Anders als das zunehmend unzugängliche Filmfestival, das in jedem Mai in Cannes stattfindet: es wurden dieses Jahr erneut 5000 Akkreditionen für das “cinéphile” Publikum, also vor allem Menschen aus Cannes, die das Trallala, das vor ihrer Haustür stattfindet, auch gerne miterleben möchten, aber nicht im Filmbusiness tätig sind, gestrichen (ich hoffe, Sie können mir folgen, ich habe zunehmend Schwierigkeiten das Verb im Satz nach hinten zu stellen) -, also anders als diese zunehmend geschlossene Veranstaltung, ist das relativ neue Cannes Series-Festival noch offen für “uns”. Dank der AFA, dem deutsch-französischen Verein im südlichen Osten Frankreichs, kam ich dieses Jahr wieder unkompliziert an eine Karte, um eine neue deutsche Serie anzusehen, von der uns zwei erste Episoden gezeigt wurden.
The Zweiflers. Eine jüdische Familiengeschichte rund um einen Feinkostladen im Frankfurter Bahnhofsviertel, den der alt gewordene und herzkranke Patriarch verkaufen möchte – oder nicht. Es geht um die Frage und den Konflikt, ob man Traditionen weiterführen muss, damit die Familie, die so viel Leid erlebt und überlebt hat, nicht auseinanderfällt, oder ob die Enkelgeneration davon losgelöst ein anderes Leben führen darf und kann.
Das jüdische Thema ist ja meines, und Frankfurt ist in gewisser Weise meine hometown, da war ich auf der Buchhändlerschule und dort, in zwei mal drei Monaten Berufsschulinternat, sind mir meine ersten Freiheitsflügel gewachsen. Danach bin ich von zuhause ausgezogen und das Erwachsenenleben, das damals noch so verheißungsvoll aussah, begann. Ich hänge mit einer großen Nostalgie an dieser Stadt, auch wenn ich selten dort bin, noch seltener als in Darmstadt, und auch wenn das Bahnhofsviertel damals schon dreckig und kriminell war. Diese Serie ist also für mich, dachte ich, aber in der ersten Episode bin ich fast ausgestiegen, dieses nuschelige neu-Deutsch der Szene, ultracoole junge Menschen die sich nachts durch schlecht beleuchtete Hinterhöfe und Treppenhäuser (hier zunächst Berlin, sieht aber später in Frankfurt genauso aus) zu angesagten Geheimtipp-Locations durchschlagen, verstehe ich nicht mehr, und es hat nicht nur damit zu tun, dass sich dabei alle ständig Essen in den Mund stopfen. Es geht auch ums (gute) Essen in dieser Serie, allerdings bis hin zur Unerträglichkeit möchte ich sagen, Fische werden getötet, Fleisch wird durch den Fleischwolf gedreht, und im Vorspann werden rohe Zutaten geschnitten, vermischt, gerührt und gekocht, die Kamera geht fast rein in den blubbernden Brei, der vermutlich zur Rindswurst wird, und es sieht nicht besonders appetitlich aus.
Aber in der zweiten Episode landen wir dann im Feinkostladen mit angeschlossenem Restaurant und bei den jüdischen Großeltern und Eltern. Hier wird viel Jiddisch ins Deutsche gemischt, und auch wenn das Leben gesetzter und mir daher vertrauter ist, verstehe ich die Dialoge weiterhin nur dank der französischen Untertitel.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich so viele französische Krimis angesehen habe, die deutlich brutaler und politisch unkorrekter sind als deutsche, aber wenn ich heute deutsche Krimis sehe, finde ich die “Bösen” meist lächerlich zahm und unglaubwürdig. So geht es mir hier auch mit dem “Juden-Siggi”, ein übler Kerl aus dem Frankfurter Rotlichtmilieu, der den Großvater und dessen Bruder seinerzeit gerettet (oder versteckt) hat, so genau erfährt man das noch nicht, und der jetzt, frisch raus aus dem Knast, den Großvater erpresst mit der Verpflichtung auf ewige Dankbarkeit, aber auch für irgendetwas, was Symcha Zweifler in den Nachkriegswirren Unrechtes getan haben mag. Martin Wuttke kann das sonst besser finde ich, aber vielleicht liegt es auch nur an mir.
Die zwei Episoden der Serie, die wir sehen konnten, sind schräg, manchmal komisch, manchmal rührend und immer auch bitter, zumindest finde ich das. Ich selbst kenne keine jüdische Familie “von innen”, aber ich habe eine zeitlang gern Lily Brett gelesen, die Geschichten der und über die Großeltern und Eltern ähneln sich, insofern mag diese in der Serie dargestellte Familie doch keine Karikatur sein, sondern einfach der normale neurotische Wahnsinn der knapp dem Holocaust entronnenen jüdischen Menschen, die mit all dem Grauen und den Gespenstern der Toten weiterleben, gerade deswegen eine Familie gründen, stets und ständig zusammenglucken und auf Traditionen pochen, und die Enkelgeneration hängt immer noch mit drin.
Es gab viel und langen Applaus. Die Serie ist gut angekommen, und natürlich will ich sie auch zu Ende sehen und warte nun sehnlichst darauf, dass sie irgendwo ausgestrahlt wird.
Und schon wird der Teppich für die nächste Serie vorbereitet. Nach der Serie ist vor der Serie …
Herrlich zu lesen sind die Beiträge, ich freue mich auf jeden neuen. Heute bin ich neugierig geworden auf diese Serie und von Lily Brett habe ich auch alle Bücher gelesen, bis mir dann die anhaltende Klagerei auf die Nerven ging.
Viel Spaß noch beim Filme schauen und herzlichen Dank…..Liebe Grüße H.Lang
Lieben Dank 😁🙏 freue mich sehr über Ihre Rückmeldung! Mit Lily Brett ging es mir ähnlich. Erst leidenschaftlich alles gelesen und irgendwann ging es nicht mehr.
Danke! Ich selbst habe nur diese Serie gesehen, aber Freundinnen gehen noch zu anderen Vorstellungen! Macht Spaß, so nah dran sein zu dürfen!
Liebe Grüße!
Der pinke Teppich ist eine nette Abwechslung.