im wahrsten Sinne des Wortes. Was für ein netter Ausflug. Der Autor ist interessant für Korsika-Freunde. Ach, da muss ich auch unbedingt nochmal hin. Werde wehmütig bei den Erinnerungen.

    • dreher sagt:

      Ja, es war ein netter Ausflug! Ich bin froh, dass wir es einfach (relativ) spontan gemacht haben, wir werden ja alle nicht jünger, nicht wahr … liebe Grüße!

      • Marion sagt:

        Ich war 1989 ein halbes Jahr zuerst in Sant Ambroggio bei Calvi, später in der Nähe von Porto Vecchio. Hat mein Leben verändert. War Monsieur da noch auf der Insel? Ins Musée Fesch habe ich es damals leider nicht geschafft, obwohl ich ansonsten viel von der Insel gesehen habe. (Kennst Du eigentlich den Film “Die Schachspielerin” mit S. Bonnaire? Spielt auf Korsika! Wundervoller Film!)

        • dreher sagt:

          Ja, Monsieur war von 1975 bis 1990 auf Korsika, im Süden allerdings.
          Danke für den Filmtipp, nee, kenne ich nicht, werde ich mal suchen.

          “Quand on prend des risques, on peut perdre, quand on prend pas, on perd toujours.”

          Schönes Zitat! Werde ich mir ansehen!

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