Beausoleil

Wenn man dort lebt, wo andere Urlaub machen, weiß man vielleicht viel mehr über die Gegend als die Touristen, aber man sieht in der Regel viel weniger davon als sie. Nicht nur, weil man denkt, das könne man sich locker alles irgendwann mal später ansehen, sondern vor allem, weil der Alltag überhand nimmt. Wenn man mit einem hier ansässigen Franzosen verheiratet ist, der in seiner Jugend hier “alles” schon gesehen hat, kommt man gleich gar nirgends mehr hin. Früher war alles besser, klar.

Nach Beausoleil kamen wir, weil die medizinische Versorgung in Monaco und Umgebung, so scheint es zumindest, besser ist, als in Cannes. Ein halbes Jahr zu warten, um bei einem Gastroenterologen einen Termin zu bekommen, wenn man vermutet, dass ein bösartiger Tumor vorliegt, ist nicht akzeptabel. Wir machten also Medizintourismus. Nur hat man mit den belastenden Gedanken im Kopf natürlich keine große Lust auf einen Tagesausflug und Besichtigungen, es ist schon aufregend genug, mit der Sorge um eventuelle Wucherungen im Bauch in unvertrauter Gegend die Arztpraxis und einen Parkplatz zu finden, danach setzt man sich ins Wartezimmer, trinkt allenfalls davor oder danach noch einen Kaffee, anschließend fährt man wieder zurück.

So habe ich beim ersten Besuch nicht viel von Beausoleil gesehen, aber die Treppe, die sich bis hoch hinauf zu einem beeindruckenden Gebäude erstreckt, hat mich sofort fasziniert. Gestern sollte es in Beausoleil die endgültigen Ergebnisse geben, es war weniger aufregend als beim ersten Mal und den Weg kannten wir nun auch schon, aber der Arzt hatte eine Dreiviertelstunde Verspätung, in der Praxis gab es lärmende Bauarbeiten – wir möchten doch besser noch in aller Ruhe einen Kaffee trinken gehen, empfahl uns die Arztsekretärin. Das taten wir. Die Etablissements in der Nähe, in denen man etwas konsumieren konnte, sahen auch dieses Mal nicht sehr einladend aus, der Kaffee im Pappbecher war aber nicht schlecht. Dann ließ ich Monsieur dort im Schatten sitzen, um mir nur mal schnell diese Treppe aus der Nähe anzusehen.

Und da sie zweigeteilt ist, in eine Rolltreppe und eine klassische Treppe nämlich, fuhr ich schwupps eine Etage noch oben.

Und noch eine.

Und noch eine. Irgendwann drehte ich mich um. Boah!

Und dann wollte ich natürlich auch noch die letzten Stufen bis ganz nach oben laufen, obwohl es keine Rolltreppe mehr gab. Es wurde erstaunlicherweise, je höher man kam, umso ärmlicher.

Der Blick in die andere Richtung allerdings wurde immer schöner.

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist K800_DSC04591-1-rotated.jpg

Meine Zeit aber war limitiert. Ganz hinauf und bis zum Riviera Palace bin ich also leider nicht gekommen.

Das ehemalige Luxushotel wurde von der Compagnie Internationale des Wagons-Lits, der Eisenbahngesellschaft, die Luxuszüge wie den Orient-Express betrieb, gebaut, und es war damals ebenso mit einem eigenen Zug mit dem Spielcasino in Monaco verbunden, sodass die sehr betuchten Gäste sich dort bequem hinbegeben konnten. Während des Ersten Weltkriegs wurde das Hotel, wie so viele andere, als Lazarett genutzt und später in eine luxuriöse Appartementanlage umgewandelt. Bis heute gibt es dort einen enormen Wintergarten, der vermutlich hohe Nebenkosten verursacht, aber die Eigentümer werden die nötigen Mittel haben.

Bergab gibt es keine Rolltreppe und auch keinen Aufzug, so viele Treppen sind für meine Knie nicht gerade ein Vergnügen. Aber mit dem Blick aufs Meer ist alles erträglich.

So kam ich wieder nach unten in die Stadt. Beausoleil heißt “schöne Sonne” und auf den Gewegsteinen lachen uns fröhliche (wenn auch grau verschmutzte) Sonnen an.

Beausoleil läge wie ein Amphitheater über Monaco, habe ich gelesen, das stimmt zumindest für den Teil, der sich am Hang hinaufzieht, ansonsten hat es vor allem die Besonderheit, mit Monaco geradezu zu verschmelzen. Es gibt Straßen, da gehört die eine Straßenseite zu Beausoleil, also zu Frankreich, die andere hingegen zu Monte Carlo, also Monaco.

Links: Beausoleil. Rechts: Monte Carlo.

Man hat auch immer den Blick auf das sich etwas obszön inszenierende Hochhaus, nein, ich meine nicht den (noch höheren und derzeit wohl luxuriösesten) Turm Odeon, an dem fuhr ich zwar auch vorbei, fand aber leider keine Möglichkeit anzuhalten, um ihn aus nächster Nähe zu fotografieren, die Straßen von Monaco sind eng und gewunden, man hat immer einen drängelnden Porsche oder einen gewichtigen Rolls Royce hinter sich oder fette Motorräder, und schwupps ist man schon wieder in einem gigantischen Tunnel verschwunden, es ist echt verrückt. Zurück zum Hochhaus, es ist der Turm Millefiori, tausend Blumen, wenn ich das mit meinen rudimentären Italienischkenntnissen richtig übersetze, sein Name macht ihn nicht schöner, der steht da seit den sechziger Jahren. Der Blick aus dem Hochhaus ist bestimmt toll, ein nicht mal besonders hoch gelegenes aber zugegeben großes Einzimmerapartment kostet auch nur etwa knapp drei Millionen Euro, und achso, er befindet sich, genau wie der noch obszönere Turm Odeon (hier werden Immobilienpreise nur auf Anfrage mitgeteilt) auf der Grenze zu Monaco.

Verglichen damit sind die derzeit zu erwerbenden Appartments im Riviera Palace geradezu ein Schnäppchen, zwei Zimmer für nur 640.000 Euro, allerdings ohne Balkon oder Terrasse, und natürlich haben Sie nicht den Steuervorteil von Monaco und zu ihren Füßen liegt das eher proletarische Beausoleil.

Beausoleil ist nämlich gerade mal etwas mehr als hundert Jahre alt, hier war vorher gar nichts, aber Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts haben sich zigtausend Italiener aus dem verarmten Piemont angesiedelt, um das luxuriöse Monaco, das Spielcasino, die Villen, das Hotel de Paris und allerhand große Gebäude zu errichten. Es war eine gigantische Baustelle. Sie selbst haben aber hier unter prekären Bedingungen gehaust, eine “Bidonville” sei es gewesen, habe ich mehrfach gelesen, eine Hüttensiedlung ohne fließend Wasser und ohne Kanalisation. Heute hat Beausoleil eine sehr große protugiesischstämmige Bevölkerung und scheint weiterhin der Wohnbezirk der in Monaco arbeitenden DienstleisterInnen und Bauarbeiter zu sein. Zunächst hätte Beausoleil auch “Monte Carlo superieur” heißen sollen, aber als die Stadt dann offiziell 1904 gegründet wurde, entschied man sich für “Beausoleil” und das Wappen der Stadt verspricht “Lucet Omnibus”, Sonne für alle. Und wenn man nicht gerade im Schatten der monegassischen Hochhäuser wohnt, und es nicht gerade wieder regnet, so wie heute, hallo! dies ist die Côte d’Azur! möchte man empört rufen, hat man hier Blick und Sonne satt.

Ich breche meine Erkundung von Beausoleil für den Termin in der Arztpraxis ab. Die Ergebnisse, die wir erhalten haben, waren und sind eine absolute Erleichterung. Die Knötchen, die der Arzt entfernt hat, so sehr sie Monsieur auch Probleme bereitet haben, waren nicht bösartig. Hurrah! So erleichtert, konnte ich Monsieur überreden, noch richtig nach Monaco zu fahren, um die historische Ferrari-Sammlung Seiner Fürstlichen Hoheit, die just heute früh in der Zeitung angekündigt worden war, zu besichtigen.

Als Belohnung sozusagen. Ich interessiere mich eigentlich nicht für Autos, Monsieur schon, aber historische Ferraris schaue selbst ich mir gerne mal an, dachte ich und werfe im Vorübergehen einen Blick auf Monaco. Was ich nicht bedacht hatte: Während in Cannes das Filmfestival stattfindet, wird in Monaco alles für die Formel 1 vorbereitet. Aber dazu gibt es einen eigenen Eintrag. Bleiben Sie dran :D

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

10 Responses to Beausoleil

  1. Ursula Weber sagt:

    Vielen Dank für den interessanten Bericht und
    Glückwunsch zum erfreulichen Arztergebnis❣️
    Alles Gute für Euch und liebe Grüße U. 🍀🍀🍀

  2. Simona sagt:

    Ach, wie toll sind die Treppen. Ich wäre sie auch gerne hochgefahren/-gelaufen und auch wieder herunter.
    Und wie schön, dass es ein so positives Arztergebnis ist.

    • dreher sagt:

      Ja, das war toll und ich hätte gern mehr Zeit dort verbracht, aber ich war immerhin fast ganz oben!
      Danke dir! Wir sind auch so froh!

  3. Karin Penteker sagt:

    Bin erleichtert zu hören, dass die Resultate gut waren! Da fällt einem ein Stein vom Herzen, klar! :)
    Alles Gute weiterhin und liebe Grüße!

  4. Marion sagt:

    Die Rolltreppen erinnern mich an die Rolltreppen in Barcelona hoch zum Park Güell. Dort oben machte ich Urlaub bei einem Freund, deshalb war ich da auf und ab unterwegs 😊. Schön die Entwarnung für Monsieur. Das wäre doch ein schöner Grund, seiner jungen Frau einen kleinen Urlaub oder Ausflug zu gönnen? Z.B. nach Barcelona? 😉😍

    • dreher sagt:

      Haha :D ich war zwar schonmal in Barcelona, kann mich aber nicht an diese Rolltreppen erinnern, ist auch schonn knapp fünfzig Jahre her – und ich war schockiert, dass Sagrada Familia noch nicht fertig war – jetzt ist es mir da zu voll – und ich lebe, wie Monsieur, in meinen Erinnerungen ;-)

      • Marion sagt:

        Die Rolltreppen im (traumhaft schönen) Viertel Gràcia sind kein “Hauptzugang” zum Park, daher nicht so bekannt. Die Sagrada Familia ist übrigens immer noch nicht fertig (aber nun hoffentlich bald)! Ach, das wäre aber schade, wenn du in deinem zarten Jungseniorinnenalter nur noch in Erinnerungen leben würdest 🤔, obwohl ich ja auch weiß, was es heißt, sich nicht mehr leisten zu können, was früher normal war 🙁.

  5. Pingback: 24-05-16 Mitarbeiter:in IT Support 1st Level und Service Desk (d/w/m) – iberty.de